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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 17.06.1933
- Erscheinungsdatum
- 1933-06-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-193306171
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19330617
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19330617
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1933
- Monat1933-06
- Tag1933-06-17
- Monat1933-06
- Jahr1933
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 17.06.1933
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Kolonie, die sich dem Sohn der Firma Terbrügge, Ham- durg, bereitwillig geöffnet hatten. Ein-, zweimal hatte auch das Ehepaar Dalandier ihn in einen «einen «reis zu sich gebeten. Aber Va war keine Gelegenheit gewesen, allein mit Evelyn zu sprechen. Sie schien es auch beinah zu vermeiden. Es war, als schämte sie sich nachträglich der Geständnisse, die sie Lothar Ter- brügg« geWacht. Lothar Terbrügge war seinfühlig genug, das zu respek tieren. Was konnte er ihr auch helfen? Je mehr er sie und Dalandier zusammen sah, um so unmöglicher erschien ihm diese Ehe. Ueberdies, man brauchte ja nur wenige Wochen in der europäischen Kolonie und dem europäischen Klub zu verkehren, um all« Skandalnachrichten über die Menschen hier zu erfahren. Man erzählte sich allerlei über Dalandier. Und nicht gerade Günstiges über seine Treue. Lothar Terbrügge hatte sich nicht an diesen Gesprächen beteiligt. Er wußte, wie der Kolonialklatsch überall blühte. Er liebte es nicht, ohne Beweise über Dinge zu reden, vollends über Dalandier. Er war sich klar: er haßte diesen Mann. Er haßte ihn, weil Evelyn unglücklich neben ihm war. Aber er konnte nichts tun. Evelyn schien zu ahnen, wie er innerlich zu diesem Manne stand. Auch der Blick, mit dem Dalandier Lothar mitunter streifte, wenn er ihn neben Evelyn sah, hatte etwas Prüfendes. Um so erstaunlicher war Lothar jetzt über die Aufforderung deS Franzosen. Bet der Heimfahrt war Dalandier von einer un gewohnten Liebenswürdigkeit. Er erzählte lebhaft und interessant. Lothar staunte über die außerordentlich scharfe Menschenkenntnis und die ungeheure Kombinationsgab« des Franzosen. Er schien in wirtschaftlichen und sozialen Dingen gleich unterrichtet zu sein. Und obwohl er es eigentlich nicht wollte, es überkam ihn eine widerwillige Bewunderung für Dalandier. Fast gegen seinen Willen wurde er lebhafter, indes Evelyn pill-beobachtend dabei saß. Ihr schönes, blasses Gesicht schien ziemlich teilnahmslos. Nur in dem Augenblick wurde es lebendiger, als Dalandier geschickt das Gespräch aus Lothars wirtschaftliche Pläne hier brachte. »Wie lange gedenken Sie hierzubleiben, Monsieur Terbrügge?* fragte er. „Ich hörte heute, wie Sie zu ein paar Herren von der deutschen Kolonie Abreisepläne äußerten. Wollen Sie schon ganz aus Ägypten fort oder nur von hier?' Gerade wollte Lothar antworten, daß er noch ein paar Geschäftsbesuche an der Levante entlang plante, um in Alexandrien zu enden. Da war es ihm, als ob Evelyn ihm einen schnellen, warnenden Blick zuwürfe. Was sollte dieser Blick bedeuten? Er brach mitten im Wort ab. Jetzt beunruhigte er ihn etwas. Was hieß denn das, daß sie in dem Augenblick, in dem ihr Gatte auf die Terbrüggen-Werke und ihre Expansion zu sprechen kam, ihn so merkwürdig ansah? Ein unbestimmter Verdacht wurde in ihm wach. Hatte nicht auch Monsieur Murisier sich außerordentlich für seine, Lothars, Reiscpläne interessiert? Man hatte merkwürdiger weise in Khartum schon gewußt, wann er nach Assuit zurückreisen wollte: Vorsicht!, sagte es in ihm. Vielleicht ^atte das alles einen bestimmten Zusammenhang. Dankbar sah er Evelyn an. Aber die schaute schon wieder — wie unbeteiligt — an ihm vorbei in den stern funkelnden tropischen Himmel. Ter arabische Chauffeur fuhr in einem gleitenden Bogen vor das Hotel Dalandiers. Lothar wollte sich verabschieden. Aber Dalandier sagte, sich zu seiner Frau wendend: „Würde es dir angenehm sein, Evelyn, wenn Monsieur Terbrügge dir noch «in wenig Gesellschaft leisten würde? Ich muß leider noch in den Klub. Der italf-nische Bot schaftsrat geht morgen auf Urlaub. Es ist da eine kleine Feier. Ich darf nicht fehlen.* - Ein leises Zucke» lief über Evelyn- Gesicht. „Ich glaube. Madame iS umiidift*. sagte Terblüggr schnell. Er hatte aus. einmal das Gefühl: Richt allein sein jetzt mit Evelyn; nicht allein au diesem süßen, schwülen Abend, der geheimnisvoll und gefährlich zugleich war. ,Ja, wirklich, Monsieur Terbrügge* — Evelyn reicht«, .hm die Hand —, „ich fühle mich etwas abgespannt; Kopf- styn erzen. Ich glaube, wir bekommen einen Odames Aber wenn Sie morgen bei uns lunchen wollen...' Ihre Hand lag mit einem warmen Druck in der seinen. Eine Sekunde länger als üblich beugte sich Lothar Terbrügge über diese Hand. Lothar Terbrügge ging langsam über die Ghesireh- brücke zurück. Dalandiers Wagen war längst in der Dun kelheit entschwunden. Hinter ihm lag mit Hellen Lichter augen das Hotel. Langsam und ziellos ging er hinein in die Nacht. Aus den Gärten duftete es schwer von Jas min, Akazien und unbekannten Tropenblumen. Der Him mel war wie eine gestickte Decke über ihm, und aus der Ferne kamen die unbestimmten Geräusche des fremden Erdteils. In das Rufen der Hupen von den Autos fern in der Stadt kam eintöniger Gesang. Drüben von der Kasr-el-Nil-Brücke, dieses ewig summende Stimmen gewirr, das in keiner orientalischen Stadt abriß, nicht bei Tag und nicht bei Nacht. Und in all das hinein, von ganz weit her, ab und zu ein heulender, klagender Ton, der Laut eines schweifen den Schakals, fern in der unendlichen Wüste. Ziellos ging Lothar Terbrügge. Es war ein Druck auf ihm und etwas verwirrt Heißes in seinem Herzen. Er empfand diese Tropennacht in ihrer Einsamkeit wie einen Feind. Sie entfesselte Gedanken, Wünsche, die in der klaren Atmosphäre einer klareren Welt geschwiegen hätten. Sehnsucht nach Evelyn faßte ihn qualvoll. Er say sie vor sich, wie greifbar. Das süße Gesicht, blaß, mit dieser Schwermut der Augen. Diesen unendlich schön geformten Mund. Er hatte noch nichts Waches, trotzdem er der Mund einer Frau war. Plötzlich sah er neben ihr Dalandier. Ein blinder Haß war in ihm und doch ein Triumph. Dalandier war nicht der Mann, der eine Frau, wie Evelyn, hatte erwecken können. Aber welcher Mann konnte das? Er? — Aber das waren Träume! Heiß und verworren wie die heiße Nacht mit ihren verworrenen Lauten. — Evelyn würde sich nie zu einer Trennung von Dalan dier entschließen. Sonst hätte sie es schon früher getan. Denn das Bewußtsein ihres Unglücks war wohl schon lange in ihr. Der Ausbruch damals auf der Dahabiye war nur das Resultat eines langen Schweigens. Sie hatte auch neulich einmal in einem Gespräch bei einem Tee bei einem ägyptischen Diplomaten sehr häufig gegen die Haltlosigkeit der Menschen von heute gesprochen und von der Leichtfertigkeit, mit der sie Bindungen auf sich nahmen und abschüttelten. Eigentümlich, wie sie zu dieser beinah altmodischen Auffassung der Beziehung zwischen Menschen kam. Aber vielleicht war dies wieder das Deutsche in ihr, was so gar nicht zu ihrer internationalen Stellung paßte. Er freilich hatte es verstanden. Nur zu gut. In ihm lebte, überkommend von Elternhaus und Er ziehung, ein tiefer Respekt vor der Verpflichtung mensch licher Bindungen. Heim, Ehe, Familie waren ihm nicht nur Fassade für ein Leben, das jedem gestattete, von anderen fortzustreben. Es war ihm Form für einen un zerstörbaren Gehalt. Er hatte Evelyn lebhaft zugestimmt. Und sie beide waren beinah vereinzelt gewesen in ihrer Stellungnahme. Besonders Blanche Murisier hatte über die Schwere solcher Lebensauffassungen ein paar ebenso witzige wie leichtsinnige Worte gesagt. Wie kam es nur, daß er nun gerade an die Möglichkeit dachte, wie Evelyn von Dalandier befreit werden könnte? Das war Torbeit! Rur ru erklären mit der kovkloke» Liebe, die er für Evelyn empfand. Es war sinnlos, so etwas zu denken. Selbst wenn Evelyn sich je entschließen würde, von Ihrem Manne fortzugehen: wer sagte es ihm, daß st, zu ihm kommen würde? Sie lieble ihn nicht. Und es war kein Grund, eine Ehe mit einer anderen zu vertauschen. Aber wenn sie ihn liebte? Lothar Terbrügge blieb stehen. Unwillkürlich schloß er die Augen, wie um in dieser Dunkelheit sich noch völliger von der Außenwelt abzuschließen. Wenn sie ihn liebte? Unendliche Sehnsucht, unendliches Verlangen war in ihm. Gab es einen Weg? War irgendein« Hoffnung da? Aber selbst wenn sie ihn liebte, wär« dies ja da- größte Hindernis. Flucht vor der Liebe hatte Evelyn zu Dalandier ge trieben. Wäre er denn jemals imstande, ihr die Furcht vor der Liebe zu nehmen? Gewaltsam riß er sich aus seinem Traum. Es gab nur eins: Abreisen! Einen Strich machen unter die Zeit hier und die Begegnung mit Evelyn! Schwer würde das werden. Bitter schwer. Aber das mußte sein. Man durfte sich nicht in eine hoffnungslose Leidenschaft verrennen. Schließlich hatte man ja Jahr zehnte gelebt, ohne überhaupt an Evelyn zu denken. Aber freilich, nun hatte er sie wiedergefunden. Nun würde es schwer sein, sie zu vergessen. Er blieb stehen. Er wallte sein Zigarettenetui heraus holen. Zigaretten waren immer eine Beruhigung. Er suchte in der Seitentasche, in der Brusttasche. Nirgends fand er es. Das war fatal. Das Etui war ein Andenken an einen sehr geliebten Freund, der mit ihm als junger Kriegs freiwilliger hinausgezogen und gleich in einem der ersten Gefechte gefallen war. Er überlegte. Wann hatte er es zuletzt gehabt? Richtig. Im Hause Murisier. Er hatte im Bridgezimmer keine Zigarette finden können und so selbst eine aus seinem Etui genommen. Er überlegte einen Augenblick. Dann schlug er schnell den Rückweg ein. Er wollte nicht bis morgen warten. Das Haus Ministers war schon dunkel bis auf die Fenster eines Zimmers im Eckflügel. Es mußte das kleine Boudoir Blanche Murisiers sein, in dem man schon zum Schluß halb im Stehen den letzten arabischen Kaffee und den letzten Cocktail genommen hatte. Die Gartenpforte stand offen. Von dem braunen Türhüter und dem arabischen Diener war nichts zu sehen. Vermutlich be nutzte die Dienerschaft die Zeit nach dem Aufbruch der Gäste zu irgendeinem Schwatz. Es war Lothar Terbrügge etwas peinlich, un angemeldet hier einzudringen. Aber die Sorge um seinen Verlust war doch zu groß. Er ging dem Lichtschein nach. Die breite Terrasse, die von dem Hause herab zum Garten an den Nil führte, war dunkel. Der weich geharkte Boden dämpfte seinen Schritt. Plötzlich blieb er stehen. Er hörte Stimmen. Sie kamen aus dem geöffneten Fenster des kleinen Boudoirs. Aber das war doch — er hielt den Atem an wie erschreckt —, das war doch die Stimme Dalandiers. Wie kam der jetzt hierher? Vor einer halben Stunde hatte er sich doch noch von Evelyn und ihm verabschiedet, um zu dem Abschieds abend für den italienischen Botschaftsrat in den Klub zu gehen? Das war Dalandiers Stimme, zweifellos. Und das war die Stimme Blanche Murisiers, die eben sagte: „Ich kann es nicht ertragen, Cherie, daß d« so lange fortgehst!* Eine Pause kam, in der Lothar Terbrügge nichts hörte als das zornige Jagen seines eigenen Blutes. Dann sprach drinnen Dalandier: „Aber sei doch kein Kind, Blanche! Es ist ja nur für «in paar Monate. komme ia wieder.* .Weder, wieder!" sagte Blanche Murisier lcldenschast- lich. „WaS habe ich schon davon? Immer sitzt deine Frau und immer mein Man« dabei. Niemals hat man sich.' „Aber Blanche", begütigte drinnen die Männerstimme, „hab' ich es heute nicht ganz nett eingerichtet? Der gute Gaston ist doch in Alexandrien sehr gut untergebracht. Und überdies, er wird sein Geschäft dabei machen. Du siehst, ich verstehe, mich zu revanchieren." Die Frau drinnen schien etwas leise zu sagen. Ein schnelles, unterdrückte- Gelächter. Dann wieder di« Stimm« Dalandiers: „Ich werd's schon einzurichten versuchen, bald wieder ein paar Urlaubstag« zu nehmen. Für Evelyn ist natür lich die Welte Reise auf kurze Zeit zu anstrengend. Außer dem, wenn es heiß wird, geht sie ja doch nach Amerika. Also -* j Wieder dieses heiße, schnell unterdrückte Lachen dex Frau. Lothar draußen im Dunkeln sah, wie ein« Hand nach der Lampe griff, die auf einem Tische stand. Di« Dunkelheit der tropischen Nacht legte sich wie eine heiße Decke vor das Fenster. Zwei Tage lief Lothar Terbrügge wie ein Irrsinniges ln Kairo herum und dachte immer nur das eine: Dalan dier betrog Evelyn, betrog sie lächelnd, in schamloser Gleichgültigkeit. Wenn es eine Leidenschaft gewesen wäre^ unbezwinglich! Aber dies Gespräch, das er, ohne es zu wollen, belauscht, es war von einer geradezu perfidest Sicherheit. Es zeigte: Dalandier war geübt im Betrugs Und diese Blanche Murisier nicht weniger! Nichts war von einer himmelstürmenden Leidenschaft, die trotz aller Schuld doch etwas von der Größe eines Naturereignisse- hatte. Es war nichts als der ganz gewöhnliche, ganz all/ tägliche, ganz schmutzige Betrug. Hier für ihn doppelt schmutzig, weil das Opfer Evelyn war. Zwei Tage lief Lothar Terbrügge mit diesem Gedanken herum. Evelyn — ihm bishev unerreichbar — konnte ge wonnen werden, wenn man sprach. Denn so w?it glaubte er sie zu kennen: höher als die Furcht vor Löftuzg einer Bindung stand ihr der eigene Stolz. Sein Wissen um Dalandiers Betrug war der Weg zu Evelyn. Aber diese» Weg war ungangbar. Ein Gentleman brachte es nicht fertig, dieses unfreiwillige Wissen ungefragt weiterzu geben. Ja, wenn er Evelyns Liebe sicher gewesen wäre. Dann hätte er ihr sagen können: „Mache die Augen auf! Sieh, neben wem du lebst! Lohnt es sich, die äußere Fiktion einer Ehe aufrechtzuerhalten, die der Partner längst gebrochen hat? Du bist zu wertvoll, um neben einem solchen Menschen zu leben." So hätte man sprechen können, wäre man von der ge- liebten Frau auch geliebt worden. Aber das wußte man ja nicht. Wenn er zu Evelyn htnkäme und ihr mitteiltr. was er erfahren — was sollte er als Grund angeben? Mit welchem Recht pellte er dann Dalandier bloß? Es gab nichts, was ihm erlaubte, so zu handeln. Denn sein Herz, das nach Evelyn verlangte, durfte nicht der Grün sein. Im Gegenteil: die eigene Leidenschaft machte alle- unmöglicher. Er stopfte sich den Tag mit Geschäften voll. Er arbeitete wie ein Rasender. Von der Konferenz im ägyp tischen Handelsministerium fuhr er zu Besprechungen mit englischen Vertretern. Dann zur deutschen Gesandtschaft und wieder zu anderen Geschäftsfreunden. Er sabotiert« mit seiner Arbeitswut sogar die heiligste Sitte, nach der zwischen zwölf und vier Uhr in Kairo kein Europäer Geschäfte abschloß oder Besprechungen abhielt. Bis Monsieur Barton, der Bevollmächtigte einer Liverpooler Fabrik, ihm entrüstet erklärte: „Wenn Sie Ihre deutsche Arbeitsmethode auch hierher übertragen wollen, Monsieur Terbrügge, dann werden Sie sich hier entschieden mißliebig machen!' Damit und mit dem kategorischen Hinweis, daß es
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