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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.08.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-08-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040805025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904080502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904080502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-08
- Tag1904-08-05
- Monat1904-08
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Anzetgen-PretS die 6 gespaltene Petitzeile S5 Reklamen unter dem Redaktiousstrtch (4 gespalten) 7b nach den Familiennach richten iS gespalten) bO Tabellarischer und Hiffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertrnannahme 2b Aunahmeschlutz für Anzeigen. Abend-AuSgabe: vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittag- 4 Uhr. ^rtra-Veilage« (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrfördrruag 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig (Inh. vr. B., R. L W. Slinkhardt). 98. Jahrgang. vss lvicdlig-le vom Lage. * Die Londoner Blätter veröffentlichen ein schreiben des Premierministers Balfour an ein Unterhausmitglied. Der Minister betont darin, daß er eine Fremdengesetzgebung für sehr wichtig halte und keine Zeit verlieren werde, die Schwierigkeiten zu bekämpfen, die einer derartigen Gesetzgebung im Wege ständen. * Auf der Moskau — Kursker Bahn wurde bei Moskau ein Japaner verhaftet, während er eine Zeichnung der Konstruktion der Bahn- brücke anfertigte. Die bei ihm gefundenen Pläne und Zeichnungen machen ihn in hohem Grade verdächtig. * Nach einer Meldung der „Nowoje Wremja" aus Wladiwostok beschloß das Prisengericht in Wladiwostok, von der Ladung der beschlagnahmten „Arabia" nur die nach den Häfen Japans bestimmten 59 000 Pud Mehl und Eisenbahnmaterial zu konfis zieren, die nach Hongkong bestimmten 142500 Pud Mehl und den Dampfer dagegen" frei- z u g e b e n. eine fteichrgesadt. In unserem heutigen Morgenblatte haben wir die Aus lassung des „Dresdner Journals" abgedruckt über die Monarchenbegegnung in Gastein. Diese paar warmen DegriißungSworte des amtlichen Organs haben in Preußen Mißfallen erregt, wie man aus folgenden auffällig gedruckten und plazierten Zeilen der „Mgdb. Ztg." sieht: Das amtliche „Dresdner Journal" feiert in etwas über schwänglicher Weise die Zusammenkunft des Kaisers von Oesterreich.Ungarn mit dem Könige von Sachsen. Die Beziehungen des österreichisch-ungarische» zum sächsischen Volke würden dadurch neue Befestigung und Förderung erfahren. Es ist ja sicherlich ganz erfreulich, wenn deutsche Bundes- jürsten an der Befestigung unserer auswärtigen Beziehungen Mit arbeiten; die Leitung dieser auswärtigen Politik liegt aber beim Kaiser und beim Reichskanzler. Das sächsische Volk stebt gleich allen anderen deutschen Völkern unter dem sicheren Hut -es Reichsadlers. Wir sind aufrichtig erstaunt über diesen Ausfluß von Partikularistenfurcht und noch überraschter dadurch, daß er sich gegen.Sachsen wendet. Wenn irgendwo der Reichs gedanke fest gewurzelt ist, so in Sachsen; und wenn irgendwo in einem deutschen Fürstenhause das deutsche Reich als gemeinsames Gut aller deutschen Stämme, als unbedingt notwendigen Faktor ;ur Machtentwicklung des Germanentums erkannt und gewürdigt wird, so ist es im Hause der Wettiner der Fall. Dafür sorgt schon die Tradition, die uns als Erbteil des deutschen Heerführers Albert von Sachsen überkommen ist und bei seinem königlichen Bruder eine gute, mit seinem Worte ver bürgte Statt hat. Was soll es heißen: Die Leitung der auswärtigen Politik liege beim Kaiser und beim Kanzler? Wer hat daS be stritten? In dem Artikel des „Dresdner Journals" war überhaupt nur ein einziger Passus, der über die persönliche Seite der Gasteiner Zusammenkunft hinauSging, und da heißt eS, es sei zu hoffen, „daß durch den Austausch persönlicher Gefühle der beiden Monarchen auch die wechselseitigen Beziehungen des österreichisch ungarischen und deS sächsischen Volkes neue Befestigung und Förde- rung erfahren". Wer ist so geübt in der JnterpretationSkunft, um daraus zu lesen, in Dresden habe man das Bestreben, dem Kaiser und seinem Kanzler die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten aus der Hand zu winden? Darf denn ein Bundesstaat gar nicht mehr an seine selbständige Existenz erinnern? Wir meinen, e« existierten sogar gewisse in der Verfassung garantiert« Reservatrechte, zu denen auch die sächsische Gesandtschaft in Wien gehört. Schon dadurch wird ausgedrückt, daß Sachsen einiges Ge schäftliche mit Oesterreich-Ungarn auf eigene Hand zu ordnen hat. Sind nicht überdies z. B. die Zollangelegen heiten des Reiches den Bundesstaaten überantwortet und grenzt nicht Sachsen an Böhmen? Haben wir in Sachsen nicht einen außerordentlich starken Handelsverkehr mit Oester reich? Da wird doch wohl noch gesagt werden können, daß die Beziehungen der beiden benachbarten Völker Befestigung und Förderung erfahren mögen. Es wäre recht angezeigt, in diesen recht delikaten Ange legenheiten auch recht behutsam und feinfühlig vorzugehen — ungefähr so, wie daS ein gewisser Bismarck verstanden hat, der doch auch ein deutscher Staatsmann war und gerade deswegen die Bundesstaaten mit dem größten Respekt behandelte. Man möge in Preußen ganz beruhigt sein. Von Sachsen aus sind Uebergriffe nach der Seite der Reichshoheit hin nicht zu erwarten. Wir wünschen nur dringend, überall und zu jeder Zeit eine gleich eifrige Behütung der einzelstaatlichen Rechte anzutreffen, wie sie denen des Reichs in Sachsen mit Freuden gewährt wird. 8. Lolitircbe Lager-Hau. Leipzig, 5. August. Abiturlrnteustatiftik Aus einer Statistik über die Religionsverhältnisse der Abiturienten auf preußischen höheren Schulen (Gymnasien, Realgymnasien und Oberrealschulen) ergibt sich, daß die Katholiken nicht nur absolut — was sich bei der größeren Zahl von Evangelischen von selbst versteht —, sondern auch relativ erheblich hinter den Evangelischen zurückstehen. Der Bevölkerungsziffer nach machen die Katholiken in Preußen etwas über ein Drittel aus, die katholischen Abiturienten aber nur wenig mehr als ein Viertel der Gesamtzahl der Abiturienten. Ganz besonders groß ist daS Mißverhältnis aber in den Realanstalten, wo die Katholiken statt 34 Proz. nur 10 Proz. der Abiturienten auSmachen, also noch nicht ein Drittel so viel, als ihnen der Bevölkerungszahl nach zu käme. Die „Köln. VolkSrtg." selbst muß zugeben, daß dadurch die Katholiken bei den Leistungen auf dem immer wichtiger werdenden technischen Gebiete ganz ins Hinter treffen gelangen müsse und sie sagt: „Später wären dann eventuelle Paritätsklagen ein Hohn auf die tatsächlichen Verhältnisse. Diese Worte wird man sich merken müssen, denn sich darauf verlassen, daß, wenn die technischen Hochschulen und sonstigen technischen Einrichtungen dem Zuge unserer Zeit entsprechend immer mehr vermehrt werden, sehr bald die Paritätsklagen aus dem klerikalen Lager erschallen werden. Den Vorsprung, den die Evangelischen dadurch haben, daß eine verhältnismäßig große Zahl von Pfarrers söhnen sich wissenschaftlichen und technischen Studien hingibt, will daS rheinische Blatt dadurch ausgeglichen wissen, daß katho lische Geistliche Gymnasiasten, bezw. Studenten ihrer Kon- fession materiell unterstützen sollen. Glückauf — an Mitteln und Gelegenheit dazu wird eS ja vielen katholischen Geist lichen nicht fehlen. Der Rordostscekanal keine internationale Fahrstrasse Unsere Nachricht bestätigt sich, daß man in Rußland eine zeitlang daran gedacht bat, die russischen Kriegsschiffe, die nach Ostasien gehen, durch den Nordostseekanal fahren zu lassen. Dieser Gedanke hat bei unserer Regierung keine Gegenliebe gefunden. In einer anscheinend offiziösen Darlegung wird hervorgehoben, daß der Kaiser Wilhelm- Kanal nicht etwa wie der Suez-Kanal eine internationale Wasserstraße sei, sondern daß dieser Verkehrsweg einen durchaus nationalen Charakter trage. Wenn fremde Kriegs schiffe ihn passieren würden, so wäre das gleichbedeutend mit dem Durchzug von HeereSabteilungen einer solchen fremden Macht durch deutsches Landgebiet. Wir können unS mit dieser Auffassung nur einverstanden erklären und freuen uns, daß die Regierung die Neutralität, die als politischer Grund satz für die Kriegsdauer festgeleat worden ist, auch hier in der Praxis zu wahren gewußt hat. Stae finanzpolitische Verfügung. Der preußische Minister des Innern bat an die Provinzialbehörden folgende Verfügung gerichtet: „Mittels Runderlaß vom 5. März d. I. sind Ew. H. ersucht worden, auf die Kommunalbehörden, öffentlichen Sparkaffen usw. dahin einzuwirken, daß auch sie — ebenso wie die in dem Rund erlasse vom 31. Januar d. I. gedachten Behörden — bei vor kommenden Geldgeschäften sich möglichst der Seehandlnng be dienen. Um einer mißverständlichen Auffassung jenes Erlaßes entgegenzutretrn, mache ich zur gesl. Beachtung darauf aufmerksam, daß ei«Ausschluß derPreußischenCentral-GenosseuschaftS- lasse von dem Verkehr mit den kommunalen Kaffen und Instituten dadurch selbstverständlich nicht hat herbeigeführt werden sollen." Die Seehaudlung ist jetzt bekanntlich der Herren Minister liebstes Kind. Sehr deutlich geht aus der oben mitgeteilten Verfügung diese Vorliebe hervor, gerade weil in ibrem letzten Satze Licht und Schatten anscheinend gleichmäßig verteilt wird. Die Gründe dafür dürften anderen Leuten schwer einleuchten. Warum eigentlich die Kommunalbehörden und öffentlichen Sparkassen sich bei ihren Geschäften nicht ebensogut der Reichsbank oder anderer vertrauenswürdiger Institute bedienen sollen, ist das Geheimnis des preußischen Finanzministers. Hoffentlich werden die preußischen Kom munalbehörden sich nicht ganz suggestionsfähig zeigen, wie der Herr Minister glaubt. Sie werden Wohl nach eigenem Gutdünken darüber befinden, wem sie ihr Vertrauen zuwenden wollen, schon aus dem gewiß einleuchtenden und durch schlagendem Grunde, weil sie ja den von ihnen vertretenen Gemeinden verantwortlich sind. Die MarrakkofraOe. Ueber die zwischen Frankreich und Spanien ge führten Unterhandlungen kann nach einer uns aus Madrid rugehenden Meldung auf Grund zuverlässiger Erkundigungen folgendes festgestellt werden: Spanten verlangte, daß beide Regierungen öffentlich und in un zweideutiger Weise erklären, welche Stellung sie gegenüber den so genannten Thronbewerber Bu Hamara und dessen Verbündeten Bu Amena einnebmrn. Nachdem der Sultan und in gewisser Be ziehung auch die Mächte den Kabylenhäuptlina Raisnli als ziem lich selbständigen Gebieter des nordwestlichen Bezirkes anerkannt haben, so muß auch das Verhältnis Bu Hamaras der eine ähnliche Stellung in Nordwesten beansprucht, geregelt werden. Denn augenblicklich weiß Spanien nicht, wer der tatsächliche Machthaber in den Nachbargebieten der spanischen Städte Ceuta und Melilla ist. E« mußte also nach der Ansicht Spaniens der Sultan in Stand gesetzt werden, in dem Nordostbezirk tatsächlich seine Herrschaft wieder herzustellen, oder aber das Vasallenverhältni« der bisherigen aufständischen Häuptlinge zu umgrenzen. — In diesen Forderungen Spaniens hat Frankreich bisher noch keine bestimmte Stellung eingenommen, da es zuvor nur die Angelegenheiten in Tanger bezw. im Nordwesten des Sultanats regeln will. Deshalb stehen in Wahrheit die Verhandlungen beider Staaten auf dem toten Punkte. Deutsches Deich. * Leipzig, 5. August. * Znm neuen Mirbach-Fall. Bei Besprechung des lahmen Dementis, das der „B. L.-A." in der neuen Mirbach- Angelegenheit brachte, haben wir bereits darauf hin^ewiese», daß der letzte Satz desselben ein halbes Eingeständnis enthält. Den gleichen Eindruck hat auch die „Rh.-Westf. Ztg." gehabt, die jetzt schreibt: Wenn man bedenkt, daß es in der Begründung deS reich-gericht lichen Urteils heißt, ein Beweis, daß der Beklagte (der Prinz nämlich, seine Behauptungen (Versprechen einer Standeserhöhung seiner dama ligen Braut) wider besseres Wissen aufstelle, ist von den Klägern (Frhr. Mirbach und Genossen) nicht erbracht worden, dann dünkt uns die von durchaus kompetenter Seite dem „L.-A." zugekommene Erklärung recht ungenügend. Denn der letzte Satz enthält ver klausuliert doch das Zugeständnis, daß eS sich, wenn nicht um eine StandeSerhöhung im techutsck- beralvischcn Sinne, so doch nm etwa- ähnliches gehandelt hat. Denn anders können wir die Worte, „daß die Dame nach der Vermählung mit dem Prinzen als dessen ebenbürtige Gattin und in diesem Sinne als Prinzessin hätte anerkannt werden sollen", nicht verstehen. Wird dies aber zugegeben, dann liefert die peinliche Angelegenheit eine» weiteren Beitrag zu den unerfreulichen Vorgängen, die die Oeffentlichkeit alS Mirbachiaden zn bezeichnen sich schon gewöhnt hat. Im allgemeinen Interesse aber scheint es uns zu liegen, daß endlich vollständige Aufklärung erfolgt und dies unerquickliche Kapitel der inneren preußischen Geschichte geschloffen werden kann. Das am meisten beteiligte Blatt der Mirbach-Kreise, der „Reichsbote", nannte gestern die von uns mitgeteilte Sach lage „so ungeklärt wie möglich" und fuhr dann in tiefem Schmerze fort: Trotzdem benutzt die liberale Presse die Geschichte bereits auf das tendenziöseste und meint, sie muffe dem Fasse den Boden auS- schlagen, da Frhr. v. Mirbach sich unterfangen haben soll, Gnaden beweise der Krone Preußen bei seinen persönlichen Geschäften als Wertobjekte zu benutzen. Usw. Da wird man doch wohl noch ein Recht haben, den so schwer Angegriffenen zunächst über die Sache zu hören, die da mit der allerpersönlichsten Tendenz wieder aus- Feuilleton. Der Fall Belotti. Roman von Woldemar Urban. Nachdruck verboten. „Ist jetzt jeniand dort drinnen?" fragte er den Diener, indem er nach diesem Salon wies. .Nein", erwiderte dieser. „Madame Belotti befindet 'ich mit ihren Töchtern im ersten Stock." „Gut, melden Sie mich." Ter Diener ging und .Herr Lejeune sah sich inzwischen den Salon im Parterre an. Als der Diener zurückkehrte und ihn mit einer einladenden Bewegung die Treppe hinauf führen wollte, winkte er ihn zu sich heran und 'sicherte ihm leise zu: „Still I Man bringt die Leiche des Herrn Belotti, -ic können wohl die Leute einstweilen, ohne Geräusch zu machen, dort in den Salon bringen, bis ich die Ange hörigen entsprechend vorbereitet habe?" Ter Diener trat erschrocken einen Schritt zurück, dann beugte er sich aufgeregt vor, um nach dem Garten hinaus >u sehen. „Machen Sie nur kein Geräusch", fuhr Herr Lejeune fort, „die Leute werden gleich kommen. Ich gehe hinauf. Ich kann mich doch auf Sie verlassen?" „Mein Gott, mein Gottl der Herr ist tot? Wie? Nun natürlich, ich werde tun loas ich kann, Herr Lejeune", antwortete der Diener offenbar verwirrt. „Dor allen Dingen machen Sie keinen überflüssigen Lärm und tun Sie, was ich Ihnen sagte", fügte Herr Lejeune noch hinzu und schritt die Treppe hinauf. Madame Belotti stand im großen Salon im ersten ^tock am Fenster, daS in den Garten hinunterging. Alk Herr Lejeune cintrat, ging sie rasch vom Fenster fort und "tzte mit ziemlicher Aufregung die kleine Hermana, die am Boden auf dem Teppich saß und mit einem kleinen hölzernen Eselgespann spielte. Einige Sekunden stand der Advokat stumm an der Tür und iah dem zu. Dann, als ob sie ihn erst jetzt be merkte, wandte sich Madame Belotti ihm rasch zu und sagte: „Herr Lejeunel oh, bitte um Verzeihung, wenn ich Sie nicht gleich bemerkte. Sie wünschten mich zu spre chen Ich bin zn Ihrer Verfügung. Ich weiß, daß Sie mir sehr weh tun und mir vielleicht eine Menge Sachen mitteilen werden, von denen ich nichts verstehe. Aber sprechen Sie immerhin. WaS sein muß, will ich tragen." „Ich komme eigentlich nicht in Geschäften, Madame, wiewohl wir auch davon zu sprechen hätten. Zunächst aber ist es mir Pflicht, Ihnen eine leider traurige Nach richt zu übermitteln", sagte Herr Lejeune ernst und lang- sam. Madame Belotti wurde plötzlich sehr bleich, biß die Lippen zusammen, als ob sie einen inneren Schmerz oder große Erregung gewaltsam unterdrücken wolle. So stand sie einen Augenblick, mit der Hand fest auf eine Stuhl- lehne gestützt, still. „Sprechen Sie nur Herr Lejeune", sagte sie dann nach einer kleinen Pause gepreßt. „Ich habe in diesen letzten Tagen soviel ertragen, soviel erlitten, daß ich glaube, auch daS Letzte und Asußerste erdulden zu können." „Ich würde aber vorziehcn, Ihnen meine Mitteilung unter vier Augen zu machen, Madame." „Wie? Selbst dieses ahnungslose Kind stört Sie? Nun gut. Wie Sre wollen. Komm, mein Herz", wandte sich dann Madame Belotti zu dem hübschen Kinde. „Geh zu deinen Schwestern. Hermana. Geh zu Florence, mein Lieb, nimm dein Wägelchen mit." Es war ein rührendes Bild, wie sie das harmlose Kind, das noch für nichts Auge und Sinn hatte als für sein Eselgespann, langsam, den Wagen aufmerksam hin ter sich herziehend, fortführtc. Gleich darauf trat sie wie- der ein. Sie war jetzt entsetzlich bleich, aber noch immer lag in ihren Zügen eine gewisse Entschlossenheit, als wolle sie sich gerade jetzt nicht schwach finden lassen. „Was haben Sie mir zu sagen, Herr Lejeune?" fragte sie etwas leiser als vorher. Es schien, als ob sic Angst vor seiner Mitteilung habe. „Ich komme von Ihrem Herrn Gemahl." Wieder faßte sie rasch nach einer Stuhllehne, um sich darauf zu stützen. Es schien sie ein leichtes Zittern zu befallen. „Don Jean!" erwiderte sie leise. „Wo — — wo ist er?" „Ganz in Ihrer Nähe." „Wie?" fuhr sie heftig erschrocken auf. „Bitte, fassen Sie sich, Madame Belotti. Zeigen Sie sich stark." „Er er ist tot!" schrie sie plötzlich laut auf. „Wie? Ist er tot, Herr Lejeune? Ich bitte, ich beschwöre Sie, geben Sie mir Gewißheit. Sie sagen nichts? Sie blicken zu Boden? Allmächtiger da droben das — das ist zuviel." Herr Lejeune hob den Blick wieder und sah sie an. Sic war in einem Sessel zusammengesunken und be deckte das Gesicht mit dem Taschentuch, als ob sie heftig weine. „Fassen Sie sich, Madame. Man kann sich ja geirrt haben", fuhr er tröstend, aber eigentümlich kühl fort. „Deshalb sind wir ja hier. Vielleicht haben wir uns geirrt. Dollen Sie ihn sehen?" «Wen? Ist er hier?" „Er ist in Ihrem Hause, unten im Vestibül. Wollen Sie ihn sehen?" Sie stand entschlossen auf. „Selbstverständlich", erwiderte sie fest, „kommen Sie. Was was sagten Sie eben? Sie verzeihen, daß ich Sie nicht recht verstanden. Sagten Sie nicht, man habe sich geirrt?" „Ich sagte, man könne sich geirrt haben." „Inwiefern?" „Sie werden gleich selbst sehen, Madame, Bitte kom- inen Sie." Sie reichte ihm ihre Hand und er führte sie über den Flur hinweg nach der Treppe. In demselben Augen blick, als sie die Treppe hinunter gehen wollten, öffnete sich eine im Korridor weiter zurückliegende Tür und Fräulein Florence trat aus dieser heraus. „Mama!" rief sic in höchster qualvoller Aufregung. „Bitte mein Kind", antwortete Frau Belotti rasch und eifrig, „bitte gebe in dein Zimmer. Nein sage nichts. Ich komme sofort zu dir. Du sollst alles wissen, aber jetzt gehe in dein Zimmer." Einen Augenblick blieb sie noch auf den obersten Stufen der Treppe stehen, um sich zu überzeugen, daß Florence wirklich in ihr Zimmer zurückgekehrt war. Dann erst ging sie mit Herrn Lejeune weiter. Ter Advo kat fand an dem kleinen Zwischenfall nichts auffallendes, denn es war nur natürlich, daß man die Kinder erst aus das Wiedersehen mit ihrem Vater vorbereiten mußte. Er selbst hatte ja deshalb die kleine Hermana fortgesandt. Im Vestibül standen die Träger herum, die de« Körper Belotti» gebracht und gafften die vornehme Frau an, die so bleich und verstört die Treppe herabkam. Ter Diener ging bestürzt und mit Tränen im Auge ab und zu. Der Kommissar selbst stand drinnen im Salon, wo man die Leiche aus eine mit dunkelgrünem Plüsch über zogene Chaiselongue gelegt hatte. Als Frau Belotti in den Salon eintrat und ihr Auge kaum den auf der Chaiselongue liegenden toten Körper erfaßt hatte, löste sie rasch ihre Hand aus der des .Herrn Lejeune, eilte auf die Chaiselongue zu und warf sich mit einem lauten, erschütternden Schrei über den Toten weg. „Jean", rief sie niedrere Male ganz verzweifelt, „Jean, warum so eilig? Warum hast du mich nicht mit genommen?" Sie konnte vor Schluchzen kaum sprechen und warf sich immer von neuem wieder zuckend und tastend über den Toten hin.
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