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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.07.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-07-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040730021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904073002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904073002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-07
- Tag1904-07-30
- Monat1904-07
- Jahr1904
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Anzeigen-PretS die 6gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redaktionsstrich (4gespalten) 75 nach den Familiennach richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Zifsrrnsatz entsprechend Höker. — (Gebühren für Nachweisungen und Lfsertenannahme 25 Eptra-Vcilaqen lgesalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung .6 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Tie Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Truck und Verlag von E. Pal; in Leipzig Znh. t-r. V., R. L W. Klinkhardt). 98. Jahrgang. Var Mchtigrte vom Lage. * Der Streik der Kohle »Verlader ii» Hamburg ist heute nach achtwöchiger Dauer zu Un gunst en der Arbeiter beendet und die Arbeit überall wieder aufaenommen worden. * Von agrarischer Seite wird die Regierung ge drängt, den neuen Zolltarif noch vor eventueller Annahme des Handelsvertrags mit Rußland in Kraft zu setzen. (S. Politische Tagesschau.) * Major von Gontard, der Gouverneur der drei jüngeren kaiserlichenPrinzen.ist unter Be lassung in diesem Dienstverhältnis zum Flügel- adjutanten des Kaisers ernannt worden. Vie Ztaalrtreue Oer evangelischen Rlbeilervereine. Im „Sächsischen Evangel. Arbeiterblatt", dem Organ für den Landesverband Evangelischer Arbeiter vereine im Königreich Sachsen, erwidert dessen Herausgeber, Pastor KruSpe-DreSden, auf die Aufforderung der Evan gelischen Bereinigung für Sachsen, vaterländische Ge sinnung nur im Verein zu pflegen, nach außen hin aber politisch neutral zu bleiben, speziell nicht mehr für bürgerliche Parteien Wahldienste zu tun: Wenn damit gesagt sein solle, daß die Evang. Arbeitervereine als Arbeitervereine ganz selbstverständlich für den Sozial demokraten eintreten sollten, so sei dies durchaus abzuweisen. Umgekehrt aber sei es sehr wohl denkbar, daß ein Evang. Arbeiter verein, wenn es sich in der Stichwahl um einen christlich ge sinnten Sozialdemokraten, wie etwa Göhre, und um einen anerkannten Bodenwucherer oder Wahlrechtsfeind (Gegner einer freiheitlichen Wahlrechtsreform d. Red.) für den erstere» einträte. Vorher war gesagt worden, die Evang. Arbeiterveine könnten nicht eine Politik des Haßes mitmachen, die nur materielle Güter als Ziele gelten lasten und ohne Verantwortlichkeitsgefühl die ge gebene Gesellschaftsordnung leichtfertig wegwerfe, ehe sie etwas anderes an ihre Stelle zu setzen vermöge; das Reden von General- sircik, „Revolution" rc. sei unverantwortlich. Aber, wenn auch die Mehrzahl der Mitglieder von einer gefühlsmäßigen Abneigung gegen die Sozialdemokratie in die Evang. Arbeitervereine getrieben würden, eine Bekämpfung der sozialdemo- tischen Partei liege nicht notwendig im Wesen der Vereine. Tatsächlich hätten freilich viele Vereine, so lange noch kein soziales Leben in ihnen war, von dem Gegensätze gegen die Sozialdemokratie gelebt. Je mehr aber die Evangelischen Arbeitervereine zu selbständiger sozialer Betätigung übergingen — und dahin gehe jetzt ihre Entwickelung — desto mehr würden sie sich das Bekenntnis des Frankfurter Arbeiterkongresses zu eigen machen: „Wir sind nicht Sozialdemokraten, aber wir sind auch nicht antisozialdemokratisch — mit der Sozialdemokratie mögen sich andere Leute herumschlagen." Unter Voraussetzung dieser Entwickelung (immer größere selbständige soziale Betä tigung der Vereine) erscheine auch eine Verleugnung des vater ländischen Charakters der Ev. A.-B. nach außen hin als unnötig. Je mehr die Arbeiterschaft erkennt, daß in den Ev. A.-V. nicht bloß ein negativer fortschrittsfeindlicher Hurrapatriotismus gepflegt werde, sondern auch die Vater landsliebe in dem Streben nach einer auf das Wohl des Ganzen gerichteten Sozialreform ihren vornehmsten Ausdruck finde, destoweniger werde sie an den Aeußerungen des patriotischen Ge- fühls im Ev. A.-V. Anstoß nehmen. Wenn Pastor KruSpe bezüglich der Betätigung und offenen Bekundung des patriotischen Gefühls auch nicht den ganz nnverständlichen und sogar ethisch nicht einwandfreien Standpunkt teilt, daß man die Vaterlandsliebe verheimlichen müsse, um Erfolge zu erringen, so vertritt er doch die Mög lichkeit der Staatstreue auf Kündigung. Denn darüber muß man sich doch klar sein, sofern man überhaupt Anspruch auf politische Ernsthaftigkeit macht, daß einen Sozialdemokraten wählen so viel heißt, als gegen den Staat als solchen arbeiten. Der Unterschied zwischen einem „christlichen" und einem „gewöhnlichen" Sozial demokraten existiert in der Praxis nur in der Fiction des Pastors Kruspe. Vorläufig haben^Herr Göhre und Genossen noch nach der Pfeife der Machthaber zu tanzen, so daß ihre Stellung zum Christentum gar nichts zu bedeuten bat. Wir verstehen es vollständig, wenn Arbeitervereinigungen ihre Forderungen energisch vertreten und auch vor radi kalen Mitteln nicht zurückscheuen. Nur dadurch können sie Vertrauen in ihren Kreisen erringen und zu ihrem Teil Richtung und Länge der Resultate im Parallelogramm der politischen Kräfte beeinflussen. Voraussetzung des Bei standes oder zum mindesten der Sympathie der bürgerlichen Parteien und vor allem auch der dauerhaften eigenen Selbst ständigkeit bleibt aber dabei die absolute Z uverlässig- keit im Punkte der Staatstreue. Wenn diese Garantie nicht geboten werden kann, so unterscheiden sich die evange lischen Arbeitervereine freilich nur recht wenig von den Sozialdemokraten und nicht einmal in allen Punkten zu ihrem Vorteil. Dann möchten wir lieber offene Gegner haben als unzuverlässige Freunde, die bei der ersten besten Gelegenheit zum Feinde überzugehen bereit sind. ver Humana aer Isrier». Gberst Leutwern. Nähere Angaben über das Befinden des Gouverneurs Obersten Leutwein finden sich in folgender Mit teilung: Mit dem Dampfer „Bürgermeister" sind dieser Tage aus Südwestafrika ältere Afrikaner zurückgekehrt, welche mit dem Gouverneur Oberst Leutwein bis in die ersten Tage dieses Monats hinein verkehrt haben. Damals befand er sich in Owi- kokorero. Das Bein des Gouverneurs war noch so leidend, daß er sich weder zu Fuß noch zu Pferde bewegen konnte, er benutzte zu allen Bewegungen seinen Karren, d. h. einen kleinen mit zwei Pferden bespannten Wagen. Die erste Nachricht von dem Leiden des Gouverneurs traf von ihm selbst schon im November ein. Es hielt an auf der ganzen Fahrt nach dem Süden aus Anlaß der Bondclzwartsunruhen. Ueberall, wo er unterwegs längeren Aufenthalt nehmen mußte, wie zu Kcetmanshoop, hat er diese Zeit liegend zugebracht. Trotzdem war er dort monatelang tätig und leitete dann auch noch die Kriegssührung gegen die Herero. Auch jetzt hat er seine Frische nicht verloren und denkt, wie er seiner Umgebung wiederholt mitgeteilt hat, nicht daran, um einen Urlaub ein zukommen. Der Feldsignaldienst. Uebsr die Einrichtung des Feldsignaldienstes in Süd westafrika macht Hauptmann Meister vom Großen Gene ralstabe im dritten Vierteljahrshefte für Truppenführung und Heeresknnde interessante Mitteilungen: Dem Fcldsignaldienst liegt ebenfalls die Telegraphie zu Grunde, aber nicht jene der elektrischen und der drahtlosen, sondern vielmehr der optischen Telegraphie, für deren Aus führung also eine Augenverbindung zwischen den Gegen stationen bestehen muß. Tie Signalgebung mit der großen Feldsignalausrüstung erfolgt durch Lichtblitze von längerer oder kürzerer Dauer. Der längere Lichtblitz entspricht einem Strich, der kürzere einem Punkt des Morsealphabets, so daß man dessen Buchstaben durch diese Lichtblitzzcichen zur Darstellung bringen kann. Als Lichtquelle wird entweder das Sonnenlicht (Heliograph) oder künstliches Licht (große Feldsignallampe) benutzt. Es ist allgemein bekannt, daß beim Heliographen die Sonnenstrahlen durch Spiegel auf-gefangen und durch Ein richten der Spiegel auf die Gegenstation' dort sichtbar gemacht werden. Jede Verschiebung des Spiegels macht das Licht für die Gegenstation unsichtbar; vermittels einer Taste kann die Stellung des Spiegel verändert und damit das Sonnenlicht längere oder kürzere Zeit der Gegenstation sichtbar gemacht werden. Ist die Lichtverbindung erst zwischen den beiden Grenz, stationen hergestellt, so sind die Lichtblitzc auch nur für diese sichtbar, und hieraus erhellt, daß ein Mitlesen der aufgegebenen Signalmeldung durch Unbefugte ausgeschlossen ist. Wie bei allen optischen Telegraphen fehlt es auch beim Heliographen an einem Ausweise der übermittelten Nachricht durch eine me chanische Niederschrift, die allerdings beim Fernsprecher auch nicht vorhanden ist. Die große Feldsignaleinrichtung für eine Station besteht nun aus den Apparaten zum Geben (Signal lampe, Heliograph), aus Ferngläsern zum Aufnehmen, zwei Winkerflaggen und den Materialien zur Herstellung des künst lichen Lichtes; sie wird auf dem Rücken eines Reiters oder am Pferde fortgeschafft und kann innerhalb fünf Minuten auf- oder abgebaut werden. Hieraus ist zu ersehen, daß es sich um eine Art von optischem Schnelltclegraphen handelt, und cbcnfd zu erklären, daß die Bedienung dieses neuen Nachrichten mittels der Kavallerie zugewiesen wurde, wobei ein berittener Kavalleriesignaltrupp in der Stärke von 1 Offizier, 4 Unter offizieren, 1 Ordonnanz aufgestellt wird. Jeder Trupp ist zur Bedienung einer Station bestimmt, so daß bei den Operationen in Südwcstafrika beim Kommando der Schutztruppen sechs solcher Stationen in Betrieb gesetzt werden können. Die Her stellung der Signalverbindung geschieht in folgender Weise. Nachdem ein Trupp die Station errichtet hat, wird mit der Lampe oder dem Heliographen in den Richtungen, in denen Kavalleriesignaltrupps zu erwarten sind, gestreut, d. h. man läßt den Lichtkegel durch Verändern der Höhen- und Seiten richtung langsam über das in Betracht kommende Gelände gleiten. Sobald die Gegenstation von dem Lichtkegel getroffen wird, das Licht also wahrnimmt, richtet sic die Lampe oder den Heliographen sofort auf das beobachtete "Licht ein und be ginnt mit dem Anruf, einem besonderen Zeichen. Nachdem beide Stationen ihr Licht aufeinander gerichtet haben, tauschen sie die Stanonsmeldung aus und sehen, falls keine Nachrichten zu befördern sind, unter dauernder Beobachtung der bereits gefundenen Gegcnslationen je nach der taktischen Lage das Streuen fort, um weiteren Stationen den Anschluß zu ermög lichen. Erste Bedingung für das Funktionieren der großen Feldsignalausrüstung ist Dichtigkeit der Lust, die ja in Süd wcstafrika den größten Teil des Jahres hindurch vorhanden ist, so daß man dieser Einrichtung gute Dienste erwarten kann. Der -cutscßie Vormarsch. Unsere Notiz im Morgenblatt über den Vormarsch deutscher Truppen von Owikokorero nach Norden ist da hin zu ergänzen, daß das Oberkommando mit General v. Trotha (nicht ein neu zusammengestelltes Kommando) am Donnerstag von dem genannten Orte ausrückte. Dein schließt sich Hauptmann a. D. O. Dannhnner an. Das Mißverständnis war durch eine nachträglich richtig gestellte Undeutlichkeit in dem Telegramm entstanden. Verlustliste Die Verlustliste Nr. 7 des Marine-Expeditionskorps führt in Bestätigung der schon veröffentlichten Meldungen folgende Todesfälle infolge von Krankheit auf: Ma- schinenkanonen-Abteilung des Marine-Expeditionskorps. 1) Signalgast August P l o g st e e r t aus Heidenolden- dorf in Lippe-Detmold am 14. Mai 1904 in Okahandja. Sarritätskolonne des Marine-Expeditionskorps. 2) Ma rine-Oberassistenzarzt I)r. Franz Tiburtius aus Berlin ani 5. d. M. in Otjosondu. I. Seebataillon. 3) Einjährigfreiwilliger Gefreiter Josef Freidhof aus Rüdigheim, Kr. Kirchhain am 21. d. M. in Okahandja, II. Seebataillon. 4) Seesoldat Xaver Bachcrl aus Waldmünchen inBavern am 21.Juni 1904 in Okahandja. 5) Seesoldat Albert Bayer aus Merken, Kr. Düren, am 29. Juni in Outjo. LoMstche Lage;;ckau. * Leipzig, 30. Juli. Der deutsch-russische Handelsvertrag, der soeben unterzeichnet worden ist, ist der „Dtsch. Tagesztg." bereits zu Kopf gestiegen. Sie geht von der wohl nicht un zutreffenden Ansicht aus, daß eine Vereinbarung getroffen sei, nach welcher der neue Handelsvertrag an einem bestimmten Tage ohne besondere formelle Kündigung in Kraft tritt, unv bezeichnet es im Anschluß daran als selbstverständlich, daß an demselben Termin der neue Zolltarif, der dann also im Falle des Scheiterns der Vertragsverhandlungen den Zoll verkehr regeln würde, durch Bundesratsverordnung in Kraft gesetzt werden müsse. Das Blatt sagt dann weiter: Diese Bundesratsverordnung muß aber unseres Erachtens eher erlassen werden, als der Vertrag dem Reichstage zur Beschluß fassung unterbreitet wird. Das würde auch für die anderen Staaten, mit denen wir noch nicht zu Handelsverträgen gelangt sind, der beste und wirksamste Antrieb sein, die Angelegenheit zu beschleunigen. Das führende Agrarierblatt hat also die Dreistigkeit, der Regierung ein illoyales Verhalten anzusinnen. Den neuen Zolltarif vor der Beschlußfassung des Reichstages in Kraft setzen, heißt einfach, die Volksvertretung in die Situation „Friß, Bogel, oder stirb!" versetzen. Denn es wird dadurch dem Reichstage die Möglichkeit be nommen, «inen Handelsvertrag, der nach seiner An- Feuilleton. Fait Belotti. Roman von Woldemar Urban. Nachdruck verboten. Langsam und träge schlichen an diesem Tag die Stun den in der „Jolilotte" dahin. Eine unheimliche Bangigkeit und Schwüle, die Stille vor dem Sturm lag auf allen. Um Mittag traf ein Brief von Herrn Belotti ein, daß man ihn nicht zu Tisch erwarten solle, da er sofort eine kleine Geschäftsreise antreten miisse, die ihn ein oder zwei Tage vom Hanse fern halten würde. Das war nichts Ungewöhnliches und schon oft dagewcsen, gleichwohl mußte aber Frau Belotti eine fürchterliche Krastanstreng- ung machen, um sich bei dieser Nachricht aufrecht zu halten. Florence sah auch das und las dann den Brief ihres Vaters selbst noch einmal. Es war daran nichts Beson deres zu sehen, wenn nicht vielleicht etwa vorher Ver abredetes in den harmlosen Zeilen Bestätigung sand. In den Nachmittagsstunden reiste Victor ab. Er hatte von seinem Pater mündlich die schärfsten An- wci'nngen und auch Frau Belotti bestand mit ungewöhn licher Aufregung und Energie auf deren Ausführung. So blieb dein jungen Mann nichts anderes übrig als Ab schied zu nehmen. Seiner Mutter ging dieser Abschied ungewöhnlich nahe. Sie ermahnte ihren Sohu mit Tränen im Auge zur Treue und Ehrlichkeit „was immer auch geschehen möge". Diese Phrase wiederholte sie mehrere Male, io daß Victor eigentlich hätte aufmerksam werden müssen, wenn er eben nicht lauter Dummheiten und Allotria im Kopie gehabt hätte. So hielt er die Ermahnungen seiner Mutter für gewöhnliche Abschiedsarten ohne tiefere Be deutung. Nicht so FlorenceI Sie war jetzt überzeugt, daß ein schwerer Schickjalsschlag über ihren Häuptern drohte und fand es unerträglich, all' die langen Stunden in stummer Oual auszuharren, in Ungewißheit zu warten, bis das Unheil unförmlich und ungeheuerlich wie ein erbar mungsloser Moloch herankroch. Sie wollte wissen, was sic zu gewärtigen hatte. Es war in den Abendstunden, als Florence unver mutet und entschlossen, der Ungewißheit ein Ende zu machen, in das Zimmer ihrer Mutter trat. Sie fand sie ohnmächtig auf dem Boden liegend und kniete rasch bei ihr nieder. „Mama! Mama!" rief sie in ihrer Seelenangst und legte deren Kopf auf ihren Schoß, „was ist geschehen? Was ist dir? Hörst du mich?" Wie aus einem tiefen Schlaf erwachend, schlug Madame Belotti die Augen auf und sah sich schweigend um, als ob sie sich erst sammeln und besinnen müsse. „Sieh auf mich, Mama. Kennst du mich nicht?" rief sie Florence wieder an. „Was ist geschehen?" „Tu bist's, Florence?" flüsterte Madame Belotti leise und fügte dann, sich wieder auf alles besinnend, seufzend hinzu: „Oh mein Gott!" „Rede zu mir, Mama, wenn du nicht willst, daß ich sterbe vor Angst. Was hat daS alles zu bedeuten? Ich will es wissen. Ich habe ein Recht zu fragen." Madame Belotti hob den Kopf etwas und sah sich scheu um. „Florence", flüsterte sie dann, „Papa ist ist ruiniert." „Oh, meine Ahnung! Und Papa? Wo ist Papa? Ist er tot?" hastete Florence ebenfalls leise flüsternd heraus. Nasch richtete sich Madame Belotti aus und schlug die Arme um ihr Kind. „Nein, nein! Papa ist nicht tot, Florence. Nur keine Angst. Jetzt gilt es Mut haben. Nein, nein! Was sie auch sagen mögen, Papa ist nicht tot. Sei tapfer und standhaft, mein Kind, was sie auch sagen mögen, hoffe nur. Noch kann alles gut werden." „Und wo ist Papa jetzt?" „Ich weiß es nicht, weiß es wirklich nicht. Aber wir werden es bald wissen. Hoffe nur! Hoffe das Beste, Florence." „Ruiniert!" flüsterte Florence leise und stand auf. Wie der müde hindämmernde Tag da draußen allmählich erstarb, seine Lichter erloschen. Form und Farbe im Dun kel verschwand, als ob sie nie gewesen, so sanken um sie herum die Illusionen, dieser Schmeichelklang des Lebens, die Vorteile und Annehmlichkeiten des Reichtums und der gesellschaftlichen Stellung, und die Nacht mit ihren un heimlichen, rätselhaften Schauern, Not und Sorge, Trauer und Trübsal brach an. Aber sie sank nicht kraft los und haltlos zusammen, wie ihre Mutter. Wie ver steinert starrte sie am Fenster stehend hinaus in, die Dämmerung, als ob sie mit dem leeren Blick die Rätsel der Zukunft ergründen wollte. VII. Ter Fall Belotti fing an, die öffentliche Meinung zu beschäftigen. Diese öffentliche Meinung — wenn man das Urteil der Menge über Dinge, von denen der einzelne nichts weiß, so nennen will — ging bisher dahin, daß die Firma I. B. Belotti L Co. über ungezählte Millionen verfüge und sowohl in Marseille wie in ganz Südflank reich von mächtigem Einfluß sei. Diese öffentliche Meinung stellte sich nun als eine Epidemie, als eine Art ansteckende Krankheit heraus. Jeder, der auf der Rue Cannebidrc vor dem opulenten Geschäftdhause I. B. Be lotti L Eo. voriibergegangen war — und das waren nicht nur fast sämtliche Einwohner von Marseille, sondern auch ein guter Teil der Fremden, die nach der Stadt kamen batte, ohne viel zu wissen, von den ungezahlten Millio nen und dein mächtigen Einfluß der Firma nachgeschwaht, wie er es vom ersten Besten, der auch nichts davon wußte, gehört. Wohl dem, der bei dieser Epidemie noch mit einem blauen Auge davon gekommen war. Es gab aber dabei, wie bei einer richtigen ansteckenden Krankheit auch Tote und Verwundete und eigentlich hätte die Polizei jedem verbieten müssen, über Sachen zu reden, von denen er nichts verstand und nichts wußte, um eben dieser Epi demie im Interesse des öffentlichen Wohles ihre Opfer zu entreißen. Aber die Weisheit der Polizei, die sehr auf geregt wird, wenn einmal jemand nach zehn Uhr abends auf der Straße pfeift, wußte von solchen Epidemien nichts, obwohl denselben bei jedem Bankkrach Hunderte und Tausende von unschuldigen Leuten im Lande zum Opfer fallen. Nun war die Blase geplatzt. Eines schönen Morgens, als kaum die Bureaus der Firma I. B. Belotti <8: Co. geöffnet worden waren, kam infolge der brieflichen Kon kurserklärung des Herrn I. B. Belotti als alleiniger In Haber der Firma ein Herr im Cylinder und mit der drei farbigen Schärpe um den Leib und klebte auf den Kassa- schrank kleine rote Papiersiegel mit dem Jdealkopf der französisck-en Republik. Dann schickte der Herr im Cylin der und mir der dreifarbigen Schärpe die Beaniten der Bank, die sich eben eingestellt hatten, um ihre Arbeiten zu beginnen, wieder nach Hanse — im Namen der fran- zösischen Republik -, schloß die Haupttüre von I. B. Be lotti L Co. von draußen zu und klebte von seinen kleinen hübschen Papiersiegeln ebenfalls einige in recht in die Augen fallender Weise an das Tor. Dann blieb er vor der kleinen Portierbude im Vestibül des .Hauses einen Augenblick stehen und sah zu, wie der Portier frühstückte. Vielleicht war er iin Zweifel, ob er die Portierbude auch versiegeln müsse oder nicht. Viel leicht betrachtete er sogar das frugale Frühstück des Herrn Sellier als zur Konkursmasse gehörig und ging niit dem Gedanken uni, Herrn Sellier eins von seinen Siegeln aus den Mund zu kleben. Ach, hätte er lieber den Schwatz- mäulern während der Epidemie seine Siegel anfgedrückt, so wäre vielen Kummer und Sorge, Verlust und Ver zweiflung erspart geblieben. „Sie sind hier Portier?" fragte der Herr niit der dreifarbigen Schärpe.
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