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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 06.12.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-12-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19051206028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1905120602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1905120602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1905
- Monat1905-12
- Tag1905-12-06
- Monat1905-12
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Plätzen wird lein» Garantie übernommen. Anzetgen-Annahme: Augustuöpla- 8, licke JohamrlSgasse. Di« Lxpedition ist wochentags unuuter'rochen geöffnet von früh 8 bi» abend» 7 Uhr. KUtal-Expedttton: Berlin, -ützowstr. 10. , » Dresden, Martenstr. 84. Druck und Verlag von E. Pol, tu Leipzig (Inh. l>r. R. L W. Kltuihardt). Herausgeber: vr. Viktor Klinkhardt. Nr. 62l. Mittwoch 6. Dezember !905. 09. Jahrgang. Vas Wütigste vom Lage. * Ein dem Reichstage zugegangener Gesetzentwurf beS Bundesrats schlägt die Verlängerung des Hauvelsprovi- foriums mit England um weitere zwei Jahre vor. (S. Deutsche» Reich.) * Im Reichstage beginnt heute die erste Lesung des Etats der Flottenvorlage und des Reichsfinanz- refo rmeutwurfes. * Das Oldenburger Oberlandesgericht erkannte im Throni'IreitSprozeß des Grafen Welsburg gegen den Großherzog auf Verwerfung der Berufung. Graf Welsburg meldete Revision an. * Die russische Regierung hat eine Erklärung erlassen, in welcher sie zwar die Durchführung der Reformen verspricht, sie aber einstweilen durch temporäre Bestimmungen ersetzen will. Gegen die Einführung von zeitweiligen Preß vorschriften erläßt der „Verband für Preßschutz" bereits einen Protest. (S. Letzte Dep.) * Der Boykott der Setzer in Pest gegen die Blätter, welche das allgemeine Wahlrecht bekämpfen, dehnt sich aus Heute konnten 16 Tageszeitungen leilwcise gar nicht, teil weise nur iu beschränktem Umfang erscheinen. (S. auch Auöl.) * Auf dem Londoner Bahnhof Eharing Croß stürzte ein Teil des Dachgewölbes ein, wobei vier Personen getötet und vierzig schwer verletzt wurden. (S. Neues aus aller Welt.) politische Tagesschau. Leipzig. 6 Dezember. Die „Thronrede" des Präsidenten Roosevelt. Die Botschaft des Präsidenten Roosevelt, die wir bereits in einem telegraphischen Auszug skizziert Haven, unterscheidet sich von den Thronreden in Europa dadurch, daß sie, soweit aus dem jetzt vorliegenden längeren Bericht zu ersehen ist, weder die Beziehungen zu anderen Staaten, noch den auf amerikanischem Boden abge schlossenen Frieden zwischen Rußland und Japan be rührt. Sie beschäftigt sich fast lediglich mit amerika nischen Angelegenheiten, hauptsächlich mit der staatlichen Aufsicht über die wirtschaftlichen Korporationen, die gewiß, wie der Präsident sagt, ungeheuer viel Gutes ge leistet und deshalb Anspruch auf Begünstigung hätten, solange sie Gutes wirken, aber scharf ungefaßt werden müßten, sobald sie gegen Gesetz und Gerechtig keit handelten. Roosevelt erklärt die Ueberkapitalisie- rung, d. i. die Belastung vieler Unternehmungen mit einem höheren Kapital, als sie nötig haben, für einen Mißbrauch, dem gesteuert werden sollte. Die Transport gesellschaften seien der Aufsicht einer administrativen Behörde zu übertragen, die einen Minimal-, wie einen Marimaltarif festzusetzen hätte. Ter Präsident will da durch die das Publikum schädigenden Konkurrenz manöver beseitigen. Ebenso wünscht die Botschaft, daß die Regierung über die Versicherungsgesellschaften eine angemessene Aufsicht führe. In dec Tat haben hier die neuesten Ereignisse gezeigt, daß unter manchen führenden Personen sehr fragwürdige Ehrbegriffe herrschen und daß gegen deren Gebaren ein Sckutz des Publikums nötig ist. Zu der Zollgesetzgebung übergehend, regt des Präsidenten Botschaft die Anwendung von Maximal- und Minimaltarifen gegen oder zu Gunsten von anderen Nationen an, um eine gewisse Gegenseitigkeit der Behandlung zwischen anderen Nationen und Nord amerika zu ermöglichen. Ueber die internationale Situation schwieg sich der Präsident, wie schon gesagt, aus. Er meinte nur, es fei zu hoffen, daß mit Hilfe internatio naler Konferenzen die Schiedsgerichte zum regel mäßigen Weg der Schlichtung internationaler Streitig, keiten würden, unterließ aber nicht, dabei zu bemerken, daß, „wie die Dinge heute liegen", die Nation zu kämpfen verstehen müsse, „wenn die Lage sich so gestalte, daß der Krieg eine Forderung der höchsten Moral werde". Die Armee, so klein sie sei, und die Marine seien daher bei höchster Leistungsfähigkeit zu erhalten. Am interessantesten für die hohen Negierungen Euro pas ist jedenfalls der Passus in betreff der Monroe» Doktrin, die bekanntlich keine Einmischung euro päischer Mächte in die inneren Angelegenheiten amerika nischer Staaten gestattet. Die europäischen Staaten sind ja ausnahmslos heilfroh, wenn sie mit den füdamerika- nischen Republiken politisch so wenig wie möglich zn tun haben, aber es sind dort viele Milliarden europäischen Geldes festgelegt und es wohnen in ihren Gebieten zahl reiche Untertanen europäischer Mächte, deren Schub und Hilfe sic leider öfters anzurusen genötigt sind. Ter Mestize Castro z. B. erlaubt sich permanent allerlei kleine Scherze gegen Europäer. Mit Rücksicht hierauf erklärt nun der Präsident, wenn eine südliche Republik einen Bürger einer fremden Nation verletzt hätte, nötige die Doktrin die Vereinigten Staaten nicht zum Ein schreiten, um sie vor Bestrafung zu schützen. Im Falle es sich nur um S ch u l d v e r h ä l t n i s s e — Venezuela — handle, sei die Sache schwieriger. Der beste Ausweg sei dann, daß die Vereinigten Staaten durch Ver mittelung ein Einschreiten fremder Mächte zu ver hüten suchte». Dieses Prinzip kann man nur billigen. Wie aber, wenn die Vermittelung der Vereinigten Staaten resultatlos bleibt? Tann ist die „Einmischung" des geschädigten Staates doch unvermeidlich, will er seinen Bürgern zu ihrem Rechte verhelfen, und es scheint, daß die Union hiergegen nach wie vor keinen Wider spruch erheben würde. Andernfalls wäre diese Eventuali tät wohl in der Rede des Präsidenten schärfer ins Auge gefaßt worden. Will er doch im allgemeinen sogar eine B e st r a f u n g der in Betracht kommenden Republiken gestatten, wenn ein Europäer von ihnen verletzt worden ist. Damit wird in Zukunft vielleicht mancher unlieb samen Verwickelung aus dein Wege gegangen, und es zeigt sich hierin in der Tat eine aufrichtige Friedens- tendenz der „Thronrede" des Präsidenten. Tie Gemeindewnhl in München. (Vo n n n i e r m Mü n ch n e r Ko rre 1 P o n d ente n.) Die liberalen Erfolge bei de» Gemeindewahlen der größeren bayerischen Städte sind durch einen glänzenden Sieg in der Hauptstadt gekrönt worden. „Der Sturm auf das Rathaus", den dec Zentrumsführer und Kammerpräsident Dr. v. Orterer am Abende der Land- tzrgswahlen im Siegesräusche angetündigt hatte, ist nicht nur abgeschlagen wordeir, er hat mit einer für absehbare Zeiten hinaus entscheidenden Niederlage des Zentrums und seiner edlen Verbündeten geendet. Einen ähnlichen Wahlkampf hat München noch kaum gesehen. Er wurde von den Liberalen und den Sozialdemokraten mit ehr lichen, vom Zentrum mit vergifteten Waffen geführt. Die Ultramontanen haben, nm zum Ziele zu gelangen, die Maske abgeworfen. Unter gelegentlicher Ableug nung antisemitischer Gesinnung haben sie ja schon lange mit deren rüdesten Vertretern geliebüugelt. Diesmal aber ist es zur Vereinigung mit den Christlich-Sozialen ü la Wien gekommen und die Namen ihrer berüchtigten Führer prangten auf der gemeinsamen Kandidatenliste. Dieser Koalition hatten sich noch, unglaublich aber wahr, ein Teil der protestantischen Konservativen angeschlossen — einer der aus diesem Kreise nominierten Kandidaten, Rechtsanwalt und Dc. juris, hat bis vor einigen Wochen wutschnaubende Artikel gegen Zentrum und Antisemiten im — „Berliner Tageblatt" geschritten! Unglaubliches ist an Verhetzung, an Verleumdung per sönlicher Statur geleistet worden. Es genügt, zu sagen, daß man sich zu einer Versammlung unmittelbar vor den Wahlen den anrüchigsten aller Wiener Christlich- Sozialen, B i d o h l s ch a n e k, als Hauptredner ver schrieb — seinen Münchener Genossen hätte die Zugkraft gefehlt. Man muß gestehen, daß er an Roheit und ge meinen Beschimpfungen allen auf ihn gesetzteil Erwar tungen entsprochen hat. Und ein Zentrumsabgeordncter führte den Vorsitz und neben dem Wiener Redner trat der Zentrumsgeneral Dr. Heini auf und brachte Bidohlschanek am Schlüsse der Versammlung ein be geistertes Hoch. Gegen die „Judenliberalen" im Rat hause, so lautete der Schlachtruf — den beiden städtischen Kollegien gehört ein einziger Jude an. In diesem offenen Bekennen des Antisemitismus seitens des Landtagszentrums liegt das eine, weit über München hinausgehende politische Moment der Ge meindewahl Die Ultramontanen haben dabei freilich Nicht mit dem gesamten Empfinden der Mehrheit der Münchener Bürgerschaft gerechnet. Indem sie neben den unmöglichsten Versprechungen an die rohesten Instinkte appellierten, haben sie bei nicht wenigen Indifferenten Entrüstung horvorgernfen und ihnen den liberalen Wahl zettel in die Hand gedrückt. Tas zweite bedeutungsvolle politische Moment liegt im Verhalten der Sozialdemokraten. Sie haben die ver lockendsten Anerbietungen des Zentrums abgewiesen und kein Bündnis, aber ein Abkommen für einen ihrer Wahl bezirke mit den Liberalen getroffen, das auf beiden Seiten ehrlich gehalten wurde. In mehreren Bezirken, in denen in: voraus für die eine Partei keine Aussicht bestand, wurde sofort für den Kandidaten der andern eingetreten, in mehreren anderen Bezirken die Kandida tur im Laufe der Wahl zurückgezogen. Außerdem gingen beide Parteien selbständig vor. Damit ist der erste Schritt zu künftigem gemeinsamen Kampfe gegen das Zentrum auch bei den Landtagswahlen getan. Der unerhörte ultramontane Terrorismus im Landtage und im ganzen Lande läßt auch den gemäßigten Liberalen ein solches Bündnis plausibel und notwendig erscheinen und die Sozialdemokraten werden ihren bei den vorigen Wahlen gemachten Fehler nicht mehr wiederholen. Mit anderen Worten, das Beispiel Badens wird in Bayern Nach ahmung finden. Ueber das Resultat der Wahl habe ich schon tele graphisch berichtet. 20 Gemeindebevollmächtigte (Stadt verordnete) batten anszuscheiden, unter ibney 0 Liberale, Ultramontane und ein ihnen zuneigender Parteiloser. Neugewählt wurden mit beträchtlicher Majorität 11 Liberale und 5 Sozialdemokraten, sodann 4 der Zen- trumsliste, darunter ein Antisemit. Wären die Sozial demokraten nicht zu siegesgewiß gewesen, so hätte mit leichter Mühe noch je ein Mandat für sie und die Libe ralen erobert werden können. Das wird bei der Ersatz- wähl nackgeholt werden. Tas Resultat hat für München noch eine weitere große Bedeutung. Das Gemeindekollegium zählt nun mehr 35 ( 33) Liberale, 9 (4) Sozialdemokraten, 16 (23) Zentrum, d. h. die beiden ersteren besitzen die zu be sonders wichtigen Beschlüssen notwendige Zweidrittel- Mehrheit. So wird sich natürlich das Verhältnis auch im Magistrat gestalten. Und manche freiheitliche und fortschrittliche Einrichtung, die bisher an ultramontanem Widerstande gescheitert ist, wird sie ini Gefolge haben. Deutsches Ueich. Leipzig, 6. Dezember. * Verlängerung »es deutsch-englischen Handels provisorium. Dem Reichstag ist ein vom Bunbcsrat be schlossener. vom 4. d. M. datierter Gesetzentwurf zugegangen, der das Handelsprovisorium mit dem britstchen Reiche vom 31. d. M. ab, au welchem Tage es ablaufeu sollte,_ um weitere zwei Jahre, also bis zum '31. Dezember 1907 zu verlängern vorschlägt. Der Entwurf lautet: Der BmideSrat wird ermächtigt, deu Angehörigen und den Erzeugnissen des Bereinigten Königreichs von Großbritannien und Irland jowie den Angehörigen und Erzeugnissen britischer Kolonien und auswärtiger Besitzungen bis zum 81. Dezember 19v7 diejenigen Bortelle einzuräume», die seitens des Reichs den Angehörigen oder orn Erzeugnissen des meistbegünstigten Landes gewährt wcrd.n Dieses Gesetz tritt mit dem 1. Januar 1906 in Kraft. * Ein VüloioscheS AriedenSwortk Der Berliner Korre spondent des „Petit Parisien" weiß seinem Blatte zu meleen, baß er während des parlamentarischen AbendS beim deutschen Reichskanzler aus dem Munde deS Fürsten folgende, dem Vertreter einer Großmacht gegenüber geäußerten Worte ver nommen habe: „Sie haben Recht, die Zukunft klärt sich. Ich glaube immer mehr, baß die Aufrechterhaltung des Friedens zu erwarten sei, ich habe Vertrauen zur Weisheit der Völker und ihrer Regierungen." * Von der Volkszählung. Nach dem vorläufig fest- gestellten Ergebnis der Volkszählung vom 1. Dezember beziffert sich die Einwohnerzahl Dresdens,«?.' Albertstadt, auf 514 283 Köpfe (auf 1. Dezember 1905 wurden fortgeschrieben 506 261 Köpfe). Am 1. Dezem ber 1900 wurden innerhalb der Grenzen des heutigen Stadtgebietes von Dresden gezählt 480 659 Köpfe. Die hiesige Bevölkerung hat sich mithin seit 1900 um 33 624 Köpfe, das ist uni 7 Prozent, verniehrt. In den Jahren 1895 bis 1900 wuchs die hiesige Bevölkerung um 41835 Köpfe, das ist um 11,8 Prozent. Seit 1900 ist demnach in Dresden unter dem Einflüsse der veränderten Wirt schaftslage eine beträchtliche Verlangsamung der Be- völkernngszunahme eingetreten. Ohne Einrechnung der nach 1900 eingemeindeten Vororte, also innerhalb der Grenzen des damaligen Stadtgebietes, wurden am 1. Dezember 1900 hier gezählt: 396 146 Einwohner. Iu Verbindung mit den Eingemeindungen ist somit die Ein wohnerzahl in Dresden seit 1900 gewachsen um 118 137 Köpfe, das ist uni 29,8 Prozent. * Tie Wahlrechtskundgebungc» der Sozialdemokratie suchen sich nun auch das Land in Deutschland aus, das nicht einmal die Vorbedingung eines allgemeinen Wahl rechtes besitzt, eine Verfassung. Sie wollen in Mecklen- burg-Schwerin ihr Glück probieren. Wie uns ein Privat telegramm meldet, beschloß die sozialdemokratische Partei, am 16. Dezember in Rostock Massenkundgebungen für Einführung des Wahlrechts und der Verfassung abzu- hälieu. * Ter Hochschulstreit. Aus Darmstadt meldet uns ein Privattelegramm, daß die Konstituierung des neuen Studentenverbandes unter Ausschluß der katholischen Verbindungen erfolgt ist. * Po- unv die Apotheker. Tas preußische Lanvwirt- slbaftsministerium hat wirklich Pech! Erst hat einer seiner Räte, Herr Thiel, zwar nickt in seiner amtlichen Eigenschaft, aber aiS Redner in einem wissenschaftlichen Verein einige mißverständliche Anfragen getan, die man ihm in Mittel- stanvskreisen und besonders bei den Gastwirten so übel genommen hat, daß man ihn bei dem Minister des guten Tons, Herrn von Podbielski, verklagte. Und nun wird dieser selbst ebenfalls wegen unparlamentarischer Ausfälle) gegen ein ehrbares Gewerbe zur Rechenschaft gezogen Er hat in der Reickstagssitzung am 30. November bei der Er wähnung einer ihm gemachten angeblich sehr hoben Rech nung des Berliner Viebboses diese als die „reine Apotbeker- rechnung" bezeichnet. Darauf veröffentlicht der Vorsitzende des Deutschen Apothekerausschusses Dr. Jehn in der „Apo- thekerzeitung" folgende Erklärung: „Ta zweifellos Pie eine oder andere sozialdemokratische Kajsen- Verwaltung dies geflügelte Wort des Herrn von Podbielsli aus schlachten wird, soll es nicht ungerügl bleiben. Was weiß Herr ' von Podbielski von „Apotheierrechnungen"? Hat er schon mal gehört oder war es ihm bis jetzt unbekannt, daß die seitherig? preußische Arzueitaxe unter der Aegide seines Kollegen, des Herr Feuilleton. jeckes vollkommene Kunstwerk ivürcke seine Urheber, ocker vss ihn umgibt, vernichtet hüben, wenn es sich sus seiner Krsst nicht hätte entwickeln können. k. ?b. Moriir Die Bekenntnisse eines Greises. *) Ein neuer Gottschall ist erschienen. In diesem Satze liegt weit mehr, als wenn man sagt: ein neuer Frenssen ist erschienen. Wer vom neuen Frenssen ipricht, der sieht rings um sich ein estrig bejahendes Nicken: Ei frei lich, der neue Frenssen ist erschienen, wir wissen es wir haben es gelesen, wir warteten schon darauf. Wer denselben Leuten sagt, ein neuer Gottschall sei herausgekommen, der hört keine Bejahung, er hört nur Fragen: Wie? Ein neuer Gottschall? Ein Buch vom alten Gottschall? Bon Rudolf von Gottschall? Der neue Gottschall ist. kein älterer Golstchall, sondern ein alter. Ich meine: Diese neuen Gedichte sind nicht etwa eine Auswahl aus früheren, sie bedeuten nicht eine neue Aus lage. Sie sind vielmehr, wie ihr Titel sagt, alt ihrer Reise und ihrem Inhalt nach- ES sind — späte Lieder. Sie sind alt. Und sie sind auch wieder nicht alt. Tie jüngsten Gedichte des ältesten Lyrikers sind jünger als die der Jungen. Die Begriffe von alt und ,ung schwanken hier io derb ineinander datz man gar nichts mehr erkennt. Wenn man es nicht iv ü h te, daß diese Lieder au» der Feder eines *1 Spät« Lieder. Bon Rudolf von Gott schall. Verlag von S. Schottländer (Schlesische Verlags anstalt) in Breslau. 120 G. Achtzigjährigen geflossen sind, man würde es nie und nimmer merken. In diesem Sinne sind sie jung. Unter all der Lyrik, die jahrüber in tausend Töpfen brodelt und die aus Verlegerküchen ins Volk gegossen wird, unter all diesen dünnen Bcttel'uppen, an die rein Körnchen attisches Salz verschwendet wurde, erscheint Gottschalls Lyrik wie eine Kraftbrühe. Sie hat etwas Stärkendes und Wärmendes. Während andern die Kraft des Gedankens in Kleinigkeiten und Vielheiten von Gedichten zerbröckelt, kom primiert sie sich bei Gottschall zu essentiellen Werten, die in edem Wort, das da gedruckt steht, dichterisches und chöpferifches Schaffen erkennen lassen. Gottschalls geistige Kratt und Jugend sind ungebrochen in diesen Liedern. Mit einer Vehemenz, die in der Geschichte der deutschen Dichtung wohl einzig dasteht, sprüht dieser un- erschöpfliche Geist seine Gedankenfunken aus. Man lese ein Gedicht wie die „Walpurgisnacht. Die Anschaulichkeit der Sprache, die Sicherheit der Gestaltung und die Kraft deS poetischen Ausdrucks sind hier so außerordentlich, daß unsere lungen Lyriker von heute, die ganz Großen ausgenommen, beschämt die Augen niederschlagen müssen, wenn sie über haupt eines kritischen Vergleichs fähig sind. Wie oft hab' ich es sagen hören: „wenn der alt« Gott schall nur einmal mit Dichten aufhören wollte!" Gab eS nicht Stunden, in denen ich selbst so dachte? Wir haben ihm heute Abbitte zu leisten. Er zwingt uns zur An erkennung. Und wir spenden ihm obendrein Bewunderung für diese ^Späten Lieber". Gottschall dichtet bis hart an das Grab. Man wird, wenn es einmal so weit ist, ein un vollendetes Manuskript auf seinem Schreibtisch finden. ES ist Natur-wang. Du machst dich lächerlich, wenn du vor ein brennendes Haus trittst und ein GlaS Wasser in die Flammen schüttest. Gottschall steht in Hellen Mammen. Und jeder Versuch, ihm dreinzureden. ist wie der Sturmwind, der die Loh« »tingeln macht. Er bekennt. Seine Gedichte achen Persönlichstes, Mer- persönlichste». Er bedauert sie Menschen er trauert über die Vergänglichkeit de» Ruhme» er geißelt die Moden, er wünscht sich in» Grob und gesteht, daß sein Leben wie jedr» Leben mit »mer psychischen und geistiger» Uruerbilanz zu haben, dann durchfchauert ihn die Erinnerung küßte und gekoste Stunden. Dahin ist alles. Dahin. Die Schatten werden länger, Das Abendrot zerrann; Es wird das Leben enger Dem späten Wandersmann. Ihm lacht 'u i allen Weiten Dre.aufge' ^s'ne Welt; Von süßen Heimlichkeiten Wird nock) die Brust geschwellt. Und wenn die späte Stunde Der Zeiger mahnend weist, Was kümmert solche Kunde Den nimmermüden Geist? Im Schassen ohne Wanken Blüht ihm der Jugend Glück; Mit Taten und Gedanken Stell er di« Uhr zurück. Wie ein Motto ziohen diese prächtigen Wort« durch sein« letzten Jahr«. Man wirft neuerdings den dichtenden Frauen ihre Sehn sucht und ibr Liebebedürfnis vor. Man findet e» schamlo» und hysterisch, wenn sie von ihren heimftch glühenden Be- aicrden offen sprechen. Man will nur die Brunst aus ihren Worden hören, nicht die Inbrunst. Gebietet die Logik, auch Wer diesen Gres» zu lächeln, der am Rand de» Groves zwar nicht die Hoffnung, aber die Lieb«, und zwar die Liebe in ihrer positivsten Bedeutung, auspslanzt? Ich sehe darin et wa» ganz andere» al» nur die Sinne. E» fft der tiefe, wche Drang nach Glück. E» ist die gualvolle Sehnsucht, die jeder KunKler kennt, Glück zu geben und Glück zu empfangen. Der JWegriff de» Glückes aber liegt im We.br. Ta» bat schließe; aber er hat auch Tage der Freude, des stillen und seinen Genusses, dann tändelt er gern mit den „sittsam ver- stockten" Mädchen (eine echt Gottschallfche Prägung), dann wünscht er sich, wieder einmal so ein lieb jung Ding im Arm > an ge- die Natur nun einmal so gewollt. Und dieses Glückes sollte sich keiner zu schämen brauchen. Nicht in ihnen, ven Be- kennern und Bekennerinnen liegt das Außerordentliche, Un natürliche, sondern in uns, den Konventionellen, den allzu besorgten Hütern einer unfreiwilligen Tradition. Ein heimlich Glück — ists ein,Verbrechen? Es muß sich selbst den Segen sprechen. Von stillen Blüten wird's belauscht, Äenn's Küsse statt der Ringe tauscht. Wir stehn in einem Zauberkrrste, In allen Blättern regt sich's leise, Die Wipfel rauschen feierlich Und neigen wie zum Gruße sich. Die Winde brausen den Choral Bon Tal zu Berg, von Berg zu Tal- Hier rauscht kein hochzeitlich Gewand, Kein Jungferukranz wirb hier gewunden Doch Herz an Herz und Hand in Hand Sind wir aufs innigste verbunden. Und keine Lüge am Altar, Kein „Ja", Vas jedes Glück verneint! Durch alles nur, was schön und wahr, Sind ohne Priester wir vereint. Selbst dieser Greis unterliegt der Stimmung Heule freut er sich <nn Glanz der Sonne und am Leuchlen treuer Augen, morgen »eht er nur Nebel und Tränen. Dann übermannt ihn der Pessimismus und sein Denken wirp chwer und verzagt. Es gräbt der Spaten und die Scholle iälli, Und immer mehr verödet mir die Welt. Ein Kirchhof rings, soweit ich sehen mag, Und Leichenzüge kommen Tag für Tag. Wie ander» klingen diese Verse im Munde eines Achtzig, jährigen, als wenn sie ein Po'eur inmitten der zwanziger Jahre spricht! Unsere jungen Lyriker lullen sich gern und geflissentlich in wiche whle Unlust hinein. Aber e» ist ein untnfchied »wisch« blasiertem Weltschmerz und naiv«.
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