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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 10.06.1933
- Erscheinungsdatum
- 1933-06-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-193306105
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19330610
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19330610
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1933
- Monat1933-06
- Tag1933-06-10
- Monat1933-06
- Jahr1933
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 10.06.1933
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, Madame Dalandier, Frau eine- hohen ftanzösischen Funktionärs in Französisch. Zentralafrika. Jetzt auf Urlaub in Kairo.- »Was ist das für ein Mann?- »Ich kenne ihn selbst nur flüchtig. Schade, daß Sie -estern nicht auf dem Rout des ägyptischen Finanz- Ministers waren. Da hätten Sie Dalandier und Madame sprechen können.- .Nun vielleicht bald noch. Hier trifft sich ja alle- immerfort.- - .Ein sehr einflußreicher Mann — Dalandie^.- * Lor dem Hotel Ghestreh-Palace hielten die Wägen und MutoS. Madame Dalandier gab einen Empfang. In dem blühenden Garten war schon eine Menge «äste der. «Mmelt. Die arabischen Diener in den schneeweißen Galabyen, die rote Schärpe um die sehr schlanken Hüften, den roten Tarbüsch auf dem Kopfe, die roten, spitzschnäbligen Mar- kübs an den Füßen, eilten lautlos hin und her. Leise klirrten die Kristallbecher in den silbernen iee-ckrinst, Schalen. Der Duft des arabischen Mokkas in den winzigen, metallumschlossenen Porzellanbechern wehte vor ihnen her. Evelyn Dalandier stand sehr schmal, sehr blaß und sehr schön in ihrem maisfarbenen Spitzenkleide inmitten einer größeren Gruppe europäischer Herren und Damen. Sie sprach lebhaft und liebenswürdig. Das verbindliche Lächeln der gcsellschaftsgewandten Dame 'war um ihren Mund. Aber die Augen halten dies Müde, Ziellose. Immer das gleiche, dachte sie bei sich. Immer wieder mutzte man sprechen, interessiert tun, und dabei war einem alles doch so tief gleichgültig. Ob man in Marokko war, dem letzten Domizil, das Dalandier und sie gehabt, ob man einen Posten in Rom hatte oder hier — es wechselten yur die Kulissen. Die Gesichter der Menschen waren töd lich gleichmäßig genau wie ihre Seelen. „Aber selbstverständlich präsidiere ich gern dem Polo turnier-, sagte sie zu Monsieur DuranchL, dem kleinen, lebhaften Franzosen. Und sie hörte der Schilderung, die Monsieur DuranchL mit unendlichen Gesten von dem neuen Pokoplatz gab, zu, als gäbe eS auf der ganzen Welt nichts, was wichtiger wär«. Unmerklich dirigierte st« dabei mit den Augen den englischen Haushofmeister, der Dalandier durch di« ganz« Welt begleitet hatte. Dalandier stand mit seiner geschmeidigen, eleganten Figur nahe der Eingangstür, um immer wieder als Erster die Gäste zu begrüßen. Jetzt sprach er ein paar Worte mit einem großen, blonden Menschen, kam mit ihm, die Stufe . der Gartenhalle hinunter auf Evelyn zu. .Gestatte, Evelyn, daß ich dir Monsieur Terbrügge vor stelle, von der französischen Botschaft besonders an unS «mpfohlen.* Evelyn wandle sich um; «in leises Rot der yr«ude und Ueberraschung kam in ihre Züge. Terbrügge beugte sich sehr tief über ihr« Hand. .Ich Weitz nicht, Madame-, sagte er, .ob ich den Vor zug habe, in Ihrer Erinnerung geblieben zu sein!' Evelyn ließ Terbrügge ihr, Hand einen Augenblick länger als üblich. Er fühlte den schnellen, warmen Druck ihrer Finger. .Oh, ich erinnere mich-, sagte st« lebhaft, .ganz genau, ftatürlichl Wie sollte ich Sie vergessen haben, Herr Ter- trügge?' Unwillkürlich war st« vom Französischen in« Deutsch« zekommen. Dalandier, der, nachdem «r Terbrügge vor- erstellt hatte, bereits mit «in paar anderen Gästen sprach, schaute sich um: ,OH, Sie kenne« Madam«, Monsieur Terbrügge?* .Ja, ich hatte den Vorzug! Es find schon viele Jahr« der. Madam« hat tzvmoch hi, Güt«, sich H-M zu «r mners^ «Wir kennen uns. von Hamburg her-, sagte Evelyn schnell. «Du weißt ja, Gaston, damals, als ich mit Mutter rin Jahr in Hamburg lebte.* «Ach so! — also eine Klnderbekanntschaft. Also, Monsieur Terbrügge, dann können Sie ja mit meiner Frau Jugenderinnerungen austauschen. So etwas liebst du doch, Evelyns- Es war ein ironischer Klang in seinem kuflachen trotz seiner verbindlichen Worte. Evelyns blasses Gesicht wurde noch blasser. In dem Blick, mit dem sie Terbrügge ansah, war etwas Angst und »ine Bitte, di« er nicht verstand. Was war aus dem Kinde geworden, mit dem er einst !n dem alten Garten an der Alster gespielt hatte — wie konnte der blaue, strahlende Glanz der zutraulichen Augen sich so wandeln. Was war ihr Leben seitdem? Lothar Terbrügge hätte eS erfragen mögen, gleich, letzt. Da er unvermutet Evelyn wiedergesehen hatte, stieg wie aus tiefem Schacht Kindheit in ihm auf und die Erinnerung der ersten Liebe aus der Zeit zwischen Kind- und Erwachsensein. Er verstand eS selbst nicht — da waren Fahre vergangen, von Werden und Leben erfüllt. Kaum daß man einmal an das Mädchen gedacht hatte, das für ein Jahr in den Kreis der Heimat hineingekommen war, unerwartet und fremdartig, um ebenso unerwartet wieder zu verschwinden. — Nie hatte man ein Wiedersehen er wartet. Aber nun, da das Leben es so fügte, schien ihm nichts wichtiger, als durch Wissen den Zwischenraum zu überbrücken. Tausenderlei hätte Terbrügge fragen mögen. Aberi ein unbestimmtes Gefühl hielt ihn zurück. In der Art, wie Dalandier seine Jugendbekanntschaft mit Evelyn aus genommen hatte, war etwas, was zur Vorsicht mahnte.! Und auch Evelyn schien Aehnliches zu sühlen. Nach de» ersten impulsiven Begrüßung war das Freudige in ihren Augen schon wieder erloschen. Etwas wie Angst war wieder in ihrem Blick, wenn sie, schon im Gespräch mit, fremden, ihm unbekannten Menschen, ihn streifte. Nicht setzt konnte er fragen. Aber später würde er es tun. Nicht umsonst, so war es ihm, hatte ihn das Schicksal wieder mit Evelyn zusammengeführt. — Er konnte am heutigen Tage kaum noch ein paar Worte mit ihr allein wechseln. Er war bald Mittelpunkt. Der "Sohn der Firma Terbrügge war immerhin eine! interessante Persönlichkeit. Nun sah sich Lothar sehr bald; in einem Kreise, der ihn mit geschäftlichen Fragen fest-^ hielt. Man wußte nur aus den Zeitungen über die wirt-, schaftliche Lage in Deutschland; man wollte nun Authen tisches von ihm hier erfahren. Höflich und zuvorkommend gab er Auskunft; aber er hatte die Mahnung seines Freundes Dönnies in Erinne rung, nicht mehr zu sagen, als für das Persönliche wie Allgemeine gut war. Zu viel Interessen zu vieler Länder liefen ja hier zusammen, da hieß es vorsichtig sein. Ohne» hin wartete die französische Elektroindustrie nur darauf, die Terbrüggeschen Werke auszustechen. Und er war ja auch als Beobachter von seinem Vater hierher geschickt worden. Als er eine Frag« MuriflerS über den Wettlauf zwischen englischer und deutscher Konkurrenz in den Ueberseeländern geschickt abbog, stand Dalandier plötzlich neben ihm — und gleichzeitig traf ihn ein schneller warnender Blick Evelyns. Da bog «r das Gespräch auf daS morgig« Poloturnirr um. * . * Ein Morgen am NU. Di« Segel der Feluken sind wie schneeweiße Schmetterling« oder brennend rot« Fahnen vor dem liefen Blau. — Bon den Bohnenseldern herüber duftet «S süß und frisch. — Evelyn Dalandier saß unter dem Sonnensegel — eS legte einen warmen geheimnisvollen Schatten über ihr Gesicht. Lothar Terbrügge saß ihr gegenüber in deq niedrigen Ruhesessel. Er saß vorgebeugt da, so war er Evelyn ei« w«is ELLI. „Bissen Sie »och. LS^-> r-< <2 S wie wtr unS als Kinder auf der Alster hinter dem Häuft das erste Segelboot gemacht haben?* Evelyn lächelte — wie das Lächeln die Schwermut des Gesichts auf einmal fortnahm! —, als wäre es ein» ganz neue Evelyn, die hinter diesem Lächeln stand. „O ja l Wie hieß doch der Junge, der mitmachte, hieß er nicht Martin Steenberg? — wissen Sie, der große Rothaarige mit den unendlichen Sommersprossen und dem herrlichen Taschen messer —* Ach ja, Martin. Nun tauchte aus Evelyns Worten der große schlackstge Junge wieder auf, aus der Portier wohnung des nebenan liegenden Hauses; daS Taschen messer, wie Große es hatten — unerreichbarer Traum des Zehnjährigen. Martin war mit seinen zwölf Jahren schon ein Mann gewesen, er sprach über das Leben in wissen- den und verächtlichen Ausdrücken, er trank abends mit dem Alten, wie er seinen Vater, Portier Steenberg, nannte, Bier — er war das Ideal Lothar Terbrügges gewesen. Martin hatte ihnen bei dem Segelschiff geholfen, da- man aus einem alten Kahn und einem aus der Wäsche kammer gestohlenen Bettlaken konstruiert hatte. AlleS war damals in dem herrlichen Sommer gewesen, in dem Evelyn mit ihrer Mutter eine Zeit in Hamburg gelebt und er mit ihr gespielt hatte. Bald darauf kam dann di« Geschichte mit dem gestohlenen Fahrrad und Martin Steenberg — die hochnotpeinliche Untersuchung, die Konsul Terbrügge anstelle» ließ — und di« Entdeckung der Freundschaft zwischen Lothar, Evelyn und d«m ge ständigen Martin. Da war es denn aus mit dem Segel boot — und es war vielleicht gut so gewesen. Denn man war schon einmal infolge Nichtfunktionierens des Seglers sowie eines undichten Bodens umgeschlagen und hatte seinen Schiffsunfall nur mühsam verborgen. Dann war plötzlich Evelyn mit ihrer Mutter wieder aus Hamburg fort. Und heute schien es in der Rück erinnerung Terbrügge, als wäre die Kindheit damit ab geschlossen gewesen. Aber jetzt, in Evelyns Worten, kam sie wieder. „Daß Sie das alles noch wissen, Madame Dalandier! Denken Sie, ich hatte das alles beinah vergessen; aber natürlich, Martin, die Sommersprossen und das Taschen messer — welch gutes Gedächtnis Sie haben; dabei ist Ihr Leben doch seither um so viel ereignisreicher gewesen alS das meine und so viel bunter —' „Glauben Sie nicht, Herr Terbrügge, daß für manchen Menschen das einzig wirklich Ereignisreiche die Erleb nisse der Jugend sind?' fragte Evelyn zurück. Sie sah an ihm vorbei hinein in das unendliche Blau des ägyptischen Morgenhimmels, als suchte sie dort etwas. Terbrügge schwieg. Da hatte er heute auf dieser Dahabiyensahrt, die er mit Evelyn allein machen konnte, denn Dalandier war auf einem Jagdaussluge im Fayum, so viel fragen wollen — Antwort bekommen auf das Stumme, Schwermütige in ihren verwandelten Augen — nun war es nicht mehr nötig. Er wußte, ohne ein weiteres Wort, Evelyn Dalandiers Leben. * * Stille war zwischen ihnen, «irte traumhaft« keif« Ver zauberung. Drüben von der Ruderbank jenseits deS SonnensegelS eines vorüberkommenden Kahne- klangen die gedämpften Stimmen rudernder Fellachen: Elisa, Elisa, sangen sie, das alte Ruderlied, da- schon zur Zett der Pharaonen hier geklungen haben mochte. — Li» Häuser, Weitz,glitten fern am User vorüber in dem wäßrig- blauen Dust deS Morgens, ein Schöpfrad irgendwo in einem der braunen verdorrten Dörfer sang sein melan cholisches Lied — sonst war alle- still. «Erzähl«« Sie mir von sich-, sagte Evelyn plötzlich. «Erzählen Sie mir von Hamburg, von Deutschland. Ich Kar sehr glücklich damals drüben; ich glaube, ich war niemals vorher und nachher so glücklich. Wi« geht «S üssrrn Elter«? Ich lrbr noch asst- vor mir: Ihr arabeS. Helle- Gartenzimmer und all di« blonden, großen Mew» scheu, die- Zusammengehörig«, dies« Vertrautheit zwischen Ihnen... ES hat einen unvergeßlichen Eindruck auf mich gemacht. — Ich habe ja all das nicht gekannt*, fügte st« hinzu. Lothar erzählt« — sie hörte zu. Auf ihrem Gesicht lag der Schein der Sonne. Er hätte Wettersprechen rnöger^ immer weiter, nur um dar schöne, zart« Gesicht sich zn- gewandt zu sehen. Halt« e, nicht immer und unbewußt nach diesem Gesicht gesucht? ; «Warum gingen Sie eigentlich damals so schnell unh» unerwartet von Hamburg weg?* fragte er. „Ich besinn- Mich: ich kam aus der Schule und sah im Vorübergchew die Vorhänge an Ihrem Haus« all« heruntergelassen. Ich erschrak ... Noch jetzt sehe ich mich im Trabe nach Haus» laufen. Da erfuhr ich, daß Sie mit Ihrer Mutter abgereist wären. Ich war sehr traurig damals, Evelyn — Ver zeihung, Madame Dalandier!* verbesserte er sich. «Waren Sie traurig? — Wirklich?* Nun war «S auf einmal das Gesicht des «indes, da- »r kannte, mit dem er im heimatlichen Garten gespielt Wie ein Wort, «in Blick Jahre fortnehmen konnte! «Ja! Warum find Sie damals so fluchtartig «nk schwunden?* „Wir waren ja immer auf der Flucht. Damals wollt- mein Vater aus Baltimore nach Hamburg kommen. Da kar Grund genug für Mutter, abzureisen.* Sie brach ab. Augenscheinlich wollte sie über diese» Punkt nicht sprechen. Terbrügge besann sich; er hatte viele Jahre später erst einmal gelegentlich von den Ehezerwürfnissen zwischeff Mister Fisher und Evelyns Mutter gehört. Damal», gerade als er seine Lehrzeit bei Tpamer Brothers in den Staaten durchmachte, waren die Zeitungen voll von del Scheidungsgeschichte des amerikanischen EisenkönigS. Da mals hatte er auch versucht, Näheres über Evelyn zu ev fahren. Aber da war sie mit ihrer Mutter schon Wied«; irgendwo in Europa. Dann hatten sich andere Dinge da< zwischengedrängt. Er war von Amerika nach Paris gvi gangen, um dort die Filialdirektion der väterlichen Firmst zu leiten. Schließlich war er in Hamburg gelandet, abe» immer selbst auf dem Sprunge, immer in Zügen, au? Schiffen, Flugzeugen — Verbindungsmann zwischen deuz väterlichen Hause und den Niederlassungen in der ganze» Welt! „Eigentlich eigentümlich, Madame, daß wir unS ni- getroffen haben. Ich habe den Namen von Monsieur Dal kandier ja oft genug gelesen. Wir müssen zum Beispiel zst gleicher Zeit in den französischen Kolonien gewesen sein.st „Ja! Es scheint, als ob wir uns unabsichtlich immetz aus dem Wege gegangen wären, Herr Terbrügge. Ueberf Haupt habe ich keinerlei Verbindung mehr zu der frühere» Zeit. Und vielleicht ist es ganz gut so. Es hat keines Zweck, rückwärts zu sehen. Man mutz versuchen, da zui leben, wo man existiert.' „Ist das so schwer? Sie haben doch ein» Stellung, um die viele Frauen Sie beneiden würden.* „O ja!, wenn es beneidenswert ist, aus der ganze» Welt herumgewirbelt zu werden. „Ach!*, sagte sie plötz^ lich leidenschaftlich, und die ganze Gelassenheit der Dam» von Welt zerbrach, „mir ist, als wäre ich mein Leben lang immerfort nur aus der Wanderschaft. Niemals Ruhe!,! niemals einen Ort, von dem man weiß: hier bleibst buk,' hier gehörst du hin! Und niemals einen.. .* Sie brach ab. Aber Terbrügge, wi« hellsichtig, konnte sich den unvollendeten Satz ergänzen. Niemals einen «Menschen*, hatte es Wohl heißen sollen. Er wußte nicht, ob er sprechen durste. Man war ja so lange von Evelyn- Leben entfernt gewesen und ihr fremd geworden. Aber würde eS nicht unzart sein? Es gab Augenblick«, in denen man nicht zart oder unzart fragen durfte, in denen ein Mensch einen anderen Menschen brauchte. Der Ausbruch EvMnS. so stark Gegensatz zZ ihrer sonstigen Gelasse»-
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