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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 02.01.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-01-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070102021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907010202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907010202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-01
- Tag1907-01-02
- Monat1907-01
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BezuqS-PreiS Handelszeitung Amtsblatt des Rates und des Ralrzeiamtes der Ltadt Leipzig -tedatttan unl> ExpeSUiou: ZohanniSgasse 8. Trlepboa Nr. 183^ Nr. 22L Nr. 1178. Berliner Aedatttons-Vureau: Berlin bUV. 7, Prinz Loui» Fervmand- Stratze 1. Telephon I, Nr. 9278. Diese Nummer kostet auf 4 Z» ML allen Bahnhöfen and bet III )»Ass den Zeitung»-Berkänsern I für Leipzig uud Vorort»: I» der Hanpi- Expeditton oder bereu Ausgabestellen ab- , grhoÜ monatlich: «u-gabe (1 mal täglich) M M 70 Pf-, «u«gabe v <2 mal täglich) 80 Pf., bei Zustellung in» Hau» «u-gabe 80 Pf., MM . W W -DI Fl ^^^IHI^II *V »111^1 IIII UD IIII,11IIIII sL «dd Abend-Ausgabe 8. AnHeiae«oVre,s die S gespaltene Petit-eile für Geschäft»» Inserate an» Leipzig und Umgebung 28 Pf, Familien^ Wohnung«- o. Stellen-Anzeigeu. sowie An- und BerkSuse 20 Pf, fiaouzlelle Anzeigen 30 Pf, für Inserate von auSwärt» 30 Pf. Reklamen 78 Pf, ao-wärt» 1 Mark. Beilage gebühr 4 Mark p. Tausend exkl. Postgebühr. GeschüftSauzetgen an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Tarti. Für Inserate vom Au»land« besonderer Tarif. An»eige».Alluahme: AuguftuShlasi 8, bet sämtlichen Filialen n. allen An noncrn- Llpedtttonen oeS In» und An-landeS. Für da» Erscheinen cm bestimmten Tagen u. Plätzen wird keine Garantie übernommen. Haupt-Filiale Berlin: TarlD« >» cker-HerzglBayrHofbuchhandlg, Lützowstraßr 10 (Telephon VI, Nr. 46031 Filtal-Erpedttiou: DreSdeu.Marienstr.34. Nr. 2. Mittwoch 2. Januar 1907. 1V1. Jahrgang. Vas Neueste vom Lage. (Die »ach Schluß der Redaktion eingegaugene» Depesche« stehen auf der L Sette de» Hauptblatte»^ Vom deutschen Kaiserhof. Gestern abend sanv bei den Majestäten im königlichen Schlosse in Berlin Familientafcl statt. Hieraus begaben sich die Majestäten und die gesamte kaiserliche Familie nach dem Königlichen Schauspielhaus, wo auf allerhöchsten Befehl tbsätrs p»rö angesagt war. Gegeben wurde „Wallensteins Lager" und „Die Piccolomini". — Mit dem gestrigen Tage ist daS kaiserliche Hoslager vom Neuen Palais nach Berlin ibergesiedelt. Der Rassenhader tu Saltfornteu. Der Konflikt mit Japan verschärft sich immer mehr, da auch den japanischen Kindern in Oakland der Besuch öffentlicher Schulen untersagt sein soll. Die Blätter gehen sogar so weit, den Aufruhr zn predigen, falls die Bundes regierung sich mit dem japanerfreuudlichen Standpunkt Roose- veltS solidarisch erklären würde. RatsuN ist in Tanger als Gefangener eingebracht. Er wird beschuldigt, durch Aufrufe an die verschiedenen Stämme den heiligen Krieg gepredigt zu haben. Die Ausführung der Akte vou Algeciras. Di« „Correspondencia de Espaua" meldet: Sogleich nach der Hinterlegung des Originals der Akte der Konferenz von Algeciras wies der Minister des Aeußeru den spanischen Gesandten in Bern telegraphisch an, er möge offiziell und in Gemäßheit der in der Schlußsitzung der Konferenz ge faßten Beschlüsse die schweizerische Negierung ersuchen, den Generalinspektor der Polizei in Marokko zu ernennen und Maßnahmen »u treffen, damit Streitigkeiten über die marokkanische «Staatsbank durch daS schweizerische Bundes- geruht entschieden werden können. Zur Ottersberger Eiseubahukataftroph«. Der durch die Eisenbahnkatastrophe bei Ottersberg an gerichtete Bahnmaterialschaden ist, wie aus Bremen gemeldet wird, amtlicherseits auf über 800 000 festgestellt worden. Die sechs leicht verwundeten Beamten wurden zur weiteren ärztlichen Behandlung entlassen, bei drei schwer verletzten Beamten ist eine dienstfähige Wiederherstellung ausgeschlossen. politisches. m. Das Sude der Weimarischen Leitung. Das offiziöse Regierungsorgan des Großherzogtums, die „Weimarische Zeitung", hat nach 96jährigem Bestehen am 31. Dezember chr Erscheinen für immer eingestellt. An ihre Stelle werden wahrscheinlich die bisherigen „Weimarischen Neuesten Nach richten" treten, die die „Weimarische Zeitung" aufgekauft und ihr Blatt mit dieser verschmolzen haben. * Grundlose Vermutungen. Ja der Presse werden der Geheime Legationsrat von Kries und der Generalkonsul von Reichenau als Kandidaten für den Poften des deutschen Ge sandten am norwegischen Hofe genannt. Wie wir von best unterrichteter Seite hören, handelt es sich hierbei um grund lose Vermutungen. * Ter „Historische Kalender" des „vorwärts", früher auf blutrotem, jetzt auf hellbraunem Papier gedruckt, ist mit dem üblichen Inhalte als Neujahrsgeschenk für die „Genossen" erschienen. Die Verherrlichung des Meuchelmordes durch viesen Kalender hat nur insofern eine Aenderung erfahren, als die Greueltaten der russischen Revolutionäre jetzt die größte Rolle spielen. Da liest man z. B. unter dem 9. Fe- bruar: „1906 Admiral Tschuchnin, Sebastopol, geattentälerl"; unter dem 16. April heißt es: „1906 Offizier Abranrow, Spiridonowas Schänder, getötet"; unter dem 6. Mai wird verzeichnet: „1906 Dubassow, Geueralgouverueur, Moskau, geattentatert" usw. usw. Daß der geneigte Leser mitten unter solchen Mordtaten von der Abschaffung der Todes strafe durch die Duma Kenntnis erhält, mutet beinahe scherz haft an! Zur „Sonnenhöhe der Kultur", von welcher der sozialdemokratische Wahlaufruf trompetet, führt nach sozial demokratischer Anschauung offenbar auch die Verherrlichung des Meuchelmordes. * Bebel als Prophet. Der Alte kann das Prophezeien nicht lassen, obwohl er sich schon oft genug damit blamiert hat. Jetzt führte er in Hamburg aus, die Sozialdemo kraten würden 20 Mandate gewinnen, das Zentrum sie ver lieren und die Linksliberalen würden nahezu zerrieben werden. Wenn Hoffen, Prophezeien und Erfüllen eins wären, hätte Bebel längst die Zukunftsgesellschaft realisiert. Uebrigens gedenkt er am nächsten Sonnabend Leipzig mit einer Wahlrede zugunsten Mottelers zu beglücken. Nuterseeboote un» ihre Bedienung. Mit der Indienst stellung des ersten Unterseebootes in Kiel hat auch unsere Mariueverwaltung eine ganze Anzahl Veranstaltungen ge troffen, welche in erster Linie auf die Aufrechterhaltung der Gesundheit der Offiziere und Mannschaften gerichtet sind. Auf den englischen, französischen und italienischen Untersee* booten hat man für die Bedienung eine ganz besonders gute Kost eingesührt. Unsere Offiziere und Mannschaften der Unter seeboote sollen bis aus weiteres für jeden Tag, an welchem sie auf eine n Unterseeboot an Fahrten teilnehmen, welche mit Tauchen unter Wasser verbunden siod over in Tauchbereitschaft er folgen und zugleich künstliche Lufterneuerung bedingt, nennens werte Zulagen erkalten. Offiziere bekommen 4 Deck- ossiziere 3 Unteroffiziere 2,50 Gemeine 1,50 Zu lagen in gleicher Höbe sollen auch ihrem Rang entsprechend sonstige Marineaugehörige, die dienstlich an Fahrten der Unterseeboote unter den gleichen Voraussetzungen teikuehmen, erhalten. Für die Besatzungen der Unterseeboote sollen Ver- pslegungsgebührnisse und Stellenzulagen wie aus Torpedobooten ohne Rangklasse zuständig sein. Die Unterseebootzulagen sollen nachträglich am Monatsschluß gezahlt werden. Die Messe gebührnisse und das Schiffsverpflegungsgeld sind nach den Sätzen für Torpevoboote für die ganze Dauer der Indienst- Haltung obne Rücksicht darauf zuständig, ob die Besatzung auf dem Unterseeboot selbst oder auf einem zu ihrer Auf nahme bestimmten Kriegsschiff oder Fahrzeug eingeschifft ist. — Es braucht wohl nicht hervorgehoben zu werden, daß in hygienischer Beziehung alle denkbaren Maßnahmen getroffen sind, unr die Gesundheit nach Kräften sicher zu stellen. Man darf also hoffen, daß die Bedienung der Unterseeboote für ihren schweren Posten sehr gut geschützt ist. * Der Außenhandel Deutsch-Oftafrikas IRK. Der Ge- samthandel unseres ostafrikauischeu Schutzgebietes im Kalender jahr 1905 zeigt wiederum eine erfreuliche Steigerung — um rund 4>/s Millionen Mark — gegen das Jahr 1904. Die hie unv da geäußerten Befürchtungen, daß er durch die Un ruhen im Süden und die Pest in Sansibar empfindlich ge schädigt werden würde, haben sich also erfreulicherweise nicht bestätigt. Die nachstehende Tabelle gibt ein Bild dieser Entwicklung. 1903 Stufahr M. Ausfuhr M. Sesamthandel M. 11188052 7 054 207 18242 259 1904 14338 888 8 950565 23289 453 1905 17 655 350 9 949 661 27 608 011 Die stärkste Zunahme der Ausfuhr, die im Vorjahre die Gruppe Häute und Felle zeigte, weist diesmal da» Bienen wachs (ff- 7 140 047 ^t) auf, dessen Gewinnung dem Ein geborenen bei geringer Mühe namhaften Verdienst verschafft. In zweiter Linie hat die Gruppe Pflanzenfasern eine beträcht liche Steigerung (ff- 367 190 ^) aufzuweisen, die ihren Grund irr der vermehrten Hansproduktion der Agaven pflanzungen hat. Nachdem Sansibar, das früher den ge samten Handel über die Küstengreuze des gegenüberliegenden Festlandes beherrschte, bereits 1904 nur noch 44 v. H- ans sich vereinigte, ist es nunmehr mit 31^1 v. H. an zweite Stelle hinter daS Deutsche Reich getreten, das jetzt etwa die Hälfte dieses gesamten Handels unmittelbar erledigt. Gleichfalls zu ungunsten Sansibars erfuhr auch der direkte Verkehr mit Indien eine Erhöhung von (6,6 auf 10,49 v. H.). Die im Vorjahr ausgesprochene Erwartung des weiteren Rückganges des Sansibar-Verkehrs hat sich also noch schneller verwirklicht, da die daselbst ausgebrochene Pest eine Zeitlang das direkte Löschen und Laden in Dar eS Salam empfehlenswert erscheinen ließ. * Die AnSgleichSverhaudlnngen mit Ungarn. Zn de» AuSgleichSverhandlungeu zwischen Oesterreich und Ungarn wird vou unterrichteter Seite mitgeteilt, daß die Beratungen der beiden Fachkommissionen auf Grundlage d«S Zoll- und HrndelsbündnisseS erfolgten, und die beiderseitigen Regie rungen sich von allem Anfang Vorbehalten halten, über die Modalitäten zn verhandeln, unter welchen der Abschluß eines Handelsvertrages erfolgen könnte. Während der bisherigen Beratungen der Fachkommissionen wurde diese Frage weder im Prinzip, noch auch in den einzelnen Details berührt. Die Beratungen der Fachkommissionen dürften Ende dieser oder anfangs der nächsten Woche in Pest fortgesetzt und be endigt werden. * Das österreichische Rekrnteukonttngcnt. Wie man von kompetenter Seite erfährt, entbehren die Mitteilungen, daß trotz des so entschiedenen Dementis des österreichischen Kriegs ministeriums dennoch in naher Zeit die Forderung nach Er höhung des Rekrutenkontingents sich als notwendig erweisen würde, jeder Begründung. ES erscheine vollkommen aus geschlossen, daß von den beiderseitigen Regierungen vor dem Herbst eine solche Forderung gestellt werden würde; aber noch viel wahrscheinlicher sei es, daß die» erst zu Beginn de» Jahres 1908 geschehen würde. Inzwischen boffl man zu einer Verständigung mit der ungarischen Regierung zu gelangen. * WoteS Abschied. Der bisherige serbische Gesandte in Wien, Dr. Wuic, wuiche vom Kaiser in besonderer Audienz empfangen, um sein AbberufuugSschreiben zu überreichen. Die Audienz war von kurzer Dauer, und wie verlautet, hat der Monarch den Konflikt mit Serbien nur mit wenigen Worten berührt, nach der Audienz stattete der Gesandte dem Minister de» Aeußern Freiherrn v. Aehrenthal einen kurzen Abschiedsbesuch ab. — Wuic soll bekanntlich nicht immer den richtigen Takt beobachtet haben in den Verhandlungen mit der österreichischen Regierung über die politischen — und Zollfragen. Freilich beißt e» von anderer Seite, daß an Herrn Wuic weniger die Schuld gelegen habe, al» an seine« Instruktionen durch den Ministerpräsidenten Pafic, dem jede« politisch« SLvoir vivrs abgeht. * Bo« französischen Ktrchensirett. Au» Rom wird ge meldet: Verschiedene parlamentarische Persönlichkeiten hatten ihre Vermittelung zwischen dem Vatikan und der franzofischen Regierung angeboten, find jedoch vom Papst abgewieseu worden, welcher nur mit amtlichen Vermittlern unter handeln will. * Frankreich un» Jtatten. Der französische Botschafter iu Rom empfing am NeujahrStage eiue Abordnung der fran zösischen Kolonie. Bei dieser Gelegenheit hielt er eine An sprache, in der er auf die freundschaftliche« Beziehungen zwischen Frankreich und Italien hinwieS und erklärte, drese Freundschaft sei ein Unterpfand für den Frieden. DaS Ver hältnis zwischen beiden Mächten sei nie so herzlich gewesen, wa» am besten bei dem Abschluß de« abyssinifcheu Vertrags zum Ausdruck gekommen sei. In seiner Rede vermied der Botschafter irgendwelche Anspielungen auf die iu Italien erfolgten Kundgebungen für die französische Regierung cmläß- lich deS Trennung»zesetze». * Oliv«»«. Um die Schüler vou Politik und revolutio näre« Gedanken abzuleuken, ordnete da» russische Ministe rium für Volksaufklärung an, daß i» den Gymnasien und Realschule« möglichst ost Konzerte, Bälle und sonstige Ver gnügungen unter Beteiligung de» Lchrpersoual» veranstaltet werden. * Dte Wasserkessel» der russischen Revolution Wie wir schon geschrieben haben, erleiden die Odessaer Exportfirmen infolge der in lePer Zeit mehrfach vorgekvmmeneu Bomben explosionen auf dortigen Schiffen sehr große Verluste. Die Banken weigern sich, auf Frachtbrief« Kredit zu geben, und die Versicherungsgesellschaften nehmen keine SchiffSversiche- rungen an. Die Ausfuhr nach dem Ausland ist beinahe gänzlich eingestellt. Ueber das Attentat gegen den Grego- rin» Merck wird telegraphiert: In der Neujahrsnachi versuchten eiue Anzahl junger Leute, die Matrosenmützen trugen, in den im Hafen liegenden Dampfer Gregorm» Merck einzudringen, um ihn in die Luft zu sprengen. Zwischen der Schiffswache und den Angreifern wurden Schüsse gewechselt, wobei aus beiden Seiten ein Mann ver wundet wurde. ES gelang den Angreifern unter Mitnahme de» Verwundeten zu entkommen. Am Ufer wurden eine Feuilleton. fester llunck ist l^üve in seinem llsuse. Italien. LprichvvN. 6Iüctz selig 6er, ckessen ^Veit innerhsld 6es 1lsuse8 ist. Soelve. Lin Usus ist ein' gut' Sicherheit, Lin' Zuflucht delck' ru ksteust' unck l.eick. PUchsiU. IVem au llsuse nicht wohl ist, 6em wirst selbst 6sz Vaterlsnck mr enge: er verläuft sich in 6er ZVelt sls Irrwisch. Zahn. Julin» Bahnsen. Von Dr. P. Fechter (Dresden). Zu den unheimlichsten Erscheinungen der GerstcS- geschichtc gehört es, wenn zuweilen an einem Stiefkinde Gottes aus Erden wie ein Fluch das Schicksal hastet, daß alles, was es beginnt und erfaßt, unbeachtet im Dtn'el bleibt. Jedes Ringen ist umsonst, und was andern scheinbar mühelos zufällt, versagt sich hier der heißesten Sehnsucht: trotz einzelner Zeichen von Anerkennung geht die Zeit immer wieder über die schwachen Keime des Ruhmes dahin, bis sie zuletzt den Kämpfenden samt seinem Werk zu den Toten hin- wegfeat. Manchem, wie Schopenhauer, versüßt ein 'pätes Anerkanntwerden noch die erlittene Zurücksetzung: die meisten werden für immer beiseite geworfen, und wenige nur feiern verspätet, oft lange Jahre nach ihrem Tode, eine Art Auferstehung. Alsdann pflegt man gewöhnlich die ver ständnislose Mitwelt anzuklagen, zu der man ja Gott sei Dank nicht mehr gehört, und vergißt darüber, daß letzten Grundes niemand für dergleichen verantwortlich gemacht werden kann. Vielleicht nirgend tritt so deutlich die Macht der Imponderabilien zutage, wie gerade hier: das Ver- wonnensein in tausend und aber tausend Kleinigkeiten und süe Ohnmacht gegen diese unsichtbaren Ketten, das absolut »ilflose Zuselzenmüssen, wie die Arbeit eines Lebens jst>ei»- bar nutzlos unaufhaltsam im Sande verinnt. Ein fast typisches Beispiel dieses Uebcraangenwerdens »>bt die Gestalt des Mannes, dessen Todestag am 7 Dezember zum 25. Male wiedergekehrt Ivar, deS vielleicht genialsten aller Schüler Schopenhauers — Julius Bahnsens. Unermüdlich, soweit das der Frondienst en einer kleinstädtiickien Schule zuläßt, schafft er: ein Ham man«, ein Bolkelt erkennen bei aller Kritik im einzeln-m ftine eminente Begabung, seinen Scharfsinn und die Origi nalität ferne» Denken» burchau» au, wetsen bei jeder Gelegen heit aus ihn hin; — trotzdem geht die offizielle Philosophie, ebenso wie das große Publikum an ihm vorüber, ohne kaum seinen Namen, geschweige denn seine Werke zu kennen und erst heute, da Bahnsen bereits ein Vierteljahrhundert in hinterpommerscher Erde ruht, scheint es, als ob langsam der reiche Schatz dieses seltsamen Kopfes gehoben und unserem geistigen Besitz eingereiht zu werden beginnt — hoffentlich nicht im Sinne so mancher späten „Rettung", die doch den Mumiengeruch nie ganz verliert, sondern indem ein Teil seiner Arbeit wenigstens lebendiges Glied unseres Daseins wird. Wie sein „Meister" Schopenhauer ist auch Bahnsen ein Opfer der Zeitverhältnisse geworden. Schopenhauers Haupt- U>erk erschien zu einer Zeit, der Hegel alles war, und blicb unbeachtet; als dann nach dem Tode des Allmächtigen die Philosophie in jene Verachtung sank, an deren Folgen sie heute noch laboriert, mußte er das Geschick des Gehaßten teilen, batte aber am Ende noch die Genugtuung, langsam aber sicher seinen Rühm steigen zu sehen und sich mit dem Bewußtsein niederlegen zu können, zunächst wenigstens den Sieg davongctragen zu haben. Nicht so Bahnsen, dem das Mißgeschick, gerade in dieser Zeit und unter diesen Um ständen schaffen zu müssen, so paradox cS klingen mag, sein lebelang treu blieb. Geboren am 30. März 1830 zu Ton bern in Schleswig, bezog er 184? die Universität Kiel, ging 1849 als Freiwilliger gegen Dänemark mit und verließ nach den: Tage von Idstedt oaS Land, um in Tübingen bei Fr. Th. Bischer sein Studium zu lmeuben. 1?53 promovierte er, war einige Jahre als Hauslehrer tätig und beging dann den verhängnisvollsten Schritt seines Lebens: er stellte sich wegen des damalnzcn Lehrermangels der preußischen Re gierung zur Versbau:^ und wurde zuerst in Anclam, dann in Lauenburg in Pommern als Gymnasiallehrer angestellt. Hier ist er trotz aller Bemühungen, in menschenwürdigere Ater- hältnisse zu gelangen, bis zu seinem Tode im Jahre 1881 un erbittlich festgenagelt geblieben. Man kann verstehen, wie ein Mensch, in dem von vorn herein ein skeptisch-nihilistischer Zug vorhanden ist, durch ein solches Geschick mit einer Art Naturnotwendigkeit dem Pessimismus in die Arme getrieben werden muß - zumal zu dieser gewissermaßen rein persönlichen Lebensgestaltung speziell in seiner schriftstellerischen Tätigkeit nun noch daS hinzutritt, was er, zuletzt mit einer gewissen Neigung zur Selbstauälerei, sein „persönliches Pech" zu nennen liebte. Man hat seine ganze Philosophie aus dieser „Heautontimo- rumenie" herleiten wollen und Nietzsche spottet einmal über den „alten Brummkreisel Bahnsen, der sich mit Wollust sein Lebelang in seinem rcaldialektischen Elend und persönlichen Pech hcrumgedreht Hot" — es war doch ein gut Teil Berechtigung dabei. Schon eine flüchtige Betrachtung seiner Arbeiten be weist es. Fettgehalten im hintersten Winkel HinterpommernS in die Tretmühle eines kleinstädtischen Schukbetriebes ge zwängt. vermal er nur die kärglichen Mußestunden seiner eigentlichen Arbeit ^u widmen Trotzocm gelingt es nun 1867, sein erstes größeres Werk, die „Beiträge zur Charak terologie", herauSzubringen — einen Versuch, die Lehre vom empirischem Charakter oder die praktische Psychologie wissen schaftlich zu begründen und zugleich die GrunÄinien des eigenen Systems anzudeuten. Das Buch findet da und dort Anklang; zwei Jahre später aber erscheint die „Philosophie des Unbewußten", deren Verfasser ebenfalls auf die Syn these Schopenhauers und Hegels ausgeht; das Gesamtinter essen wendet sich ihm zu und Bahnsen wird übergangen, ob wohl Hartmann selbst immer wieder auf den damaligen Freund hinweist. In Broschüren und Schulprogrammen folgen nun während der nächsten zehn Jahre iveiterc Bruch stücke der „Realdialektik", wie Bahnsen sein System nannte; das grundlegende Werk, von Hartmann sehnlich erwartet, bleibt aus, weil die Muße fehlt. Das anonyme „Pessimisten brevier", das eigentlich der Stimmung der ausgehenden siebziger Jahre mit ihrem Gründerkatzenjammer sehr glück lich entsprach, versagt infolge widriger Zufälle beinahe ganz; endlich, im Jahre 1881, ist der Ausbau des nihilistischen Pessimismus so weit gediehen, daß au eine Veröffentlichung des „Widerspruchs im Wissen und Wesen der Welt" gedacht werden kann. Inzwischen aber haben sich die Zeiten voll kommen geändert: der Pessimismus, die Modephilosophie von vorgestern, ist mehr und mehr im Kurs gesunken, das Ge stirn Zarathustras taucht bereits auf — und vor allem, noch ehe der zweite Band, die eigentliche Krönung des Ganzen, herauskommt, stirbt Bahnsen, kaum 51jährig, an einem an fangs leichten Diphtheritisanfall. Das Geschick seiner Arbeiten entsprach dem seines Lebens — und man kann es begreifen, wie ihn beides zusammen schließlich zu dem Glauben an sein ganz besonderes Pech bewegen konnte: man sicht aber auch schon hieraus, daß man, ebensowenig wie im Falle Schopenhauer, irgend jemand für das Unbcachtetbleiben verantwortlich machen kann. Die Sterne standen nun ein mal jo; und so bitter die selbstgewählte Grabschrift Bahnsens auch lautet: „Vita moa irritu* labor" — dos einzige, was toir tun können, ist nicht anklaaen, sondern verstehen und machholen, verspätet ihm den Platz auweisen, der ihm in der Menschheitsgeschichte zukommt. Das System Bahnsens stellt sich dar als ein konsequenter Ausbau des Schopenhauerischen Voluntarismus unter Hin zunahme der Hsgetschen Dialektik. An di« Stell« des all-einen Weltwillcns setzt Bahnsen nämlich einen in sich dialektisch in Wollen und Nichtwollen ent-zweiten — oder vielmehr nicht nur einen, sondern unjsirhlige, indem er gegen den starren Monismus seines Meisters, dem alles Individuelle bloßer Trug und Schein, energisch Front macht. Trotz Kant und Schotuml-auer bekennt er sich mutig zu einem pluralistischen Realismus und Individualismus — und hierin liegt viel leicht sein Hauptverdienst, daß er wieder einmal kräftig für den Wert des Einzelnen, der nur sich selbst gleichen Indivi dualität cintrat, indem er sich zu Schopenhauer in ein Ver hältnis stellte, wie etwa Leibniz zu SpincZa und selbst mit einem gewissen Anklang sein System als Wiklemshen<ckologic bezeichnete. Insofern hat man ihn nicht mit Unrecht in die Nöl" Nietzsches gestellt, weil auch er immer wieder gegen über All-Einheitslehren und sozialistischer Gleichmacherei den Wert und das Recht des Einzelnen betont, soweit im übrigen auch ihr« Dahnen auSeinanderzehen. Denn da» Ziel DoihichenL hat mit Nietzsche» LebenSoejahun, nicht» ge mein: es ist der Schopenhawerischc Pessimismus konsequent bis zu Ende gedacht. Das vierte Buch oer „Welt als Wille und Vorstellung" ließ noch eine Erlösungsmöglichkeit durch Willensverneinung offen, und brach damit dem Pessimis mus eigentlich die Spitze ob: für Bahnsen ist jede derartig« Hoffnung ausgeschlossen. Als wesentliche Einheit von Wollen und Nichtwollen kann der Wille nie zur seligen Ruhe des Nichts gelangen, sondern muß weiter und weiter an sick> zehren, wollen, was er nicht will, und nicht wollen, was er will; ohne Fortschritt, ohne Emde dreht sich das Weltenrad, den Kreislauf, wie auch Nietzsche es lehrt, zuletzt immer wieder von neuem beginnend. Bahnsen scheut dabei nicht den logischen Widerspruch, den diese grundlegende Einheit von Wollen und Nichtwollen in sich schließt; er erklärt viel mehr von vornherein allem logischen den Krieg — in dieser Hinsicht eigentlich erst die wahre Antithese zu Hegel und seinem Panlogismus. In bewußtem Gegensatz zu die,em und zu Hartmann teilt er dem Logischen nur ein ganz be schränktes Gebiet im Denken zu, verweist es völlig aus dem Bereich des Wirklichen, das nicht unter seiner, sondern unter der Macht des Widerspruchs, des Dialektischen, steht. Mit der ganzen Zähigkeit seines Stammes aber versucht er nun doch, mittels dieser logischen Gesetze, nach denen auch sein Hirn arbeitet, der Wirklichkeit, die als widersprechende niemals in ihnen ausgohen kann, Herr zu werden, sucht mir der Sprach«, einem durch und durch logischen Ausdrucks mittel, das Unlogische, Äntilogischc zu meistern und läßt nicht nach, bis er die widerspruchsvolle Welt seiner wider spruchsvollen Wahrheit «ingeordnet lmt. Vor keiner Kon sequenz erschreckend, kommt er so zuletzt bei einem nihilisti schen Pessimismus an, gegen den der Schopenhauers direkt rosig wirkt; trotz dieser absoluten Trostlosigkeit aber hält er dennoch die sittlichen Forderungen doch: wenn auch kein Ziel mehr winkt, so soll doch männlich dos Dasein getragen werden, — so daß auch hier wieder der Vergleich mit Nietzsche seine volle Berechtigung bat, insofern, als man beide in der Tat als die einzigen wirklich heroischen Denker des aus- gehenden l9. Jahrhunderts bezeichnen darf swobci Wert oder Unwert dieses Heroismus völlig außer Betracht bleiben könnens. DaS sind in großen Umrissen die Grundlagen seines Systems, wie er sie in der Charakterologie, im „Widersvruch" und in ein paar kleinen Aussätzen niedergelvgt hat. Neben ihnen her geht eine Reihe weniger systematischer Arbeiten, ParevAa gewissermaßen, die sich nicht nur an ein spczistsch philosophisches Publikum n>enbcn. Seine Aestl)«ln gehört hierher, „Das Tragische als Weltgesetz und der Humor al» äsjbetische Gestalt »es Metaphysischen", wo er auf Grund seiner Willenslchre ein reizvolles „System des schönen" mit einer amüsant intellektuellen Spitze errichtet; sodann aber vor allem die „Mosaiken und Silhouetten", die zu ter systematischen „Charakterologie" gewissermaßen die Beisp'ele liefern. Hier zeigt sich. Balnrens eigentümliche Begabuna, in fremden Seelen „mrf Visite zu gelten", in glänzendstem Licht: es sind „empirische Charakterschilderungen" von einnc Feinheit und Schärfe, daß man sie immer wieder mit de» größten Vergnüge» liest, sobald man sich einmal an sis
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