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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.07.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-07-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040723024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904072302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904072302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-07
- Tag1904-07-23
- Monat1904-07
- Jahr1904
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Er vertrat den Wahlkreis Celle- Burgdorf seit 1888. * Nach Meldung eines Londoner Blattes hat die eng« lische Regierung beschlossen, daß kein russisches Kriegsschiff mehr, in welcher Verkleidung es auch sei, den Bosporus passieren solle; ein Teil des Mittelmeergeschwaders werde den Aus gang bewachen. * Die mehrtägige Schlacht amMoticnpaß hat den Japanern den Weg auf Mukden freigemacht. (S. Russ.-jap. Krieg.) Nonvenäigkeiten. Man braucht durchaus nicht auf dem Standpunkte deS Reichsparteilers Abg. I>r. Arendt zu stehen und wird doch zugeben können, daß sein unlängst im Reichstage aus gesprochenes Wort, die Sozialdemokratie werde, wenn sie wirklich die Interessen der Arbeiter wahrnehme, auch die Ueberscepolitik unterstützen müssen, eines berechtigten Kernes nicht entbehrt. An den betreffenden Ausspruch wird man sich erinnert fühlen, wenn jetzt Akt davor: zu nehmen Veranlassung vorliegt, wie die „Schleswig-Hol- steirische Volkszeitung" — ein zweifellos streng sozial demokratisches Blatt — aus Anlaß der Vorgänge im Roten Meere eine deutsch-englische Flotten demonstration empfiehlt. In dem genannten Schleswiger Blatte liest man: „Die „Kieler Ztg." empfiehlt, in Zukunft jedem deutschen Pestdampfer einen Kreuzer mitzugeben. Da die Russen auch das secmächtigc England mit vergewaltigt haben, so ist eine leichtere Lösung denkbar. England und Deutschland brauchen nur den Russen eine Flottcndcmonstration zu machen, wie sie eine solche sich Venezuela gegenüber leisteten. Natürlich sind mehr Schiffe zu verwenden. Gegen eine solche Flottendemon« stratron hätte die Sozialdemokratie ebensowenig etwas einzu- wcndcn, wie gegen die Verhaftung eines Totschlägers auf fri scher Tat. Eine englisch-deutsche Flottcndemonstration vor Kronstadt stellt sich hier nur als ein Akt der Notwehr dar. Diese englisch-deutsche Flottendcmonstration vor Kronstadt geschähe im Interesse des internationalen Verkehrs und der Kultur. Hier wäre ausnahmsweise Gelegenheit, unserer nutzlosen mari- nistischcn Milliardenvcrgcuduny eine ganz kleine nützliche Seite abzugewinnen." Daß das sozialdemokratische Blatt den Fortschritt seiner Einsicht in gewisse nationale Notwendigkeiten nicht bekunden zu können glaubt, ohne sich die im letzten Satze liegende ungeheuerliche Uebertreibung zu leisten, braucht niemand allzu tragisch zu nehmen, der in der Geschichte der Wahrnehmung prinzipieller Standpunkte ein wenig Bescheid weiß. Und selbst wenn sich auch hier wieder ein mal das Wort bestätigen sollte, nach welchem eine Schwalbe noch keinen Sommer macht, so wird doch mit der Zeit auch zu dieser einen Schwalbe eine weitere kommen und vielleicht noch mehr wie eine. Gut Ding will Weile haben. Wer sich gegenwärtig hält, wie lang- sam die Konservativen in der Erkenntnis von der Not- Wendigkeit einer unserem Ueberseehandel gegenüber aus reichenden Schutz gewährenden Flotte fortgeschritten sind, ohne davor geschützt zu sein, noch jetzt gelegentlich die Flotte „gräßlich" zu finden, wird auch den Rat, der Sozialdemokratie gegenüber Geduld zu üben, nicht abzu- weisen für nötig erachten. Im übrigen darf bei dieser Gelegenheit daran er innert werden, was bei der Schnellebigkeit unserer Zeit ein wenig in Vergessenheit geraten sein dürfte, daß auch der verstorbene sozialdemokratische Abgeordnete Kayser einmal die praktische Uebersetzung der Einsicht in die Not wendigkeit der Unterhaltung und des Schutzes über seeischer Verbindungen durch eine wehrfähige Flotte frei mütig als berechtigt anerkannte. Der Gedanke einer deutsch-englischen Flottendcmon stration vor Kronstadt ist selbstverständlich ein solcher, daß man ihn auch von einem gewissen hypernationalen Stand- punkte aus vielleicht bestenfalls als Zukunftsmusik be zeichnen könnte. In dem Lande der nüchtern-praktischen Erbweisheit, wie es England ist, wird man es sich mehr als zweimal überlegen, ob man den gegenwärtigen Augenblick für den richtigen anzuschen Ursache hat, um die Wirkung zweifellos sehr treffsicherer schwerer Geschoß- sendungen nach Kronstadt schon im Jahre des Heils 1904 zu erproben. Je mehr aber Old England, gestützt auf seine außer Zweifel stehende Ueberlegenhcit zur See, in der Lage ist, den Augenblick selbst zu bestimmen, in dem es wegen der Streiche russischer Freiwilligen-Kreuzer mit seinem Rivalen in der Weltpolitik abzurechnen gedenkt, umso mehr liegt eS Deutschland ob, die jetzt gemachten Er fahrungen nicht etwa all a«ta zu legen, sondern dahin zu verwerten, daß in der Ausgestaltung unserer Wehr zur See kein Augenblick unbcnützt verstreiche. Der Kontrast, der zwischen der Empfehlung der „Kieler Zeitung", in Zukunft jedem deutschen Postdampfcr einen Kreuzer mit zugeben, und der Feststellung der Tatsache liegt, daß wir noch in Jahren und Jahrzehnten uns einfach in der Un möglichkeit befinden, so viel Schiffe aufzubieten, um diesem Verlangen zu entsprechen, ist leider gar zu groß. Aber er muß fruchtbar werden im Sinne eines Antriebs aller dazu, ihr bestes Können aufzubieten, um dein Schutz unserer Uebersecverbindungen, deren Erhaltung und Er weiterung gerade im Interesse unserer arbeitenden Be- weiterung gerade im Interesse unserer arbeitenden Be lassen, dessen Notwendigkeit durch die Vorgänge im Roten Meere jedem, der sehen will, zum Bewußtsein gebracht wurde. Der rurrircd-japanirche Weg. Vie Schlacht am Mstlenxah. Die Erregung über das mindestens ungewöhnliche Bor gehen der russischen Freiwilligen Flotte hat die Er eignisse im Südosten der Mantschurei in den letzten Tagen einigermaßen in den Hintergrund treten lassen. Die eintreffenden Meldungen über neue Kämpfe dort waren auch nicht darnach angetan, besonderes Interesse zu erwecken. Erst jetzt wird bekannt, daß das Wenige, was durchgesickert ist, sich auf große und verlust reiche Kämpfe am Motienpaß bezieht, die am Sonntag, den 17. d. M., begonnen haben und mehrere Tage dauerten. Das KriegSglück hat hin und her geschwankt, bis sich die Wage endlich zu Gunsten der Japaner geneigt hat, denen der Weg auf Liaujang nunmehr offen steht. Das ist ein sehr schwerer Schlag für die Russen, denn mit Liaujang be herrschen die Japaner auch die Eisenbahn Niutschwang- Mukden und bedrohen damit die ganze russische Mantschurei-Armee mit völliger Einschließung und Aushungerung. Die Stille in jener Gegend ist nur scheinbar gewesen; unbekümmert um die durch die Regenzeit hervorgerufene schlechte Beschaffenheit der Wege haben sich die Japaner unter Kuroki mit zäher Beharrlichkeit durch die Pässe des Fönschuiling (Ling bedeutet Gebirge) hindurchgearbeitet, sich nach Südwesten hin mit dem von Kaiping aus an der Eisen bahn nordostwärts operierenden General Oku vereinigt, den vom Tal deS Taitsze-Ho (Ho --- Fluß) nach Mukden führenden wichtigen Talinpaß mit ihrer Garde erobert und sich schließ lich noch weiter nach Nordosten gezogen. Die Schlacht, über deren Verlauf sich unsere Leser an der Hand der beistehenden Karte leicht orientieren können, nahm nach japanischer Meldung folgenden Verlauf: Kuroki zwang die Russen, die befestigte Stellung am Tschi-Flusse, nordwestlich vom Motienpaß, östlich von Anping, aufzugeben, indem er ihnen schwere Verluste beibrachte. Der Kampf begann am 18. Juli und dauerte bis zum nächsten Tage. Kuroki rückte am Morgen deS 18. vor und folgte den Russen längs des TschilaufeS. Die Russen schienen sich nach Norden zuruckzuziehen; allein plötzlich machten 2 Bataillone mit 8 Geschützen Kehrt und richteten einen heftigen Angriff auf die japanische Vorhut, die schwere Verluste erlitt. Die Russen besetzten darauf eine durch die Flußfälle geschützte Anhöhe. Um Mitternacht gingen die Japaner wieder zum Angriff über. Nach einem vorbereitenden Artilleriefeuer aing die Jufanterie zum Sturm vor. Trotzdem sie durch die Artillerie geschützt wurde, erlitt sie dabei durch das kräftige Feuer der Russen schwere Verluste. Der Sturmangriff war indessen erfolgreich. Um 4>/r Uhr früh zogen sich die Russen zurück. Ihre Mannschaften wurden dabei teilweise von der Hauptabteilung abgeschnitten und aufgerieben. Die Russen, die 7 Bataillone und ein Kosakenregiment stark waren, ließen 131 Tote und etwa 300 Gewehre auf dem Kampfplatze. Am 19. begannen die Japaner das Gefecht mit einem Bataillon feindlicher Infanterie und 1000 Mann Kavallerie bei Tschotschiapo, nördlich von Schaotiense, und zwangen die Russen, über den Fluß zurückzugehen. Die Japaner hatten 17 Verwundete. Dem „Tag" wird dazu aus Tientsin noch unterm 22. d. M. telegraphiert: Berichte von Augenzeugen melden von dem letzten russischen Angriff, dm General Graf Keller auf den Motien-Paß leitetet Die Russen machten eine brillante Attacke, marschierten oh»« Aufenthalt in dichten Kolonnen unter dem heftigsten Feuer der japanischen Artillerie vor. Plötzlich machten einige Mann Kehrt, andere folgten ihnen, schließlich wandten ganze Kompagnien den Rücken und liefen unter dem Gewehrfeuer der Japaner davon. Einige arme Teufel wurden in den Rücken ge troffen und schrecklich von japanischen Geschossen verwundet. In zwischen stimmten die Japaner ein furchtbares „Banzai"« Geschrei an, verfolgten die Russen aber nicht weiter. Die russische Artillerie ist der japanischen nicht ebenbürtig. Die Kosaken bewähren sich in dem Gebirgsgelände nicht. Die Hälfte der russischen Truppen bleibt zur Reserve für Alexejew. Kuropatkin ist nach Mukden zurückgekehrt. Die Japaner erwarten bald vor Nintschwang die auswärtigen Berichterstatter, welche Zeugm der Erstürmung von Port Arthur sein sollen. Der Entscheidungs kampf dort ist in den nächsten Tagen zu erwarten. Die „Voss Ztg." gibt folgendes Resums über die Lage: Die Kämpfe der Armee Kurokis am 18. und 19. Juli im Tal des Taitseho haben nach dem Telegramm Kuropatkins am 19. Juli mit dem Rückzug der russischen Truppen auf Guntsiatsy östlich Anping geendet. Guntsiatsy wird in der Nähe des auf der Karte befindlichen entsprechenden Sankiatse, etwa 5 km östlich A»- ping, liegen. Anping selbst liegt im Tal des Taitseho an der großen Straße Fönghwantschöng-Liaujang, etwa 15—20 km süd östlich Liaujang. Befinden sich die russischen Truppen des linke» Flügels wirklich dicht östlich dieses Ortes Anping, so wird die Hauptmacht Kurokis am 19. etwa Jüschulin im Tal des Taitseho erreicht haben, sie befand sich also etwa 50 km östlich Liaujang, 70 km südlich Mukden und etwa 40 km südöstlich der mantschuri- schen Bahn, die von Liaujang nach Mukden in einem nach Oste» ausspringenden Bogen läuft. Wenn nun die Meldung wahr ist, daß der Talingpaß, der vom Tal des Taitseho nach Mukden nnd nach dem östlichen Bogen der mantschurischen Bahn führt, in den Händen der Japaner ist, so dürfte eine große Katastrophe der russischen Mantschnrei-Armee be- vorstehen, auch ohne ein weiteres Vorgehen der japanischen Armeen gegen die stark befestigten Stellungen von Hnitschöng und Liaujang. Denn voraussichtlich kann Kuroki durch Befestigung seiner Stellung im Tal des Taitseho genügende Truppen frei machen, um auf seinem äußersten rechten Flügel vorstoßen und sich in den dauernden Besitz der mantschurischen Bahn zwischen Liaujang und Mukden setzen zu können. Wenn es nun dem russischen Führer nicht ge lingt, die gewiß stark und zweckmäßig befestigten, ihn umgebenden japanischen Stellungen an einem strategisch wichtigen, entscheidenden Punkte zu durchbrechen und hierdurch oder durch eine dem rechten japa nischen Flügel gelieferte siegreiche Schlacht die Japaner zur Rückgabe der Bahn zu zwingen, so ist schwer etnzusehen, wie die mantsckmrische Armee vor dem Verhungern oder der Kapitulation zu retten wäre. Denn mit Len etwaigen russischen Verstärkungen aus Mukden wird die japanische Heeresleitung gerechnet haben; namhafte Verstärkungen aus Charbin können angesichts der unmittelbar bevorstehenden großen Sommerregen und der dadurch bedingten Minderleistung der Bahn nicht mehr in Frage kommen. Für einen Rückzug vorbei an der Front der Armee Kurokis dürfte es für die große Masse des russischen Heeres zu spät sein. Die Teile, denen es gelingen sollte, würden bei einem Rückmarsch auf Charbin mit den Unbilden der Regenzeit zu rechnen haben, welche Mitte August das gesamte Tiefland in einen See und Feuilleton. Der Fall Lelotti. Roman von Woldcmar Urban. Nachdruck verboten. „Aber nein! Aber nein! Denke doch nur, Vicomte de Saint-Bon ist aus Tongking zurück und wird heute bei uns essen." „Ah, Vicomte Andrs, Mama?" „Du besinnst dich auf ihn?" „Natürlich. Als Kind habe ich mich immer gefreut jiihn zu sehen. Ich glaube nicht, daß ich mich jetzt vor ihm fürchten müßte." „Er ist ein schöner Mann, Florence. Und reich." „Ach so! Du meinst also, ich soll Toilette machen, Mama?" „Ich sollte meinen, du müßtest dich sehr gut auf ihn besinnen können. Damals, es ist allerdings schon vier oder fünf Jahre her und du warst noch ein junges Ding wie etwa deine Schwester Judith jetzt ist, damals hatte er dich sehr gern und sagte oft scherzweise, er wolle dich entführen und nach Paris bringen, wo er dich allen Ministern und der ganzen Regierung vorstellen wolle. In Wirklichkeit ist er in Paris sehr angesehen und man sagt allgemein, daß er eine glänzende Carritzrc vor sich hat. Er ist seitdem Kapitän geworden, denke nur." „Nun gut. Du sollst mit mir zufrieden sein, Mama. Ich gehe schon. Apropos, schicke mir doch Susanne auf mein Zimmer. Es gibt, Gott sei's geklagt, in der Joli« lotte niemand, der anständig frisieren kann, ausgenom men Susanne." „Auf Wiedersehen, mein Kind", sagte Frau Belotti, indem sie Florence zärtlich küßte, „ich sende dir sofort Susanne." Kaum war Florence von der Terrasse in das Hau» gegangen, als ihr Bruder Victor instinktiv das Bedürf nis fühlte, sich für die Nichtbeachtung seiner Mutter zu revanchieren und sich dieser so unausstehlich wie mög lich zu machen. Das gelang ihm sehr gut, indem er mit der ihm eigenen Schnodderigkeit und Rücksichtslosigkeit sagte: „Du denkst wohl, er soll sie heiraten?" Madame Belotti war eben im Begriff, ihrer Tochter in das Haus zu folgen, blieb aber bei dieser formlosen und durchaus ungehörigen Anrede noch einmal stehen. „Victor, ich muß sehr bitten", sagte sic aufgebracht, „daß du im Verkehr mit mir deine Gassenjungen-Manie ren unterläßt und die Formen beobachtest, die in der Ge sellschaft allein möglich sind." „Er wird euch was husten!" fuhr der junge, etwas eigentümlich beanlagte Herr fort. „Was soll das heißen?" entfuhr es der zornigen Madame Belotti. „Das soll heißen, daß ich weiß, daß Vicomte de Saint- Bon halb und halb mit der Baronesse Eve de la Valiöre versprochen ist und nicht daran denkt, Florence zu heiraten. Blamiere dich also nicht, Mama. Ich meine eS gut." „Du solltest doch von der kostspieligen Erziehung, die an dich verschwendet worden ist, so viel profitiert haben, um zu wissen, daß man in der Gesellschaft nicht von solchen Halbheiten spricht." „Sind wir die Gesellschaft?" „Du bist unausstehlich, Victor!" Damit rauschte sie davon, während der junge -Herr sich lachend seinem Taubensport wieder zuwandte und nur flüchtig vor sich hin murmelte: „Weiß ich ja, teure Mama, weiß ich längst." Da es auch abends noch ziemlich heiß war, so hatte Frau Belotti auf der vor dem Speisesaal gelegenen Veranda decken lassen, die sich nach dem Garten zu öffnete. Es war ein wunderhübsches Bild, das die Veranda, die fast ganz hinter dun wilden Wem und anderem Gerank verschwand, mit der gedeckten Tafel, der vergnügten vor nehmen Gesellschaft, den bunten Lampen, dem üppigen Grün in der weichen, wohligen Luft des warmen Sommerabends bot. Lustiges Geplauder und Lachen klang heraus in den stillen Garten, zitternde Lichtstrahlen stahlen sich durch das Grün und zogen allerhand groteskes Nachtgefieder an. Diener gingen mit Schüsseln und Flaschen in stummer Dienstfertigkeit hin und her — man hätte meinen sollen, die Menschenkinder, die dort so harm los und zufrieden an der reichbesetzten Tafel des Lebens saßen müßten die schwere Aufgabe, glücklich zu sein, ge löst haben, müßten wunschlos, dem heiteren Genießen er geben, erlöst fein vom ewigen Kampf und Streit der Welt, abgesondert, ein Paradies für sich, wie es doch eigentlich „La Jolitotte" auch war. Außer Herrn und Frau Belotti und deren Kindern Victor und Florence waren noch die beiden jüngsten Töch ter der Frau Belotti, Mademoiselle Judith und Hermann an der Tafel. Die waren noch Mädchen und zwar die erstere etwa zwölf, die letztere sechs oder sieben Jahr. Sie wußten noch wenig von der Welt und waren infolge dessen die vergnügtesten. Sie waren unstreitig auch die hübschsten Erscheinungen an der Tafel, noch umflossen von der Harmlosigkeit und Ruhe der Jugend, dem naiven Staunen der Kinder. Wie rührend >var der Ausdruck ihrer großen, dunkeln, ewig fragenden Kinderaugen, wie zart und sanft die Bildungen ihrer Glieder, wie rein und keusch ihre Gesichtszüge. Sie kamen noch frisch aus Gottes Schöpferhand; die Welt batte sie noch nicht mit ihren schmutzigen Fängen umklammert und verdorben. „Und Löwen, Herr Kapitän", rief die kleine Hermann aufgeregt und mit leuchtenden Augen. „Gibt's auch Löwen in Tongking?" „Oh ja, erwiderte Vicomte Andr6, indem er das hübsche Kind zärtlich streichelte, und Tiger, Schlangen." „Das ist doch wohl nicht wahr, Herr Vicomte, unter- brach ihn Mademoiselle Juditb altklug. Sie wollen Her- mana wohl nur gruseln machen." „Wie sollte ich dazu kommen, Judith? fragte dieser lächelnd. Es gibt in Tongking wirklich noch von diesen Bestien und damit Sie ganz davon überzeugt werden, will ich Ihnen, sobald »leine Effekten am Land sind, das Fell eines prächtigen Tigers, den ich selbst geschossen habe, zum Geschenk machen." „LH — —" sagte Judith, etwas verlege» die Augen niederschlagend, weil sie nickst recht wußte, ob sie das un erwartete Geschenk annehmen dürfe. „Und Affen, Herr Kapitän", fuhr die kleine Hermann schon couragierter und wissensdurstiger fort, „so groß wie im Zooloaischen Garten, und Papageien, Krokodile." „Ja, auch Krokodile, mein Kind", bestätigte der Vicomte. „Krokodile gibt's auch in Marseille", warf Victor da zwischen, „deshalb brauchen wir nicht nach Tongking zu fahren." Herr Belotti wurde plötzlich etwas bleicher, faßte mit der Hand nach der Stelle, wo seine Brieftasche ruhte und sah dann seinen Sohn scharf au. Dieser räkelte sich un geniert auf seinem Stuhl und achtete gar nicht darauf. „Sie werden vieles verändert gefunden haben, oder noch finden, bei Ihrer Heimkehr, Herr Vicomte?" mischte sich Frau Belotti in das Gespräch, um diesem eine Wen dung zu geben, die ihr mehr t»aßtc. Was kümmerte sie die Menagerie von Tongking? Sie wollte wissen, was der Dieouite nun in Europa tun würde, wie er sich eiurichtcn, wo er wolmen wollte und ähnliches. „Leider, leider!" erwiderte der Vicomte mit einem be- dauernden Ausdruck. „AlS ich damals, vor fast fünf Jab- rcn, abreiste, war mein armer Papa noch frisch und mun ter, und jetzt finde ich ihn kalt und stumm in der Gruft deS Schlosses von Saint-Bon wieder. Ein solches Ereig- nis bringt für den einzigen Solm immerhin viel Der, änderung." „Sie werden im Schloß von Saint-Bon Wohnung nehmen?" forschte Frau Belotti weiter. »Leiber kann ich-a» jetzt noch nicht. JA muß «in«
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