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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.07.1904
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-07-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040726014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904072601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904072601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-07
- Tag1904-07-26
- Monat1904-07
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Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redaktionsstrtch (4gespalten) 75 4., nach Lea Familieuuach- richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernfatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Osfertenannahme 25 Extra-Beilage« (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, m i t Postbeförderung ./» 70.—. Annahmeschlutz für Anzeigen. Abend-Ausgabe: vormütaas 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Vertag von 8. Polz in Leipzig (Inh. Or. V.,R. L W. Klinthardt). Nr. 376 Dienstag den 26. Juli 1904. 38. Jahrgang. Var Mchllgtle vsm läge. * In der Angelegenheit des Dampfers „Prinz Hein rich" hat die russische Regierung amtlich erklären lassen, die beschlagnahmten Poststücke sollten so schnell wie möglich zurückgegeben werden und solche Akte der russischen Hüffskreuzer sollten künftig nicht mehr Vor kommen. (S. russ.-jap. Krieg.) * Die Kaiserin wollte gestern abend Kabinen ver lassen und nach Wilhelmshöhe übersiedeln. (S. Dtsch. Reich.) * Fürst Ferdinand von Bulgarien wird heute in Koburg erwartet. (S. deutsch. Reich). * König Leopold von Belgien hat gestern Mittag Emden wieder verlassen. * Der König von Dänemark ist gestern wieder in Kopenhagen eingetroffen. * Am Motienpaß stehen weitere heftige Kämpfe bevor. (S. russ.-jap. Krieg.) blirrircher siurr. Der alte Kaiser Wilhelm hat seinem Enkel die Pflege guter Beziehungen zu Rußland ans Herz ge- legt; eS war gleichsam das politische Testament, das er dem jetzigen Kaiser hinterlassen hat. Und es liegt Weisheit darin. So fern uns Rußland kulturell steht, so groß die Unterschiede der Rasse sein mögen, wir können den östlichen Nachbar weder entbehren noch ignorieren. Nicht, daß in Deutschland starke Sympa- lhien für Rußland zu finden wären, wie sie bei dem alten Kaiser mitsprachen; es handelt sich vielmehr um eine kühle Berechnung, wenn heute auf die Aufrecht- erhaltung herzlicher Beziehungen zu Rußland Wert ge legt wird. Man sagt sich, daß Rußland, mag es uns immer als Freund nicht viel nützen, uns als Feind viel schaden kann: und ebenso zwingt uns die immer stärker erwachende Rivalität Englands, uns mit Rußland so gut wie möglich zu stehen. Diese Erkenntnis von der Notwendigkeit eines freundschaftlichen Verhältnisses zu Rußland ist heute so ziemlich Allgemeingut im deutschen Volke geworden. Daß trotzdem in dem russisch-japanischen Kriege manchen Orts eine gewisse Sympathie für Japan sich geltend macht, ist allerdings richtig. Aber diese gefühlsmäßigen Momente haben mit politischen Erwägungen nichts zu tun. Es ist die Sympathie, die das Volk immer und überall für den Kleinen gegen den Großen, für David gegen Goliath hat, zumal wenn dieser Kleine listig, geschickt und tapfer und der Große plump, unbeholfen und über mütig ist. Ob der Sieg des Kleinen uns viel un bequemer werden würde als der seines großen Rivalen, diese Erwägung spielt dabei nicht mit, so wenig wir bei einem spannenden Theaterstück fragen, ob es uns auch die Politik erlaubt, für den Helden Mitleid und Sympathie zu empfinden. Diese Stimmung hindert uns jedenfalls nicht, es für selbst verständlich zu halten, daß wir uns dem russischen Reiche in dieser Zeit der Bedrängnis als gute Freunde und getreue Nachbarn zeigen, daß wir besonders alles vermeiden, was so aussehen könnte, als wollten wir die günstige Gelegenheit zu einem Sonderprofit aus schlachten. Und Rußland ist dieser guten Gesinnung des benachbarten Deutschen Reiches gleichfalls sicher, wie die Entblößung der deutsch-russischen Grenze von starken Truppenmassen beweist. Das hätte es nicht getan, wenn eS fürchten mußte, daß wir ihm Schwierigkeiten machen könnten. So weit ist alles gut. Rußland erhält durch die wohlwollende Neutralität des deutschen Nachbarn freie Hand in Ostasien, und Deutschland sichert sich für künf- tige Komplikationen die Dankbarkeit des russischen Reiches, soweit überhaupt von Dankbarkeit in der Politik die Rede sein kann. So lange cs dabei bleibt, wird niemand gegen das freund- schaftliche Verhältnis etwas einzuwendcn haben. Dieser russische Kurs liegt im deutschen Inter- esse. Aber leider bleibt es nicht dabei. Leider sind wir viel weiter in das russische Fahrwasser geraten, als sich aus kühler, politischer Erwägung rechtfertigen läßt. Wo wir mehr die Gebenden als die Empfangenden sind, da machen wir uns eine Ehre daraus, Rußland zu Diensten zu sein; wir überbieten uns in einer Liebe- dieneret, die eines großen Reiches, wie es Deutschland gottlob noch ist, unwürdig ist. Dabei handelt es sich hier gar nicht um irgendwelche politischen Notwendigkeiten. Wenn Rußland noch immer einen starren und korrupten Absolutismus aufrecht er- hält, wenn eS mit Knute und Beamtenwillkür das unhalt bare System zu stützen sucht, wenn es seine besten Söhne in die Verbannung treibt oder nach Sibirien schickt, so mag das ein Verhalten sein, das uns nicht direkt etwas angeht. Wir haben ja schließlich nicht die Aufgabe, unsere Nase in jede Mis-re des Auslandes zu stecken und als Hans Dampf in allen Gassen unerbeten unsere Hülfe an- zutragen. Mag jeder Staat, jedes Volk selbst sehen, wie sie es treiben und wie lange sie es auf dem selbstgewählten Wege aushalten. Nur soll man uns nicht zu Mit- schuldigen eines so gräßlichen Systems, wie es der bureaukratische Absolutismus Rußlands ist, machen wollen. Man soll uns nicht zumuten, daß wir dem Ab- solutismuS die Schleppe tragen und zu den „Menschen- opfern unerhört", die er schon gefordert hat und noch täglich fordert, selber unfern Tribut liefern. Der Königsberger Hochverratsprozeh hat in dieser Be ziehung einen tiefen Blick tun lassen. Nicht die geringste staatliche Notwendigkeit lag vor, sich um das Ein schmuggeln radikaler Schriften nach Rußland zu kümmern. Wenn der Absolutismus mit brutaler Ge walt vorgeht, ist es doch nur natürlich, daß auch die Oppo sition die schärfsten Formen annimmt und jedes Mittel für erlaubt hält. So lange uns die russischen Revolu tionäre nicht belästigen, haben wir nicht den geringsten Grund, uns um ihr Treiben zu kümmern. Höchstens weist man sie aus, wenn sie lästig werden. Dafür, daß keine Schriften über die russische Grenze kommen, die dem Za rismus unerwünscht sind, möge die russische Polizei ge fälligst selbst sorgen. Aber das deutsche Entgegenkommen geht so weit, daß man die Schriftenschmuggler nicht bloß cinsperrt und ihnen einen hochnotpeinlichen Prozeß macht, sondern daß man auch noch die russische Regierung ein ladet, die Anklage zu formulieren und das erforderliche Material zu beschaffen. Dieses Vorgehen wäre nicht zu billigen gewesen, auch wenn sich die Königsberger Ange klagten nach den bestehenden Gegenseitigkeitsverträgen wirklich strafbar gemacht hätten; denn man pflegt sonst in ähnlichen Fällen abzuwarten, bis der fremde Staat selbst den Strafantrag stellt. Es ist vollends zu verwerfen, nachdem im Urteil ausgesprochen worden ist, daß ein solches Gegenseitigkeitsverhältnis überhaupt nicht be steht, daß nur durch eine grobe — sagen wir Flüchtigkeit die russischen Behörden den Eindruck erwecken konnten, als bestehe gegenüber den Taten der Königsberger An geklagten von russischer Seite Gegenseitigkeit. Die Staatsanwaltschaft in Königsberg hätte damit anfangen sollen, diese Rechtsverhältnisse auf Grund unanfechtbarer Feststellungen, nicht aber auf die Autorität der russischen Bureaukratie hin, klar zu legen, ehe sie zur Anklage schritt. Jetzt hat sie zum Schaden den Spott. Durch den Königsberger Prozeß ist dieses System einer Begünstigung des russischen Absolutismus durch die deutschen Behörden in seiner ganzen Nacktheit ent hüllt worden. Aber er ist schließlich nur ein neues Glied einer langen Kette. Denn all die Ausweisungen russischer Agitatoren gerade über die russische Grenze, das wider wärtige Treiben der russischen Spitzel auf deutschem Boden, das alles liegt in derselben Reihe. Es ist eine Be günstigung des Zarismus, die weder durch die Verhält- nisse als notwendig erwiesen, noch mit der nationalen Selbstschätzung verträglich ist. Wie wenig man in Rußland solches Entgegenkommen zu würdigen weiß, hat man schon oft genug erfahren. Achtung erwirbt man sich damit sicherlich nicht. Oder waren die Wegnahme der Post des deutschen Post- Kämpfers „Prinz Heinrich", das Ausbringen der „Scan- dia" nicht Schläge ins Gesicht als Dank für all diese Liebenswürdigkeiten? Auch wo uns die Verhältnisse den russischen Kurs aufnötigen, sollen wir nie vergessen, daß höher als Augenblickserfolge die nationale Ehre steht, die von russischen Praktiken unbefleckt erhalten werden muß. ver ruttircb-japanirche Krieg. Vie Aufhebung der Schrff-befchlagnahnren. Mit berechtigter Befriedigung stellt die „Nordd. Allg. Ztg." fest, daß die Angelegenheit der Beschlag nahme der „Scandia" so rasch und so glatt beigelegt wurde. Wie das Blatt rekapitulierend bemerkt, traf am Sonnabend die Nachricht ein, daß die „Scandia" durch die „Smolensk" aufgebracht sei und unter russischer Bemannung durch den Suezkanal zurück- gebracht werde. Nach der Erklärung der Hamburg- Amerika-Linie führte die „Scandia" zlvar Munition für die Südsee und für chinesische Rechnung nach Shanghai, sonst aber nur Kaufmannsgut und überhaupt keine Kontrebande. Noch an demselben Tage erhielt der deut sche Botschafter in Petersburg Anweisung, unverzüglich Protest zu erheben und die Freigabe des Dampfers zu verlangen. Sonntag meldete der Botschafter zurück, daß nach der Erklärung des Grafen Lamsdorff bereits Be- fehl zur sofortigen Freilassung des Schiffes ergangen sei. Diese erfolgte noch an demselben Abend in Port Said. Gleichzeitig konnte der Botschafter melden, daß künftig die Hülfskreuzer der Freiwilligenflotte nicht mehr zur Durchsuchung und Wegnahme neutraler Schiffe im Roten Meer verwendet werden würden. In der Angelegenheit „Prinz Heinrich" liegt die amtliche russische Erklä rung vor, daß die beiden einbehaltenen Post stücke so schnell wie möglich zurückgegeben werden und daß künftig solche Akte der russischen Hülfskreuzer nicht mehrvorkom in en sollen. In diesem wie im Falle der „Scandia" ist noch die Regelung der mate riellen Entschädigungsansprüche Vorbehalten und von russischer Seite zugesichert worden. Vie Japaner vor Nintfchwang. Der Kriegskorrespondent der „Daily Mail" meldet unterm 23. d. M. aus Niutschwang: Nachdem die Japaner unter General Oku Tschinghaüing eingenom men, drängten sie in der Nacht zum 21. Juli auf Tapin- fchan und Haiaopingschan, zwei Dörfer in den Niede rungen und 10 englische Meilen von Taschikia vor, ohne auf großen Widerstand zu stoßen, gestern brachten sie zwei Batterien in Stellungen, die jede Annäherung beherr schen, heute in aller Frühe begann die russische Division unter General Kondatoravitsch Ungestüm einen Artillerie angriff auf die javanischen Stellungen in der gebirgigen Gegend östlich von Taschikiao, aber infolge ihrer großen Höhe vermochte das Kanonenfeuer nur wenig Schaden anzurichten. Gegen Mittag wurden mehr russische Kano- nen in den Kampf gebracht, aber nach zweistündigem un unterbrochenem Feuern zog sich die Angriffskolonne un verrichteter Sache nach ihrer Basis zurück. Von Hcnt- schöng wurden Verstärkungen nach Taschikiao gesandt und der russische Angriff erneuert. Von« Motienpatz. Am Freitag vormittag um 10 Uhr machten 400 Russen mit vier Geschützen eine Kundgebung gegen die japanische Stellung am Moticngebirge und feuerten etwa 20 Schüsse ab. Alles deute weitere heftige Kämpfe in dieser Gegend an. Die Beschlagnahme -er „Malakka". Ueber die Vorgeschichte des „Malakka"- Falles hört der „Daily Telegraph" aus Petersburg, derGroßfürst Alexander Michailowitsch habe mit dem GroßfürstenAlexis, dem Marine- Minister und Admiral Avellan, durchaus ohne Vor- wissen des Grafen Lamsdorff, die Weisungen über die Belästigung des britischen Handels ergehen lassen. Die genannten Herren seien so vollstän dig im Unklaren über die Unmöglichkeit eines doppelten Charakters der freiwilligen Flotte gewesen, daß am Mitt woch der Prisenkapitän der „Malakka" angewiesen wurde, das Schiff nach Sebastopol zu bringen und unter der Handelsflagge durch die Meerengen zu fahren. Uebri- gens sei die Wegnahme der „Malakka" nur ein Teil eines viel größeren Planes gewesen, dessen Zweck dahin ging, die Dardanellen für die russischen Kriegsschiffe zu öffnen, allen fremden Schiffenaberzuschließen. Erft auf die ernsten Vorstellungen des britischen Kabinetts und die Ankündi gung von der Absendung der Mittelmeerflotte nach Aegypten habe Graf Lamsdorff sich gleichzeitig an die Großfürsten und den Zaren gewandt. Der Kaiser sei dann eilig nach Petersburg zurückgekchrt. Man habe bin und her beraten, den Lehrer des internationalen Rechts Prof. v. Martens befragt, und schließlich habe Graf Lamsdorff die sofortige Freigebung der „Malakka" verlangt, die andere Partei jedoch die formelle Unter suchung in der Sudabucht unter Zuziehung des britischen Konsuls durchgesetzt. Wider Erwarten ist übrigens der „Malakka"- Fall noch nicht erledigt, und es verlautet, daß die bri tische Regierung keineswegs geneigt fei, die förmliche Durchsuchung des Schiffes, die bekanntlich Rußland als erste Bedingung für die Freigebung stellte, zu gestatten. England verlangt, das Schiff müsse bedingungs los freigegeben werden, weil seine Beschlagnahme tatsächlich auf eine seeräuberische Handlung hinauslaufe. Wie ernst die Lage zu bewachten ist, erhellt aus einem Telegramm aus Gibraltar, demzufolge auf Grund der Weisungen, die die dortige Marinebcbörde aus Lon don empfangen bat, die ganzeTorpedoflottille von Gibraltar mobilisiert worden ist. echtsverbindlich geweten wi t erst nach dem angeblichen Delikt er Deutsches Keich. * Leipzig, 25. Juli. * Ter Königsberger «eheimbnnbprozetz ist nach zwölf- tägiger Verhandlung nunmehr zu Ende gekrackt worden. Fast möchte man sagen, er ist ansgegangen wie das Horn berger Schießen, denn das Resultat entspricht keineswegs dem großen Apparat von Zeugen usw., der ausgeboten worden war. Bon der ganzen Anklage ist herzlich wenig übrig geblieben; die Angeklagten sind sämmtl'ch des ihnen zur Last belegten Hochverrats nicht schuldig befunden und demgemäß insoweit freigesprochen worden. Das ist mehr, als man im Anfang wohl selbst auf sozialistischer Seite erwartet haben mag. Mit einer Einstellung deS Verfahrens, soweit eS sich aus die Anklage wegen Hochverrats richtete, mußte schon nach den Feststellungen in der Verhandlung vom 20. d. M gerechnet werden, die klipp und klar ergab, daß die Gegenseitigkeit in Rußland Deutschland gegenüber nicht vertragsmäßig verbürgt ist. Ein Vertrag, der stets eine generelle Regelung enthält, kann aber nie ersetzt werden durch eine Botschafter-Erklärung, die nur für einen einzelnen Fall gilt. Wollte man die kaufmännische Wendung: „zu Gegendiensten stets gern bereit" ins Politische und Juristische übertragen, so hieße da« einfach der Willkür Tür und Tor öffnen. DaS ist anscheinend auch die Ansicht de« Gerichtshofes gewesen, der demgemäß auf Freisprechung erkannt bat. Diese hätte.übrigen- auch eintreten müssen, wenn die Erklärung des Botschafter- rechtsverbindlich gewesen wäre, denn diese Erklärung i^ " ch folgt, also nicht daran anwendbar. Auch die Anklage wegen Geheimbündelti ist sehr zusammcngeschrumpst; von den neun Angeklagten sind drei gänzlich freigesprochen worden, und von den übrigen sechs hat man vieren auf die ver hältnismäßig geringfügigen Gefängnisstrafen noch einen großen Teil der Untersuchungshaft angerechnet. Nur Martins und Pätzel haben die ihnen zuerkannten drei Monate Ge fängnis voll zu verbüßen. Es ist außerdem nicht ausgeschlossen, daß die Verteidigung im Wege der Revision und nochmaliger Verhandlung eine Herabsetzung de- Strafmaßes erreicht. Wie immer diese Sache auch au-gehen möa«, ein- ist sicher, dem Ansehen der Justiz m der Prozeß nicht förderlich gewesen. Die Strafkammer in Königsberg hat bei der Bcscklußfassung über den Antrag de« Staats anwalts auf Eröffnung des Hauptverfahrens die Frage nicht genügend erwogen, ob die nötigen Voraussetzungen der HZ 102 und 103 des Strafgesetzbuchs, im vorliegenden Falle die Ver bürgung der Gegenseitigkeit der Verfolgung, vorhanden waren, sonst hatte sie die Eröffnung des Hauptverfahrens nicht be schließen können. Jetzt können die Urheber des Prozesses lediglich den nicht gerade erstrebenswerten, unfreiwilligen Ruhm für sich in Anspruch nehmen, der Sozialdemokratie einen unschätzbaren Agitationsstoff verschafft zu haben. — Ueber den Ausgang deS Prozesses ist noch folgendes nachzutragen: In der Urteilsbegründung bemerkte der Vorsitzende, die Angeklagten seien von der Anklage wegen Hochverrats und Be leidigung des Kaisers von Rußland freizufprechen, da taut 8 260 des russischen Strafgesetzbuches durch einen Staatsvrrtrag, der veröffentlicht ist, die Gegenseitigkeit dem fremden Staate verbürgt sein muß. Ein solcher Staatsvrrtrag oder rin Gesetz existiert laut amtlicher Auskunft des auswärtigen Amtes und der russischen Regierung nicht. Die Gewähr leistung im Strafantrage des russischen Botschafter- srt nicht aus reichend, da die Geqenseitigkeit bei Begehung der Tat verbürgt ge wesen sein müsse. Dagegen sei der Gerichtshof überzeugt, daß eine geheime Verbindung im Sinne deS 8 128 bestanden habe. Dafür sprechen die Beziehungen, die zwischen London, der Schweiz, Berlin, Charlotteuburg, Königsberg, Memel und Tilsit zwecks Schriften schmuggels nach Rußland bestanden haben. Bei den Angeklagten Ehrenpfort, Kögst und Braun fielen die Tatbestandsmerkmale einer geheimen Verbindung fort. Die anderen Angeklagten seien gemäß dem Grade und der Dauer der Beteiligung verurteilt. * Angesichts per Magen über sozialdemokratischen Terro rismus gegenüber Nichtgewerkschaftlern hat der Stuttgarter „Beobachter", daS Organ der Deutschen Volkspartei, die Frage aufgeworfen, ob solche Ausschreitungen nur spora discher Natur sind oder auch in Württemberg vorkommen. Darauf ist dem „Beobachter" aus Arbeiterkreisen folgende Mitteilung zugegangen: Mit dem Wachsen der sozialdemokratischen Bewegung hat sich bei diesen Leuten ein Unfehlbarkeitsdünkel und eine Einbildung aus gewachsen, die an die schlimmsten Zellen des Mittelalters erinnert. Wer nicht in das Horn dieser „Freien" bläst, kann sehen, wie und wo er am besten durchkommt. Sehen wir uns einmal eine Ma schinenfabrik in Stuttgart an, wo die meisten der Arbeiter im Deutschen Metallarbeiterverband organisiert sind. Der Kollege fängt morgens an. Die erste Frage seines Nebenarbellers wird sein: „Bist du organisiert?" Lautet die Antwort nein, dann geht's noch an, der Kollege wird eben gedrungen, bei dem Ver- bande einzutreten. Lautet aber die Antwort ja, und gar noch bei den Hirsch-Dunckerschen, oder den christlichen Gewerkvereinen, dann wehe ihm. Zuerst natürlich läßt man kein gutes Haar an der be treffenden Organisation. Es sind „Streikbrecher", „Verräter", „Handlanger des Kapitals", und wie die Schmeicheluamen alle heißen. Obwohl der betreffende Berbandskollege vielleicht keine weitere Ahnung von der betreffenden Organisation bat, als was er eben in der „Schwäb. Tagw." oder der „Metall-Arbeller-Ztg." ge- lesen. Bleibt nun der Kollege trotzdem der Organisation treu, werden andere Seiten aufgezogen. Zuerst wird es einmal den anderen Kollegen „gesteckt", und das Hänseln geht in der ganzen Bude los. Man geht noch weiter, das allgemeine Werkzeug wird auf die Seite geschafft. Der Kollege kann kein rechtes Schneidzeug, keine rechte Reibahle, kurz, eben gar nichts erhalten. Der Meister wird daraus aufmerksam, daß der Mann nichts fertig bringt, und was er macht, ist nicht genau, iveil ihm eben das betreffende Werkzeug fehlt, und das Ende vom Liede wird sein: „er putzt die Platten", oder er tritt dem allein selig machenden Metallarbeller-Verbande bei . . . Also mit anderen Worten: Dieser Kampf ist kein Kampf mehr um Anschauungen, um Tendenzen und Taktik, kein Kamps um die Besserstellung der Arbeiter, sondern es ist ein Kampf um die Alleinherrschaft. Es ist die Errichtung des Cäsarismus in seiner krassesten Form. Wahrlich, es ist weit gekommen mit den Ver fechtern des Grundsatzes „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit." Zu dieser Zuschrift des Arbeiters bemerkt der Stutt garter „Beobachter": „Daß es eine Schande ist, wenn mit solchen Mittelchen ein neues Gewerkschaftsmitglied gepreßt wird, wird jeder empfinden, dessen Ehr- und Schamgefühl nicht abgestumpft oder verbildet ist. Also nicht die Güte der Idee der Organisation, nicht die Ueberzeugung vom Wert derselben soll ihr Jünger schaffen, sondern der brutale Zwang mit allerlei gemeinen und niedrigen Schikanen! Da ist tief betrübend." O * Berlin, 25. Juli. * Die Kaiserin wollte heute abend mit dem Prinzen Joachim, mit dem Prinzen Friedrich von Schleswig-Holstein- Glücksburg, der nach Schloß Grünholz zurückkehrt, sowie der Prinzessin Viktoria Luise und Umgebung Cadinen verlassen, um in Schloß Wilhelmshöhe Aufenthalt zu nehmen. Dort treffen die Prinzen August, Wilhelm und Oskar morgen au« der Schweiz zurückkehrend ein, um bis zum Schluß der Ferien dort zu verbleiben. Gestern wohnte die Kaiserin wie ge wöhnlich dem Gottesdienst in der GutSkapelle in Eadinen bei. Auf besonderen Wunsch der Kaiserin wurde in da- Kirchen gebet eine Fürbitte für die in Afrika kämpfenden Truppen eingeschaltet. Im Laufe der vorigen Woche besuchte die Kaiserin die Klein-Kinderschule im Dorfe Lenzen. * Eine Reminiszenz. Der Königsberger Prozeß weckt die Erinnerung an einen anderen ZarenbeleidtgungS- prozeß, der vor unaefähr zwei Jahrzehnten gegen den Redakteur Hermann Holdheim von der „Berliner Bolksztg." spielte. DaS Blatt hatte Notiz von einem Gerücht ge nommen, wonach der damalige Zar irrsinnig sein sollte. Gegen Holdheim wurde ein Verfahren wegen Majestäts beleidigung, verübt gegen den Zaren Alexander III ein geleitet. Di« „BolkSztg." schreibt über den amüsanten Verlauf de« Prozesse«: „Holdbeim, der schon di« schlimmste» Zette» der Reaktiv» zu Beginn der fünfziger Jahr, des vorigen Jahrhunderts als Redak-
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