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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 16.04.1932
- Erscheinungsdatum
- 1932-04-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-193204161
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19320416
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19320416
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1932
- Monat1932-04
- Tag1932-04-16
- Monat1932-04
- Jahr1932
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 16.04.1932
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dich Wohl nicht zu schämen, du Heuchlerin? Die dem guten Peter Heiden Reinheit vormimte und Unberührtheit und die ihm verschwieg, was für hübsche Abenteuer sie vor ihrer Ehe schon erlebt hatte? Aber hüte dich und laß mich nicht mehr zu lange warten, hörst du? Ich will dich endlich wieder ganz be sitzen, wie früher in Königsberg. Und heute, heute will ich mich erst mal satt an dir küssen, als Vorschuß auf das Neblige." Mit roher Gewalt stürzte sich Sagenheim auf die Wehrlose; brutal umfaßte er ihren Kopf, seinen Mund dev ihren nähernd. Da sank Susanne in sich zusammen, halb bewußtlos lag sie am Boden. Hans Sagenheim wollte sich auf sic werfen, ihre Schwäche auszunützen. In diesem Augenblick hörte er Stimmen. Die Jagd gesellschaft schien auf sie zuzukommen. Nun mußte er ruhig und vernünftig handeln. Er tat, als ob er sich um die zusammengesunkene Frau bemühte, hatte sein Taschentuch angeseuchtet, ihre Stirn zu kühlen. »Onkel Amandus — Herr Heiden, bitte schnell kommen! Frau Heiden ist nicht wohl..." Peter war schon mit langen Schritten herangestürzt. „Um Gottes willen, was ist geschehen?" Er hatte Sagenheim beiseite gedrängt, war nieder gekniet, den Kopf seiner Frau an seine Brust bettend. Auch Malsenhausen war niedergesunken und rieb die Stirn Susannes mit einer belebenden Essenz. Susanne schlug die Augen auf, sah ihren Mann und begann konvulsivisch zu schluchzen. Endlich. gelang es den Bemühungen Heidens und Malsenhausens, die verstörte junge Frau einigermaßen zu berubigen, während Sagenheim mit spöttischem Gesicht danebenstand. Diese raffinierte kleine Hexe verstand es vortrefflich, Männer zu betörrn. Eine Komödiantin war an ihr ver lorengegangen. „Was ist denn nur geschehen, Hans?" fragte Malsen- hauscn seinen Neffen, als er sich erhoben hatte, um Peter end Susanne nicht zu stören. „Es ist eigentlich weiter gar nichts passiert. Wir gingen bahin, als Frau Heiden plötzlich einen Schrei ausstieß Und sich an die Stirn griff. Ich hatte gerade noch Zeit, ihr Gewehr zu ergreifen und zusammen mit vem meinen hinzuwerfen. Tann klappte sie zusammen. Ob'sie sich über anstrengt hatte oder wodurch der Ohnmachtsanfall sonst hervorgerufen wurde, das vermag ich nicht zu sagen." Peter Heiden hatte inzwischen leise und zärtlich aus Susanne eingesprochen. Jetzt war sie soweit beruhigt, bah er sie aufheben und forttragen konnte. Sie war lcichi genug, daß er sie auf seinen Armen bis zum Schlitten brachte. Der Geheimrat folgte mit Susannes Hütchen und ihrer Flinte. Sagenheim blieb stehen und sah ihnen gehässig nach. Grimmig stampfte er mit dem Fuße auf. So nahe hatte er sich schon dem ersehnten Ziel ge glaubt — und jetzt! Aber von nun an würde er vor nichts mehr zurückschrecken, er würde sich von der raffinierten Frau nicht mehr düpieren lassen. Und wenn es das Glück des Heidehofbcsitzcrs gelten würde, das war ihm gleichgültig. Wenn er nur erreichte, daß Susanne sein würde! Wenn Peter Heiden Susanne dann von sich stoßen würde, dann mußte sie seine Beute werden. Tann würde sie froh sein, wenn er ihr seine rettende Hand reichte. Seine Heirat? Die sollte ihn nicht daran hindern, sich in der Stadt ein Liebesnest einzurichten, das Susanne gehören sollte. Herta würde sich damit abfinden müssen, wenn sie es einmal erfahren würde. Sie gefiel ihm ja sehr gut und würde für die erste Zeit auch Vergnügen bereiten; aber das Aufreizende, Hinreißende, das Susanne besaß, das ging ihr ab, darauf konnte er nicht verzichten. Lässig zündete sich der innae Mann eine äiaarette an nahm sein Gewehr über die Schulter und machte sich auf den Weg, den Sammelplatz aufzusuchen. * * * Seit diesem Jagdtage war Susanne völlig gebrochen. Sie war so elend, daß sie zunächst das Bett nicht verlassen konnte. Der Arzt konstatierte einen seelischen Zusammenbruch, ohne daß dessen Ursache festzustellen war. Jedenfalls war es angebracht, Susanne alle Schonung angedeihen zu lassen. Später, als Susanne für eine Weile aufstehen konnte, saß sie stundenlang am Fenster des Gartenzimmers, in einem der tiefen Lehnsessel; untätig und bewegungslos beobachtete sie das Treiben der Schneeflocken. Tausend irre Gedanken vurchzogen ihre gemarterte Seele. Dann wieder schlang sie die Hände ineinander und betete, ohne Ruhe und Trost zu finden. Was sollte nun werden? Wie würde das alles zu Enoe gehen? Die Tage schlichen dahin. Ab und zu kamen Besuche. Viele Stunden saß Peter neben ihr, dann ging es besser. Aber wenn sie wieder allein war, ihren Grübeleien aus« geliefert, begann die Qual von neuem. Eines Tages kam ihr Mann zu ihr, noch frisch von der Winrerkälte. „Du, Suse, hör zu: ich habe dir etwas mitgebracht, ein wenig Sonnenschein. Kannst du die kleine Magdalene vertragen, over wird cs dir zuviel werden?" Ein Lächeln verklärte Susannes Gesicht. „Oh, Peter, ich danke dir. Schnell, bring das Kind herein, ich freue mich ja so..." „Susanne, aber vu mußt mir versprechen, daß du dich nicht erregst und ganz ruhig bist, auch wenn das Kins da ist. Ich selbst muß nämlich ins Dorf zu einer Ver sammlung. Und kann nicht auf dich aufpassen. Aber ich werde der Mamsell Bescheid sagen." Kaum war er gegangen, als die Förstersfrau herein- trar, die kleine Magdalene an der Hand. Beide Hände streckte Susanne der Frau entgegen, dann zog sie das Kind an ihre Brust. Einen scheuen Kuß drückte sic aus das blonde Haar. „Ich danke Ihnen, liebe Frau Heiler, für die Freude dieses Besuchs. Bitte, setzen Sie sich hierher zu mir. Und Magdalene kommt ein wenig auf meinen Schoß — nicht wahr? Und jetzt werden wir schöne Sachen kommen lassen, die werden uns fein schmecken." Als der alte Hieronumus den Tee gebracht und alles zierlich zurcchigestellt hatte, sagte Susanne: „So. mein Lieber, jetzt sorgen Sie bitte dafür, daß wir ungestört und allein bleiben. Ich bin für niemand zu sprechen — hören Sie?" Der alte Diener bejahte und verließ das Zimmer. Susanne strahlte, als sie der Kleinen all die Leckerbissen in den Mund schob, die hier aufgetischt waren. Magda lene war ganz zutranlich geworden in diesen Monaten; sie hatte ikre Scheu vor Susanne abgelegt und ließ sich vergnügt füttern. Auch Susanne schmeckte es so gut wie schon lange nicht, und alle drei tafelten munter drauflos. Tann war alles gesättigt; die Förstersfrau schob den Teewagen beiseite. „So, Magdalene, jetzt erzähle mir, was der Weih nachtsmann alles gebracht hat. Ich hab' dich ja seit dem Heiligen Abend nicht mehr gesehen und bin sehr neugierig auf deinen Bericht." „Ach, viel hab' ich bekommen, Tante. Außer all den schönen Sachen, die das Christkindchcn hier auf dem Heide hofe für mich abgegeben halte, brachte es mir zu Hause noch ein Bilderbuch, eine große Puppe, einen Baukasten und viel, viel Pfefferkuchen, Nüsse, Aepfel. Und weißt du, Tante, so schöne Geschichten stehen drin in dem Bilderbuch, von Dornröschen, Aschenbrödel, Schneewittchen... Nnd du bist oenau so wie Schneewittchen.: Has bat auch ein so schönes Weißes Kleid an und so lange schwarze Zöpfe. Sieht es nicht genau so aus, Mütterchen?" Liebkosend griff die Kleine nach einem der Zöpfe Susannes, die lose herunterhingen, da sie die schweren Radeln nicht gut ertragen konnte. Susanne schloß die Augen, eine Schwäche hatte sie übermannt; es Lauerte indes nur eine Sekunde, dann hatte sie es überwunden. „Kennst du denn das Märchen von Schneewittchen, Magdalene?" fragte sie das Kind. „Ja, ich kenne es; Mütterchen hat es mir schon ost vorgelesen. Und ich mag es sehr gern. Soll ich es dir mal erzählen, Tante?" „Ach ja, mein Kleines, da würde ich mich sehr freuen." Das Kind fing an, mit seiner weichen Stimme das alte Volksmärchen zu erzählen, stockend zuerst, allmählich fließender und ganz anschaulich. Susanne saß da und hörte zu, ihren Gedanken dabei freien Raum lassend. Wie lange war es her, seit sie diese alten Märchen vernommen hatte, aus dem Munde ihrer geliebten Mutter, die — mitten in der Fremde — ihrem Kinde immer wieder die deutschen Volksmärchen erzählt hatte! Und jetzt saß da ihr Kind, ihr eigenes, verleugnetes Kind, ihr wiederum dieses Märchen zu erzählen. Dann, als das Kind geendet hatte, bat es die Tante, , ihm ein anderes Märchen zu sagen. Susanne fing an, mit ihrer dunklen, einschmeichelnden Stimme von fremden Ländern und von Pflanzen und Tieren zu erzählen. Und das Kind saß unbeweglich, fest au Susannes Brust geschmiegt. Ganz dunkel war es im Zimmer, draußen fiel dichter Schnee. Der Wind schnob fauchend durch den Kamin, daß das Heuer hell auflodene. Der Schein des Feuers fiel aus die Gruppe am Fenster. Tann, als Susanne geendet hatte, sah sie auf das Kind, das sich nicht rührte. Sie beugte sich hinunter und sah, daß die Kleine eingeschlafen war. Besorgt wollte vie Förstersfrau das Kind von Susannes Schoß nehmen. ivsrd vielleicht zu schwer für Sie, gnädige Frau Sic dürfen sich doch nicht anstrengen." „Nein, nein, liebe Frau Heiler, cs wird mir gar nicht zu schwer. Ich freue mich ja so sehr, das Kind so nahe b '! ->r zu haben. Wenn Sie es wüßten. Frau Heiler..." „Ja, liebe gnädige Frau, ich kann mir schon denken, i wo Sie der Schuh drückt. Aber warten Sie nur, der liebe ! Gott wird auch sie erhören, Ihren Wunsch erfüllen." „Oh, ich glaube nicht mehr daran." Voll Bitterkeit kam es von den Lippen der jungen Frau. Erschreckt sah die Förstersfrau zu Susanne hinüber, deren Gesicht weiß und blaß durch die Dunkelheit leuchtete. Sie ergriff die wie leblos herunterhängende Hand der Gutsherrin, drückte sie warm und sagte leise: „Jetzt muß ich Sic ein klein wenig schelten. Wie kann man nur so mutlos sein und so verzagt! Da will ich Ihnen eine Geschichte erzählen. Mir ging es ebenso wie Ihnen — nur, daß ich schon fast zwanzig Jahre verheiratet war, ohne daß mein Herzenswunsch nach einem Kindchen erfüllt worden war. Ich hatte mich schon schweren Herzens in das Unabänder- ftche gefügt, ohne je die Sehnsucht loszuwcrdcn. Da, es war in einer Wintcrnacht, mein Mann und ich waren schon grau geworden, da erst schickte mir unser Herrgott dieses kleine Wesen, legte es auf die Schwelle unseres Hauses. Es ist nicht unser eigenes Fleisch und Blut, aber heute ist es doch ganz unser geworden; wir lieben es, wie wir ein eigenes nicht mehr lieben könnten. Gerade so ein Wetter war es wie heute, als wir es fanden. In ein ärmttchcs Bündel war es eingchüllt, bei nahe im Schnee versteckt. Sein Wimmern haben wir gehört; dadurch haben wir es gefunden, ehe es erfroren war. Und dann ist es unser ganzes Glück geworden, dieses süße Kind, das wir im Schnee gefunden haben." Fast atemlos hauchte eine Stimme aus der Dunkelheit: „Und dle Mutter des Klndes? Hat man von fyr nlS mehr etwas gehört?" „Nein, die Aermste war verschwunden. Vielleicht, LaA sie sich im Teich ertränkt hatte; sicher weiß man es nichd» Gott wird ihr schon verziehen haben. Ich bet« ost für fih durch die ich so reich geworden bin." „Und Sie verwerfen sie nicht?" „O nein, das tue ich wirklich nicht. Im Gegenteil, ich bin mir klar darüber, was diese arme Frau zu erdulden hatte, ehe sie so weit gekommen war. Wie trostlos mag ihre Verzweiflung gewesen sein, ehe sie sich entschlossen hatte, sich von ihrem Kinde zu trenne«. Wie kann man diese Arme verdammen, die das Liebste, Beste von sich lasten mußte? Ach, hätte ich sie gekannt, würde ich sie zu mir ge nommen, mich um sie bemüht haben. So aber konnte ich nichts anderes tun, als ihr Kind an mich zu nehmen wie mein eigenes und für sie beten, die unerkannt davon gegangen war." Susanne weinte leise vor sich hin. Ihr« Tränrn fielen auf die Stirn des Kindes, das inzwischen erwacht war. Magdalene schlang die Arme innig um Susannes Hals. „Nicht weinen, liebe Tante, nicht weine«! Du sollst nicht traurig sein! Ich bin doch bei dir, und ich hab' dich sehr gern..." Susanne nahm die kleinen Kinderhände in die ihren, drückte sie an ihre schmerzenden Augen und küßt« sie. Die Förstersfrau stand auf, trat hinüber zu Susanne. „Wir müssen jetzt gehen, liebe gnädige Frau. Es ist höchste Zeit für Sie, daß Sie zur Ruhe kommen. Ich mache mir geradezu Vorwürfe, daß wir so lange ge blieben sind." Susanne zog die verarbeitete Hand der alten Frau an ihre Wange. „Sie sind so gut wie eine Mutter, Frau Heiler. Ich habe mein Mütterchen schon so früh verlieren müssen, bin einsam gewesen, viele Jahre lang. Oh, Sie wissen nicht, was ich durchkämpft und gelitten habe, wie ich beinahe zerrissen worden wäre von den Stürmen des Lebens, vor innerer Qual..." Dann fuhr Susanne auf, sich besinnend. Was sollte die Förstcrssrau von ihr denken, wenn sie sich so gehen ließ? „Ich glaiwe fast, daß ich ziemlich abgespannt bin, weil ich so durcheinander rede. Und ich bitte Sie nur, meine gute Frau Heiler, nichts von dem dummen Zeug, das ich heule vahergercdet habe, meinem Manne zu erzählen. Er würbe sich nur unnötige Sorgen machen. Und er ist ja so gut zu mir, so unendlich gut, daß es wirklich unrecht von mir ist, mit dem Schicksal zu hadern." „Aber liebe, gnädige Frau, ich weiß ja, wie das ist, wenn man sich nicht ganz wohlfühlt. Da sieht man alles schwarz, und später, wenn alles vorüber ist, lacht man über die dummen Gedanken. So, und nun, Magdalene, gib der gnädigen Frau noch einen Abschiedskuß. Dann wollen wir schnell nach Hause gehen." Lange saß Susanne noch da und sah auf die Tür, hinter der ihr Kind verschwunden war. Also eine Frau wie die Förstersfrau, die Bescheid wußte um die Dinge des Lebens, die verurteilte sie nicht; sic be griff die Tat einer Verzweifelten, die sich nicht mehr zu retten und zu helfen wußte! Vielleicht, daß Peter auch alles verstehen und verzeihen würde, daß cs möglich wäre, ihm alles zu sagen, bei ihm Rettung zu finden? Ja, vielleicht! Vielleicht aber würde er sich von ihr ab- wcndcn, sie sortschicken! Und sie wußte, daß sie weiter schweigen, weiter diesem Schurken auf Rosenhain aus geliefert sein würde! * * * Alles ging seinen ruhigen Gang weiter Hans Sagcnheim mochte von seiner Braut, den Vorbereitungen zur Hochzeit in Anspruch genommen sein; vorläufig jedenfalls hatte Susanne vor ihm Ruhe. Der Winter verlor leine Härt«: man näherte sich dem
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