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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.07.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-07-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040729027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904072902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904072902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-07
- Tag1904-07-29
- Monat1904-07
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VezngS-Preis t» d« vnnpUMdttst» oder der«, «o«gar»> stell« »d,»holt: vtrrtrliLhrlich ».— bet zwestnaliger tSaltcher gotzellooa in« Hau« ^l ll.7L. Durch die Post bttogeu firr Deutsch« laud a. Oesterreich vtertelMrlich 4.V0, für die übrtgeu LSuder laut tzettonyOprettttste. Nedakttou: Joyauutdaass« tt. Sprrchstuude: L—H Uhr Nach«. Ferusprecher: 1S8 ErZedttto» . AchuuutSgasse k. Ferusprech«: 222. idtltuleruedtttuue» r «lsred tzahn.BnchL-mdl», Uuiversttät-str.» tFerufpr. Nr. 4O46)( L. Lüsche, -achariun»- straß» 14 (Fernsprecher «r. 2836 - ». KüntgS- HauZt»Atltatr DreOde»: Ltarünftraß« 84 (Fernsprecher AnUlRr. 1718s. Haupt-Flltule Berit«: TarlDuucker, Herzg UvayrHofd uchbaudla- Lützowstraße U) (FeuqprrcherAmt VI Nr.4ML) Abend-Ausgabe. ttp)igcr TagMalt Anzeiger. Amtsblatt des ASnigttchen Land- und des königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Voli^eiamtes der Ltadt Leipzig. Nr. 383 Freitag den 29. Juli 1904. W. Jahrgang. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile SS Reklamen unter dem Rchakttousstrtch <4 gespalten) 7Ü -H, nach den Fomilienaach- rtchtru (6 gespalten) 66 Tabellarischer und Ztffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Osserteuannahme 26 Ertra-Betlage» (gesalzt), aur mit der Morgen-AnSaabe, ohur Postbefürdernug SO.—, mit Postbefürdernug 7K—. Snnatzueeschlxs, sirr B«zet^»r Nbeud«Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgab«: nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen find stet- an die Expedition zu richt«. Die LMedittou ist WochenlagS ununterbrochen geüfpeet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck »ad Verlag von Volz tu Leipzig (Inh. vr. B„ R. » W. «lt»kh-rdK Var MÄligrte vsm Lage. * Herzog Ernst Günther von Schleswig-Hol stein hat sich in einem Briefe cm Geheimrat Budde über den Fall Mirbach ausgesprochen. (S. Politische Tagesschau.) * Das englische Unterhaus hat die Finanzbill mit 206 gegen 129 Stimmen end- gültig angenommen. * Das große Kabelwerk von Felten L Guilleaume in Petersburg ist gestern niedergebrannt. (S. Aus aller Welt.) ' Der König von Griechenland ist gestern mAix-leS -Bains eingetroffen. ' Ein allgemeiner Angriff auf Port Arthur hat, wie von zwei verschiedenen Seiten ge meldet wird, gestern begonnen. kin stieren-tiM. Natürlich handelt es sich um Amerika. Fast scheint es, als ob uns die Vereinigten Staaten täglich aufs Neue beweisen wollen, daß sie wirklich das „Land der un begrenzten Möglichkeiten" sind. Vor einigen Jahren war c? der Streik der Kohlenarbeiter in Pennsylvanien, der auf das gesamte Wirtschaftsleben der Union lähmend einwirkte, diesmal ist es der Ausstand der in den großen Schlächtreien des Fleischtrusts beschäftigten Arbeiter, der von ähnlichen verderblichen Folgen begleitet sein dürfte. Neber die Ursache des Streiks macht der Präsi- deut der „Amalgamateü Meat Cutter and Butcher Work- men of America" die folgenden Mitteilungen: „Es han delt sich nicht um einen Kampf um eine Lohnerhöhung, sondern vielmehr um einen Widerstand gegen eine Lohn verkürzung. Ursprünglich hatten wir einen Stunden lohn von 20 Cts. verlangt, doch einigten wir uns schließ lich mit den Arbeitgebern auf I8V2 resp. 19 Cts. pro stunde. Jetzt aber stellt sich heraus, daß uns nur 17^/2 bewilligt werden sollen. Damit kann niemand auskom- mcn. . . ." Aber freilich, eines Mannes Rede usw. Einer der Leiter der Weltfinna Armour K Co erklärt nämlich, daß die Forderungen der ungelernten Arbeiter— um die allein handelt es sich — unvereinbar feien mit der gegenwärtigen Geschäftslage. Er spricht von dem allgemeinen wirtschaftlichen Niedergang und führt als Beweis an, daß sie geradezu mit ungelernten Arbeitern überlaufen würden, die zu niedrigeren Löhnen zu arbei ten bereit wären als die organisierten Arbeiter. Den Versuch, den Streit durch ein Schiedsgericht zu schlichten, sollen die Arbeiter auch zurückgewiesen haben. Sie haben cs eben vorgezogen, in den Ausstand zu treten. Dieser Streik erhält nun ein eigenartiges Gepräge dadurch, daß bei ciuiger Ausdehnung die Angehörigen einer ganzen Anzahl anderer Berufszweige ebenfalls feiern müssen, besonders aber dadurch, daß das große Publikum sehr stark in Mitleidenschaft gezogen wird. In der Tat hat sich bereits den 46 000 Arbeitern, die in den Großschlächtereien von Chicago, Kansas City, Omaha, St. Joseph usw. bei dem Fleischversand beschäf tigt find und von denen der Streik ausgeht, eine ganze Anzahl anderer Arbeiterkategorien angeschlosscn. Ihre Zahl wächst täglich. Im allgemeinen nimmt der Streik den üblichen Verlauf. Der ursprüngliche Streitpunkt tritt in den Hintergrund, es handelt sich nicht mehr um die Frage der Lohnerhöhung, sondern um eine Macht- frage. Denn die organisierten Arbeiter betrachten die Entlastung der nichtorganisierten Streikbrecher als die unerläßliche Vorbedingung für die Wiederaufnahme der Arbeit, während diese Forderung von den Arbeitgebern natürlich prompt zurückgewiesen wird. Etwas Ab wechslung in dies gewohnte Bild bringt eine gelegent liche Nevolverschießerei, bei der, wie üblich, Neger die beliebteste Zielscheibe bilden. Da sich diese unglücklichen Wesen schon sowieso nur sehr geringer Sympathien er- freuen, so kann man sich denken, wie wenig glimpflich mit ihnen verfahren wird, wenn sie es riskieren, als Streikbrecher aufzutreten. Andererseits muß man doch einen gewissen Respekt empfinden vor fenem stark ent wickelten Solidaritätsgefühl, das sich in dem Verhalten der verschiedensten Arbeiterklassen den Streikenden gegen über zeigt. In St. Louis z. B. weigern sich die Kutscher Sendungen zu fahren, zu deren Herstellung in den Groß schlächtereien Nicht-Unionsleute beschäftigt worden sind Und die vielen Tausende orthodoxer mdischer Arbeiter in New Bork legen sich durch die Verpflichtung, nicht eher wieder Fleisch zu kaufen als bis normale Preise herrschen, ein freiwilliges Fasten auf. Merdings trägt zu dieser Stellungnahme wohl ziemlich viel der Umstand mit bei, daß der Fleischtrust fast bei allen Schichten der Bevölkerung herzlich unbeliebt ist und allgemein der Wunsch herrscht, seine Macht gebrochen zu sehn. In der vorigen Woche )oar der Einfluß deS Streiks bereits sebr unangenehm fühlbar. Die Fleischpreise stie gen rapid, von einem Tag zum anderen erhöhte sich in New Bork der Preis für einige Sorten von 8fH auf 13, von 17 auf 23 und von 10l4 auf 16^ Cents. Geringere Qualitäten, die sonst 5 und 6 Cents kosten, stiegen auf 10 und 10l4 Cents. Daß sich Hotelbesitzer und Restaura teure diese Gelegenheit, ihre Speisekarten zu „revi- dieren", nicht entgehen ließen, ist nur natürlich. Aehn- liche Preisaufschläge werden aus Baltimore und Boston berichtet. Gerade die östlichen Staaten sind in der Deckung ihres Fleischbedarfs sehr stark auf die Zufuhr von Chicago usw. angewiesen und wenn auch die ortsansäs sigen Schlächter alles taten, um die Situation für sich auszunützen, so sind sie eben doch nicht imstande, trotz der sehr gesteigerten Zufuhr von Lebendvieh das Gleiche zu leisten wie die großartigen Etablissements des Fleisch trusts. Einen empfndlichen Schaden erleiden auch die Eisenbahnen, da der Wegfall eines täglichen Fleischver sands von ca. 200 Waggons für die 10 daran beteiligten Linien eine Mindereinnahme von ungefähr 20 000 Pfd. Gterl. täglich bedeutet. Neber den Ausgang des Streiks läßt sich einstweilen noch nichts sagen. Aber selbst wenn die Lrbetter den Sieg erringen, so wird man doch berechtigte Zweifel an der Zweckmäßigkeit eines solchen Verfahrens hegen dür fen. Man wird sich wenigstens fragen dürfen: warum muß die Allgemeinheit darunter leiden, wenn zwei Par teien ihre höchst privaten Streitigkeiten ausfechten? Gibt es nicht noch andere Mittel zur Schlichtung solcher Diffe renzen? lfi. ver stulrtanci clei Herero. Lentwein geht nicht nnf Urlaub. Ter Gouverneur Oberst Leutwein hat nach der „Deutschen Lagesztg." keinen Urlaub nachgesuH; *iuh ist es nicht wahrscheinlich, daß er in nächster Au ein solches Gesuch stellt, da er schon seit der Abgabe des Lruppenkommandos die Absicht ausgesprochen hat, im August eine Inspektionsreise nach dem Groß-Namaland zu machen. Von der Mitteilung, daß der Generalleut nant v. Trotha gemeldet habe, er müsse einen so fortigen Angriff auf die Hereros beginnen, weiß man amtlicherseits nichts. Der Angriff ist auch tatsäch lich noch nicht erfolgt und nicht in Aussicht genommen. Dazu stimmt nicht recht eine Meldung des Berliner „L.-A.", wonach die Operationen gegen die Herero am Water berg jetzt begonnen haben, und zwar sollte das zur Bereinigung mit den im Norden stehenden Abteilungen neu zusammen« gestellte Kommando gestern von Owikokorero auSriickrn und sich heute mit dem Detachement Müller vereinigen. Die Stimmung «nt«? bs» Airfiebleun. Als charakteristisch für die Erbitterung unter den Ansiedlern in Deutsch-Südwestafrika druckt die „Deutsche Tagesztg." den Brief eines ansässigen Farmers auS Grootfontein vom 20. April ab. Darin heißt es: „An allem ist die Regierung schuld mit ihrem un begrenzten Vertrauen gegenüber den Schwarzen, die Regierung, die auf alle-, was von verschiedenen maß gebenden Personen geschrieben und gesagt wurde, nicht hören wollte, die Schwarzen ruhig weiter poussierte. ... Hier zu Lande gibt es eine Art Sprichwort, das die Verhältnisse im Lande sehr gut kennzeichnet. Es lautet ungefähr: Erst kommen die Herren Regierungs beamten und Offiziere . . . dann eine Weile nichts . . . dann die Herren Koffern, dann wieder eine Weile nicksts . . . dann die Soldaten der Schutztruppe, dann wieder nichS und wieder nichts . . . und dann ganz zum Schluß erst die An siedler. Es ist trauriq aber wahr, bisher hatte man als Ansiedler das Gefühl, daß man nur dazu da ist, damit die Herren Regiernngsbeamten Verordnungen für uns herausgeben und die Rechte der Schwarzen gegenüber den Weißen vertreten könnten. Wer einen Kaffer schief ansah, wurde bereits bestraft. Kein Wun der, daß den Herren der Kamm schwoll. . . . Wenn die Regierung jetzt nicht ernstlich ihre Politik ändert, dann werden viele das Land verlosten, unter ihnen ich auch, reu- in eine fremde Ko lonie gehen. Einstweilen müssen wir na- türlich bleiben, bannt Nur Entschädigung- ansprüche geltend machen können. Als Deut- scher müßte man sich schämen, so etwas zu sagen. aber es ist wirklich so, die Regierung ist daran schuld, daß wir hier so unzufrieden sind, und man bedauert diese traurigen Zustände, die einem Deutschen den Aufenthalt in einer deutschen Kolonie verleiden können." ver ru-rirch-japanitcbe Krieg. Vie Herftörung gefangene» Fahrzeuge. Zur Beurteilung deS russischen Vorgehens gegen japanische Handelsschiffe und insbesondere gegen den amerikanischen Dampfer „Knight Commander" dürfte eS von Interesse sein, die Bestimmungen in die Erinnerung zurückzurufen, die von Seiten der russischen Regierung im März getroffen und der englischen Regierung mitgeteilt worden sind. Unter der Ueber- schrift „Zerstörung gefangener Fahrzeuge" beißt eS: „In den folgenden nnd ähnlichen Ansnahmefällen hat der Kommandant d«S kaiserlichen Kreuzers das Recht, ein gefangene- Schiff zu verbrennen oder zum Sinken zu bringen, nachdem er alle an Bord befindlichen Personen nnd, wenn möglich, die ganze Ladung oder einen Teil derselben und ebenso alle Papiere und Gegenstände, dir zur Aufklärung deS Falles vor einem Prisengericht dienen konneu, von dem Schiffe entfernt hat: 1) Wenn e§ unmöglich ist, das beschlagnahmte Schiff wegen seines schlechten Zustandes zu retten. 2) Wenn Gefahr oorhauden ist, daß das Schiff dem Feind« wieder in die Hände fallen könnte. 3) Wenn das gefangene Schiff iehr geringen Wert bat und sein Transport zu viel Zeit kosten oder einen zu großen Kohlenverbranch verursachen würde. 4) Wenn der Transport wegen der Entfernung oder der Blockade der Häfen, in die das Schiff gebracht werden könnte, schwierig er scheint. S) Wenn der Transport den Erfolg von Kriegsoperationen, mit denen der Kreuzer beschäftigt ist, Verbindern oder den Kreuzer in Gefahr bringen könute. Der ttvmmandanl muß einen Bericht ausstellen, dar von ihm und allen Offizieren unterzeichnet ist und die Gründe auSrinandersetzt, die ihn zur Zerstörung des gewogenen Schiffes veranlaßten." Es fragt sich nun, ob einer der bezeichneten Fälle vor gelegen hat. Einstweilen hat der englische Botschafter gegen das Versenken des Dampfers „Knight Commanrer" formell protestiert, weil nach allen Grundsätzen des Völkerrechts die Berechtigung dafür nicht aufrecht erhalten werden könne. Vs« Rriegsschauplahe liegen heute nur sehr dürftige Nachrichten vor, deren wich tigste die ist, daß nach der „Frkf. Ztg." das Wladiwostok- Geschwader noch in der Nähe der Bucht von Tokio liegen soll. Man sei um das Marineschnl-Uebungsschiff „Kotonvo Maru", auch wegen des Postschiffs „Korea" besorgt. Mehrere Schiffe seien überfällig. politische Lagerscbau. * Leipzig, 29. Juli. Herzog Ernst (Sünther vo« Schleswig - Holstein über den Kall Mirbach. Andeutungsweise war von einzelnen Blättern Herzog Ernst Günther zu Schleswig-Holstein, der Bruder der Kaiserin, mit der Mirbach-Angelegenheit in Ver bindung gebracht worden. Um dies in klarster Weise zu dementieren, hat der Herzog jetzt an den Geheimrat Budde, Direktor der Berliner Hypothek-Aktienbank, nachstehendes Schreiben gerichtet: Gehr geehrter Herr Geheimrat! Gewisse Blätter haben versucht, mich mit der Affaire der Pommerscheu Hypothekenbank in Ver- Feuilleton. Der Fall Lelotn. Roman von Waldemar Urban. Nachdruck verboten. „Wann ist die Hochzeit, Saintine?" fragte Florence. Saintine tat so furchtbar echauffiert über diese Frage, als ob sic noch niemals in ihrem Leben an ihre Hochzeit oder auch nur etwa damit Zusammenhängendes gedacht habe. „Ja, denke dir nur, Florence, alle Welt drängt mich io schrecklich und besonders Thomas ist so pressiert und ungeduldig, daß ich mir gar keinen Rat Weitz. Sie wollen alle, daß die Hochzeit Ende Oktober stattfinden soll. Findest du das nicht übereilt? nicht von wenig obio? Es sieht ohne Zweifel bäuerisch aus, so schnell Hochzeit zu machen. Aber was soll ich tun? Ich kann beim besten Willen nickt anders, als nachgeben." Es ist also ihr heitzester Wunsch, dachte Florence still für sich, und traf damit natürlich auch das Richtige. Gleichwohl bewunderte sie den feinen Takt, die zierliche Koketterie und Verwirrung, mit der Saintine die Frage behandelte. In diesem Augenblick traten auch Oberst Villencuve mit seiner Schwiegertochter und Frau Belotti hinzu. „Und Ihr Herr Geniahl hat Sie nicht begleitet, Madame?" fragte der Oberst. Madame Belotti seufzte leicht auf. „LH, sprechen wir nicht davon, «nein lieber Here Oberst, sagte sie es ist wirklich unerträglich. Ich bin nicht mit einem Mann verheiratet, wie alle anderen Frauen, sondern mit einen, Bankhause, und meine Kin der haben keinen Vater, wie andere Kinder, sondern ein Geschäft. Was tun wir bannt? Wir Armen! Immer wenn davon die Rede ist daß mich mein Gatte einmal hierhin oder dahin begleiten soll, hat er unaufschiebbare Geschäfte. So auch heute. Ich sagte zu ihm: Du kommst doch mit ins Theater? Es singt jg der berühmte Ta- magno. Was glauben Sie, was er mir antwortete? Zum Henker mit deinem berühmten Tamagno, erwiderte er, erwarte mich nicht vor Mitternacht. Ich habe Geschäfte. Was sagen Sie dazu?" „Ein fleißiger Mann, ein gewissenhafter Geschäfts- mann, ganz ohne allen Zweifel. Beklagen Sie sich darüber nicht, meine liebe Madame. Wer weiß, welche findige, geniale Kalkulation ihn wieder beschäftigt. Er ist ja die pekuniäre Vorsehung der halben Stadt, und während wir uns hier an dem göttlichen Tamagno be geistern und uns an seinen, schrecklichen Othello aufregen, sitzt Ihr Herr Gemahl vielleicht in seinem Bureau und rechnet aus den verwickeltsten Spitzfindigkeiten unfern Vorteil heraus. Beklagen wir uns darüber nicht, meine werte Madame Belotti." „Sie haben gut reden, Herr Oberst. Ach, Ihre hübsche Saintine, sehen Sie nur, wie glücklich, wie blühend sie aussieht. Nun, es mag sein, wie es will, aber es ist unmöglich, daß Ihnen diese noch Sorge macht. Aber was tue ich? Ich habe drei Töchter zu versorgen und — Hand aufs Herz, Herr Oberst, dabei ist es manchmal doch sehr unangenehm, nur eine Zahl als Mann zu haben." „Nun, nun! Wie froh wären manche, eine solche Zahl als Papa zu haben, meine werteste Madame Belotti. Zahlen reden hier mehr als sonst." Florence hörte das Gespräch zwischen ihrer Mutter und dem alten Oberst, wurde aber nicht recht klug daraus. Sie konnte es auch nicht weiter verfolgen, weil es gerade jetzt Zeit wurde, die Plätze einzunehmen und viele Leute hin und her gingen. Aber das Gespräch fiel ihr in mancher Hinsicht auf und erinnerte sie an den Auftritt, den sie kurz vorher zwischen ihren Eltern beobachtet. Da waren auch solche halbe Worte gefallen, die sie nicht ver standen und wohl mehr verhüllen als erklären sollten. Es war gar keine Rede davon gewesen, daß ihr Papa sie ins Theater begleiten solle. Das erschien ganz ausgeschlossen. Dagegen hatte ihr Papa darauf bestanden, daß ihre Mutter ihn um Mitternacht oder bald nachher in der Jolilotte erwarten sollte. Florence hatte das Gefühl gehabt, als ob sich hinter den kurz und flüchtig hingeworfenen Worten etwas unge wöhnlich Ernstes und Schwerbedeutendes verberge und sie wurde den Gedanken daran den ganzen Abend nicht mehr los. Was ging denn vor? fragte sie sich, was sie nicht wißen sollte? Die Mutmaßungen deS alten Oberst erschienen ihr nicht sehr zutreffend, wenngleich ihre Mutter ihn darin zu bestärken schien. Indessen war Florence noch nicht in dem Alter und auch geistig noch nicht in der kräftigen und entschiedenen Verfassung, um flüchtige Wahrnehmungen in selbstän- diger, eigener Weise zu verfolgen. Der Helle Saal, die Menge geputzter Menschen, die Musik, der — „berühmte Tamagno", der den Othello in der gleichnamigen Oper sang, wie man ein Paradepferd rettet, — alles das zer streute sie wieder, und als die Oper zu Ende war, nahm die arme erwürgte Desdemona und der schreckliche Mohr von Venedig in ihren Vorstellungen einen bei weitem größeren Raum ein als ihre Eltern und die dunkeln Vor gänge zu Hause. Sie wurde erst wieder daran erinnert, als sie in der Jolilotte angekommen war und ihre Mama eine unge wöhnliche Unruhe und Eile entwickelte, sie und ihre kleineren Schwestern zu Bett zu bringen. Florence war noch gar nicht müde. Im Gegenteil von der Oper und der Musik etwas aufgeregt. Es war auch noch nicht spät. Kurz nach elf Uhr. „Wie hübsch die kleine Villencuve heute aussah!" be gann Florence, um mit ihrer Mutter noch ei» wenig zu plaudern, wie sic das von früher her gewohnt war. „Ich bitte dich, Florence, tu' mir die Liebe und geh' zu Bett", fuhr ihre Maina nervös auf und warf die Handschuhe weg. Dann trat sie an das offene Fenster und horchte gespannt hinaus. „Bist du nicht wohl, Mama?" fragte Florence ver wundert, und als ihre Mutter nicht gleich antwortete, fuhr sie fort: „Erwartest du noch jemand?" „Ich? Wen soll ich denn erwarten?" „Ich glaubte, Papa hätte gesagt, daß du ihn erwarten möchtest." „Warum nicht gar. Ich habe Kopfschmerzen von der dumpfen geschlossenen Luft im Theater. Das ist alles. Geh', mein Kind. Gute Nacht. Wir können uns ja morgen noch genug erzählen." Florence ging. Sie erinnerte sich auf das Bestimm teste, daß ihr Papa gesagt, ihre Mutter möchte ihn er warten, was jetzt ihre Mutter durchaus bestritt. Aber sie hatte kein Interesse daran, cst> das sich so oder so ver hielt und so ging sie ruhig nach ihrem Schlafzimmer. Es war eine schwüle, feuchte Nacht. Ein weicher, warmer Wind rauschte durch die Baumkronen der Villa Jolilotte, die träumerisch rauschten. Das Mondlicht schimmerte von Zeit zu Zett durch die nassen, tropfenden Zweige und weiße niedrig hängende Nachtwolken glitten auf den Hügeln hin. Lange Zeit konnte Florence nicht einschkafen. Sic hatte die Fenster der drückenden Schwüle wegen offen ge lassen und warf sich nrrruhig ans dem Bett hin und her, bis sie endlich in einen träumenden Halbschlaf verfiel, in dem ihr nochmals ein schwarzer Kerl erschien, der das Weiße aus den Augen wild herausdrehtr und die rüb- rendsten Lieder sang. Plötzlich klang ein Schrei durch die Nacht, ein wüster, wilder Schreckensschrei, der nichts nut den süßen Tönen Tamagnos zu tun batte. Entsetzt fuhr Florence auS ihrem Halbschlaf cmf. WaS war geschehen? Wer hatte diesen Perzweislungsschnei ausgestoßcn? Wurde jemand er- mordet? Florence lauschte ängstlich am Fenster in den Garten hinunter, aber es blieb alles totenstill. Da sah sie an dem Salonfenster, das nach dem Garten heraus-
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