02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.08.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-08-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980827023
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- LDP: Zeitungen
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-08
- Tag1898-08-27
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Höchstwahrscheinlich nicht. Deshalb soll aber nicht geleugnet werden, daß der Wunsch der Geistlichkeit, die „Katholiken".Versammlungen imposant zu gestalten, eS bewirkt, daß viele Gläubige in ihrer Theilnahme die Erfüllung einer religiösen Pflicht erblicken. Die in diesen Tagen auch von Gegnern viel gepriesene Disciplin des CentrumS kommt durch die Betheiligung und di« Art der Betheiligung zum Ausdruck. Sie kann ein Erstaunen er regen, da daS Centrum eine kirchenpolitische Partei ist, hinter der eine Hierarchie mit einer für unfehlbar gehaltenen Spitze leitend und treibend steht. Man mag diese Disciplin bewundern, beneiden sollten um sie aber wenigstens deutsche Männer das Centrum nicht. Denn der Gehorsam, die „Einmüthigkeit", wie sie in Crefeld wieder zu Tage getreten, wurzelt in der geistigen Unfreiheit der dem UltramontaniSmuS Ver fallenen. Dem UltramontaniSmuS. Denn eine Katholikenver sammlung ist das, was sich alljährlich abspielt, so wenig, wie das Centrum die Partei der deutschen Katholiken ist. Millionen von ihnen stehen vielmehr im bewußten Gegensatz zu dem vom KlerikalismuS geschaffenen Gebilde. Uebrigens ist auch die Einmüthigkeit der nicht ganz abseits Stehenden eine kadlo oonveuus. In Crefeld wurden z. B. über das Thema „Kirche und Wissenschaft" Sätze zum Besten gegeben, die weder der Gruppe, zu der Professor Schell zählt, noch der Masse der auf den „Pelikan" und seine Bereicherungen des „Glaubens" Schwörenden einwandfrei erscheinen konnte. Ein Widerspruch ist dennoch nichr erfolgt. Ebensowenig, als ein Redner die „katholische" Belletristik als eine auf der Höhe der deutschen Literatur sowie auch des Be dürfnisses stehende empfahl. Und dennoch müssen sich in diesem Augenblick klerikale Blätter mit der Schrift eines Katholiken, dem sie diese Eigenschaft nicht absprechen können („Eine lite rarische Gewissensfrage" von Veremundus) befassen, die „in der katholischen Belletristik wie auf anderen geistigen Gebieten eine gewisse Rückständigkeit" anerkennt. Die „Inferiorität", das Wort rührt von keinem Cultur- kämpfer, sondern von dem CentrumSführer Professor v. Hertling her, ist überhaupt trotz aller Selbstbelobigung das Skelett im klerikalen Hause. Wenn ein Crefelder Redner im Gegentheile eine Superiorität, ohne auf Protest zu stoßen, seststellen konnte, weil unter zwei Millionen socialbemokratischer Wahl stimmen nur etwa 100 000 von Katholiken abgegebene sich befunden hätten, so hat er mit seiner falschen Schlußfolgerung aus seiner falschen Behauptung nur gezeigt, was Alles in diesen Kreisen ungehindert passiren darf, vocem Socialdemokratie. Ein anderer Redner that den Ausspruch: „Zwischen Social demokratie und Christenthum giebt es keine Vermittelung." Ganz gewiß nicht. Aber zwischen dem Ultramontanisums und der Socialdemokratie hat es immer Mittler gegeben. Auch Windthorst hat dazu gehört, und jetzt glänzt der Geist liche Rath und Pfarrer Wacker unter ihnen. Dies nebenbei. Bemerkenswerth war auf der Crefelder Versammlung die Verschiedenheit des politischen Tons und die Inkongruenz thatsächlicher politischer Feststellungen. Weihbischof Schmitz, seit Langem der gediegenste und maßvollste Redner auf diesen Parteitagen, äußerte sich, von bestimmten Punkten abgesehen, vom CentrumS- standpuncte befriedigt über das Verhalten der preußischen Negierung. Er betrachtete den Culturkampf als der Geschichte angehörig, hob insbesondere hervor, daß den Katholiken der Zugang zu den wissenschaftlichen Berufen offen stehe, und meinte, heute seien es „nur wenige rückständige Fanatiker, welche den alten Ladenhüter vom Bürger zweiter Classe vorzubringen versuchen". Ein anderer Redner erhob hingegen die gewohnten Paritätsklagen, erklärte sogar, ungerührt durch Herrn Schmitz, „wir wollen kein Staatsbürger zweiter Classe sein", und bemerkte, Bismarck sei gestorben, ohne daß mehr als der erste Schritt zur Beseitigung des CulturkampfeS gethan sei. Die Discussion mit dem doppelten Boden wurde auch bei der Charakteristik des Fürsten Bismarck beliebt und auch hier spielte die Zwiespältigkeit auf das Gebiet des Thatsächlichen hinüber. Ein Redner deutete mit der Wen dung: „er ist nicht nach Canossa, aber nach Friedrichsrub gegangen", verständlich genug an, der UltramontaniSmuS sei an dem Sturze des ersten Kanzlers betheiligt gewesen. DaS klingt recht wahrscheinlich, aber es steht im Widerspruch mit der Erzählung des Herrn Porsch von den Sentiments Windt- horst's bei der Entlassung BiSmarck's und über die Vor geschichte der weltgeschichtlichen letzten Unterredung deS Welfen- sührerS mit dem Reichsbegründer. Den einzelnen politischen Kundgebungen auf der Crefelder Versammlung kommt keine Bedeutung zu. Es ist Windthorst'sche Tradition, auf dem „Katholikentag" viel zu reden und nichts zu sagen. BemerkenSwerth ist höchstens, daß man der zutreffenden Feststellung, die Landwirthschast stehe im Mittelpunct der Gesetzgebung, eine angemessene Hervorhebung der Bedeutung der Industrie, insbesondere auch für die Landwirthschast, folgen ließ. Die „Deutsche Tageszeitung" ist darob pflichtschuldigst ungehalten. Im Uebrigen hat man Alles schon unzählige Male gehört: Das Centrnm ist reichsfreundlich, es hat in der Socialpolitik das größte Portemonnaie, und der Kirchenstaat muß wieder her gestellt werden. Ohne symptomatische Bedeutung ist dieser Parteitag dennoch nicht gewesen. Die Unterwerfung des Staates unter die Kirche ist kaum jemals vorher auf „Katho likentagen" in so ungenirt gebieterischem Tone gefordert worden wie diesmal. Wenn man die Versammlung schon charakterisiren will, darf man sie ein Opferfest vor den Altären der Unduldsamkeit gegen Alles, was nicht ultramontan ist, und der geistlichen Herrschsucht nennen. Die beinahe von jedem Redner erhobene Forderung nach „Freiheit" für die Kirche ist nichts Anderes als das Verlangen nach Unterdrückung jeder Volksfreiheit. Die Beschwerden, die Ansprüche auf den gesummten Unterricht, auf die Sittenpolizei, hinsichtlich der Orden, Alles läuft auf das Begehren hinaus, „den deutschen Himmel mit Kutten zu verhängen". Die Begründung des Verlangens nach einer unbeschränkten Mönchswirthschaft mit dem Hinweise auf die „Sittlichkeit und Genußsucht der Zeit" ist angesichts der Geschichte des ehemaligen Kirchenstaates wie der Geschichte der Klöster im All- I gemeinen und in Anbetracht der Zustände auf den Philippinen I insbesondere ein starkes Stück. Aber selbst der Weihbischof Schmitz hat es für passend gefunden, Klage darüber zu erheben, daß der Fremde an unseren Grenzpfählen lesen müsse: „Kinder raubenden Zigeunern und Jesuiten ist der Eintritt in das deutsche Reich untersagt." Der Vergleich an sich wäre so übel nicht, auch die Jesuiten treiben Kinderraub, geistigen Kinverraub. WaS nicht stimmt, ist aber die Behauptung von dem Eintrittsverbot. Jesuiten leben bekanntlich ungehindert in Deutschland, und in Crefeld hat Herr Schmitz einen Jesuitcnpater reden gehört. Die ultramontane Herrscbbegier bat auf dieser Versammlung vor nichts Halt gemacht. Selbst eine Eroberung des wirth- schaftlichen Gebietes für den „Katholicismus" hat ein Redner gefordert und dabei, beiläufig bemerkt, sich unter standen, die geschäftliche Moral in Deutschland als im Alleinbesitz der Klerikalen befindlich hinzustellen. Der Ruf nach geschäftlicher Jsolirung zeigt noch deutlicher als alles Andere, daß es daS Bestreben deS UltramontaniSmuS ist, die Katho liken auS der nationalen Gemeinschaft loszulösen und mit ihnen einen Staat im Staate zu bilden. Die Spitzen des Staates scheinen davon aber nichts zu merken. Jbre Sorg losigkeit und ihr Entgegenkommen sei es, die sich in der zu Crefeld zu Tage getretenen Zukunstssicherheit widerspiegeln. Politische Tagesschau. * Leipzig, 27. August. Nach 8 15 des Reichsgesetzes über das AuSwandcrnngS- wcsen vom 9. Juni 1897 berechtigt die dem Agenten er- theilte Erlaubniß zum Geschäftsbetrieb im Bezirke der die Erlaubniß ertheilenden Behörde. Diese Vorschrift bat verschiedenartige Auslegung gefunden, insofern die Einen davon auSgehen, daß durch dieselbe den Agenten verboten werde, mit Personen, die nicht in ihrem Be zirke wohnen, über Auswanderung überhaupt zu ver handeln, während Andere die Ansicht vertreten, daß den Agenten zwar verboten sei, ihre Thätigkeit auf andere Bezirke als diejenigen, für welche ihnen die Erlaubniß ertheilt wurde, zu erstrecken, nicht aber auch Auswanderungsverträge mit in anderen Bezirken wohnenden Personen, welche sich Hierwegen an sie wenden, abzuschließen. Indem das Reichsgesetz den Agentenzwaag einführte und den Geschäftsbetrieb der Agenten örtlich beschränkte, war seine Absicht nicht auf eine Erschwerung der Auswanderung, sondern auf eine entsprechende Regelung und Controle deS AuSwanverungswesens und insbesondere darauf gerichtet, eS zu verhüten, daß in solche Bezirke, in welchen eine Auswanderungsbewegung nicht besteht, eine solche künstlich hineingetragen werde. Während es den Agenten demgemäß nicht gestattet ist, eine geschäftliche Thätigkeit außerhalb ihres Erlaubnißbezirkes zu entfalten und sich mit Auswanderungslustigen in geschäftlichen Verkehr zu setzen, die außerhalb dieses Bezirkes wohnen, sind die Auswanderungslustigen ihrerseits nicht daran gebindert, sich nach freier Wahl auch an Agenten in anderen Bezirken zu wenden. Daß den Letzteren untersagt wäre, mit der artigen Auswanderungslustigen, die ohne Aufforderung schriftlich oder persönlich sich an sie wenden, zu verhandeln und Beförderungsverträge in ihrem Geschäftsbezirke abzu schließen, ist weder im Gesetze ausdrücklich bestimmt, noch auS dem Sinne oder der Begründung desselben herzuleiten. Ein Zusammenschluß der socialistischen Parteien Englands soll bevorstehen. England besitzt bekanntlich keine einheitliche, straff disciplinirte und zusammen gehaltene socialdemokratische Partei, wie sie beispielsweise in Deutschland, Oesterreich, Dänemark rc. besteht, es sitzt kein einziger socialdemokratischer Abgeordneter im Parlament, und bei den Wahlen haben die Socialdemokraten bisher noch nicht so viele Hundert Stimmen erhalten, als jeder der bürgerlichen Candidaten Tausende. Zum Theil ist auf socialdemokratischer Seite diese Erscheinung auf den Mangel einer einheitlichen socialdemokratischen Bewegung zurückgeführt worden, und seit längerer Zeit ist man deshalb bemüht, zwischen den beiden socialistischen Hauptorganisationen: der socialdemokratischen Föderation und der Unabhängigen Arbeiter partei eine Verschmelzung herbeizuführen. Bisher hat man es aber nur zu einem losen Cartell gebracht, und namentlich die Taktik der beiden Gruppen blieb nach wie vor verschieden. Inzwischen sollen die Mitglieder beider Organisationen in der Urabstimmung mit Mehrheit sich für die Verschmelzung aus gesprochen haben, so daß nun officielle Verhandlungen der Parteivertretungen «ingeleitet seien. Die älteste aber kleinste der socialistischen Organisationen ist die Socialdemokratische Föderation, die seit 1881 besteht und sich nach dem Muster der deutschen Socialdemokratie gestaltet hat. Sie ist die einzige englische Partei, die sich zu den Doctrinen von Marx bekennt, verfügt über ein Wochenblatt „Justica", hat aber keinen großen Einfluß auf die Arbeitermassen gewonnen. Die größere und rührigere Organisation ist die Unabhängige Arbeiterpartei, deren leitende Mitglieder der frühere schottische Bergarbeiter Keir Hardie und der ehemalige Docker Tom Mann sind. Die Vereinigung besteht zumeist aus Arbeitern, hat über 200 kleine, aber rührige Zweigvereine, hauptsächlich in den nordenglischen Jndustriecentren und verfügt über zwei Wochenblätter, den „Clarion" (Die Fanfare) und den „Labor Leader" (Arbeiter führer, den Keir Hardie herausgiebt. Zu einem großen Thrile aus Mitgliedern der Gewerkvereine und Genossenschaften zu sammengesetzt, ist die Partei bestrebt, besonders die Gewerk schaften zum Socialismus zu bekehren. Bei den Wahlen bat sie bisher nur geringe Erfolge aufzuweisen, da die gewerk schaftlich organisirten Arbeiter in der großen Mehrzahl ebenso wie die unorganisirten gewöhnlich für Candidaten der beiden alten großen Parteien stimmen. Die übrigen socialistischen Gruppen sind unbedeutend. Die kleine Gesellschaft dec Fabier z. B., deren Mitglieder fast ausschließlich der Mittelclasse an gehören, ist mehr als socialistischer Studienverein zu bezeichnen. Ueberhaupt besteht ein ansehnlicher Bruchtheil der englischen Socialisten aus Mitgliedern der Mittelclasse und hat einige Mitglieder der Oberclasse zur Seite, während Millionen land arbeitender Lohnarbeiter nicht nur für liberale oder konservative Candidaten stimmen, sondern auch in ihrer geistigen Richtung conservativ genannt werden können. Nach dem bekannten Buch von Sidney Web: „Der Socialismus in England" soll auf viele Generationen hinaus keine Aussicht bestehen, daß die Existenz eines internationalen Socialismus im Sinne der festländischen Socialdemokraten in England möglich werde, außer im Sinne brüderlicher Sympathie und gegenseitiger Unterstützung. Auch in dem Buche des Franzosen Albert Metin: „Der Socialismus in England", das voriges Jahr in Paris erschienen ist, wird bezweifelt, daß England jemals ein Centrum des revolutionairen Socialismus sein werde. Möglich sei allerdings, daß das Mindestprogramm vorläufiger Reformen, das die verschiedenen socialistischen Parteien fordern, in England früher und voll ständiger verwirklicht werde, als in allen anderen Ländern. Die Folgen der beabsichtigten Verschmelzung der beiden socia listischen Hauptgruppen werden abzuwarten sein. Feuilleton. In der Brandung des Lebens. 19) Roman aus dem amerikanischen Westen. Von Theodor Eicke. Nachdruck vnboten. „Ist es denn nicht schrecklich für mich, das zu thun?" fragte sie erröthend. „Gehen Damen denn überhaupt zu Gefangenen — allein, meine ich?" „Ich weiß es nicht, und Sie müssen sich diesmal nicht daran kehren, Dorothy. Ich gehe mit Ihnen bis zum Corridor und warte, bis Sie wieder herauskommen. Sie müssen nur immer daran denken, daß es sich um Leben und Tod handelt, und — und um Jsabel's Glück", fügte er leise hinzu. Sie war ergriffen von seiner Selbstlosigkeit. „Sie sind sehr gut und edel, Harry", sagte sie mit Wärme. „Ich will daran denken und versuchen, daS Meinige zu thun — wie Sie das Ihr-." XXVIII. Brant lag gerade auf dem Bette, als er die Schritte des Schließers auf dem Corridor hörte und das Rauschen eines Frauenkleides vernahm. Er dachte, es wäre wieder eines von den überspannten Frauenzimmern, die ihm mit ihren Besuchen kürz lich das Leben im Gefängnisse schwer gemacht hatten, und sprang mit einem Fluche auf. Im nächsten Augenblicke rasselte das Schloß und die Thüre sprang zurück. Zuerst war er starr und wagte nicht, seinen Augen zu trauen; dann brachte ihn das Ge räusch der sich schließenden Thür wieder zu sich, und er wandte sich ab und verbarg sein Gesicht in den Händen. Dorothy stand da, entsetzt über ihre eigene Kühnheit, und zaghaft auf ein Zeichen des Erkennens wartend. Endlich faßte sie Muth und ging zu ihm. „Haben Sie kein Wort für mich, Mr. Brant?" fragte sie sanft. „Fragen Sie mich nicht — WaS soll ich denn sagen? Warum sind Sie hierher gekommen?" „Weil Sie es nicht anders wollten", sagte sie einfach. „Sie wollten auf keinen Anderen hören, aber Sie müssen auf mich hören." Er nahm sich zusammen, schöpfte Kraft für die Prüfung — die grausamste, die man über ihn hätte bringen können — und wandte sich seinem Besuche zu. „Setzen Sie sich, Miß Langford", sagte er, auf den einzigen Stuhl zeigend. „Ich denke, ich weiß, was Sie mir sagen wollen, doch cs hat keinen Zweck — wirklich nicht." Sie beachtete die Aufforderung zum Sitzen nicht, sondern lehnte sich auf Armeslänge von ihm an die Wand. „Sagen Sie das, bitte, nicht, Mr. Brant, nicht zu mir. Keiner von den Anderen hatte das Recht, das ich habe, denn ich war es, die Sie fortschickte." „Was wünschen Sie denn, das ich thun soll?" fragte er, ihr ein wenig nachgebend. „Alles, was Papa von Ihnen verlangt", erwiderte sie schnell, da sie es für das Beste hielt, sich nicht zu sehr auf Einzelheiten einzulassen. „Das ist ganz unmöglich." „Warum?" „Weil — allmächtiger Gott! Sie wissen ja Alle nicht, was Sie verlangen." „Dann sagen Sie es mir doch, damit ich es weiß." „Das kann ich ebenso wenig." „Wollen Sie es mir sagen, wenn ich es rathe?" Die flehenden Augen machten ihn schwach, und wieder etwas nachgebend, sagte er: „Vielleicht." „Fürchten Sie, daß durch Ihre Vertherdigung mein Bruder in Gefahr kommt?" Es zu leugnen, wäre eine Lüge gewesen; und er konnte ihr nicht in die Augen sehen und für die Unwahrheit Worte finden. Er versuchte deshalb, der Frage auszuweichen, aber recht plump. „Wenn es so wäre, was dann?" fragte er. „Sie würden einen großen Jrrthum begehen. Wissen Sie denn nicht — hat man es Ihnen denn nicht erzählt? Es ist doch bewiesen, daß mein Bruder es nicht gethan haben kann." Er fragte nicht, wie. Es war genug, daß sie es glaubte; das war der letzte bittere Tropfen in dem Kelche der Sühne. Sie hielt ihn auch für schuldig. Es war mehr, als er, ohne bewegt zu werden, ertragen konnte, und er wandte sich ab, daß sie nicht die Qual in seinem Antlitze sehen sollte. Als er nichts er widerte, fuhr sie fort: „DaS war der Grund, nicht wahr?" „Er war es und ist es." Die Worte entschlüpften ihm fast unwillkürlich, weil er keine Kraft mehr hatte, sie zurückzuhalten. „Ich wußte es; aber jetzt können Sie doch nicht länger zögern, nicht wahr? — nach Dem, was ich Ihnen erzählt habe." „Zögern — den Leuten zu sagen, daß ich schuldig bin? Nein, ich will nicht zögern; ich will es Ihnen gestehen — hier — auf der Stelle, wenn Sie es wünschen." Er sah sie an, und wieder entwaffneten ihn die flehenden Augen. „Nein, ich kann es Ihnen nicht sagen", fuhr er fort, „vor dem Gesetze — vor dem ganzen Welt bin ich ein Mörder, auf frischer That ertappt, aber ch kann nicht in den Tod gehen mit dem Gedanken, daß daS einzige Weib, das ich je geliebt habe, mich eines kaltblütigen Mordes für schuldig hält. Nein, ich habe James Harding nicht getödtet." Dorothy vergaß ihre Mission, vergaß die Papiere, vergaß Alles in dem einen Gedanken, der plötzlich auf sie eindrang und sie zu ersticken drohte. Doch das Mißvcrständniß, dessen Opfer sie so lange gewesen war, war nicht mit einem Schlage beseitigt. „Sie meinen, ich soll — Sie wünschen, daß ich «s meiner — meiner Schwester sagen soll?" kam es stockend von ihren zagenden Lippen, während sie scheu die Augen niederschlug. „Ihrer Schwester!" Brant mußte an sich halten, um sich zu beherrschen; doch es gelang. „Nein, Dorothy", fuhr er sanft fort, „es ist nicht Jsabel's Ansicht, die mich quält, «S ist die Ihrige! Wie konnten Sie das mißverstehen?" Dorothy war es, als ob der Boden unter ihren Füßen wankte, und sie mußte an der Wand Halt suchen. „Wie ich eS konnte? — Aber sie erzählte mir doch —" In hilfloser Ver legenheit brach sie ab, und Brant suchte ihr zu helfen. „Was erzählte sie Ihnen?" Sie sah ein, daß sie nicht schweigen konnte, ohne einen häß lichen Verdacht auf Isabel zu laden. „Sie erzählte mir, sie habe — sie habe — Sie fortgeschickt." „Mich fortgeschickt? Aber das kann ja nicht sein; da muß irgendwo ein Jrrthum vorliegen, Dorothy — ein böser Jrrthum. Ich war es ja nicht, sondern Harry." „Harry!" sagte Dorothy mit leiser Stimme. „O mein Gott, was habe ich gethan? Sagen Sie mir nur eines, bitte: mit wem waren Sie zusammen an dem letzten Abend, als Sie bei uns waren?" Jetzt war die Reihe an Brant, verwirrt zu werden, und mit abgewandten Augen antwortete er: „Mit Ihrer Mutter." Dann faßte er sich ein Herz und fuhr fort: „Ich war an jenem Abend« gekommen, um Ihnen zu sagen, daß ich Sie liebte, Dorothy, Ihnen zu sagen, war ich gewesen war, und waS ich zu werden hoffte, und Sie zu bitten, zu warten, bi» ich mein Versprechen einlösen konnte. Ich traf Ihre Mutter und — doch das ist einerlei. Sie war es, die mich fortschickte; auS guten Gründen, werden Sie jetzt sagen. Und dennoch, schlecht wie ich bin, und gut, wie Sie sind — ich liebe Sie, Sie, Dorothy, und keine Andere — wie sehr, das werden Sie vielleicht eines Tages erkennen." „Eines Tages!" Dorothy wußte es jetzt schon, und die strahlende Freude darüber ließ sie Alles vergessen, außer dieser einen Thatsache. „Gott sei Dank, ich weiß es jetzt — weiß, daß Sie hier, im Gefängnisse sind, weil Sie dachten, es sei der einzig« Weg, meinen Bruder zu retten. O, wie konnte ich —" „So wenig Vertrauen haben", wollte sie sagen, doch er nahm sie in seine Arme und küßte ihr die Worte der Selbstanklage von den Lippen. „Sag' nur zwei Worte, Dorothy, mein Lieb", flüsterte er, „daß Du mich liebst, und daß Du mich für unschuldig hältst, und ich will glücklicher sein als alle Menschen." Die Worte brachten sie zurück in die Gegenwart mit ihrer drohenden Gefahr. „O, sprich nicht so! Ja, Du Theurer, ich liebe Dich und ich weiß, daß Du unschuldig bist; aber Will ist es auch." Er schüttelte den Kopf und zog sie näher zu sich heran. „Ich wollte, ich könnte das glauben, aber ich kann es nicht", sagte er ernst. „Ich hätte es nicht sagen sollen, auch Dir nicht; aber jetzt mußt Du mein Geheimniß bewahren, und mir so helfen, ihn zu retten. Er ist noch jung — die Lehre ist furchtbar für ihn, und sie wird ihm nützen." Brant sprach mit solcher kummervollen Ueberzeugung, daß Dorothy's Glauben an die Erzählung ihres Bruders erschüttert wurde. „O, George! Weißt Du es gewiß? Sahst Du, daß er es that?" „Nein, mein Herz; es geschah, als es dunkel war. Aber wer sonst soll es gethan haben?" „Das weiß ich nicht, aber man sagt, der Schuß hätte nicht gefallen sein können von dem Stuhle aus, auf dem Will saß; er müsse von der Thür her gekommen seizi." „Von der Thür her?" Ein mächtiges Verlangen, zu leben, zu lieben und geliebt zu werden, kam plötzlich über Brant, doch er drängte es zurück, ehe es zu sehr Besitz von ihm nahm. „Ich wollte, ich hätte das früher gewußt, doch jetzt ist es zu spät. Ich stand nicht in der Thür, ich war schon mitten im Zimmer." „Es darf nicht zu spät sein!" rief Dorothy. „O, weshalb sagten sie Dir das nicht — weshalb —" Sie hielt an und befreite sich schnell aus seinen Armen, als sie Schritte auf dem Corridor vernahm. Es war der Wärter, der sie abholen wollte, und es war nur noch Zeit für eine einzig« Frage.
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