Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.07.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-07-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040726028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904072602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904072602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-07
- Tag1904-07-26
- Monat1904-07
- Jahr1904
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis 1» d« Hmlplrxvedtticm ob« der« A u-gabe- stell« ab geh ölt: vierteljährlich 8.— bet zweimalig« täglich« Zastelluag t»S H<mS ^l L.7L Durch die Post bezog« für Deutsch land ». Oesterreich vierteljährlich 4.V0, für die übrig« Läuv« laut Leitung-Preisliste. Nevatttonr JohanuiSaafse tt. Sprechstunde: d—tz Uhr Nach«. Fernsprecher: 1LS. Erpedttta«: Johmmttgaßr 8. Fernsprecher: LL FilialchDedtttnueU: Al fred tzah », Buchhanblg^ llniverfitSt-str.t (Fernst«. Nr. 40481 L. Lofche, Katharinen- straß« 14 (Fernsprecher Nr LS3S) n. KönigS- Platz 7 (Aeruchrech« Nr. 780b). Haupt-Filtnle Dresden: Marieustratze L4 (Aerufprechu Amt I Nr. 1712). Haupt-Flltale verlta: L a r l D » » ck er, HerrgtFSlup^Hofbuchbaudlg- Lützowstraste 1VG«raspr«herAmtVI Nr.460L) Abend-Ausgabe. UtWiger TagMak Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- «nd -es Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Rates «nö -es Noksteiamtes -er?>ta-1 Leipzig. Anzeigen-PrriS -ie «gespaltene Petitzeile 25 Reklame» nnt« dem RedaktiouSstrich (4gespalten) 78 -4, nach dm Frmilinniach- richten ^6 gestalt«) SO «j. Tabellarisch« und Zisserrijatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ossntenannahme 25 Srtra-Veilagen (gefalzt), nur mit d« Mora« »Ausgabe, ohne Postbefvrderung 60.—mit Postbeförderung ^l 70.—. Annahmefchlutz für Anzeigen: Abead-AuSgab« vormittags 10 Uhr. Morgen»Ausgabe: aachmittagS 4 Uhr. «»zeig« find stets an di» Sxpedttton zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» abend» 7 Uhr. Druck «nd Berlaa von G. Polz in Leipzig (Inh. vr. B„R. är W. Klin kh ard«. Nr. 377. Dienstag dm 26. Juli 1904. 98. Jahrgang. Var MÄkigrlr vom Lage. * Die Ka i s e r in ist mit ihren Kindern und Gefolge gestern abend von Cadinen nach Wilhelmshöhe abgereist. * Der Reichskanzler Graf Bülow ist, vom Wirkl. Geh. Oberregierungsrat Conrad begleitet, heute früh in Berlin eingetroffen. (S. Politische Tagesschau.) * Der beschlagnahmte Dampfer „Ardov a" ist fre i» gegeben worden. Die russischen Offiziere und Mann» schäften haben in Suez das Schiff verlassen. Nach eng lischer Meldung haben die russischen Masche- nisten die Maschine des Dampfers be schädigt, so daß eine zehntägige Reparatur erforder lich ist. * Die Russen sollen bei Taschitschiao eine neue Nieder lage erlitten haben. (Siehe russisch-japanischer Krieg.) NMnacdt; „krinnerungen an virmarcir". Auf 86 Seiten teilt Führ. Vr. v. Mittnacht, der frühere langjährige württembergische Ministerpräsident, im Stil schlichter Erzählung in der soeben bei Cottas Nachfolger erschienenen Schrift seine Erinnerungen an Bismarck mit. In der Einleitung schildert Mittnacht die amtlichen und persönlichen Bezieh ungen, in denen er vom Beginn seiner Minister laufbahn (1867) bis zum Zlbleben Bismarcks die sem nahe getreten ist. In Kürze kennzeichnet Mitt nacht die Art feines Verkehrs mit Bismarck, wobei er auch der Fälle abweichender Meinung und erhobenen Widerspruchs gedenkt. In solchen Fällen, sagt Mitt nacht, „wurde ich vielleicht bei der nächsten Begegnung vom Fürsten übersehen, eine länger dauernde persönliche Mißstimmung entstand aber nicht, und je weniger ich unter die Schmeiclfler des Fürsten ging, je weniger ich mich ihm aufdrängtc, desto besser gestalteten sich unsere Beziehungen." Ueber das Verhältnis des Kanzlers zu den einzel staatlichen Ministern überhaupt wird bemerkt: „Den Ministern, insbesondere der größeren Einzelstaaten, deren Anwesenheit und per sönliche Mitwirkung in den ersten Zeiten des Reichsbestands häufiger war als später, kam Bis marck stets mit größter kollegialer Liebenswür digkeit entgegen. Er sah sie häufig bei sich zu Tisch und pflegte dann nach der Tafel bei Kaffee über die aktuellen Tagesfragen und seine Auffassungen eingehend sich aus- zusprechen. Die Gäste hatten das Gefühl einer ihre Stel lung im Bundesrat, in dem der Kanzler ja nicht häufig erschien, achtenden, informierenden, vertraulichen und häufig sehr offenen, wenn auch auf Bismarcks Seite auto ritativen Aussprache und ihre gelegentlichen Bemer kungen und Gedanken in der betreffenden Angelegenheit wurden mit größter Höflichkeit entgcgengenommen, wo bei es sich nur empfahl, sie in einer dem Kanzler zusagen den Form und in Kürze vorzubringen". Es folgt eine Charakteristik, wie Bismarck arbeitete und die Arbeit anderer abschätzte und verwertete. Mitt nachts Betrachtungen über das Verhältnis Bis- marcks und Kaiser Wilhelms I. schließen mit der Versicherung: „Die Begründer des Reichs sind dec große Kaiser und sein großer Kanzler". Eingehende Mitteilungen finden sich über die Vorgänge bei der Gründung des Reiches; u. a. erzählt Mittnacht, daß Bismarck in Versailles gegenüber den zuerst zu hoch gespannten Forderungen Bayerns die Eventualität eines Abschlusses ohneBayernins Auge gefaßt hatte, und daß er an Mittnacht die Frage stellte, ob auch der König von Württemberg sich bereit finden lassen würde, in der Kaiserfrage die Initiative zu ergreifen. Die ganze Frage der Reservatrechte wird dann erörtert und eine ge schichtliche Darlegung über den Bundesratsaus schuß für auswärtige Angelegenheiten gegeben, der seine Entstehung einzig und allein Bayern verdanke. Es folgen dann Auszüge aus Unterredungen, die Mittnacht zu verschiedenen Zeiten (1875 in Varzin, 1877 und 1879 in Berlin und 1893 in Kissingen) mit Bismarck gehabt hat, auf Grund von Notizen, die Mittnacht unmittelbar oder kurz nach den Unterredungen niedergeschrieben hat. Auch hierin finden sich sehr interessante, zum Teil unbe kannte Tatsachen mitgeteilt. Mittnachts Besuch bei Bis- marck in Kissingen wurde von dem damaligen Reichs kanzler Grafen Caprivi „nicht opportun" gesunden. Vom Kulturkampf sagte Bismarck in Varzin zu Mitt nacht: „Die Maigesetze, denen er nach der Art ihrer Entstehung ziemlich ferne stehe, seien in manchen Beziehungen verfehlt, juristische Nörgeleien, Verfolgung einzelner Personen. ... Er habe nur Wiederherstellung einer starken -Defensive des Staats gegenüber der aggressiven katholischen Kirche gewollt; das sei erreicht, weiterzugehen nicht erforderlich." In den Anmerkungen, die auf 21 Seiten die Haupt mitteilungen ergänzen, wird u. a. aus drittem Munde er zählt, Bismarck habe wiederholt daran gedacht, Miti na ch t für den Reichsdienst zu gewinnen, habe aber davon abgesehen, weil es nicht erlaubt sei, „im Garten des Nachbars Blumen zu pflücken". Ser HuMsnä der hetero. Die Rückkehr Leutweinr. Nach neueren Melvunyen ans Südwestafrila wird Gou verneur Leutwein demnächst nach Deutschland auf Urlaub reisen, von dem er voraussichtlich nicht mehr auf seinen Posten als Gouverneur znrückkehrt. Von mehreren Zeitungen wird die Nachricht veröffentlicht, bei den dies monatlichen Beförderungen sei Oberst Leulwein in der Be förderung übergangen worden, indem drei )emcr Hinterleute bereits zum Generalmajor aufgerückt seien. Diese Behauptung ist unrichtig und zeugt von Unkenntnis der militärischen Besör- derungsverhältniße. Von einem „Uebergehen" eines Obersten kann gar keine Rede sein. Die Beförderungen erfolgen durch alle Truppengattungen streng nach der Reihenfolge des Dienst alters; der dienstälteste Oberst wird entweder Generalmajor oder er wird mit dem Charakter als Generalmajor zur Ver fügung gestellt. Die einzige und sehr seltene Ausnahme wird bei fürstlichen Personen gemacht, die zuweilen außer der Reihenfolge zum Generalmajor befördert werden, so im Januar d. I. der jugendliche Großherzog von Mecklenburg- Schwerin und kurz darauf der jetzt regierende Herzog Friedrich II. von Anhalt. Der zum Generalmajor letzthin beförderte Kommandeur der 3V. Infanterie-Brigade, v. Engel- brechten, hat ein Oberstenpatent vom 18. April 1901 II, Leutwein ein solches vom 16. Juni 190l, und in der Infanterie hat letzterer noch 28 Borderleute, es dürften daher, falls nicht starke Verabschiedungen eintreteu, noch viele Monate vergehen, bis an ihn die Reihe zur Beförderung kommt. Vor der Lntfehel-riirg. Zm Ausstandsgebiete am Waterberg scheint es binuea kurzem zur Entscheidung kommen zu sollen. General v. Trotha hat ans Auswärtige Amt drahtlich gemeldet, daß er gezwungen sei, loszuschlagen, obwohl die Einkreisung der Herero am Waterberg noch nicht vollständig durchgeführt sei; denn die Herero schicken sich an, abruziehen. Daß es in der Absicht der Herero liegt, das deutsche Schutzgebiet gegebenen falls mit aller ihrer Habe zu verlassen und nordwärts über den Kunene auf portugiesisches Gebiet zu treten, hebt Hauptmann Schwabe, der Verfasser des Buches „Mit Schwert und Pflug in Südwestafrika", in der neuesten Nummer der vom Generalstabe herausgegebenen „Viertel- jahrshefle für Truppenführung und Heereskunde" hervor. Schwabe glaubt den Hereroaufstand in seiner ganzen Furcht barkeit nur mit dem Zulukriege vergleichen zu können. Achtzigtausenb Menschen haben sich erhoben, um die verhaßte weiße Herrschaft abzuschütteln oder aber um im Falle deS Mißlingens wieder in ihre alte, im Norden gelegene Heimat zuruckzukehren; er sagt: Wahrscheinlicher ist die Absicht der Auswanderung, denn die Machtlosigkeit der Regierung und die recht- und gesetzlosen Zustande im portugiesischen Westafrika sind dem Herero wohl» bekannt. Dort können sie sich frei und ungebunden wieder als die Wilden fühlen, die sie bis zum heutigen Tage trotz der Missionare und trotz des Christentums geblieben sind, das sich am ersten Tage des Aufstandes als durchaus äußerlicher Firniß er wies. Regierung und Ansiedler find auf diese Wesse jahrelang ge täuscht worden. Sell Jahren bereiteten die Kapitäne dm Abfall vor; systematisch wurde die Bewaffnung des Volkes durchgeführt. In keinem Kriege, der je in Südwestafrika geführt worden ist, stand den weißen Truppen ein derartig vorzüglich bewaffnet« Feind entgegen. Und die jahrhundertelang« Kämpfe, welche die Herero zu bestehen hatten, waren für sie eine treffliche Vorschule zur Ausbildung ihres kriegerischen, ja beinahe taktischen Verständnisses. Von Oasib, dem Haupt der einst be deutenden, jetzt fast verschwundenen „rot« Nation", wurde zu Anfang Les 19. Jahrhunderts Jonker Afrikaner, „wohl der größte Eingeborene, den Südafrika jemals hervorgebracht hat", gegen die von Norden andringenden Herero üb« den Oranje gerufen. Er unterwarf das Land bis zum Kunene; mehrere Hottentotten stämme, wie die Witbois, folgten seinen Spuren. Die Herero wurden in schwerer Knechtschaft gehalten; erst in d« Schlacht bei Otjimbingwe (1863) eroberten sie sich unter dem Schweden Andersson und dem Engländer Green ihre Unabhängigkeit von den Hotten totten zurück. Bis zum Anfang der neunziger Jahre dauerten dann noch die mit glühendem Hasse und wechselndem Glücke geführten Guerillakriege zwischen dem alten Maharero und Hendrik, dem heutigen Bundesgenossen der Deutschen, dem greisen Führ« der Witüois. Durch dir „Hohcschule des Kriegs" trefflich vorgebildet, scheinen die Herero d« Zulu» d« Ruhm streitig mach« zu wollen, die gefährlichsten Gegner der Weitz« in Südafrüa ge wesen zu sein. In nächster Zeit wird nach der „Boss. Z»g." em« offizielle Liste der Mitkämpfer im Hererofeldzuge herauskommen, die vom Kaiser durch Ordensverleihungen ausgezeichnet worden sind. Der durch den Entsatz von Okahandja und Windhnk und durch den Sturm ans Owarnru rühmlichst bekannt gewordene Hauptmann Frank« hat dm Roten Adlerorden HI. Kl. mit der SchteHe mrd der kgl. Kron« erhalten. Der lMZirch-japanirLe ssrieg. „Standard" berichtet aus Tientsin, die Rrsfserr seien am 24. Juli bei Taschitschiao gänzlich geschlagen. Aus Shanghai erfährt dasselbe Blatt, die Russen tvären in dieser Schlacht 30000 Mann stark gewesen und hätten sich hartnäckig verteidigt; die Ja paner seien aber erfolgreich geblieben. „DaLy Mast" meldet auL Niutschiva-ng, der Kampf habe 14 Stunden gedauert; die japanische Feuerlinie fei 24 Kilometer lang gewesen, die Verluste wären auf beiden Seiten groß. Die Russen seien von den Höhen ver trieben worden. Die DanrpferbesHlagvsehi»« vor den» englische« Oartcrrneirt. Die Dampferbeschlagnahmen find am Montag im eng lischen Unterhause, der einzigen jetzt tagenden Volks vertretung, zur Sprache gekommen. Laurre stellte eine Anfrage an die Regierung bezügüch des Vorgehens des Schiffes .Petersburg" rum der russischen Frciwilligcnflotte, und Gibson BowleS befragte d4e Negierung über die Angelegenheit des Dampfers „MalaDa" und über verschiedene Punkre des VöÜerrechts, die durch die Beschlagnahme englischer Dampfer und das Vorgeh« von Schissen der russischen Freiwilbgenflotte Gegenstand der Er örterung geworden seien. Premierminister Balfour er widerte: Die gestellten Anfragen bezieh« sich auf Frag« sehr verschieden« Charakters. Einige dieser Anfrag« beziehen sich auf allgemeine Frag« des Völkerrechts und andere ans besondere Fragen, die aus der Tatsache entstand« find, daß Schisse der russisch« Freiwilligenflotte englische Handels schiffe im Roten Meere Weggenom inen haben. Die in Verbin dung mir dieser Angelegenheit angestellten Betrachtungen hab« nur mittelbare Beziehung zu der die Wegnahme von Schiff« betreffenden allgemeinen Krag« des Völkerrechts. Die Schwierigkeiten, ;a, ich kann sagen, die groß« Schwierigkeit« — ich wünsche sie durchaus nicht zu verringern — dre ans den Wegnahmen entstehen, behandeln ein besonderes Problem, das der englischen Regierung große Sorg« gemacht hat und noch macht, hinsichtlich dess« aber, wie ich erklären kann, An zeichen vorhanden sind, die eine günstige Lösung andersten. Mehr als das zu sag«, halte ich für unzweckmäßig. Bezüg lich der Frage über die Stellung des SnezkanalS, die tue Frage der Freiwilligenflotte nickit besonders berührt, glaube ich sagen zu können, daß meinem Urteil nach Gibson BowleS den Inhalt der Suezkanalkonvention irrig aufgefatzt hat. So weit ich weiß, ist keine kriegerische .Handlung im Suezkanal begangen worden und die Koiwention sieht ausdrücklich vor, daß eine Prise wie ein Kriegsschiff behandelt werden soll und da»; Kriegsscknffe freies Recht zur Durchfahrt durch d« Kanal haben; ich glaube daher nicht, daß die Frage in dieser Be ziehung besondere Schwierigkeiten bietet oder zu Meinungs verschiedenheiten zwischen den beiden Mächten Anlaß gibt. Meiner Ansicht nach besteht keinerlei Zweifel, daß wir ver- Feuilleton. y Der Fall Delotli. Roman von Waldemar Urban. : Nachdruck d erboten. Sie stiegen die schmale, finstere Treppe hinauf und gingen in ein Zimmer, das nach dem Hofe hinaus ging, ein dumpfes, moderiges Loch, dessen ganzes Mobiliar in einem Bett, einigen Stühlen und einem wackeligen Tisch bestand. Statt des abwesenden Kleider schrankes befanden sich an der Innenseite der Tür drei Kleiderhaken. Aber auch diese schienen für Antoine Luxtts zu sein. Es hing nichts daran und er hatte auch nichts daran zu hängen, ausgenommen etwa sich selbst. „Tie verdammte Pfennigfuchserei!" fuhr Antoine polternd fort, „als ob ein Mann wie ich nicht für drei Francs gut wäre. Gläser! Ich will Euch schon lehren, einen respektablen Mann zu bedienen. Bin ich etwa weniger respektabel, west mein Rock alt ist? Hundsfötter! Der Mann gibt den Ausschlag, nicht der Rock. Es ist schon mancher Schurke im Frack herumgelaufen. Trink, Jean! Was hilft denn das nun alles! Wir werden doch nicht wieder jung." Endlich waren die Brüder allein, und während Antoine mit einer wahren Gier rasch mehrere Gläser von dem schweren Wein trank, legte Jean seinen Mantel ab, trat ernst vor seinen Bruder hin und legte ihm, ihn fest ansehend, die Hand auf die Schulter. „Und nun, Antoine", sagte er ernst und schwer, „genug mit der Renommisterei! Sage, wie alles steht, klar und wahr." Scheu und gedrückt sah Antoine zu seinem Bruder auf, hilflos und erbärmlich wie ein Ertrinkender nach dem letzten Rettungsmittel. Wie ein Rausch war die bramarbasierende Großsprecherei verschwunden und an ihre Stelle trat nun ebenso übertrieben eine Niederge schlagenheit und ein so tiefes Elend, wie man es häufig bei Trunkenbolden als ganz natürliche Reaktion ihrer Ausschweifungen sieht. Ein wahres Bild des Jammers und der Verkommenheit, schlug Antoine die zitternden Hände ineinander, die Tränen traten ihm in die Augen und schwach und hilflos wimmernd, antwortete er endlich: „Du siehst ja, Jean, wie alles steht. Es ist alles aus und vorbei mit mir, wenn du mir nicht hilfst. Du bist meine letzte Hülfe und Hoffnung." Jean sah ihn einen Augenblick an und es fiel ihm ein, wie Antoine vor noch nicht sechs Monaten aus Monako an ihn geschrieben und zwanzigtausend Francs verlangt hatte. Er wollte damit die Bank in Monte- Carlo sprengen und Millionen gewinnen, vierspännig, mit einem Mohren auf dem Kutscherbock, wieder in Marseille einfahren und alle seine Feinde, die ihn ver trieben und zu einem Landstreicher verdammt, vernichten, und was der Phantasien mehr waren. Nun war er da. Aber ohne Kutsche, ohne vier Pferde, ohne Mohr und Millionen, ein armer, bettelnder Strolch, krank und hungernd, ein elendes Wrack, das teils zu untüchtig für den Sturm des Lebens, teils im Uebermut an den Klippen der Brandung strandete. Was sollte nun sein Bruder für ihn tun? Selbst gesetzt den Fall, daß er reich genug dazu war und den guten Willen hatte, ihin zu helfen, wie sollte er es anstellen? Gab er ihm Geld, so würde er es, haltlos wie er war, verspielen und ver trinken, gab er ihm aber keins und behielt ihn in Mar seille, so konnte jede Stunde der Staatsanwalt nach ihm greifen und nicht nur ihn, sondern auch seine Familie verderben. Antoine hatte sich, um Verluste, die er beim Börsenspiel erlitten, zu decken, zu Wechselsälsckmngen ver leiten lassen. Tas hatte ihn aus der Heimat vertrieben und nun brachte ihn die Not zurück. Was nun? Jean Baptiste Belotti wußte selbst nicht, wie er den der Firma drohenden Krisen die Stirn bieten sollte, und ob die Firma noch über den Ultimo dieses Monats hinaus existierte, und nun sollte er auch noch die Schwierigkeiten seines Bruders- lösen? „Du kannst hier nicht bleiben!" sagte Jean, dem vor läufig nur das Eine klar war, daß sein Bruder so rasch wie möglich wieder aus Marseille verschwinden mußte. Erschrocken sah ihn Antoine an. Der ganze Jammer des Landflüchtigen sprach aus dem einen Blick. „Was willst du damit sagen, Jean?" fragte er, vielleicht noch mit einem leisen Hoffnungsschimmer auf ein Mißverständnis. Selbstverständlich mußt du wieder aus Marseille fort. Man kann dich ja auf Schritt und Tritt wiedererkennen und dann bist nicht nur du, sondern auch ich verloren." „Selbstverständlich, sagst du, Jean?" fuhr Antoine bitter, aber noch in einem bittenden, unterwürfigen Tone fort. „Tu weißt nicht, um was es sich handelt. Tu kennst die Landstraße nicht, die Hitze, den Staub, Durst und Hunger, die Qual des rast- und ruhelosen Hin und Her, das verhungerte, spitzbübische Lumpengesindel — dessen Gleichen du bist, wenn du kein Geld hast. Hier! Schau meine Stiefel an, Jean, schau mich selbst an »nd dann sprich noch einmal vom Selbstverständlichen, wenn du das Herz hast. Nein, Jean, sage nichts, ehe du das Schreckliche des heimatlosen Herumirrens nicht kennst, nicht ahnst. Alles, was du willst, will ich tun, nur das nicht. Nur einen Ruheplatz, von dem mich nicht jeder Hundsfott aufscheuchen kann, ein kleines Stübchen mit einem Fensterchen, ein Loch, aber ein Heim, Bruder, ein Heim, wo ich ausruhen kann von meiner Pilgerfahrt. Nun liefen ihm wieder die Tränen über die welken, grauen Backen herrmter in den vernachlässigten, struppigen Bart, während er die abgemagerten, zittern den Hände bittend vorstreckte. Tas kannst du alles haben, Antoine, ein Stübchen, ein Loch, was weiß ich — kannst du leicht haben. Du brauchst dich nur hier beim Staatsanwalt zu melden —" Mit einem jähen Ruck richtete sich der Landstreicher vor ihm in die Höhe und sah ihn mit einem scheuen, gif tigen Blick an. Frech, cynisch, roh und drohend war der Ausdruck dieses Blickes, und so flüchtig er auch war, so wußte Jean doch sofort, was es bedeutete. Er kannte seinen Bruder hinreichend. „Und das ist alles, was beirre brüderliche Liebe mir bietet?" fragte Antoine nnt geballter Faust, „der Staats anwalt!" „So lange du nicht geneigt bist, Rücksicht auf mich und meine Familie zu nehmen, wird wohl nichts Anderes iibrig bleiben", erwiderte Jean nachdenklich und langsam. Einen Augenblick sahen sich die Brüder stumm an, dann wich aber Antoine dem Auge feines Bruders aus, zuckte verächtlich mit den Schultern und trank init der ihm eigentümlichen.Hast einige Gläser Wein. „Nun wollen wir doch den Stiel einmal umdrehen, Antoine", fuhr Jean nach einer kurzen Pause fort, „und fragen: Was bietest denn du mir! Du tauchst wie ein Gespenst hier in Marseille auf, gerade zu einer Zeit, wo ich mehr als jemals ans das volle Vertrauen und den unbedenklichsten Krebst meiner Klienten rmd Geschäfts freunde angewiesen bin. Ich habe gerade jetzt binnen zwei Wochen weit über eine Million bares Geld zu schaffen und weiß jetzt noch nicht, wo ich auch nur den dritten Teil davon hernehme. Gewiß, ich werde mir auch diesmal helfen, wie ich mir ja in anderen, noch viel schwierigeren Lagen geholfen habe, aber begehst du jetzt nur eine Unvorsichtigkeit, nur eine Dummheit, so ist das leicht erweckte Mißtrauen in die Firma da, man läuft Sturm auf meine Kasse und ich bin mitsamt meiner Familie ruiniert, an den Bettelstab gebracht und kann dann mit dir zusammen hausieren gehen." Antoine machte die zweite Flasche auf und prüfte leicht schluckend den Inhalt mit Kennermiene. „Das ist's, was du mir bietest, Antoine", fuhr sein Bruder fort. Tu weißt freilich nicht, >vas es heißt, eine Familie ins Elend stürzen. Du hast nie eine getrabt. Meine Kinder kennst du kaum. Die beiden Jüngsten hast du nie gesehen, die beiden Aeltesten nur in ihrer Jugend. Sie mögen sein wie sie wollen, aber sie sind meine Kinder und ich liebe sie. Ich habe sie vornehm und in bester Ge sellschaft auserzogen und bin noch täglich und stündlich be-
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite