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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.08.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-08-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040801020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904080102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904080102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-08
- Tag1904-08-01
- Monat1904-08
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Anzeigen-Preis die (»gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redaktionsstrich («gespalten) 7Ü nach den Familiennach- richten lö gespalten) bl) Tabellarischer und Zisferniag entsprechend -oder. — Gebühren tür Nachweisungen und Ostertenan nähme 2b Extra-Veilageu lgesalzt», nur mit der Maraen-AuSaabe, ahne Postbesvrderung ./t tiO.—, >n i t Postbesörderung e 70.—. Anuahmrschluji für Anzeigen: Abend-Ausgabe; vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Ti» Expedition ist ivochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« abends 7 Uhr. Druck und «erlag von E. Polj in Leipzig (Inh. t>r. B., R. L W. Klinkhardt). Nr. 388. Var Aichtigrle vom Lage. * Die gestrigen Generalratswahlen in Frankreich lassen, soweit bis jetzt bekannt, «ine starke ministerielle Mehrheit gesichert erscheinen. (S. Ausland.) * Der Präsident des russischen MinistercomitöS Witte ist in Peter«burg eingetroffen. * Par Port Arthur wurden von den Japanern ,wei große russische Dampfer und ein Torpedo- dootszerstörer abgefangen. fftirrircder, von üem nicblr begannt virO. Tie inneren Zustände Rußlands nehmen gerade in dieser Zeit der Bonibenattentate unser Interesse in An spruch. Da veröffentlicht zu rechter Zeit die polnische Zeitschrift „Kuznica" aus R u s s i s ch -P o l e n eine Reihe Ltizzen, die keines Kommentars bedürfen, da sie in ihrer nackten Kürze deutlich zeigen, wohin der Absolutismus ssthren mutz, und waS in Rußland bitter not tut. Wir lassen hier in deutscher Uebersetzuna die folgenden Auf zeichnungen folgen: 1) Tas Warschauer Publikum kehrt aus dem Konzert garten „Bagatela" zurück. Die Straßenbahn ist über fallt. Da ein Polizeikommissar keinen Platz für seine Frau darin findet, verhaftet er den ersten besten Passa gier, laßt ihn durch einen Schutzmann nach seinem Revier- bureau abführen und bietet den nun frei gewordenen Platz seiner Frau an. Nach zwei Stunden findet er beim betreten seines Bureaus den Verhafteten darin vor. Er Novit ihm nun leutselig auf die Schulter mit den Worten: Ach Sie sind noch hier? Gehen Sie nur ruhig nach Haus, die Sache hat sich aufgeklärtI" Was tat jener Herr? Nun, er ging ruhig von dannen. 2) In einem Städtchen Russisch-Polens im Gouverne ment Lublin findet ein Batt statt. Es erscheint auf ihm em Finanzbeamter, vollständig betrunken, und will tanzen. Einige junge Männer werfen ihn zur Tür hinaus. Nach einer Weile kehrt der Beamte unter Poli- zeibedecknng zurück, flucht, zetert und benimmt sich der artig, daß die Damen sich schleunigst entfernen. Anderen Lages reichen die jungen Leute bei der Gouvernements- vmvaUung eine Beschwerde gegen den betreffenden Be> ainlen ein. Es wird ihnen aber dort der Rat zu teil, die Beschwerde zurückzuziehen, da die Sache ein „häßliches linde" nehmen könne. Angeblich soll nämlich einem Be amten im Ballsaal die goldene Uhr und ein Portefeuille mir einigen hundert Rubeln verloren gegangen sein. Man verdächtige natürlich niemand, aber die Sackte könne un- angenehm werden usw. So ging auch dieser Beamte straffrei aus. 3) Ein Herr A. eilt guer über die Trebackastraße in Warschau und wird von einem Wagen überfahren. „Paß doch aus!" ruft er dem Kutscher zu, der ihm als Antwort die Zunge zeigt. Nun rüst A. einen Schutzmann herbei, der den Wagen anhält. Aus dem Fenster beugt sich der Eigentümer des Wagens, überhäuft den Ueberfahrenen mit Schimpfworten und gebietet dem Schutzmann, den Ueberfahrenen zu verhaften, was der Polizeibeamte auch tut. Auf die Frage des Verhafteten, wer jener Herr Montag den 1. August 1904. 88. Jahrgang. war. der ihn verhaften ließ, entgegnet der Schutzmann: „Ich kenne ihn nicht genau, cs ist aber ein, hoher Beamter." Es war tatsächlich ein „der Perlon des Gou verneurs beigegebener Beamter", wie es in der russischen Amtssprache heißt. Herr A. kam auf 24 Stunden ins Polizeigefängnis und wofür? Weil der Kutscher eines Beamten ihn überfahren und ihn: dann die Zunge gezeigt hatte. Was tat Herr A,? Er sah ruhig die 24 Stun den ab. 4) Tin Herr S. fährt auf seinem Zweirad die Moko- tover Chaussee in Warschau entlang. Ein Beamter hält ihn an. „Wohin fahren Sie?" — „Spazieren." — „Haben Sie die Erlaubnis, auf dem Rade zu fahren?" Herr S. zeigt das rote Biller vor. „Das gilt für das Rad, aber nicht für den Fahrer", wirb ihm bedeutet. „Ter Fahrer hat einen Paß", erklärt Herr S. „Ach was, Paß", sagt der Beamte, „jeder Spitzbube hat einen Paß!" Was tat Herr S-? Nun, er zog einen halben Rubel hervor. Und was tat der Beamte? Er steate das Geld ein und sah sich um, ob nicht ein zweiter Radler in Sicht sei, v) Ein bekannter Gynäkologe wird von einem Husarenoffizier aufs Land zu dessen Frau gerufen. Als ihm darauf ein sehr geringes Honorar anqeboten wurde, nahm er dasselbe nicht an. Der Offizier überwies das Geld dem Roten Kreuz — im Namen des Arztes. Letz terer gab der Verwaltung des Roten Kreuzes eine darauf bezügliche briefliche Aufklärung. Was tat hier die Ver waltung? Sie steckte das Geld ein und schwieg. 6) Zwei Popen (russtsch-orthodoxe Geistliche) steigen auf der Eisenbahn in ein Abteil !. Klasse ein, haben aber Fahrkarten II. Klasse gekauft. Dem Schaffner, der sie darauf aufmerksam macht, sagen sie, sie „führen mit Gaben Gottes". Der Schaffner erstattet dem Kontrolleur auf der nächsten Station Rapport und dieser verlangt den Zuschlag. Die beiden Geistlichen rufen den Gen-armen herbei. Es entsteht ein furchtbarer Lärm. Die beiden Popen verlangen Aufnahme eines Protokolls, da die orthodoxe Kirche in ihnen beleidigt worden sei. Der Kontrolleur habe sie polnisch angesprochen. Als dem Kontrolleur infolgedessen Dienstentlassung droht, sucht er die Popen cmf und bittet sie um Verzeihung. Letztere wird ihm nach vielen Schmähungen gewährt, ja die Popen verwandten sich bei der Gendarmerie für den Beamten. Letztere will aber durchaus den Kontrolleur beseitigen. Da verfaßt der eine Pope einen Rapport, in dem es hießt, der Beamte habe nicht polnisch gesprochen. In Anbetracht dieser Erklärung verlieren alle Protokolle ihren Wert. — Ter Kontrolleur konnte sein Amt wieder übernehmen. Uni was handelte es sich dabei? Nun, der arme Beamte, der nur seine Pflicht getan, mußte sich aufs Tiefste ernied rigen. 7) Herr X bemüht sich um einen Auslandspaß. Alles ist erledigt. Der Beamte hat den Paß in der Hand und findet keinen Grund, ein Trinkgeld herauszupressen. Ta kommt ihm plötzlich ein genialer Gedanke. „Haben Sie einen Jnlandspaß?" fragt er. „Natürlich, hier ist er", entgegnete Herr L. „Dann kann ich Ihnen den Aus landspaß nicht geben, denn eine Person kann nicht im Besitze zweier Pässe sein." Was tat nun Herr L? Er legte einige Rubel auf den Tisch und plötzlich konnte eine Person zwei Pässe ihr eigen nennen. „Russisches, von dem nichts bekannt wird" heißen die Skizzen. Der Rukrtsnll Oer Herero. Trothas Vormarsch. Der Generalleutnant v. Trotha ist, wie nach einem Telegramm au» Okahandja bereits mitgeteilt wurde, am Mittwoch von Öwikokorero abmarschiert und war am Freitag in Ötjirr eingetroffen- Otjire liegt etwa üu Kilometer nörd lich von Öwikokorero in gerader Richtung nach dem Water- berg-Plateau. Bon allen Seiten rücken die deutschen Truppen nunmehr gegen die Waterbergstellung vor, die der Feind an scheinend immer noch in beträchtlicher Stärke hartnäckig be setzt hält. Dem „Lok.-An;." wird darüber aus Okahandja, 30. Juli, gemeldet! Auch auf der Südwest- und Südseite zieht sich der Kreis um den Waterberg immer enger. Das zweite Frldregiment unter Oberst Deimling ist im Marsche über Omaruru hinaus, seine Spitze im Marsch« auf Omusema Uarei. Die Abteilung Fiedler steht in Otjewarongo. Laut übereinstimmenden Meldungen der voraus geschickten Patrouillen unter den Leutnants Berneck, Asseburg und Leckow hält der Feind feine alten Stellungen am Waterberg besetzt. — Stabsarzt Franz ist in Owikokoreo am Typhus er krankt. Gestern wurde bei Uebrrbringung der Post von der Ab teilung Müller zu Heqde ein Bedeckungsmann meuchlings im Dorn- dusch erschossen. politische lagerrcha«. * Leipzig, 1. August. „Tas bedrohte TelbstverwaltungSrecht der Kosten" überschreibt Geheimrat Dr, Pfeiffer (Weimar) eine Mahnung an die Führer der Krankenkassenbewegung. Pfeiffer vertritt seit Jahren in Theorie und Praxis in der Krankenkassenpolitik den Standpunkt, daß die Aerzte koaliert gemeinsam mit Kassenvorstanden für die Interessen der Kassenmitglieder wirken sollen, nachdem sie ihre Beziehungen zu einander friedlich geordnet haben. In Thüringen ist dies verwirklicht. Unter Hinweis auf di« thüringischen Kraukenkassenverhättnisse schreibt Pfeiffer : Ich und mit mir alle auf dem sozialen Gebiet erfahrenen älteren Aerzte wünschten bisher nichts sehnlicher, als daß den Ortskranken kassen dir Selbstverwaltung erhalten bleibe und daß die in naher Frist kommende neue Krankenkasjennovelle die gesamte Krankenfür- forge nicht an die Gemeindeversicherung anschließe. Es ist auch von jüngeren, heißblütigeren Kämpfern auf diesem Gebiet nicht ein ein ziger Schritt geschehen, welcher dlr Selbstverwaltung beseitigen soll. Wenn in Leipzig, in Mühlhausen, in Köln, in Solinyeu die Behörde «ingegrtffen hat, so ist das lediglich dir Folge davon, daß die Parteipolitik in blinder Befangenheit geglaubt hat, den Aerzte- stand knebeln zu können. Warum wird dein fast 17 000 Mitglieder umfassenden wirtschaftlichen Verband der Aerzte Deutschlands die Zubilligung versagt, daß er eine Gewerkschaft ist- Girbt es über haupt eine Gewerkschaft in Europa, der so viel Prozent aller Standesgenossen angehvren, als der Wirtschaftliche Verband? Von den Praxis ausübenden Aerzten fehlen nur 2—3000. Warum machen die Kassen nicht ihren Frieden auf billige Bedingungen der Aerzte hin, wie es in Thüringen geschehen ist? Führen die fanatisches Kassenvor stände den Krieg fort des Krieges wegen? Wenn demnächst ein Teil der Selbstverwaltung, vielleicht die ganze Selbstverwaltung verloren geht, so sollen sich die Versicherten dafür bei dem Herrn Fraßdorf und Genossen bedanken Vielleicht ist es heute noch nicht zu spat zum Sinlenken. Die Entscheidung kann fallen auf dem Krankenkaisenkongreb iu München, und die Hoffnung ist nicht ganz aufzugeben aus Grund der in Leipzig stattgehabten, recht starken Verdünnung der ursprünglich ausgestellte» Thesen Die ärztliche Gegenorganijatlou hat in Leipzig die Feuerprobe bestanden; sie ist nach dein Rostocker Aerztetag fester als vorher. Die zukünftige Ausgestaltung der Krankenfürsorge mittels einer neuen Kassennovelle kann voraussichtlich gar nicht anders aus fallen, als bereits in Thüringen auf dem Boden absoluter freier Selbstbestimmung geschehen ist, In unterster Instanz werden lokale Differenzen geregelt zwischen de» lokalen Aerztevcreinen und den Kranken kassen; das können gemischt» oder paritätische Vertragskommissionen besorgen, von denen aber der Vorsitz eines unteren Verwaltungs beamten fern gehalten werden muß. Kommt in dieser unteren Instanz keine Einigung zustande, so entscheidet heute in Thüringen die paritätische Zeiitralkommiffion, ebenfalls ohne behördlichen Vor sitzenden. Vorsitz und Protokollfühcung wechseln nach Uebereinlom- men. An dieser Stelle aber muß eine Einigung zustande kommen, oder die ganze Organisation geht in Verlust. Was daraus folgen kann, ist heute unberechenbar. Hier ist zu bedenken oaß in Thüringen die erste, hauptsächlichste prinzipielle Vorfrage gelöst ist: die An erkennung des Koalitionsrechtes für die Aerzte. Bezüglich der nächst wichtigen zweiten Prinzipieusrage — freie 'Arztwahl — sei auf den Artikel von vr. Magen im „Aerztlichen Vereiusblatt" des 1. Juli 1904 nochmals verwiesen. (Magen will Fülle gelten lassen, wo von der freien Arztwahl abzuseken ist Tie Red.) Die freie Arztwahl ist anzuslreben, aber Ausnabmen sind zulässig, speziell für die ländliche» Kassen, «inen Teil dec staatlichen Kassen, sie muß angestrebt werden überall da, wo es sich um den Kampf mit Streikbrechern handeln kann Auch die zukünftige Gesetz gebung wird sich auf den Boden der freien Arztwahl stellen müssen, mit von vornherein genau bezeichneten Ausnahmen und den unentbehrlichen Kontrollmaßregeln Eine Minimaltaxe für Kaffen wird nie von den Aerzten acceplierl werde». Somit bleiben eigentlich gar keine weitere» Prinzipienjrageu van Seite» der Aerzte übrig, mit Ausnahme des Vorsitzes in den Zentral kommissionen Erhalt in denselben ein höherer Verwattungsbeamter den Vorsitz (um Assessoren kann es sich nicht handelns so geht aller dings den Aerzten ein Teil der Selbsthilfe, de» Kasse» ei» noch größeres Stück der Selbstverwaltung verloren. Die selbstverständlich vom Gesetze diesen Zeiitrattvinittissioiieii zugesprocheiie letztinstanzliche Entscheidung, bindend für die Aerzte nnd für die riassen, liegt als dann nicht zum geringsten Maß in der Hand der Regierung. Jedes einzelne Mitglied des Wirtschaftlichen Verbanoes hat sich deshalb heute die Frage vorzulegen, ob cs dem augestrcblcn Ziel, Koalitionsfreiheit auf Grund der freien Arztwahl, auch zustimmcn will, wenn ein höherer Berwaltungsbeaniler als Vorsitzender der Zentralkommission fungiert. Ich würde gern „Nein" sagen. Tie Zustände in Thüringen würden das gestatten. Die heutigen Zu stände in Leipzig, Berlin, Hamburg zwingen jedoch dazu, „Ja" zu sagen, um ein Schisma innerhalb des deutschen Aerztevcreins- bundes zu verhüten. Wer heute eine rcicksgesetzliche Regelung der Beziehungen der Aerzte zu allen Krankenkassen wünscht, wird zu stimmen müssen, wenn der Reichstag iu seiner Mehrheit die Frage in der Weise löst, wie es in Thüringen aus Grund der freien Arztwahl versucht ist, und wird auch den höheren Verwattungs- beamten als Vorsitzenden der entscheidenden Berufungsinstanz sich gefallen lassen müssen. Feuilleton. Der Fall Selotri. Roman von Wolde mar Urban. Nachdruck verboten „Fahren Sie in die Uno cke» bovves kemiue», wo sich das Bureau von Mastre Lejeune befindet", sagte er end lich dein Kutscher und dieser machte sich mühsam in der anfgegebenen Richtung Bahn. Ter Oberst dachte zunächst dort mit seinem Schwie gersohn in deni Advokaten Thomas Meunier zu sprechen. Tas war natürlich auch keine Vergnügungs fahrt. denn ob Herr Meunier unter den veränderten Umständen noch darauf reflektierte, sein Schwiegersohn zu werden, stand noch sehr dahin. Herr Meunier war nicht iu der Lage, eine arme Frau zu Giraten und wenn sie noch so hübsch war. Er hatte selber nichts. Seine Eltern waren tot und nur ein allerdings sehr vermögen der Onkel von ihm kam noch in Frage. Aber mit diesem Onkel batte es auch seine besondere Bewandtnis. Schon vor zwei Jahren erklärte dieser: „Nein! mein Neffe ge- fällt mir nicht, er gefällt mir durchaus nicht, ich kann ihn nicht leiden," und kurze Zeit darauf heiratete er seine Haushälterin. Aber irgend etwas mußte der Oberst doch tun, und so fuhr er in Gottes Namen zu Herrn Meunier. Er hatte dabei noch die dunkle Idee, daß er bei dem bevorstehenden Konkurs irgend eine Rechtsvertretung brauchen würde, um seine Interessen richtig zu verfolgen. Vielleicht kam noch etwas dabei heraus, vielleicht nicht, aber geschehen mußte etwas. Als er vor dem Bureau des Mastre Lejeune hielt, stand dieser selbst mit einem Herrn in der Tür, den Oberst Vilieneuve nicht kannte. Der Oberst hätte in seinem Zu stande am liebsten jetzt gar niemand gesehen oder wäre am liebsten von gar niemand gesehen worden, aber er konnte doch nicht über die Herren Hinwegspringen, um in das Haus zu gelangen. Herr Lejeune kniff bei seinem Anblick die kleinen scharfen und schlauen Augen noch mehr zusammen. „Was! Herr Oberst, sind Sie es oder sind Sie es nicht? sagte der kleine Advokat lebhaft. Sie sehen ja aus, als kämen Sie direkt aus der Schlacht. Ich dachte, Ihre Tienstjahre seien längst vorüber." „Ich bitte um Verzeihung, ist Herr Meunier zu sprechen?" sagte der Oberst, ohne auf die spaßige Art des Maitre Lejeune einzugehen. „8acr6 vom ck uv clneu, jetzt wird mir alles klar, Herr Oberst", fuhr dieser fort. „Sie sind auch ein Leid tragender von Belotti <L Co. und kommen jetzt aus der Bataille auf der Rue Cannebitzre. Sehen Sie, Herr Vicomte", wandte er sich an den anderen Herrn, „so gehts dort zu. So sähen Sie auch aus, wenn Sie hingegangen wären. Nur ruhig Blut. Darf ich die Herren bekannt machen? Vicomte Andr6 de Saint-Bon, Hauptgläubiger von Belotti <L Co., Herr Oberst Villeneuve." „Herr Oberst", sagte der Vicomte, militärisch salu tierend, „gestatten Sie einem jüngeren Kameraden, Ihnen sein Honneur zu machen. Kapitän im 176. Regi ment, seit acht Tagen aus Tongking zurück." „Herr Kapitän, Sie sind auch ?" begann der Oberst „Hauptgläubiger, Hauptgläubiger", platzte Herr Le jeune heraus. „Es handelt sich um nichts Geringeres als eine Million Francs. Sie sehen, Herr Oberst, Sie sind noch imnier nicht am schlechtesten d ran." „Eine Million ist viel, Mastre Lejeune", antwortete der Oberst schwer und ernst, „aber bei mir handelt es sich um mehr, denn bei mir handelt es sich um alles, was ich besitze — oder besaß." Während dieser Unterhaltung waren die Herren in das Bureau des Mastre Lejeune eingetreten, wo sich ihnen Herr Meunier zugesellte. Er lief lebhaft auf den alten Oberst zu und drückte ihm erregt die Hand. „Mein werter Herr Oberst", sagte Herr Meunier, „Sie sehen mich untröstlich und ich beeile mich, Ihnen mein tiefstes Bedauern bei diesem skandalösen Vorfall auszudrücken." Das klang ganz hübsch, aber er hätte lieber wissen mögen, wie Herr Meunier über seine Heirat dachte. Daß diese, wie verabredet war, im Oktober stattfinden sollte, daran war ja nun nicht zu denken. Im Gegenteil mußten alle Vorbereitungen dazu, so weit das möglich war, rück- gängig gemacht werden. Wie das dann später wurde, darüber ließ sich Herr Meumer nicht uus und darnach fragen wollte der Oberst auch nicht. Er fühlte ganz richtig, daß das eine Angelegenheit war, die zwischen den jungen Leuten selbst erledigt werden wußte. „Mein lieber Herr Meunier", sagte ec deshalb, „ich weiß, daß Sie die Vorgänge ebenfalls bedauern, und ich danke Ihnen dafür. Aber es handelt sich für mich zu nächst darum, die neue Sachlage meiner Enkelin und ihrer Mutter beizubringen, natürlich aus eine möglichst schonende Art, damit sie sich keinen übertriebenen Be fürchtungen hingeben. Aber ich muß gestehen, daß ich bisher dazu noch nicht den Mut gehabt habe, und daß ich zu Ihnen kam, um mit Ihnen darüber zu sprechen. Würden Sie es nicht übernehmen wollen, ihnen in schonender Weise die erste Mitteilung davon zu über bringen?" Herr Meunier besah sich seine Stiefeln. „Hm", machte er nachdenklich und zögernd, „ja, Herr Oberst, das werde ich gern tun, wenn Ihnen damit ge dient ist. Sie werden begreifen, daß es auch für mich nicht gerade verlockend ist, eine solche Mission zu übernehmen, aber ich werde es tun, weil ja doch einmal gewisse Aende- rungen werden stattfinden müssen, die ich am besten mit Saintine selbst bespreche." „Das dachte ich auch, Herr Meunier, und deshalb bitte ich Sie, sich womöglich gleich zu den Damen zu begeben und — „Gewiß, gewiß. Ich gehe sofort. Ich möchte natür lich selbst nicht, daß Saintine oder ihre Murrer von anderer Seite erfahren, was sie nicht vorsichtig genug hören können. Ich gehe sofort, während Sie, Herr Oberst, vielleicht mit Maitre Lejeune die Schritte be sprechen, die geschehen müssen, um die juristische Sach lage zu klären." Damit verabschiedeten sich die beiden Herren, und während Herr Meunier sich zu Frau Doktor Villeneuve und Saintine begab, trat der Oberst mit Vicomte Andr6 in das Privatbureau des Maitre Lejeune, um die Rechts- läge zu besprechen. Man fand sofort heraus, daß in der Sache vorläufig nicht viel geschehen konnte. Jeder mußte seine Forde rung so gut wie möglich bewiesen und beglaubigt dem Prokurator Laroche einreichen und dann einfach warten, bis das Konkursgericht bestellt wurde und zusammentrat. „Haben Sic Ihre Papiere bei sich, Herr Oberst?" fragte der Advokat. „Jawohl", antwortete dieser gewissenhaft. „Der Depotschein ist da, die Ouittungen sind da, die Zinsen berechnungen sind da — es ist alles da, Herr Lejeune, nur das Geld ist nicht da." Herr Lejeune sah ihn ickmrf und pfiffig an. „Auch das Geld ist da Herr Oberst", sagte er dann, „aber es ist nur nicht hier. Aber jedenfalls ist es irgend wo, und unsere Aufgabe ist, es zu suchen und zur Stelle zu schaffen. Das Geld ist kein Ding, was spurlos ver schwindet. Es ist wie ein Kobold, der sich manchmal ver steckt und dann vorwitzig aus irgend einer Ritze oder einem Loch vorguckt, um zu sehen, ob man ibn auch sucht. Nur Mut, Geld verschwindet nicht. Man wirft es nicht ins Meer, inan verbrennt es nicht, auch verdampft es nicht in die Luft. Es bleibt also da. Wer weiß, wie gut und sorgfältig man Ibnen Ihr Geld aufbewahrt. Nur Mut, wir werden e- schon finden. Geben Sie mir nur die leiseste Spur, nur den Schatten vom Schatten einer Spur, und ich finde es, wo immer der Teufel oder Herr Belotti es hingetan haben mag."
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