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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 07.01.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-01-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070107029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907010702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907010702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-01
- Tag1907-01-07
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Abend-Ausgabe 8 LipMlTaMatt Haudelszeitung Revattton unb Expevtltou: JohanuiSgasse L. Telephrm Nr. 153, Nr. 222, Nr. 1I7L. Diese Nummer lode» aut 4 e» L allen Bahnhöfen und bet III den JestungS-Berkünfers Bezuqs-Prei- für Lekpztg und Vororte: I« der Haspt- Tjpedttion oder deren AsSgabestelleo ab- geholt monatlich: Ausgabe (» »al täglich) 70 Pf. Ausgabe 8 <2 mal täglich) 80 Pf., bei Zustellung ins Hans Ausgabe 80 Pf^ Aukgabe k 1 Mark. Durch unsere aus wärtigen Ausgabestellen nad durch die Post bezogen (1 mal täglichstnuerhalb Dentlchlaads monatlich 1 Mark, für Oesterreich-Ungarn 5 L 45 d vierteljährlich, di« übrigen Läudee laut AeitnngSvreislifte. Berliner 2ieLatttous-Bur«m: Berlin XÜV. 7, Prinz Louis Fervlnand- Stratze 1. Telephon I. Nr. S87L. Ämtsölatl -es Nates und -es Nolizeiamtes -er Ltadt Leipzig. Anzeigen-Pret- die «gespaltene Petit zelle für Geschäfts- Inserat« aus Leipzig uno Umgebung Lä Pf, Familien^ Wohnung»- u. Stelles-Anzeiges, sowie Au- und Verkäufe 20 Pf^ finonzuelle Anzeigen 30 Pf.. für Inserate von auSwärtS 30 Pf. Reklamen 75 Pf, auswärts 1 Mark. Beilage gebühr 4 Mark p. Tausend exkl. Postgebühr. Geschästsanzeigea an bevorzugter Stelle ,m Preise erhöht. Rabatt nach Tarii. Für Inserate vom Ausland« besonderer Taris. Anzeigen-Aunadme: AugustuSplatl 8, bet sämtlichen Filialen u. allen Annoucen- Exveditionen des In- und Auslandes. sür da» Erscheinen an bestimmten Tagen u. Plätzen wird keine Garantie übernommen Hanpt-Ftliale Berlin: C arlD o a cke r,Hrrzgl.Baqr.yofbuchhandlg.. Lützowitraße 10 lTelephon VI, Nr. 4603). Filial-Srv esition: Dresden,M arienstr.34. Nr. 7. Montag 7. Januar 1907. W. Jahrgang. Vas Neueste vom Lage. (Die noch Schluß der Redaktion eingegaugene» Depeschen flehen auf der 3. Sette des HauptblatteS^ Deutsche tvesandtschastSbcamtc tn Persien beraubt. Wahrend eines JagdauSflugS nach einem etwa 30 Kilo meter von Teheran entfernten Orte wurden der LegationS- sekrrtar Frbr. v. Richthofeu und Dr. Sckulz überfallen und beraubt. Beide blieben unverletzt. Die Regierung sagte aus Verlangen des deutschen Gesandten Bestrasuug der Schuldigen und Ersatz des entstandenen Schadens zu. Militärische Insubordination in Paris. Die 1. und 2. Schwadron der Pariser republikanischen Garde veranstaltete im Hose der Kaserne Heinrichs IV. eine lärmende Kundgebung g-gen ihre Offiziere; sie saugen die Internationale und führe:' trotz Ermahnung Vorgesetzter fort, m des Kantinen Lbrr drei Hungersold und die Ueberlastung zu klagen. Diese in der republikanischen Garde, als einer Elitetruppe, überraschende Kundgebung dauerte 2 Stunden. Ein Osfizier ersuchte die Soldaten, ihre Wünsche ruhig vor zubringen und berichtete au das Platzkommrndo. Die Erstürmung von Jtoat. Amtlich wird bestätigt, daß die Festung RaisuliS zerstört und Raisuli selbst inS Gebirge geflohen ist. Der Angriff am Sonnabend dauerte etwa acht Stunden. Es gelang, eine Bresche in die Umfassung der Stadt zu schießen. Bos des Zinnen der Alcazaba-Zitadelle in Tanger und von den Hohen des di« Stadt überragenden Marschan - Hügels beobachteten Tausende die Abwickelung der Kämpfe. Nicht bloß der mächtige, dem Raisuli von jeher feindlich gesinnte Stamm der AndjeraS, sondern auch alle Kabyles schloffen sich den kaiserlichen Truppe« an. Um sich für deu Abfall der umliegenden Kabhleu zu räches, hatte Raisuli mehrere Dörfer auSgeplüsdrrt und eingeätchert, die Kinder getötet, die Weiber geschändet und die Männer als Gefangene mit fortgesührt. ^Der letzte Satz natürlich fräs- zösitcke Lüge). — Ueber die Einnahme der Festung wird noch gemeldet: Die Mahalla erlitt große Verluste, sodaß die Ausschiffung von Truppen notwendig erscheint. Es wurden zwei spanirche Maultiertreiber gesauzes geuommen. Der Manische Gesandte ist davon benachrichtigt worden. — Mohamed TorreS, der marokkanische Minister des Auswärtigen, hat dem diplomatischen Korps in Tanger mitgeteilt, daß die Regierung des Sultans keine Verantwortung für Europäer übernehme, die unter den gegenwärtigen Umständen, d. h. während der KriezSoperationen, Tanger verlaffes und über die vos den SustanStruppen gedeckten Linien noch hiuauS- zeheu. — Aus Tanger wird telegraphiert, daß das Haus veS auS Zinat entflohenen Raisuli zerstört und alles mit Beschlag belegt wurde. Die Truppe» suchen jetzt Raisuli unter den benachbarten Kabyleustämmen. Zur Katastrophe von Lamscheid. Der bereits gemeldete Unfall am Felsenein- schnitt bei Leininger, auf der Neubaustrecke Kastel- laun-Boppard ist, nach einer amtlichen Meldung, glücklicherweise hinsichtlich der Zahl der Opfer doch nicht so bedeutend gewesen, als zuerst an genommen wurde. Während die Zahl der Opfer in den ersten Nachrichten aus über 30 angegeben wurde, stellte es sich nach Beendigung der AufräumungSarbeiten heraus, daß im ganzen 13 Personen getötet wurden. Darunter be finden sich 11 Arbeiter, ein etwa 18jähriges Mädchen und ein Schuljunge. Drei der Getöteten sind Familienväter. Von den geretteten 8 bis 10 Personen ist keine schwer ver letzt. — Zu dem Schachternsturz au der Huns rück b a h u werden außerdem im Anschluß an unsere ausführlichen Mitteilungen noch einige Einzel heiten mitgeteilt. Danach spielte sich die Katastrophe folgendermaßen ab: An der Baulinie der Gebirgs bahn Boppard-Castellaun in einer tiefen Schlucht hatte die Firma Eberhard, Schreiner L Sippmann aus Saarbrücken nach Norden und nach Süden je erne Böschung geschaffen, die aus großen hohes Schieferjeljen und Blöcken im Natur zustände bestand und gewaltige Massen von Schiefergestein und Erde zu tragen hatte. Die Dörier der Umgebung liegen auf dem Hochplateau, das nach Norden und nach Süden höher als die in der Schlucht sich befindende Bahn linie liegt. Am Freitag nachmittag nun arbeiteten drei Leute an der nördlichen Mauer, um weitere Aus schachtungen vorzunehmen. Plötzlich wankte die Böichuug in einem Teile, und die drei Männer wurden verschüttet. Die RettuugSarbeiteu hatten teilweisen Erfolg, denn es wurden zwei der Leute noch lebend wieder herausgezogen; der dritte, ern Italiener, konnte jedoch nicht mehr geborgen werden, weil zu dieser Zeit die zweit: so furchtbare Katastrophe eiotrat. Auf dem nördlichen noch stehenden Teil der Anhöhe halt« sich, um die Ausgrabungen der Ver unglücktes zu beobachten, eise große Anzahl Leute auS den Nachbarorten eisgefunden, und der Druck durch die vielen Menschen in Verbindung mit den Tauwaffermenges, die sich in dem Boden angesammelt halten, verursachte es, daß die ungeheure Masse sich in Bewegung setzte und im Sturz etwa zwanzig Menschen unter sich begrub. Der übrige Verlauf ist bekannt. Au« den Nachbarorten sind Hilfsmanu- schafteu ««gelangt. Bei deu Leichen sind Posten errichtet, auch hat man Wachen zur Beobachtung der Felsen und Erd- maffen ausgestellt. Sie werden alle zwei Stunden abgelöst. Aus der Unterführung hört man das Beten vou weh klagendes Angehöriges der Toten. Eine sehr gefährliche Haltung simmt ern sich an der südliches Böschung er hebender 8 w langer und 15 m hoher, gewaltiger Felsen ein. Er droht jeden Augenblick einzustürzen; überhaupt sind bedeutende Nachrutschungen vom Gelände noch leicht möglich und kommen ja auch noch fort während vor. Infolgedessen sind die Ausgrabungen vor läufig unterbrochen worden. In der ganzen Gegend ist eS bitterkalt, und die Schneegestöber halten an. Die Schulen in den umliegenden Dörfern sind geschloffen, und allent halben sieht man Gruppen von trauernden und weinenden Menschen. Der Baubetrieb wurde von den beiden Firmen eingestellt. Der anfangs als vermißt gemeldete Geschäfts führer Lücke ist gerettet. politisches. * Ausweisung lästiger Ausländer aus Berit«. Die »Zeit am Montag" berichtet über neue Ausweisungen lästiger Ausländer. Unter diesen ist auch der russische Staatsange- hörige Bürger, der seit 13 Jahren in Berlin ein Tuchgeschäft betreibt uni» eine jährliche Einkommensteuer von 360 -L zahlt. Gegen eine weitere Ausweisung, die des Charlottenburger Kaufmanns Silberbrand aus Kiew, dem eine große Anzahl hiesiger Inhaber erster Geichäste da^ beste Zeugnis anSstelten, wird gegenwärtig Beschwerde geführt. * Auswanderung. Die überseeische Auswanderung über Hamburg betrug im verflossenen Jahre 173,483 Personen, darunter 120 087 Deutsche. Seit zehn Jahren ist daS die größte AuSwanvererzahl. sä. Wem gebührt das Verdienst der Baudelzwarts- Unterwerfuug k Vor kurzem behauptete die ZentrumSpreffe, das Hauplverdieust an der Unterwerfung der BondelzwartS habe der katholische Missionar Pater MalinowSk in HelrahabiS, der die BondelzwartS überredet habe. Wir wollen die guten Dienste, die dieser Missionar der Kolonie geleistet, nicht schmälern, möchten aber bemerken, daß auch der evangelische MstsionarWandres, der jahrzehntelang unter ven Bondelzwarts missioniert hatte und von ihnen geliebt und verehrt wurde, viel dazu beigetragen hatte, die BondelzwartS zu bewegen, sich zu unterwerfen. Beide Missionare haben Verhandlungen geführt, die aber zerschlagen sind. Schließlich sind die BouvelzwartS durch die eifrigen Verfolgungen unserer tapferen Truppen müde geworden uud haben sich ergeben, sie haben sich deu deutschen Truppen, nicht dem Zentrumspater ergeben. Unseren braven Jungens gebührt also daS Verdienst! * Freisinn und prcutzisches Wahlrecht. Die Fraktion der freisinnigen Volkspariei beschloß, im Abgeordnetenhaus eines Antrag auf Einführuug de« allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts für die Wahlen zum preußischen Landtag einzubriugen. * Für bas Slifabethhaus tu Wiuvyuk lansen jetzt die Beiträge, seitdem durch die Auflösung des Reichstages wieder unsere Kolonien so sehr iu den Vordergrund gerückt sind, recht flott ein. Es sind nahe an 120 000 -E emgegangen; die Frau Erbprinzessiu Reuß j. L. spendete 100-4!; in Elber feld ergab eine Sammlung den hohen Betrag von 7116 * Zum AuSgang beS Gneseuer Polen-ProzcffeS schreibt die .Nationalliberale Korrespondenz": Die Angeklagten in diesem Prozeß sind sreizesprochen. Die polnische Propaganda wird dieses freisprechende Urteil genügend für ihre Zwecke auszubeulen wissen. Der Ausgang des Gnesener Prozesses legt die Frage nahe, ob man sich an zuständiger Stelle über die Sicherheit der Unterlagen der öffentlichen Anklage vergewissert hat. ES ist auch unbedingt nötig, bevor derartige Prozesse eingeleitet werden, die unter Um ständen eine politische Bedeutung von eminenter Trag weite gewinnen, das Placet des Staatsministeriums einzuholen. Das geschieht in anderen polnischen Dingen auch; sie dürfen nicht schematisch behandelt werden. So sehr eS an der Zeit erscheint, zur Stärkung des Verantwortlichkeitsgefühls beim richterlichen uud Ver waltungs-Beamten dadurch beizutragen, daß man Auswüchse des bureaukratischen Mißtrauens nicht nur in der Lokaliustan; beseitigt, ebenso sollten dem Staatsanwalt gegenüber die Bürgschaften dafür verstärkt werden, daß nicht wirkliche und wichtige StaatSinteressen unter dem Amte des öffentlichen Anklägers Schaden erleiden. — klebrigen« hat, wie uuS ein Telegramm aus Posen meldet, der Staatsanwalt Revision eingelegt gegen daS freisprechende Urteil. G * Neue Bevorzugung Ungarns. Ein erbitterter Streit zwischen Oesterreich uud Ungarn ist im Gange. DaS Problem der Lieferungen für die gemeinsame Armee bildet seine Ursache. Die Oesterreicher machen geltend, daß sie bei Festsetzung der LieserungSquoteu benachteiligt worden seien. Nnn ist von dem Budgetausschuß der österreichischen Delegation ein entscheidender Beschluß gefaßt worden, daß sut^e Verweisung des einseitigen Ueber- rinkommenS deS früheren KriegSministers mit der uugarischen Regierung eine neue Ordnung der Angelegenheit mit besserer Berücksichtigung der österreichisches Industrie gefordert wird. Dieser Beschluß ist notwendig geworden durch die große Er bitterung in den Kreisen der österreichischen Industrie wegen der Angelegenheit. DaS Kriegsministerium wird deshalb ausgesordert, statt des früheren UebereinkommeoS eine neue definitive Regelung des LieferusgsweseaS für die Armee zwischen Oesterreich uud Ungars zu treffen, uod zwar nach dem Verhältnis der Quoten der beides Staaten für die gemeinsamen Angelegenheiten über haupt. Die österreichische Delegation dürfte auch verlangen, daß auch der österreichische Anteil an der Lieferung der landwirtschaftlichen Produkte für die Armee nach dem allgemeinen Quoteuverhältui« geregelt werde. Uebrigeos sprach der österreichische Budgetausschuß noch sein Bedauern aus, vaß der frühere KriegSminister obne vorherige Verstän digung mit dem österreichischen Parlament ein Einvernehmen mit der ungarischen Regierung abgeschlossen habe, durch daS die österreichische Industrie und Landwirtschaft schwer ge schädigt sei. * Botschafter Crozier. Der ueue französische Botschafter in Wien, Herr Philippe Crozier, ist in Frankreich ungeheuer bekannt und beinahe populär, was er zum größten Teil dem unermüdlichen Witz der Pariser Karikaturisten zu danken hat. Herr Crozier war unter dem glanzvollen Regime Felir Feuilleton. Dieses cier dlatur beliebt, Dust sie raubt unck wiecker gibt, 0. Odr. ttomdarn W42>. Die Tleltnatur ist nie mit sich. im lVickerstreite. Aectgc. Der Mensch muss sich io cüe bistur schicken, aber er soll, ckafl sie sich in ihm schicken soll. Hanl. Die sogeaoonten blsturgesetze sinck gor keine 6e- setze, soaclern nur Aphorismen rum bkaturerkennen. Serios?. Kriminalität «nd Geistergeftsrtheit. Bon Dr. Paul Schenk (Berlin). Der über die Zurechnuugsfähigkeit^eines gerichtlich An- geichukdigten vernommene ärztliche Sachverständige macht - gewöhnlich niemandem recht. Dem StaatSanwalt wenig- nens und auch dem Publikum geht er in seinen Annahmen über das Vorhandensein einer Gcistoskrankheit meist zu weit. In der Tat, wenn wir zede Abweichung von der Breite des Normalen als „krankbafte Störung der Geistes- lätigkeit" bezeichnen, ,,durch welche die freie WillenSbestim- mung ausgeschlossen wird", io bleiben wenig strafbare Hand lungen übrig. Die freie Willensbestimmung, von welcher der § 5l des Strafgesetzbuches spricht, ist überhaupt kein naturwissenschaftlicher Begriff. Als ein Jünger der moder nen Naturwissenschaft ist der heutige Arzt ein geborener Fndetcrminist. Als solcher müßte er konsequenterweile jegliche Aeußerung darüber, oh der Anacschuldigte im Besitze >eines »reien Willens gewesen ist, ableynen. Denn für ihn sind die Menschen die Produkte ihrer Anlagen und ihrer Erziehung. Freiheit ist nur in dem Reich der Träume. Bei jeder Ge richtsverhandlung treten sich offen oder mehr oder weniger versteckt zwei Weltanschauungen entgegen: die Anwälte der individuellen Freiheit und diejenigen einer wohllöblichen, stets ganz nur auf das Wohl aller Untertanen eifrig be dachten staatlichen Ordnung kreuzen miteinander die schnei denden Klingen einer scharfen Beredsamkeit. Hie Galenus - hie Justinianus! — Hie Darwin — hie Hegel! Wer möchte da noch weiter als Richter fungieren? Aber schließ lich will ein jeglicher doch, daß Recht Recht bleibt. Oft ge nug setzt sich der Richter bei der freien Würdigung Ker vor- ebrachten Tatsachen über das Gutachten der Sachverstän digen hinweg. Meist handelt es sich dabei um „Verrückt heit'. Daß jemand partiell verrückt sei« kann, im übrigen Sn vernünftig, kösnes viele Juristen nicht alanven. Lier spukt imm« Ker Begriff von Ker «steillbaren Persü»- lichkeit, dem Individuum. Das Kind ist der Vater des Mannes, aber der Mann ist am Abend eines Tages ein wesentlich anderer als er am Morgen desselben Tages war. In uns allen machen sich Stimmungen verschiedenster Art geltend, welche wir nur gewaltsam zu einem einheitlichen, wesensgleichen Ganzen vereinigen. Wie ost haben wir uns als redliche Männer gestehen müssen, daß wir nicht Herren, sondern Sklaven unserer verschlungenen Jdeengänge waren. Wir lebten nicht, sondern wir wurden gelebt. Oft genug war gerade die scheinbar vernünftigste Folgerung eines schnurgeraden Jdeenganges, die Mutter größter Narrheit. Es gibt den sogenannten Querulantcnwahnsinn, die über spannte Sucht nach Recht, die krankhafte Rechthaberei, auch auf vielen anderen Gebieten, welche der Rechtspflege fern liege». Wie unendlich viele verkannte Reformatoren leben in unserem lieben Deutschland! Und alle diese „Reforma toren" haben ihre Sekte von Anhängern. Denn auch geistige Abnormitäten vermögen ansteckend zu wirken und unter Umständen ganze Völker in eine wahnsinnige Be wegung zu reißen. Die Geschichte der Psychiatrie kennt eine Anzahl epidemisch austretender Geisteskrankheiten. Die ur sprünglichen Anstifter solcher Wahnsinnsepidcmien haben die, im Sinne des ärztlichen Sachverständigen krankhafte, Sucht, eine oder ein paar ganz oder halb richtige Beobach tungen in ein System zu bringen. Im übrigen sind es häufig liebe und kluge Menschen. Aber sic haben ihre fixe Idee. So lange man nicht dieser fixen Idee zu nahe kommt, merkt man ihnen nichts von einer geistigen Störung an. Und doch sind sie im Sinne der Wissenschaft partiell verrückt. Alle die extremen und fanatischen Richtungen auf religiösem, pseudophilosophischem, künstlerischem und hygie- irischem Gebiete, welche in der Gegenwart sich üppip breit machen, lassen sich mit den Masscnepidemicn von Ver zückungen, Tanzwut, Geisterbeschwörungen,Kindcrkreuzzügen im Mittelalter vergleichen. Mit der nötigen Begeisterung vorgetragen, findet auch beute noch das Widersinnigste und Einfältigste seine gläubigen Nachbeter. Weder die Phychvatrie noch die Jurispruoenz hat die Anstprde, alle diese Narren und verwirrten Geister dauerns unter Beobachtung zu stellen oder gar zu internieren. Das ist unmöglich und häufig schädlich. Für manckwn Verrückten ist die Entmündigung eine unnötige und geradezu grausame Zwanqsmaßreqel und vom psychiatrischen Stand punkte aus durchaus zu verwerfen. Andererseits kann man demjenigen, der sich gegen die Moral oder das Strafgesetz buch vergeht, nicht einfach seinen Lauf lassen. Zapfabschnei- der und vielfach auch Warenhansdiebinncn werden auf Grund des psychiatrischen Gutachtens gewöhnlich ireigc- sprochen. Die Zopfcrbsckneider leiden an einer krankhaften sexuellen Perversion. Bei den Warcnbausdiebinnen geht das Gutachten dahin, daß >iese schwachen Frauengemüter durch den verführerischen Zauber der ausgestellten Herrlich keiten, den berauschenden Lichterglanz, das sie umdrängendc Gewimmel von gleich ihnen mit Begchrunqsvorstellungen erfüllten Menschen gewissermaßen zu einer Zwangshandlung fortgerissen wurden und ihres freien Willens verlustig gin gen. Diese Frauen soll «van, so argumentiert z. B der Münchener Pbvcknater Gudden, nickst wegen Diebstahls ein sperren. Vielmehr soll sich der Warenhau-besitzer durch Gto-schutzgitter gegen ähnliche Vorkommnisse sichern. Nun dergleiche man ober mit dem Freispruch« dieser Worenhanldübüwm «anche» Hari« Urteil ge^s einen armen Teufel, der bei einer verlockend günstigen Gelegen- heil feinen Arm nach einem Gut von geringem Wert aus streckte. Wer dächte da nicht an das grausam nüchterne Urteil des Moralphilosophen, datz die Strafe um so härter auszufallen pflegt, jc weniger verständlich die Motive dem Richter sind? Gerade umgekehrt sollte es sein: in ckubii« libartaa! In zweifelhaften Fällen soll man die persönliche Freiheit oder mit anderen Worten „das Recht, das mit uns geboren ist" achten, und nicht durch unnötige Härte das Uebcl vergrößern. Durch ein noch so umfassendes Gutach ten kann selbst mit den Hilfsmitteln der modernsten Psvcho- logie und Psychiatrie die unerforschte Tiefe einer Menschen seele in keinem Fall« erschöpft werden. Der ärztliche Gut achter wird, wie der Arzt überhaupt, saft stets mehr gefragt, als er mit wissenschaftlichem Gewissen beantworten kann. Immerhin wird man soviel sagen dürfen: wenn der Medi ziner schon wenig von der menschlichen Seele weiß, so weiß der Jurist noch weniger, „(juack nc>n io aatis, non vst, in rnuncla" kreißt aus gut deutsch: wen der Richter einmal ver urteilt hat. dessen Seele kennt er in ihrer ganzen Schwärze genauer, als sie der Mediziner durch die sorgfältigste phy- chologischc Untersuchung jemals kennen lernen wird. Ist das Aktenstück einmal angelegt, so gibt cs in der zunehmen den Schwere der gerichtlichen Strafen meist kein Halten mehr. Doch ich will nicht ungerecht sein. In manchen Fällen läßt sich die Entmündigung wohl mit einer Zuchthaus, strafe oder mit der Anordnung dauernder polizeilicher Aus sicht vcrgieiclren. Und die Entmündigung wird von feiten mancher ärztlichen Sachverständigen, welche Ansicht ich z. B. mit Prozessor Rieger teile, '»stcr befürwortet, als es ,ch mit der Achtung vor der persönlichen Freiheit verträgt. Die exakte Wissenschaft hat mit der Fratze nach der Notwendig keit der Entmündigung bei sestgestellter Geisteskrankheit wenig zu tun. Die Sachverständigen können über die Diag nose der Geisteskranklwit völlig einig und über die Notwen digkeit der Entmündigung direkt entgegengesetzter Ansicht sein. Indessen, was soll mit den srcigewrochcnen Geistes gestörten, lxilb oder ganz Verrückten, geschehen? Die Zvpj- abschneider, die Warenhausdiebe, die Lügner und Betrüger aus krankhaftem Drang zum Ausschneiden und Hochstapeln, die an überspannter Abneigung oder Zuneigung zu einer bestimmten Kategorie von Personen Leidenden und durch diese ihre Leidenschaft zum Verbrechen Getriebenen, die vom Blaukolker ergriffenen Arbeiter und andererseits die von der Liebcssehnsucht nach dem bunten Tuche oder nach dem Manne überhaupt besessenen jungen und älteren Damen und Backfische, und vor allem die ungezählten infolge Alkobol- berarficimng kriminell gewordenen Staatsbürger, — sollen wir sic alle in ein ganz großes Narrenlxrus sperren? Ans keinen Fall. Ewig verschlingt Ghronvs feine eigenen Kinder, um der Zukunft cntgegenziureifen. Der heutige Tag ist des gestrigen Schuler. Der Missetäter ist meist schon im ersten Augen blick noch der begangenen Tat ein anderer, als er vor einem Moment war. Der Zopiabschneider, die Mörderin aus Eifersucht können morgen schon wieder ehrsame Staats bürger sein, sofern ihr Vergehen gegen Sitte und Ordnung nicht in den Akte» steht. In uns allen ist «in unheilvoller Dämon, vor d«m wir uns wohl hüten, den wir aber durch Prügel nicht totschlaaen können. Selbsterkenntnis und Er ziehung zur Selbstzucht sind noch »armer di« «tägigen Mittel, tieiund?" jung?" hübsch? welche die kranke Seele und die kranke Zeit, die nötige körperliche Psletze und die Heilbarkeit vorausgesetzt, zu heilen imstande sind. Tahitische Hochzeit. Von Paul Gauguin.') .... In Faonö, einem kleinen Bezirk vor dem bedeuten deren vor Jtia, werde ich von einem Eingcbvrenenweibe ge- fragt: „He! Mann, der Menschen macht! ffic weiß, daß ich Maler bin), Iluorä niui tu >ru»hu! )Jtz nut uns! Tie tabi- tische Einladungsformell. Ich lasse mich nicht bitten, so verbindlich und freundlich ist das begleitende Lächeln. Jcp steige ab. Mein Gaslsrcund nimmt das Tier am Zugel und bindet es an einen Ast, ohne ein Zeichen knechtischen lieber eifcrs, einfach und geschickt. Und wir treten zusammen in eine Hütte, in der Männer und Weiber sind, aus der Erde sitzend, plaudernd und rauchend, llm sie spielende Kinder „Wohin willst du?" fragt mich eine schöne Maori von etwa vierzig Jahren. „Ich gehe nach Jtia." „Was willst du da tun?" Ich weiß nicht, was für ein Gedanke mir durch den Kop' fuhr, oder ich sprach sogar vielleicht das wahre Ziel meiner Fahrt ans, das ich mir bis dahin selbst noch nicht gestand: „Ich will da eine Frau suchen!'' antwortete ich. „Es gibt viel in Faonö, und bübschc dazu. Willst do eine?" - - - „Gut! Wenn tic dir gefällt, so will ich dir eine geben. Es ist meine Tochter." „Ist sic ,.La!" „Ast sie „Ja!" „Ast sie ..Aa!" „Nun io hole sie mir." — Das Weib geht loeg. Nach einer Viertelstunde, währenddessen das Essen zugebrachi wird, kommt sie wieder, gc'vlgt vou einem lunacn Mädchen, das ein Ileises Paket in der Hand ball. Durch das kleid aus sehr durchsichtigem Rosa-Musselin sab man die goldene Haut ihrer Schultern und Arme. Zwei Knospen sprangen stark auf ihrer Brust empor. Es war ein großes Kind, ein hochuufgr'chosfcnes kräftiges Mäd.beu von wunderbaren 's Paul Gauguin war eine der seltsamsten Erscheinungen, an denen das Paris der modernen Maler so reich ist. Sein Name löst bei denen, die die moderne Kunst nach Manei lieben, ein paar wundervalle Vorstellungen aus. Er war des alten Europa müde und ging in die Südscc, um bei den Eingeborenen von Tahiti oder Samoa, die viele der schönsten Menschenschlag der Erde nennen, die Motive z» rührenden und eindringlichen Bildern zu finden: aus ihnen spricht mit einem ganz modernen Bewußtsein die Stimmung eines paradiesischen und unverdorbenen Glückes. Gauguin starb auch auf Tahiti. — Die hier abgedruckte Schilderung, wie Gauguin sich verheiratete, entnehmen wir dem Deut sches Almanach aus da- Jahr 1807, Ker b«l Juliu- Zeitler erschienen ist und «ine Reibe ausgezeichneter Beiträge enthält.
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