erstehe, welche, ohne den Anspruch einer gottesdienstlichen Feier zu erheben, auch das Leiden Christi samt den Voraussetzungen und Folgen derselben mit den Mitteln der Kunst würdig feierte. Das Oberammergauer Passionsspiel, sagte ich, sei weder gottes dienstlicher Art, noch auch läge dessen Berechtigung darin, wenn es so wäre. Aber auch der Kunstwert desselben ist nur von unterge ordneter Bedeutung. Zwar Franz Schöberl schreibt a. a. O. S. 5 von dessen Unternehmern: „Nicht zufrieden, ihr Spiel in der alten, bäuerlichen Manier wiederzugeben, waren sie vielmehr beflissen, wie in ihren Schnitzarbeiten, so auch in ihrem Spiel von Jahrzehnt zu Jahrzehnt sich auszubilden und in der Kunst fortzuschreiten, wo durch es ihnen gelang, ihr Spiel zur Höhe einer künstlerischen Dar stellung zu bringen und so den gerechtesten Ansprüchen aller Kunst kenner Genüge zu leisten." Und sogar die „Allgemeine Evan gelisch-Lutherische Kirchenzeitung" a. a. O. kann schreiben: „Vom künstlerischen Standpunkt aus scheint uns das Spiel fast un bedingtes Lob zu verdienen." Dagegen behaupte ich und werde dies beweisen, daß in Oberammergau wenigstens die dramatische Kunst noch ziemlich in den Windeln liege. Darum behängt sie sich auch mit den gleißenden Flittern einer gottesdienstlichen Feier. Die echte Kunst kann der letzteren entbehren und ist doch in der Lage, den heiligen Gegenstand, welchen sie künstlerisch darstellt, nicht zu ent weihen, sandern mit der ihm gebührenden Weihe zu umgeben ge rade durch Offenbarung und Entfaltung seines eigenen tiefsten Wesens gehaltes in den durchsichtig edeln Formen klassischen Stils. Das Oberammergauer Passionsspiel aber ist sowenig eine echte Kunstdar stellung, als eine echte gottesdienstliche Feier, sondern eine sich gegen seitig störende und niederhaltende Verquickung beider. Indem ich mit der protestantischen Lösung vom gottesdienst lichen Scheine zugleich eine höhere Kunstentfaltung für den heiligen Gegenstand des Oberammergauer Spieles in Anspruch nehme, liegt darin schon, daß ich zu den Leistungen des letzteren eine mehr kritische Stellung einnehme, als sonst herkömmlich ist. Indes will ich keines wegs leugnen, daß auch ich bei der Aufführung im Jahre 1880 einen nicht unbedeutenden Eindruck empfangen habe. Es wird immerhin viel geleistet, und nicht ohne Grund ist es, daß sich jenes Gebirgsdorf einen mehr als europäischen Ruf erworben hat, wenn