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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 03.01.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-01-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070103022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907010302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907010302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-01
- Tag1907-01-03
- Monat1907-01
- Jahr1907
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Bezuas'Preis für Leipzig and vorotte: Ja der Haupt- Elpeditton oder deren Ausgabestellen ab- geholt monatlich: Ausgabe L (1 mal täglich) 70 Pf., Ausgabe 8 ^2 mal täglich) 80 Pf., bei Zustellung in» Hau» Au-gabe 80 Pi.» Ausgabe v 1 Mart. Durch anlerr aus» wärtigea Ausgabestellen und durch die Post bezogen (I mal täglich)inn«rbald Deutschland monatlich 1 Mark, für Oesterreich»Ungar» ö L -L d vietteljäbrlich, die übrigen Länder laut geitungrpreiSlisl». Tiefe Nmumer tostet aut » a» allen Bahnhöfen und bet I II kltzl den Zeitung«.Verläufern K" Redaktion ',n«» ^rpedtttoa: JohanniSgasse 8. Telephon Sir. 15A Nr. 2LL Nr. 1173. Berliner ZiedattionS-Bureau: Berliu 7, Prinz Louis Ferdinand- Straße I. Telephon 1, Nr. 9275. Abend-Ausgabe 8. WpMLr TagMM Handelszeitung. Amtsblatt des Rates und des Volizeiamtes der Stadt Leipzig. An^eiq>tr«PrekS bie Sgelpalten» Petitzrile lür Veschästs« tnserot» ans Leipzig und Umgebung 25 Pf, Familien^ Wohnung«, u. Etellen-Anzeigen, sowie An- und Verkäufe 20 Pf, finanzielle Anzeigen 30 Pf, für Inserate von auSwärl« 30 Pf. Reklamen 7b Pf, auswärts 1 Mart. Beilage- gebühr 4 Mark p. Tausend erkl. Postgebühr, wejchästsaazeigen an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Taro. Für Inserate vom Auslande beiouberer Tarif. Anzelgen-Alluadme: AugustuSPlatz t», bei iämtlicheu Filialen n. allen Annoncen- Expeditionrn des In- und Ausland«-. Für da« Erscheinen an bestimmten Tage» u. Plätzen wird keine Garantie übernommen. Haupt-Filiale Berliu: CarlDuu cke r,Hrrznl.Baqr.Hosbuchhandlg., Lüyowsiraße 10 «Telephon VI, Nr. 4M31 Filial-l-rveSitio»:DrcSden,Marienstr.3l Nr. 3. Donnerstag 3. Januar 1W7. 101. Jahrgang. Var Neueste vom Lage. (Die nach Schluß der Redaktion ringegangeneu Depeschen ftehru auf der 3. Seite des HauptblatteSJ Aus Marokko. Die gestrige Mitteilung, daß Raisuli gefangen genommen fei, scheint sich nicht zu bestätigen. Die vorliegenden Depeschen sind nur dann zu versieben, wenn der numidische Löwe sich noch auf freiem Fuße befindet. Wir lassen sie hier folgen: Der Sekretär RaisuliS wurde in dem Augenblicke, da er sich auschickte, die Flucht zu seinem Chef nach Zioat zu ergreifen, von dem bisherigen Kalifen Ben Mansur selbst und einigen bewaffneten Leuten festgenommeu und als Gefangener nach Tanger abgefübrt. Der Vorfall ist für die Aufrechterhaltung der Rude in langer nicht ohne Bedeutung. Die Bevölkerung in der Umgebung fahrt fort, der Regierung ihre Unterwerfung anzubieten. — Vielleicht war iu der gestrigen Depesche der Sekretär RaisuliS mit seinem Chef verwÄfelt. Ueber diesen selbst wird berichtet: Raisuli hat die Gefangenen, die er bisher in Zinst unter- gebracht hatte, nach Arzila gesandt. Er hat den Befehl erteilt, die Tore der Stadt für die Truppen des Maghzen zu schließen. Daraufhin hat GebbaS beschlossen, 800 Mann mit drei Ge- birgSgeschützen gegen Arzila zu senden. Die nach Arzila bestimmte Truppenabteilunz, die bereits abgegangen ist, hat den Auftrag, sich jedem Versuche RaisuliS, die Stadt HU be- treten oder anzuzreifen, zu widersetzen. In Tanger beißt eS jetzt, Raisuli bestreite die Echtheit deS Schreibens des Sultans, das ihn absetze, und seude eiueu Kurier au den Hof, um sich zu beschweren. Tcutsch-tschechische Verständigung. Wie aus tschechischer Quelle gemeldet wird, tritt allmählich er« neuer Plan einer deutsch-tschechischen Verständigung iu den Vordergrund. Veranlassung Dt diesen erueuteu Verhand lungen ist der Wunsch deS Kaisers, daß die Verhältnisse in Böhmen nach mährischem Muster geregelt werden. Die Reise des Monarchen nach Prag wurde besonder- des- halb verschoben, weil man die Zeit nach erfolgter Erledigung der Wahlreform als günstiger für die VerstäudiguugSversuche aufieht. China und Amerika. Da das ameritauische Gesetz über die Einwanderung von Ehmesrn noch immer keine Abänderung erfahren hüt, ist die ruf deu Boykott amerikanischer Waren abzielende Bewegung wieder im Ausleben begriffen. Die Agitation hat ihren Hauptsitz in Kanton. Mau ist bestrebt, die Bewegung über gauz China zu verbreiten. Die chinesischen Zeitungen sollen veranlaßt werden, die Aufnahme von amerikanischer Seite ausgehender Anzeigen zu verweigern. Japan und Rußland. Seinen jüngsten Erklärungen über den Stand der russisch japanischen Unterhandlungen fügte der japanische Botschafter in Petersburg, Motono, hinzu, daß er und der Senator Malewski, der Vertreter der russischen Regierung, nur noch eine Hauptfrage zu erledigen hätten. Im Sinne des Portsmouther Vertrages hat Japan von Ruß land verlangt, es möchte seinem alleinigen Rechte auf den Schiffsverkehr auf dem Sungariflusse zugunsten einer Besse- rung der wirtschaftlichen Verhältnisse in der Mantschnrei entsagen. Motono hofft, Rußland werde das vertragsmäßig festgelegte Prinzip der offenen Tür auch in diesem Punkte hochhalten. Niemals habe Japan die Berech tigung zur Schiffahrt auf dem Amur, nie mals das Zugeständnis des Erwerbs von Grund und Boden in Sibirien für iapa- nische Staatsbürger oder das Recht des Transits von Wladiwostok bis zur Ostsee verlangt. Dergleichen Ausstreuungen vermöchten jedoch nicht den angenehmen Ton der Verhandlungen zu stören, welche voraussichtlich bald befriedigend abschließen würden. — Wer mag eigentlich die Lügennachricht von den hochge- spannten Forderungen Japans in die Presse gebracht haben, die wenigstens vier Wochen gespukt hat? Etwa amerika nische Kreise, welche Japan mit Rußland aufs neue brouillieren möchten, weil sie Zeit gewinnen müssen für Flottenvcrstärkung und Küstenbefestigungen? Im Ballou zum Nordpol. Walter We llman, der waghalsige amerikanische Journalist, der den Nordpol im Ballou zu erreichen gedenkt, hat die große Maichiaengalerie auf dem Marsfelde in Paris ge- mietet, um in der großen Halle kein Lufnchiff, daS bei der Firma Godard einem völligen Umbau unterworfen wird, auszuprobieren, bevor es nach Spitzbergen gesandt wird. Wellmau wird in den ersten Tagen des April m Paris eiu- ireffen, um die letzten Versuche in Gemeinschaft mit Alexander Lieweuthal, dem Chefingenieur der Expedition, persönlich zu leiten. politischer. * Tie wetteren Verhandlungen über den deulfch-fpautschen Handelsvertrag werden, wie die „T. R." erfährt, nicht mehr in Madrid, sondern in Berlin geführt werden, und es ist anzunehmen, daß die spanischen Vertreter im Februar hier eintreffen werden, sobald die amerikanische Tarifkommission ihre Arbeit beendet hat. Die Verlängerung des Handels» abkommens ist dadurch ermöglicht worden, daß die am 30. Juni 1906 ausgesprochene Kündigung zwar ausrecht erhalten, lbr Datum a-er durch ge^enseiilges Ueberrinkoiumeu auf den 31. Dezember 1906 verlegt worden ist. Da nun das Abkommen über den Handelsvertrag sechs Monate nach erjolgter Kündigung außer Kraft tritt, so bleibt eS nunmehr bis zum 30. Juni 1907 bestehen. * Ten Ausuahmetarif für Fleisch von frisch geschlachtetem Vieh hat, nach preußiicbem Vorbilde, auch die badische StaatSeisenbahu-Verwaltung eingesührt. Die Ermäßigung besteht darin, daß die Beförderung und Frachtberechuung bei Stückgut und Wagenladungen nach den Bestimmungen deS SpezialtarisS für bestimmte Eilgüter erfolgt und daß außer- dem die Frachtsätze für Wagenladungen auf Entfernungen von 101 Kilometer und mehr gegenüber denjenigen der all gemeinen WagenladungStlaffen ^.1 und L ermäßigt werden. ock. vom Assessor zum NcglcrungSrat. Der „Dortm. Ztg." wird angeblich offiziell aus Berlin gemeldet, daß der aus den Kolon'ialvebatten bekannte Assessor Brückner, der von dem Abgeordneten Roeren in der Diskussion schwer beleidigt worden war, während der WeihnachtSseiertage vom Kaiser in besonderer Audienz empfangen worden ist^ In ihrem Verlauf teilte der Kaiser dem Assessor die Beförderung zum Regierungsrat mit. * Ter preußische Etat soll, wie von mehreren Seiten gemeldet wird, abweichend von der bisherigen Gepflogenheit, von dem Finanzminister bereits in der ersten Sitzung des Abgeordnetenhauses am 8. Januar vorgelegt werden. Man hofft die erste Lesung noch in der ersten Woche bis zum 13. Januar vornehmen zu können und beabsichtigt dann die Plenarsitzungen bis nach deu Hauptwahlen zum Reichstag zu vertagen. * Bebel hat sich als Prophet nun auch in Fürth dem Publikum vorgestellt. Aus der politischen Situation und dec Anführung des Briefes des Reichskanzlers an den Reichs verband gegen die Sozialdemokratie zog er die Schluß folgerung von der Unfähigkeit Bülows, die ReichSgeschäste zu leiten. Bebel verspottete die Anstrebung einer liberal konservativen Reichstagsmehrheit und prophezeite die Ver stärkung der ParlamentSmehrheit vom 13. Dezember durch die Neuwahlen. * Zentralisten Lokalisiert. Man schreibt uns: Wie heftist die Gegensätze zwischen den gewerkschaftlichen Zeistral- verbauden und den anarcho-sozialistischen Lokalverbänden soridauern, dafür legt der Neujahrsartikel des Organs der Lokalverbäode von neuem Zeugnis ab. Deu Zentralver- bändeu wird u. a. ins Stammbuch geschrieben: „Oftmals sehr schmutzige und verabscheuungswürdige Kämpfe wurden . . . von den sich alleinberechtigt, maß gebend, modern und politisch neutral bezeichnenden Zentral- verbäuden gegen diese neue Zentralisation (der Lokalver- bände) geführt. Durch Streit- . . . sollte die Freie Ver einigung (der Lokalverbände) finanziell und personell ver nichtet Werve«. Es ist zwar die Vernichtung nicht ge lungen, wohl aber sind durch diese und viele andere ge meine, unwürdige und beschämende Handlungen, die hier vou Proletariern gegen Proletarier vorgenommen wurden, der Freien Vereinigung schwere Schädigungen zugesügt worden." Tie „Brürrrlich'rit* unter den .Genosse"" läßt, wie man sieht, noch sehr viel zu wünschen übrig. G * Ter französische Strchenftrett. Da« „Giornale di Italia" veröffentlicht ein Interview mit dem französischen Kultusminister, welcher erklärte, zahlreiche Bischöfe und Priester hätten sich aus Patriotismus au ihn gewandt, um Aufklärung über daS Trennungsgesetz zu erhalten, was viel leicht im Vatikan Verwunderung Hervorrufe. Aber man kenne dort anscheinend den Patriotismus der Franzosen nicht. Die Negierung habe keinerlei Besorgnis wegen der Zukunft, das Land habe die Ueberzeuguug gewonnen, daß das Gesetz notwendig sei. * Spanische Finanzen. Ter spanische Finanzminister teilt mit, daß die Staatseinnahmen im Jahre 1906 um 4«, Millionen höher waren als im Jahre 1905. Das vorjährige Budgei dürfte also mit einem erheblichen Neberschuß abschlicßcn. — Wenn er sich nur nicht verrechnet hat! * Krawall in Spanien. In Sagone fand eine glvße Kundgebung gegen die städtischen Zölle statt. Es kam zu einem Handgemenge, in dem 2 Personen getötet, 5 verwundet wurden. * Revolutionärer NaubanfaU. In Libau überfielen Revolutionäre den Kaffenboten der Filina Kühler. Zw.i ihn begleitende Schutzleute wurden erschossen. Der Kassen bote und der Kutscher wurden schwer verwundetet. 2000 Rubel wurden geraubt. Die Räuber entkamen. * Ter Ctscnbahnstreik tu Bulgarien. Nachrichten au* der Provinz zufolge schloffen sich sämtliche Badnbeamte dem Ausstand der Eisenbahnaugestellten an. Es sind militärische Maßnahmen zur Verhütung von Exzessen verfügt. Der Bayn- verkehr wird teilweste durch Pionier-Soldaten aufrecht er halten. Eisenbahnbeamte, welche Reservisten find, werden zu Waffenübungen einberufen. Sie sollen aus diese Weile zur Dienstleistung gezwungen werden. Ein großer Teil der Sofiaer Studenten, meist Sozialisten, schloffen sich den Aus» stänviHen an und veranstalteten unter Absingung revo lutionärer Lieder eine Kundgebung, bei der eS zu Aus schreitungen kam. * Tie Jndteufahrt des Emirs. Da» Remersche Bureau meldet aus dem Londiko-Tale, daß die Ankunft des Emirs von Afghanistan auf britischem Gebiet erfolgt ist. In seinem Gefolge befinden sich 75 Offiziere und 1025 Mann, sowie mehrere hervorragende Persönlichkeiten von Afghanistan. Aus die Begrüßungsansprache erwiderte der Emir, es bereite ihm große Freude, Indien zu besuchen. * Der Schah. „Herald" meldet aus Teheran: Personen, welche den Schah gesehen haben, erklären, daß er vollständig abgemagert sei. Seine Kräfte seien zusehends im Verfall. * Verhaftung eiueS Propheten. Aus Conakry (Fran zösisch-Guinea) wird die Verhaftung eines Propheten ge- meldet, der zugunsten deS früheren Hauptes des Stammes der Conakry-Neger eine Verschwörung gegen die französische Verwaltung angezettelt hatte. Der Handel und Verkehr in Guinea haben dadurch eine noch nicht behobene Stockung erhalten. * Tie Unruhen in China. Dank dem Eingreifen der Truppen ist eS nunmehr anscheinend gelungen, die llnruh-n in Pinghsiang zu uiuerdrücken. Indessen ist ui chmisi'chen Kreisen die Besorgnis, daß es zu einer allgemeinen gegen die Dynastie gerichteten Erhebung im südlichen China unk im Tale deS Jangtsekiang kommen werde, noch kciu swegS er loschen. Die chinesischen Behörden in Nanking, Wulschan:, Futschau und Kantou haben als Vorsichtsmaßnahme nm- faffende Anordnungen zur Verhütung res Waffen'chmuggcls ergehen lassen. * Brasilianische Lanvauficdluiist. Der brasilianische Bundespräsident ist ermächiigt worden, einen Kredit von 7 Millionen zu eröffnen, um durch Abkommen mit Gesell- schalten oder mit den Landbesitzern die Besiedelung des Landes zu fördern. Feuilleton. Der Lhrgeir ergreift kleine 8eelen leichter als grosse. Ldamdoecl. IVle glücklich ist ein lleden, rvenn ex mit cker lüebe beginnt unck mit ckem Lhrgeir encket. porcal. Zhrgeir ist nur eine desonckere ?orm cker allge meinen kAenschensehnsucht nach Llück. Nezste. IVean ehrgeirige Menschen nicht schöpferisch sein können, treten sie als Zerstörer auf. NtNwel. Französische Weihnachten. Von Karl Eugen Schmidt (Paris). Weihnachten ist wirklich nicht schön für den im Welschlanb weilenden deutschen Waisenknaben. Im Lesebuch für Sexta stand zu meiner Zeil ein rührendes Gedicht, das vielleicht von Robert Remick gewesen ist, und worin der Gram eines solchen Waisenknaben sehr schön geschildert wird. An dieses Gedicht denke ich jedes Jahr zur seligen, fröhlichen Weih nachtszeit, die rn Paris zwar fröhlich, aber yar nicht be sonders selig ist, zum mindesten nicht in dem Sinne, den das Wort in diesem Falle hat. Die französiiche Weihnacht entspricht eher unserem Silvesterabend, und der Reveillon mit seinem lauten und frohen Nachttreiben läßt sich sehr wohl mit der deutsck>en Silvesternacht vergleichen, während er mit unserer Weihnacht nicht das geringste zu tun hat. Die französische Weihnacht ist kein Kinderfest wie die deutsche, obgleich auch die französi- chen Kinder rn dieser Zeit mit Geschenken bedacht werden. Aber es ist keine Bescherung im Glanze der Lichter und des Flitters au» dem Tannenbaume, sondern im besten Falle kommt der Vater Noel, der dem heiligen Nikolaus entspricht, in der Nacht durch den Schornstein herabgestieqen und füllt die Schuh«, die das Kind am Abend vorher vor den Kamin gestellt hat, mit Spielsachen und Süßigkeiten. Gewöhnlich aber wird der kindlichen Phantasie nicht einmal diese Nah- rusg gegeben, sondern der Papa oder die Mama sichren die Sprößlinge aus den Weibnachtsmarkt, dessen Buden zwei Wochen lang alle Trottoirs der großen wie der äußeren Boulevards besetzt halten, und kauft sehr prosaisch daS, was das K'nd sich wünscht. Uedrigens möchte ich doch gerne wissen, woher es kommt, daß in meiner Heimat unS Kindern daS Christkind immer weibliche« Geschlechte- schien. Es Var eine klein« Prin» H-S« «tt ««den«« WtterrSckchen und thronte al, solch« all jährlich auf der 'Spitze des Tannenbaumes. Ist das überall in Deutschland so, oder nur im Westen? Und liegt da viel leicht auch ein Vorbild aus der Zeit unserer heidnischen Vorväter zu Grunde? In diesem Jahre wurde mir ein echter deutscher Weih nachtswind ins Haus geweht durch den Postboten, der ein Paket brachte, woraus ich in Gestalt eines dickleibigen Ban des die soeben bei der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart erschienenen sämtlichen Werke Schwinds herausschälte. Was ist das sür ein lieber, lieber Mensch! Seit Dürer hat es keinen Künstler gegeben, der das deut'che Heim, die deutsche Familie inniger erkannt und traulicher wicdergegeben hätte als Schwind. Vielleicht könnte man neben ihm Ludwig Richter nennen. Aber Richter ha: etwas wehleidiges; er erinnert an den Dkusterknaocn, den srommen Fridolin, an das arme Dorfschulmeisterlein. Sicherlich hat er mehr und lieber dünnen Tee und Kaffee als Bier und Wein getrunken. Wenn man ihm eine Ohrfeige gab, hielt er geduldig die an dere Backe hin. Schwind aber machte es wie sein Kollege Feuerbach: gab ihm einer einen Schlag auf die linke Backe, so gab er ihm dafür zwei auf die rechte. In meinen bei E. A. Seemann in Leipzig erschienenen „Künstlerworten", nach dem eben genannten Schwindwerke das beste und schönste Buch dieses Jahres, von dem jeder meiner Leser wenigstens sechs Exemplare kaufen und seinen Freunden schenken sollte, erwähne ich, was Rekhcl, der Meister des „Totentanzes", von Schwind sagt: „Ein saugrober Mensch, aber ein tüchtiger Künstler!" Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr mir das gefällt. Ich bin überzeugt, um so köstliche, so liebe Sachen zu machen, wie Schwind sic gemacht hat, muß man durchaus ein sau grober Mensch sein. Ja, das glaube ich! Wenn einer dabei nicht saugrob ist, liefert er Kinderbrei und Mehlsuppe ohne Mark und Gewürz. Schwind war ein knorriger Klotz, er schwang den Humpen, rauchte wie ein Schlot, fluchte wie ein Fuhrmann und genierte sich vor keinem Menschen. In München kam König Ludwig öfters zu ihm ins Atelier, lobte alles, kaufte aber nichts. Als er da eines Dages wieder stand und bewundernd sagte: „Führwahr, Sie haben Genie!" antwortete der Dkaler unwirrsch: „Geld wäre mir lieber!" Und als derselbe König den -Vater Rhein" Schwinds gerne gekauft hätte, aber an der Fiedel des Flußgottes Anstoß nahm und sie wegwünschte, knurrte der Künstler: „Wenn Majestät es wünschen, male ich ihm ein Klavier hin!" Nur vauhbarstige Knollengewächse von dieser Art können sich eine so reine, keusche, liebe, zarte Kindcsseele bewahren, wie sie sich in Schwinds köstlichen Zeichnungen offenbart. Gewiß, Ludwig Richter hat diese KindeSseele auch besessen, aber er gefällt uns doch nicht so ganz: es ist ja schön und edel, wenn einer lieber Unrecht leidet als tut, aber noch bester gefällt uns der Mann, der nicht nur kein Unrecht tut, sondern sich auch kein Unrecht gefallen läßt, der dem Ungerechten auf den Leib rückt und ihm die gebührenden Prügel verabreicht. Denn der li^er Leidende als Tuende Ikommt uns nur zu ost schwach und feige vor, und wir denken I heimlich vielleicht, er tue nur deshalb kein Unrecht, weil er I eben ein armes Wurm sei. Zeigt er unS ober seine Kraft und Stärk« und tut er trotzdem kein Unrecht, ist er trotzdem lieb und gut, dann haben wir an ihm mehr Vergnügen, als an dem coensoguten Lämmlein, das sich alles gefallen läßt. All seine Liebe und Freude am deutschen Wald, am rraulichen Familienheim, an der Märchen- Welt, an der ganzen Natur, an Menschen, Tieren. Pflanzen und Dingen hat «schwind in seine Zeichnungen gebannt, und es sind nicht sowohl die von ihm dargestellten Gegenstände, als diese Liebe und Freude, die wir sehen und die uns nun auch mit Liebe und Freude erfüllen. «schwind ist ein rein deutscher Künstler. Die Franzosen verstehen ihn gar nicht. Ein französischer Küirstler, dem ich mein Buch zeigte, begann sofort allerlei an seiner Zeich nung zu tadeln, und nachdem er zehn Seiten umqeschlagen hatte, legte er das Buch sichtlich gelangweilt weg. Das scheint zu zeigen, daß er kein ganz großer Künstler ist, denn das absolute Genie müßte , llen Völkern und allen Zeiten gefallen. Aber wie wenige erfüllen diese Bedingung! In Hunden Jahren kommt kaum ein einziger Dichter oder Künstler zur Welt, der von allen Völkern als groß an erkannt und verstanden wird. Wir Deutsche wollen gewiß in Goethe einen solchen Großen sehen, aber den Franzosen sagt er gar nichts. Nur „Wertl>crs Leiden" hat seiner Zeit Eindruck aus sie gemacht und ist wohl ein Dutzend Mal übersetzt worden. Den Faust kennen sie nur durch Gounod und durch Berlioz, und das ist der Goethesche Faust schon lange nicht mehr, oder vielmehr es ist immer nur eine Seite von ihm. Auch Shakespeare ist nichts für sie. Tolstoi, der neulich Shakespeare sür einen armen Kerl erklärt«, den man nur auf Hörensagen bin bewundere, hat damit den Franzosen aus der Seele gesprochen. Als neulich Julius Cäsar im Odeon gegeben wurde, mußte die fron-mische Kritik ihren Lesern den Verlauf des Dramas erzählen, so wenig bekannt ist Shakespeare in Frankreich. Und mit Racine nist» Corneille, die von den Franzosen sür die größten Drainatiker aller Zeiten und Völker gehal- ten werden, geht es den Deutschen nicht viel anders als oen Franzosen mit Shakespeare und Goethe. Es gibt also ver zweifelt wenig Genies, die in der ganzen Welt bewundert und verstanden werben, und die alten Griechen und Römer, denen das widerfährt, dürsten großenteils ihren Ruhm wirklich der Ueberlieserung verdanken, wie es Tolstoi zu Unrecht von Shakespeare glaubt. Ich erinnere mich, vor einigen Jahren die Aeneis von Virgil gelesen zu haben und erstaunt gewesen zu sein über den nachhaltigen Ruhm dieses Werkes, das mir nicht mehr als ein recht schioacher Ausguß Homers schien. Wenn also Schwind dem Ausländer wenig ober nichts sagt, so teilt er dieses Schicksal mit unfern allergrößten Geisteshelden, und es ist das kein Grund, ihn weniger hock zu schätzen. Es ist schon verteufelt viel, wenn in einem Dichter oder Künstler das Herz, das Gemüt, das Fühlen und Denken eines Volkes ausgesprochen ist. Leute, die in ihren Werken die «Seel« der a-anzen Menscnbeit aussprecken. find so selten, daß man selbst mit der hellsten Laterne ihrer kein DackeLdutzend finden kann. Bringt uns also einer'die ganze Anmut und Grazie ftanzöfischen Esprits, wie es Watteau tttt, schenkt unS ein anderer wie Schwind den ganzen goldenen Hort deutschen GemüiLeLens, dann sollen wir nicht mäkeln und wägen, sondern dankbar und glücklim die herrliche Gabe hinnehmen. Und ich denke, so lange es Deutsche gibt, jo lange das Weihnachisfesl deutsche Herzen beglückt, so lange wir- inan auch Schwind lieben und ver ehren, den saugroben Menschen mit dein wunderbar weihen und zarten Gemüt. * Vauvenargues. Luc de Clapiers, Marquis de Vauoenargues. wurde im Jahre 1715 in der Provence geboren. Ein kränk liches Kind, besuchte er die Schule mit so wenig Erfolg, das; er nie imstande war, Horaz und Tacitus in ihrer Sprocke zu lesen. Trotz feines zarten Körpers trai er mit achtzehn Jahren als Offizier in das Königsregiment ein und machte zwei Feldzüge mit. Aber es eignete sich niemals cui Soldat weniger zu seinem Berufe als dieser junge Mann mit dem leidenschaftslosen, alle Berührung scheuenden, ganz innerlichen Charakter. Sicherlich war seine Energie unge- wohnlich, aber sie zeigte sich in ganz geistigen Formen: einer seelischen, die Menschen und Dinge zu durchdringen, und einer philosophischen, gelassen zu bleiben. Vauoenargues war kein Träumer, aber auch kein Revolutionär. Die besseren unter seinen Kameraden mußten empfinden, daß im Grunde sein Wesen sich nicht so sehr von ihnen, die handelnde und instinktive Menschen waren, unterschied: nur der Grad des Bewußtseins war ein anderer. Und man be richtet, daß viele dieser Offiziere ibn verchrien. Der böhmisckc Feldzug iim ersten schlesischen Krieges, insbesondere die Kälte auf dem Rückzug von Prag, 'etztcn seiner Gesundheit so zu, daß er im Jahre 1743 den Dienst ausgab, in dem er es auch nicht weit gebracht hätte. Er mamte den Versuch, in der diplomatischen Laufbahn Vcr- Wendung zu finden, erhielt aber weder vom König, noch vom Minister überhaupt eine Antwort — seine Gesuche waren zu freimütig gewesen. Als er nach einem zweiten Bries an den Minister wenigstens auf eine Gelegenheit vertröstet worden war, und sich der Hoffnung, seine Arbeitsamkeit und geistigen Kräfte in den Dienst des Königs zu stellen, überließ, tras ibn ein furchtbarer Schlag. Er erkrankte schwer an den Pocken, und als er ausstand, war nicht nur sein Gesicht bosfnunyslos ent stellt, sondern auch seine Gesundheit zu Tode getroffen. Noch nickt 30 Jabre alt, bereitete er sick daraus vor, sterben zu müssen. Als 1747, in seinem 32. Jahre, das Ende eintra». batte er kraft seiner inneren Energie und der Klarheit seiner Seele, die letzten vier Jahre nicht als eine langsame und häßliche Zersetzung, sondern als die Zusammetffassuna und den Höhepunkt seines Lebens erscheinen lassen. Notizen und Bruchstücke, die noch in seine Militärzeit znrückrcichten. gaben den Grundstock seiner 1746 erschienenen 1 ntro - ckuvtion k In connnisnanee rle I' envrit d n - nnd der et Ersolg war gering, und sie wirkten auch in der Zukunft nur auf eine kleine, auserlesene Sckar. *) Letztere erschienen soeben in deutscher Nebersctzung von Ernst Hardt alS: Betrachtungen und Wa^i« «en bei Eugen Diederichß, Jena. 12l) E.
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