Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.07.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-07-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040722022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904072202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904072202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-07
- Tag1904-07-22
- Monat1904-07
- Jahr1904
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis i» d« tzauplexprdttto» oder deren Ausgabe stelle» abgeholt: vierteljährlich 3.—, bet zweimaliger täglicher Zustell vag in» Hau» 3.75. Durch die Posi bezogen für Drutlch- laud a. Oesterreick vierteljährlich 4.50, für die übrige» Länder laut Zritvugspreisliste. Re-attlour Zohanntsgaste 8. vprrchstund«: 5—S Uhr Nachm. Fernsprecher: 153 Erptittttan: JohanniSgass« L Fernsprecher: 222. Ftltalerpedtttouen: Alsredtzahn. Buchbandlg., UniversitätSstr.S lFrrnspr. Nr. 4046). L. Lüsche, Katharinen straße 14 (Fernsprecher Nr LS35> u. König»- platz 7 (Fernsprecher Nr. 7505). Haupt-FUtate Dresden: Marienstraße 34 (Fernsprecher Amt 1 Str. 1712X Haupt-Filiale Berlin: TarlDancker, Herzgl-BayrHofbuckbandla- Lützowstraßr IL)(FernsprecherAmtVI Nr.4M3.) Sir. 37». Abend-Ausgabe. UcipMtr TllgMüIt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Nolizeiamtes der Ztadt Leipzig. Freitag den 22. Juli 1904. Anzeigerr-PretS die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen not« dem RedattionSstrtch l4 gespalten) 75 nach den Frmiltenaach- richten (6 gespalten) 50 -4- Tabellarischer and Zissernsay entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ossertenannahme 25 -L- Srtra-Bettagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrsörderung ^ti 60.—, mit Postbesörderuug 70.—. Anua-mefchlntz l»r A»zeigen: Abend-AuSgabe: vormittag« 10 Uhr. Morgeu-AuSgab«: nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» au die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Pol- tu Leipzig (Inh. vr. B, R. L W. «liukhardv 98. Jahrgang. Var Äicdtigrte vom rage. * Bei dcrDeutschenKolonialgesellschast sind bis jetzt für die geschädigten deutschen An siedler in Deutsch - Südwestafrika 247 955 Mark 22 Pfg. eingegangen. * In Blondzmin, Kreis Schwetz, sind dem „B. L.-A." zufolge 24 Gehöfte mit 66 Gebäuden nr e d e r- gebrannt; ein Kind ist in den Flammen umge kommen. * Wie uns aus Warschau gemeldet wird, beträgt infolge der gewaltigen durch den Krieg hervorgerufenen wirtschaftlichen Depression die Zahl der Arbeitslosen in Warschau 36000, in Lodz 10 000, im Bezirk Kalisch 8000. Dazu st e i g e n die Lebensmittelpreise rapid. * Nach einer aus Moskau eingehenden Meldung hat der japanische Geenral Kuroki den linken der japanische General Kuroki den linken auf Mukden vor (S. russ.-jap. Krieg.) Ztteilr, Lockroitt «nä SsMtt. Ueber die häufig benutzten Begriffe Streik, Lockout und Boykott herrschen noch vielfach große Unklarheiten und Verwirrungen. Es ist verdienstlich, daß im neuesten Hefte des Scknnollerschcn Jahrbuches August Klceberg sich bemüht, eine einigermaßen befriedigende Umgrenzung der Begriffe zu geben. Trotz aller Analogien aus älteren Zeiten, wie der Gesellen-Aufständc, des „Aufstehens" der Gesellen von der Arbeit und dergleichen, ist der Streik eine vorwiegend moderne Erscheinung. Der moderne Streik unterscheidet sich von dem früheren wesentlich da durch, daß vormals die Streiks bei der autoritativen Fest setzung der Arbeitsbedingungen eine Auflehnung gegen eine Anordnung der öffentlichen Autorität war und sich nur als eine spontane, lokalisierte und meist gewalttätige Aeußcrung der Unzufriedenheit charakterisierte, während er jetzt nach Einräumung des Koalitionsrechtes (Recht der Arbeitseinstellung und Recht der Arbeitercntlassung) eine organisierte, meist territorial weitverbreitete und in der Regel friedlich verlaufende Handlung darstellt. Ter Streik tritt zuerst regelmäßig in England, dem Geburts lands der modernen Großindustrie, an der Wende des 18. und 19. Jahrhunderts, mit der modernen in dustriellen Arbeiterklassenbewegung auf, während er in Deutschland erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine feste Einrichtung wird. Streik, deutsch Arbeitseinstellung, Arbeiterausstand oder Ausstand, ist ein Kampf-, Zwang- und Machtmittel, bestehend in der gemeinsamen Niedcrlcgung der Arbeit seitens einer relativ großen Anzahl von erwerbstätigen Personen eines Berufes, eines Standes oder einer Klasse beziehungsweise einer Kategorie derselben, um hierdurch wirtschaftliche und / oder soziale oder politische Forde rungen für die direkt Beteiligten und / oder sie für andere erwerbstätige Personen durckMsetzen. Nach der Definition Kleebergs ist es ein wesentliches Merkmal des Streiks, daß die Arbeitsniederlegung seitens einer relativ großen Anzahl von erwerbstätigen Personen gemeinsam erfolgt. Tas Moment der Frei willigkeit wird abgewiesen, weil erfahrungsgemäß viele Personen gegen ihren Willen zum Streik gezwungen werden. Die gebräuchlichsten deutschen Uebersetzungen des englischen lockout sind Ab- und Aussperrung, Fabrikspcrre, Austreibung von Arbeitern, Arbeitssperre oder Arbeitsschluß und Arbeitsausschluß. In Deutsch land ist die Uebersetzung „Aussperrung" am verbreitetsten und findet sowohl in der Wissenschaft, in der Presse und bei den politischen Parteien und wirtschaftlichen Ver einigungen als auch in der Gesetzcssprache und in den amtlichen Publikationen vorwiegend Anwendung. Ter moderne Lockout ist zusammen mit dem modernen Streik entstanden. Er gewinnt erst mit der Neubildung von Unternehmer- und Arbeitgeberverbänden in Deutschland seit Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts an Umfang und Bedeutung. Indessen sind die Lockouts überall noch viel seltener als die Streiks: zur Zeit weisen sie jedoch in Deutschland eine beachtenswert steigende Tendenz auf. Lockout — Aussperrung — ist ein Kampf-, Zwang- und Machtmittel, bestehend in der Produktions einstellung oder Produktionseinschränkung durch Ent- lassung einer oder mehrerer Kategorien von beschäftigten oder angcstellten Personen beziehungsweise einer relativ großen Anzahl derselben, um hierdurch wirtschaftliche und / oder scyiale oder politische Vorteile für die direkt Beteiligten und / oder andere Unternehmer zu er wirken. — Boykott ist ein modernes, erst seit 1880 gebräuchliches slanx. Der Boykott ist keine neuzeitliche Erfindung: er datiert schon weit zurück. So finden wir die Idee des Boykotts im Bannfluch der Kirche, ferner in der mittel alterlichen Reichsacht, sowie in dem Schelten und Auf treiben der Handwerksmeister und Gesellen in der Zunft zeit. Boykott, deutsch Verrufserklärung, ist ein Kampf-, Zwang- und Machtmittel, welches darin besteht, daß eine Mehrheit von Personen sich planniäßig verabredet, eine bestimmte Person, bestimmte Personen oder Personen gruppen zu maßregeln, um hierdurch wirtschaftliche und / oder soziale oder politische Vorteile für die direkt Beteiligten und / oder eine andere Person und andere Personen zu erwirken. Ein wesentliches Begriffsmaterial ist die Planmäßigkeit der Verabredung: denn einerseits ist der Boykott überhaupt nur bei einer „gewissenhaften" Vorbereitung und einer konsequenten Durchführung (-Organisation) möglich, und andererseits wird nur durch eine einheitliche Leitung und eine konstante Agitation der Erfolg desselben verbürgt. Allen drei Begriffen ist gemeinsam, daß sie in der großen wirtschaftlichen Bewegung der Jetztzeit die haupt sächlichsten und wirksamsten Kampf-, Zwang- und Macht mittel sind, mit deren Hülfe auf die wirtschaftliche Lage eines anderen, des Gegners, eingewirkt werden soll, um hierdurch gewisse wirtschaftliche und / oder soziale oder politische Vorteile für die sich dieser Waffe bedienenden / oder für andere Personen aus Sympathie zu erzwingen. Zu vergleichen ist das beachtenswerte Urteil des 6. Zivil senats des Reichsgerichts vom 26. März 1903, wo es heißt: „Tas Koalitionsrecht hat zum Inhalt, daß Arbeit geber und -nehmer auch ohne unmittelbares eigenes Interesse in einen Kampf zwischen anderen Arbeitgebern und -nehmern eingreifsn dürfen." ver rusrstch-iapsiürche »lieg. Liste -er «„gehaltenen Schiffe. Bisher wurden von den russischen Kreuzern folgende englische Schiffe angehalten: 19. Februar: Drei Kohlenschiffe, „Ettrickdale", „Frankby" und „Mathilda", alle drei wurden bald frei gegeben an gesichts der Unmöglichkeit, sie in einen russischen Hafen zu bringen und von einem russischen Prisengerichte verurteilen zu lassen. 22. Februar: Postdampfer „Mongolia" im Roten Meere verfolgt, aber nicht untersucht. 24. Februar: „Rosely" festgehalten und Nachsuchung vor genommen. Am folgenden Tage die „Luristan" desgleichen. 27. Februar: Die Dampfer „Mombaffa" und „Bonalder" festgchalteu und durchsucht im Roten Meere. 28. Februar: Die „Palawan" durchsucht. I. März: Der Dampfer „Oriel" festgenommen, aber später freigegeben. 4. Mai: Postdampfer „Osiris" im Mittelmeer vom russi schen Kanonenboot „Chrabry" angebalten, das einen neu- traten Hafen als seine Operationsbasis benutzte. Den eng lische Kapitän verweigerte die Herausgabe oder Auslieferung der Postsäcke zwecks Durchsuchung derselben, wie russischerseits verlangt, worauf sich das Kanonenboot unverrichteter Sache zurnckzoa. 19. Juni: Der Dampfer „Allanton" im japanischen Meere vom Wladiwostokgeschwader weggenommen und vom Prisen gerichte verurteilt. (Zum Fall dieses Dampfers wird aus Petersburg die England kompromittierende Tatsache gemeldet, daß in den Papieren desselben ein von der japanischen Regierung voll zogener Vertrag gefunden wurde, in welchem jene sich aus drücklich verpflichtet, im Falle der Wegnahme des „Allanton" durch die Russen dem Eigentümer den vollen Wert des Dampfers und dessen Cargo in Bar und sofort zu ersetzen. 15. Juli. Deutscher Dampfer „Prinz Heinrich" durch sucht, japanische Post beschlagnahmt und zwei Tage darauf an die englische „Persia" abgegeben. 19. Juli. Englischer Dampfer „Malakka" im Roten Meere beschlagnahmt. Die Spannung zwischen Ruhlan- un- England. Nach der Ansicht des „Daily Telegraph" in der „Malakka"- Frage ist nicht mehr an dem Ernst der Gespanntheit zwischen England und Rußland zu zweifeln. Der Zwischenfall ließe sich vielleicht für beide Nationen ohne Verletzung ihrer Würde beilegen, wenn nicht die schwierige Frage bliebe, welcher Charakter den Schiffen von der Klasse Petersburg zuerkannt werden müsse. Das Blatt versichert, daß dem Kaiser von Rußland erklärt wurde, daß auf diese Schiffe der russischen Flotte geschossen werden würde, wenn sie versuchen sollten, englische Schiffe anzuhalten oder zu durchsuchen, und daß man sie als Seeräuber in den Grund bohren wird, wenn sie von ihrem Verhalten nicht ablassen sollten. Es ver sichert ferner, daß die ottomanische Regierung Schritte tun wird, um die Durchfahrt solcher Schiffe durch die Dardanellen zu verhindern. Die Frage hat absolut nichts mit dem Kriege im Osten zu tun. — „Standard" schreibt: Die Abreise der Malakka von Port Said unter russischer Be wachung hat die Krisis bedeutend verschärft. Unsere Würde und Selbstachtung verlangt, daß der Dampfer frei gegeben wird, ehe er im Baltischen Meere ankommt. Der Admiral der Mittelmeerflotte hat Instruktionen erhalten: wenn die „Malakka" nicht freiwillig ausgeliefert wird, wird sie abgefanaen wer den, bevor sie die Straße von Gibraltar passieren kann. ES sei nicht unmöglich, daß die englische Regierung die Einfahrt in einen neutralen Hafen erlauben werde, wo die Ladung geprüft und festgestellt werden könnte, ob die Munition für das englische Geschwader bestimmt ist. DaS Blatt fährt fort: Wir glauben, daß der russischen Regierung klar gemacht wird, den zu russischen Kreuzern umgewandelten Handelsschiffen könne unter keinen Umständen die Berechtigung zuerkannt werden, sich in die englische Schiffahrt einzumischrn. Ansanrnrenststz zwischen Japanern «n- Franzosen. Zu dem am 14. d. MtS. in Shanhaikwan zwischen fran zösischen und japanischen Soldaten erfolgten blutigen Zu sammenstoß wird „Daily Chronicle" aus Inkau berichtet, daß die japanischen Soldaten zwei Franzosen, welche eine russische Fahne trugen, getötet und ihre Körper verstümmelt haben, um sie unkenntlich zu machen. Um die Kameraden zu rächen, griffen am nächsten Tage die Franzosen die Ja paner an, töteten 7 und verwundeten 15. Japanischer Vormarsch ans Mnl-en Das Moskauer Blatt „Rutzky Lislok" veröffentlicht eine Depesche von heute, wonach Kuroki den linken Flügel der russische» Armee durchbrochen habe und die Japaner auf Mukden loSmarfchierten. Eine Bestätigung der Nachricht von anderer Sette liegt noch nicht vor. poMirche cagrrrcha«. * Leipzig, 22. Juli. Zentrum und Kriegsminister in Bayern. Die Angelegenheit Frhr. v. Asch — vr. Heim wird erklärlicherweise in der ganzen Presse sehr lebhaft besprochen. Daß das Zentrum seinen FraktionSgenofsen kräftig in Schutz nimmt, braucht kaum erst besonder« hervorgehoben zu werden, ebensowenig, daß die Sozialdemokratie mit ihren schwarzen Bundesgenossen wieder getreulich Hand in Hand geht. Mau will eben in diesen Kressen nicht einsehen, daß vr. Heim tat sächlich nicht fair gehandelt hat, indem er erst an den Kriegsminister mit einer Anfrage nach der Existenz eines Erlasses herantrat, den er in der Tasche trug. Ebenso war es unfair, das Verlesene nicht ausdrücklich als Teil des Erlasses zu bezeichnen, und dadurch bei den übrigen I Kammermitgliedern den Anschein hervorzurufen, als sei es oas Ganze. In diesem Punkte hat ihn am Donnerstag der Kriegsminister durch Verlesung deS ganzen Erlasses voll ständig und schlagend widerlegt. Den Grund der Heimschen Handlungsweise hat der Kriegsminister treffend dabin gekennzeichnet, daß beabsichtigt sei, ihm ein Bein zu stellen, über das er schließlich gefallen sei, und daß ncan vor keinem Mittel zurückscheue, um einen mißliebigen Feuilleton. Der Fall Lelotii. Roman von Waldemar Urban. Nachdruck verboten. „Hm ja", machte Herr Belotti zerstreut, „oh gewiß, natürlich, Herr Vicomte. Uebrigens können wir uns ja sofort davon überzeugen. Gestatten Sie einen Augenblick, Herr Vicomte." Damit stand Herr Belotti rasch auf und rief zur Tür hinaus: „He, Monsieur Bertier! Ist Monsieur Vertier nicht da? Wie? Das Konto des Vicomte de Saint-Bon, Monsieur Bertier." Damit ging er hinaus in das Bureau, vermutlich, um sich das Konto seines Klienten anshändigcn zu lassen. Inzwischen trat dieser ahnungslos ans Fenster und schaute auf die Straße hinaus, wo jetzt gerade ein kleiner Auflauf um einen gestürzten Esel entstand. „Das faule Vieh, raifonnierte der Bauer, dein das Tier gehöicke, die ganze Nackt hat es im Stalle gestanden, und gefressen, so wahr ich ein Christ bin und jetzt, wo es ziehen soll, legt es sich auf die Straße. Hü, Hü, Culotte, Hü!" „Beruhigt Euch nur, guter Freund, der Esel steht nicht mehr auf", rief ihm ein anderer zu, „Er hat's über standen, Gevatter. So wahr ich ein Christ bin. Euer .Hafer ist ihm schlecht bekommen. Er ist tot." Nun entstand ein schreckliches Lamento um den toten Esel, aber der Vicomte batte keine Zeit mehr, die Szene zu verfolgen, weil eben jetzt Herr Belotti mit einem mäch tigen Kontobuch zurückkehrte. Er breitete es vor dem Vicomte ans und dieser konnte sich überzeugen, wie sein ganzer Besitz, den Belotti L Co. in Verwaltung und Ver wahrung hatte, mit klarer und schöner Handschrift aus gezeichnet war, die Aktien und Rententitel sauber nach Nummern und Serie geordnet, ein Verzeichnis, fast drei Seiten lang, während die Stücke selbst natürlich in dem diebcs- und feuersicheren Tresor des Bankhauses aufbe wahrt wurden. Ferner wurde festgestellt, daß der Vicomte für aufgelaufene und einkassierte Zinsen und sonstige Eingänge eine Kleinigkeit von über sechzigtausend Francs bar Guthaben bei Belotti L Co. hatte. „Mehr als ich dachte", bemerkte der Offizier, „und jedenfalls genügend für unseren Zweck. Meinen Sie nicht?" „Hm, natürlich ja. Mehr als genügend. Wann wollen Sie über die Beträge verfügen?" „Nun, ich dachte nächste Woche nach Paris zu fahren und wünschte es in guten Wechseln auf Paris mitzu- nehmen. Gebt das?" „Hm, ohne Zweifel. Herr Vicomte, natürlich. Warum sollte es nicht gehen? Es geht alles. Nur warten Sie, nächste Woche? Hm. Die Zeit ist etwas kurz. Wissen Sie, Herr Vicomte, es ist jetzt gerade eine schlechte Geschäftszeit an der Börse und große Beträge sind nicht so ohne weiteres umzusetzen. Ein zu hastiger Verkauf könnte den Eindruck machen, als müßten wir verkaufen, und das würde Sie schädigen. Ich möchte Ihnen gerne beim Verkauf einen vorteilhaften Kurs sichern." „Es kommt natürlich auf eine Woche früher oder später nicht an." „Gut, gut. Die Sache wird also besorgt, Herr Vicomte. Ich werde sofort Vormerkung nehmen. Es kann ja sein, es wickelt sich alles rasch und glatt ab, aber es kann auch sein, es zieht sich eine, zwei Wochen hin. Jedenfalls wird die Sache besorgt. Sie werden uns doch hoffentlich auch draußen auf meiner Villa mit einem Besuch beehren, Herr Vicomte? Meine Frau würde sich sehr freuen." „Sehr freundlich, Herr Belotti. Wie geht's Madame Henriette? Und was macht Fräulein Florence? Sie muß doch in den Jahren, die ich sie nicht gesehen habe, hübsch herausgcwachien sein?" „Ich muß gestehen, daß ich nicht zufrieden bin mit ihr. Florence ist bezüglich ihrer Gesundheit nicht taktfest. Sie lvar in Tronville im Meerbad, um sich zu kräftigen, und soll auch wieder fort. Wissen Sie, kommen Sie heute abend zum Essen, Herr Vicomte. Um sechs Uhr, paßt Ihnen das?" „Natürlich! Sehr angenehm. Und Viktor? Wie steht's mit ihm? Was macht Ihr Sohn?" Herr Belotti zuckte mit den Schultern und zog die Mundwinkel herab. „Bah, reden wir nicht davon. Er ist ein Schlingel." „Ha, ha! Wirklich? Die Sache wird so schlimm nicht sein Hoffentlich sehe ich ihn heute abend? Also auf Wiedersehen um sechs Uhr." Herr Belotti ließ es sich als zuvorkommender und höflicher Geschäftsmann nicht nehmen, seinen Klienten unter scherzhaftem und freundlichem Geplauder bis an die Tür zu begleiten und sich dort aufs liebenswürdigste von ihm zu verabschieden. Als er indessen wieder in seinem Privatcomptoir allein war, verdüsterten sich seine Züge merklich und er blickte mit starrem Ernst einen Augenblick durch das Fenster auf die Straße, wo noch immer der tote Esel lag. Er sah aber nichts davon. Sein Blick hatte wieder das eigentümlich Zerfahrene und Zer- streute wie vorher schon und wie so oft, wenn er sich un beobachtet wußte. Endlich raffte er sich gewaltsam auf, setzte sich mit ent- schlossener, wenn auch finsterer Miene cm einen großen Arbeitstisch und begann die dort niedergelegten Briefe und Korrespondenzen durchzusehen. Sehr erheiternd war indessen auch das nicht. Aerger- lich warf er die Briefe, kauni daß er sie hastig überflogen, wieder weg. Offenbar war die Korrespondenz von I. B. Belotti öc Co. rnchr ausgebreitet als angenehm. Plötzlich griff er aus den übrigen Briefen ein kleines, nicht einmal ganz sauberes Couvert heraus und be trachtete entsetzt die Aufschrift. Es war daran eigentlich nichts Besonderes zu sehen. Der Brief war an ihn per sönlich adressiert und in Marseille zur Post gegeben. Er aber erschrak darüber, als ob er aus der anderen Welt käme. Seine Lippen bekamen einen bläulichen Schein und bewegten sich konvulsivisch, und die Laute, die er hervorstieß, klangen etwa, als ob er sagen wollte: Also auch das noch! Es schien, als wolle er das unscheinbare, ruppige und etwas zerknitterte Ding, das aussah, als ob es jemand an einem unreinlichen Ort geschrieben oder es lange mit sich herumgetragen habe, ungelesen fortwersen. Er murmelte einen ärgerlichen Fluch und machte eine Be wegung, uni sich des Schreibens kurzer Hand zu ent ledigen. Dann aber riß er es aus und las es hastig. Es war nur kurz und lautete: „Lieber Bruder! Wir find nun so weit. Der Augenblick ist nun da, wo sich eine Lösung der Situation finden muß. (Dieses „muß" war dreimal unterstrichen.) Du hast mir auf meine Briefe, die ich Dir von auswärts schrieb, nicht geantwortet. Ich bin also hierher zurückgekehrt — trotz alledem. Bleibt auch dieser Brief unbeantwortet, so gebe ich Dir mein heiliges Ehrenwort, daß Du mich morgen in Deinem Comptoir bewundern kannst. Du selbst mußt mir zugeben, daß ich alles getan habe, um einen Eklat zu vermeiden — nun kann ich nicht mehr. Nun muß ich handeln. Ich erwarte Dich also heute (Donnerstag), abends zehn Uhr, im Gasthaus zum grünen Krokodil in der Rue de Chäteau d'Jf (am Hafen, nicht weit vom Kai Vol taire). Du brauchst nur nach Carlo Benoni aus Porto Ferraio zu fragen, unter welchem Namen ich mich hier cinlogiert habe. Dein Bruder Antome."
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite