Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.07.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-07-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040714024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904071402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904071402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-07
- Tag1904-07-14
- Monat1904-07
- Jahr1904
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis Hi der Haaplrzpedttioo oder deren Ausgabe- Pell« ada«tz»lt: vtertrliührltch 3 —, bek ,wet»altg« täglicher Zu stell nag tu« Hau« X S.7Ü. Durch die Lost bezogen sur Drutlch- land ». Oesterreich vtrrteljährNch «bO, sür di« itbrigen Länder laut ZettvnysurriSIiste. Nedakttou: Johanuisgaffr tt. Sprechstunde: k-6 Uhr Nachm. fternsprechrr: lb3 EppePMo»: Jvhaanr-gasl« L Fernsprecher: LiL SiltalrrpedlNnneu: «lfredtzaha, «uchdundlg., Uatversität«str.3 (Feruspr. Nr. 4046), L Lüsche, kathariarn- strab« »4 (Fernsprecher Nr 293ü> u. König«. Platz 7 (Fernsprecher Nr 7V0L). Haupr-Ftlialr Dresden Marienstrabe 34 «Frrnlprrchrr Amt l?tr. 1713). Haupt-Fttialr Berlin: EarlDuarker, Herzg l.Bar>r.tzosduklibandIg., Lützowstrabr wiFernsprecherAmlVI Nr.4M3.) Nr. M. Abend-Ausgabe. UtMger, TllgMaÜ Anzeiger. ÄmtsSkatt des Königliche» Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Volüeiamtes der Stadt Leipzig. Donnerstag den 14. Juli 1904. Anzeigen-PrelS die 6 gespaltene Petirzeile 2S Reklamen unter dem Redakttrwsslrich («gespalten) 7K nach den Fenntlienaach- richten (S gespalten) KO «Z. Tabellarischer und Zisternsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen nutz Ossertenannahme LS »L- Extra-Vetlagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Au«aabe, oh», Postbrsürderung ^l SO.—, mit Postbesörderung 70^. Annahmrschlup für knzeiirnr Albend-Ausgabe: vormittags 10 Uhu. Morgen» Ausgabe: nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet« an die Expedition Anrichten. Die Erpedition ist wochentags nnunterbroche» geöffnet von früh S bi» abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Wsl» t» Leipzig (Inh. vr. B..R. L W. Sttnkhardt). 98. Jahrgang. Wichtig liif Leilungtlerer. Zur Bequemlichkeit des reisenden Publikums lowcchl als derjenigen Zeitungsleser, die in Kurorten und Sommer frischen bleibenden Aufenthalt nehmen, haben wir auch in diesem Jahre steire-Nbonnement; eingerichtet. Jeder Besteller eines Reise-Abonnements erhält stets die ersten Vruckcxcmplarc des „Leipziger Tageblattes" und gelangt daher auf schnellstem Wege in den Besitz seiner Zeitung. Fei ftunäreizen wird die Zeitung nach den betreffenden Mrten rechtzeitig derart expediert, daß der Abonnent dieselbe „postlagernd" oder unter der ausgcgebenen Adresse vorfindet. Der Bezugspreis wird für Deutschland und Mesterreich Ungarn auf nur 7S Pfennig pro Woche bei täglich einmaliger Frankozuscndnng festgesetzt, für das Ausland Ukark z,zn pro Woche. Auswärtige Besteller be wirken die Bezahlung am einfachsten durch Postanweisung. Sei längerem Zulenlballe an ein und demselben Grte ist das direkte Abonnement bei den betreffenden postanstalten oder die Uebcrweisung vom !?crlagsortc aus vorzuziehen. Die Ueberwcisungs- gebühr beträgt pro Aalcndermonat c>o Pfennige, frei lsaus «q Pfennige. 8xpsMon äer „Leipziger 7sMM5". Var Wichtiger vom Lage. * Der frühere Präsident von Transvaal Krüger iil in vergangener Nacht in Clärens (Kanton Waadt) gestorben. sS. Leitartikel.) — * Zn einer heute nacht im Eanssoucisaale zu Leipzig abgehaltenen Versammlung des Leipziger Straßen bahn-Personals wurde ter Anfchluß an den Zentral verband der Handels-, Transport- und Verkehrs arbeiter abgelebnt. (S. bes. Artikel.) * Die Steigerung der Invalidenrenten mit ihren Folgeerscheinungen wirb jetzt halbamtlich zugegeben. Jedoch bürste vorläufig »och von einer Erhöhung der Beiträge ab gesehen werden können. (S. Dtsch. Reich.) * Das Loher Gehege bei Rendsburg ist zum zweiten Male in Brand geraten. ES ist viel Wild verbrannt. (S. Au« All. Welt.) vbm ksliiger -j-. Aus dem Schweizerlande bringt der Telegraph die Kunde, das, zu Clärens im Kanton Waadt letzte Nacht der (rubere Präsident des Transvaalstaates, Stephan us o b a n n e s Paulus K r ii g e r , im Alter von 79 Jahren gestorben ist. Es ist ein drastisches Bei spiel für die Schnclllcbigkeit unsrer heutigen Zeit, daß der Mann, dessen Name noch vor vier Jahren auf aller Lipperi schwebte, heute bereits in Vergessenheit geraten war. Kaum, daß nian in den letzten drei Jahren noch etwas von ihm hörte, und was über ihn in die Ocffcnt- lichkeit drang, waren Nachrichten, die keinen Zweifel darüber lassen konnten, daß der alte Mann den schweren Schlag, den er und die Durensache dnrcb den Frieden von Middelburg erlitten hatten, nicht zn verwinden vermochte. Was er in einem ganzen Menschenleben in mühsamer, diplomatisch geschürter Tätigkeit anfgebant hatte, mutzte er am Abend seines Lebens in Trümmer sinken sehen. Als nach übermenschlichen, Ringen sein Volk doch dem übermächtigen Feinde zn erliegen drohte, da entschloß sich der 75 jährige zu seiner Reise nach Europa. Wie oft waren Worte begeisterter Anerkennung und ermutigender Teilnahme voin europäischen Festlandc wie Hcimatgrüße hinübergedrungen in das ferne Afrika, wo niederdeutsche Bauern die neugcgriindctc Heimat gegen die Begehrlich kcit rücksichtsloser Unternehmer verteidigten. Datz aus der Fülle großer und schöner Worte doch noch eine kleine bescheidene Tat zu Gunsten der mit Vernichtung be drohten Freistaaten werden möchte, das war damals der letzte Hos'nungsschimmer des Alten, als er schweren Herzens die bedrängten Seinen verließ, um einen Bitt gang auzutretcn. Was er erhoffte, war die Einsetzung eines Schiedsgerichts durch Vermittelung der Negie rungen der Völker, deren Sympathien die Buren in über schwänglichem Maße erfahren hatten. Man darf wohl sagen: wenn damals durch ganz Europa, ja in der ganzen nichtenglischen Kultnrwclt eine Abstimmung in der An gelegenheit der Buren, hätte stattfindcn können, eine erdrückende Mehrheit zu Gunsten der Buren wäre das Ergebnis gewesen. Aber nirgends ward das teilneh mende Wort zu einer nützlichen staatsmännischen Tat. Und mit welcher Begeisterung wurde Ohm Krü ger von der französischen Bevölkerung begrüßt, als er am 22. November 1900 in Marseille das europäische Festland betrat, wie jubelte auch Paris dem Freiheits kämpfer zu, als Loubet, der Präsident dec stolzen fran zösischen Republik, den verantwortlichen Lenker und Be auftragten der bedrohten südafrikanischen Freistaaten empfing. Aber das Wort ward nicht zur Tat. Doch eine Hosfnlung war dein müden Greise: ge blieben. War er nicht vor wenigen Jahren, als zuerst englischer Uebcrmut keck die Grenzen des Freistaates mißachtete und seine Bürger den Einfall IamcsonS zurllckschlugen, vom deutschen Kaiser aufrichtig beglück wünscht worden, daß es ihm und seinem Volke gelungen sei, die Unabhängigkeit des Landes gegen Angriffe von außen zu wahren? Wohl enthielt das bekannte Tele gramm vom I. Januar 1890 die bemerkenswerten Worte „ohne an die Hülfe befreundeter Mächte zu appellieren". Aber die Auslegung, die das Telegramm gerade in der englischen Presse gefunden, macht es erklärlich^ wenn Krüger »och jetzt Hoffnungen daran knüpfte, welchen bald eine gründliche Enttäuschnng bereitet werden sollte. Noch in Erinnernng ist der herzliche Empfang, der Krüger in Köln zu teil wurde. Zn den lauten Jubel der Begeisterung aber klang das Geräusch vom Zu schlägen einer Tür hinein. Die Bitterkeit dieser Erinnerung aber darf man nicht anffrilchen, ohne an daS Wort zu erinnern: Bitter not tut uns eine starke Flotte. Deutschland wäre damals, so wenig wie heute imstande gewesen, eine an England gestellte Forderung, wenn es sein müßte, mit Gewalt durchzusctzeu. Mit dem Gefühl allein aber läßt sich keine Politik machen. Ohm Krüger aber wird trotz alledem deutschen Herzen eine liebe Erinnerung bleiben, und sein Bild wird in mancher deutschen Familie einen Ehrenplatz be halten. Auch an diesem Manne zeigte cs sich wieder, das; die großen, Eindrücke nur durch Einfachheit er zielt werden — eine Lehre für alle Zeiten und auch für uns. politircbe Tagesschau. * Leipzig, I I. Zuli. Zu dm »onsermjm auf Nardcructz wird uns ans Berlin geschrieben: Die Anregung zu den Konferenzen, die gegenwärtig auf Norderney stattfinden, ist von deutscher «seite ausgegangen; Herr v. Witte hat sich bereit erklärt, der an ihn ergangenen Einladnng Folge zu geben. Zn vorsichtiger Weise, auf dem Um wege über auswärtige Blätter, ist eine entgegengesetzte Darstellung in die deutsche Presse lanciert worden: sie ist fahch. Wenn man den Berliner Vertretern solcher Blätter, wie im vorliegenden Fall z. B. dem der Wiener „Neuen Freien Presse" Märchen dieser Art aufbindet, so ist das eine der vielen Ungeschicklichkeiten, durch die eine Politik von Sachwaltern und Freunden kompromittiert werden kann. Metternichtigkeiten, wie sie den GejchäftSkniff eine« ganz irr- tiimlicst für erfolgreich gebaltenenen System« der Behandlung der Presse bilden, haben kurze Beine, lieber den Stand der Verhandlungen bei Beginn der Norderneyer Konferenzen können wir als authentisch folgende« mittcilen: Es trifft, im Einklang mit wiederholten und von offiziöser Stelle au« unbekanntem — oder vielleicht auch au« gar keinem — Anlaß besonderer Arten jedesmal in Frage gestellten An deutungen durchaus zu, daß Rußland die Minimalzölle auf Getreide zuzu gestehen geneigt ist. Es verlangt dafür Konzessionen auf anderen Gebieten des Tarifs. Der Aus gang des Handelns ist einstweilen noch ungewiß, doch kann angenommen werden, daß man in etwa acht Tagen Klarheit haben wird. Daß russische Anleihewünsche in Norderney offiziell zur Sprache kommen sollen, wirb un« gegenüber in Abrede gestellt. Die Chancen einer etwaigen, in Deutschland zu plazierenden neuen russischen Anleihe, sollen im übrigen nicht ungünstig stehen, wenn auch eine starke Partei innerhalb der Hochfinanz durch Ablehnung aller russischen Wünsche zu Gunsten der russischen Zudcn demonstrieren will. Von der Börse auö wird nnS versichert, daß Herr v. Mendelsohn, wenn er wolle, Mittel und Wege finden werde, derartige Dissidenten im gegebenen Moment zu beschwichtigen. Schippel» eigener Standpunkt. Man hat Schippet vorgeworfen, daß er in seinen bisherigen Auseinandersetzungen mit KautSky seine eigene innere Ueberzeugung nicht mit unzweideutiger Klarheit herauS- treten lasse. Jetzt entwickelt er endlich in dem Chemnitzer Sozialistenblatte „seinen eigenen Standpunkt". Er chreibt: Ich erkenne mit Kautsky an eine „sehr bedrängte Lage", „eine sehr bedeutende Notlage" der Landwirtschaft, eine schwere Agrarkrisis in fast allen Kulturstaaten des Kontinents, eine Krisis, deren Ende vorläufig nicht abzujehen ist — wenigstens bei freiem Gchenlassen (!) nicht abzusehen ist, füge ich hinzu — deren Fortbestand bis zum Zusammenbruch der kapitalistischen (Kesrllschasl „gewiß" ist, meint Genosse KautSky in seinem weitrrgehcnden agra rischen Pessimismus." Schippel erkennt also eine schwere Agrarkrisis an, ver spricht sich ihre Ueberwindung aber anscheinend noch von dem verrotteten Bonrgeoisstaate. Z» diesem Sinne ist es wohl auch gemeint, wenn er später Friedrich Engels, den „großen Pleister des wissenschaftlichen Sozialismus", als Zeugen für seine agrarische Ketzerei anruft und hinzufügl, den Engelschen Satz, daß nur durch den ZukunftSstaal (gesellschaftlicher Betrieb) der Untergang des europäischen Ackerbaues verhindert werden könne, wolle er einstweilen beiseite lassen." Schippel erinnert dann daran, daß vor 10 Jahren schon eine starke agrarische Strömung in der sozialdemokratischen Partei vorhanden gewesen sei, und ver breitet sich eingehend über die Ursachen der Agrarkrise (Hungertonkurrenz, namentlich Rußlands und staatliche Ver- schenkung von Koloniallaud), konstatiert, daß die Industrie sict» heute hinter dem agrarischen Schutzzoll ganz wohl siihlc. daß diese neue Situation innerhalb der bürgerlichen Gesell schaftsordnung Mitteleuropas eine Notwendigkeit, das Neugewordene also eine Politik von enormer Lebens kraft darstellt, spottet weidlich über die sozialdemokratische Ansicht, dieses Hand- in Handgehen von Landwirtschaft und Industrie, nach ihm rin Produkt großer wirtschaftlicher Um wälzungen, sei eine Folge der gemeinsamen „Furcht vor dem Proletariat" und fragt: Hat sich denn bei diesem gefürchteten Proletariat selber nicht auch mit der Zeit vieles in ähnlicher Richtung geändert, wie im Jndustrieunternehmertum? Etwa aus Furcht vor dem Proletariat? Aus Furcht vor sich selber? Ende der 70er und Anfang der 80er Zahre galt der 50 Pfennig- und 1 Mark- Brotzvll schon als Hungerfolter gegen den Konsumenten Heute wissen wir alle ganz gut, daß hinter einer 3'/, Mark- Zollmauer sich die Industrie sowohl wie die Lebenshaltung der Bevölkeruug(l) heben kann; wir begnügen unS nunmehr mit dem bescheidenen Zusatz, daß ohne die 3'/, Mark wahr scheinlich vieles noch viel besser sei» würde. Schließlich führt Schippel als das Allerdurch» schlagendste die Beobachtung ins Feld, daß in anderen mitteleuropäischen Ländern, die nicht viel anders gestellt sind, als Deutschland, bereit« hervorragende Arbeiterführer sich mehr und mehr mit dem Agrarschutz aussöhnen und sogar zu dem Agrarzoll abschwenken. Der Essener Fall. Es ließ sich voransschen, daß die Zentrumsprcsse dem Gymnastoldircktor Dn. Biese alle Schuld an dem leidigen Konflikt in Essen aufbürden und ihm einen Ver stoß gegen die Parität vorwerfen würde, weil die evangelischen Bibelkränzchen an derselben Anstalt gestattet worden, die katholischen Schüler dagegen wegen ihrer Teilnahme an den Illnglings-K ongrega - Feuilleton. "I Die Entgleisten. Roman von Caroline Deutsch. Nachdruck «»rboten „Umhülle dich nicht mit Trnggespinnstcn", sagte der alte Pfarrer, dem bei allem Zern auch Mitleid die Seele erfüllte. Ein Kranker war's, mit dem er sprach, einer, dessen Seele litt, und einen Kranken mußte mcm sanft und liebevoll behandeln. „Tn bist unglücklich, weil man dir alles nimmt und nichts dafür gibt . . . oder ja, doch etwas ... die Hoffnungslosigkeit. — Ich will dir eine kleine Legende erzählen, Andreas, die wenig bekannt'ist. Ter Heilige Aiignstiinis wandelte einst am Ufer des Meeres, krank in innerster Seele vom cwigeii Grübeln, von Zweifel» an dem Vorhandensein Gottes, da sah er einen Knaben, der nnnnterbrockv» Wasser in einerMnschel schöpfte und cs in eine handgroße Ocffnung am Ufer goß. Ans die Frage ob dieses Beginnens versetzte der Knabe, daß er den Inhalt des Meeres in das kleine Loch hincinschöpscn wolle. ..L, törichter Knabe!" rief Angnsti- rms, , das große, gewaltige Meer in diesen winzigen Raum?" - „T, törichter Mensch!" versetzte der Knabe, „den Begriff der Unendlichkeit, der Unfaßbarkeit in dein kleines Gehirn?" ... Tn hast dock! den Sinn der Legende verstanden?" fragte der geistliche Herr nach einem Schweigen. „Sie zeugt von unserer Ohnmacht", sprach Andreas schmerzlich und mehr zn sich als zn dem andern. ..Mehr noch von unserer Ueberhebung. Wir sollen nbcr die Grenzen nicht hinausstreben, die unfern irdischen Augen gezogen sind .... diese schwachen Angen. die das volle Licht der Erdensonnc nicht zn ver tragen vermögen und die göttliche zn durchdringen suchen. — Sieh', Andreas, wenn du in der dich umgebenden Welt jedem Dinge bis anj die letzten Spuren nachgehen dir überall nur die uackte Wahrheit herausholen wolltest, was bliebe dir an Glück lind Freude übrig? Nur eine ewige Liebe nnd Weisheit hat so vieles in Farbe, Tust und Schönheit gctancht, »in uns über die Oede, das Grauen hinwegzutäuscheu, cs sogar zu einer unvcrsieg baren Ouclle der Freude, der Erhebung, der Begeisterung für das Meiiichenherz zu machen ... die vorwitzige Hand des Menschen soll nicht von allem den Schleier zn reißen suchen; denn sie bringt den Tod und nicht das Leben in die Welt. .. Glaube mir, Andreas, eine entgötterte Welt ist auch eine entmenschte Welt!" — Ter Pfarrer hatte sich in tiefste Erregung gesprochen, sein Helles, freundliches Gesicht Ivar gerötet, nnd wieder schritt er im Zimmer aus und ab, wie nm sich zu beruhigen. „Tu wirst zngestehcn, daß das kein Gespräch zwischen einem Pfarrer nnd seinem Kaplan ist," begann der alte Mann von neuem, als Andreas, ohne ein Wort zu er- erwidern, still vor sich niedersah, „und ebenso, daß cs so nicht blcibcn darf. Kommt es dir nicht zu Bewußtsein, daß Trug in deinem Handeln liegt? . . . daß du im Be griffe stehst, meineidig zn werden? Tu schwurst, für Gott und iu Gott zu leben, sür seinen Solin, unser» Hei land und Erlöser. Und jetzt . . . jetzt! . . . Was ist aus dir geworden? Wohin bist du geraten, Andreas?!" Wie im Entsetzen nnd schmerzlichster Bewegung zugleich hielt er inne. „Ich kämpfe, hock'wiirdiger Herr!" murmelte der Kap lan und schlang die weißen, schmalen Hände ineinander. „Schon dein Kampf ist Sünde. Es hätte an dich, den Priester, nicht herantretcn dürfen . . . Und auch ich bin schuld, weil ich so lang' geschwiegen und dir die Bücher gelassen habe. Damals dacht' ich, was Hilst s, die Gift flasche zu entfernen, da er doch schon daraus getrunken hat . . Es war ein Irrtum von mir. Es ist dies ein langsam wirkendes Gift und du hattest Zeit, noch mehr davon zu nehmen. — Was meine Pflicht in dieser Sache wäre, weißt du, Andreas, ohne daß ich's auszusprechen brauche . . . Aber ich zögere noch, die schweren, harten Strafen über dich zn bringen, die eines abtrünnigen Prie sters harren ... es wäre das letzte Mittel, Andreas, schon ans Rücksicht sür deine Pflegemutter! — Und auch der Heilige, von dem ich gesprochen, ist mir Trost und Hoffnung . . . wie er, wirst auch du dich auf den rechten Weg znrücksinden." „Ich kämpfe nnd ringe gleich ihm", wiederholte Andreas, auf den die schlichte, gütige Art, das Vertrauen, der Glaube an ihn, der bei allem Schmerz aus Petrovs Worten sprach, von sttzfer Wirkung war. „Ich wüßte den rechten Weg zur Heilung, Andreas!" Und als ihn der Kaplan fragend ansah: „Such für eine Zeit dein Kloster auf. Tie Brüder dort sind dir liebevoll gesinnt, man wird dir keine harten Strafen anslegen, aber in völliger Abgeschlossenheit, in Buße nnd Gebet wirst du dich am ehesten zu deinem Schöpfer zurückfinden. Vor der Welt kann's heißen, die Sehnsucht nach der Ein samkeit, nach dem Grabe deines Vaters habe dich dahin geführt, wo du schon einmal zwei Jahre geweilt hast. Sobald du gesund bist, kehrst du zu uns hier zurück. Daß dir die Kaplanstelle bleibt, dafür sorg ich." Andreas' Gesicht wurde immer bleicher, und wie ein Schauder ging es durch seine Gestalt. „Hochwürdiger Herr," sagte er nach einem Schweigen, „haben Sie Ge duld init mir! Lassen Sie mich hier! Der Gedanke an das Kloster ist mir schrecklich. . . . Betrachten Sie das Ganze als ein« Krise ... die... vorübergehen wird. .. " „Hast du überhaupt den Willen, den festen, ehrlichen Willen, wieder gesund zu werden?" fragte der greise Pfarrer und sah ihm durchdringend in die Augen. „Ich will mir redliche Mühe geben." „So liefere mir als ersten Beweis die Bücher aus, die unter kein priesterliches Dach gehören. Ick könnte sie ja auch so haben, aber du sollst mir sie freiwillig geben." Langsam ging Andreas zum Schrank, öffnete ihn und entnahm der Rückwand des untersten Faches Band um Band, die er auf den Tisch legte. „Wie ich dich kenne, sind cs alle." „Alle", versetzte der Kaplan; er sah nicht auf. Und sein Gesicht war sehr bleich. Wie nahe es ihm ging! Wahrlich, es war Zeit, daß er tat, was längst hätte geschehen müssen! Entschlossen nat der Pfarrer an das Fenster, das nach dem Hof ging nnd ries den Knecht an. Er sollte eine Holzkiste aus der Kammer beransbringen nnd einen Hammer und Nägel dazu. Eine kurze Zeit später befand sich dies alles in der Giebelstube, nnd der Knecht packte nach Anordnung Petrovs die Bücher in die Kiste und nagelte dann den Teckel fest darauf. Und nachdem dies geschehen war, trug Turan die Kiste in den Keller, wo sic bleiben sollte, bis sie der Bücherhändler aus Verbova holen würde, der selbe, der auch den Nietzsche gelaust hatte, . . . Als sich der Pfarrer entfernt hatte, stand Andreas lange am andern Fenster und sah in den Garten hinab, über die entlaubten Baninwipfel und die Dächer des Ortes hinweg bis zu den bellen Manern des Schlosses, das aus seiner Anhöhe alle Häuser überragte. Pfarrei Petrov ahnte nicht, daß ein zweiter, ein größerer Feind zurückgeblieben war — einer, der sich nicht in Kisten packen, vernageln oder vermauern ließ und der in seinen Wirkungen noch verheerender war, Andreas noch Unglück lieber machte als alle atheistischen Bücher der Welt... die Liebe zu seiner Pflegeicbwcster - eine Liebe, die ihn selig und unselig machte. . . . Andreas liebte Marisckka init der ganzen Wärme und Znnigkeit seines tiefen, zärtlichen Gemüts, die noch dnrcb Kindheitserinnerungen verklärt wurde, und er liebte sie mit der ganzen leidenschaftlichen Kraft dem beiß hervorbierbenden Verlangen seiner un berührten Jugend, das noch gesteigert wurde durch das Bewußtsein des Verwehrten des Verbotenen. — Er war Zeuge jener Sommerscenc unter dem Apfelbaum ge-
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite