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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 20.10.1934
- Erscheinungsdatum
- 1934-10-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-193410204
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19341020
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19341020
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1934
- Monat1934-10
- Tag1934-10-20
- Monat1934-10
- Jahr1934
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 20.10.1934
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in die Wangen, ste hätte aufschreien, heulen mSgen vor blinder Verzweiflung. Aber fie fühlt« ihre Kräfte wieder wachsen, die frei gewordenen Hände gruben sich in den dunklen Wuschelkopf vor ihr. Die größere Zahl war auf Annette KöberlingS Seite, nur ein paar Elda Treugesinnte standen hinter ihr. In dem allgemeinen Tumult hatten ste das Rahen deS Lehrers gar nicht bemerkt. Er stand da, dieses Anblicks ungewohnt, denn sie empfingen ihn sonst still, wie di« Mäuschen. Und er wartete, ohne «in Wort zu sagen, daS Ende des Kampfes ad. Bis einige Herolde den beiden Verwickelten die Sund« brachten: .Tetz!* Glutrot stand Elda setzt, verschoben und zerdrückt da- Kleid, wild das Haar, mit gesenkten Blicken, während Annette Köberling mit einem kleinen, pfiffigen Lächeln sich hinter ihren Trabanten ordnete. »Wer hat angefangen?* Die Stimme des Gewaltigen dröhnte durch den Raum. Noch war die unausgesprochene, die innere Parole: Nicht verraten! Aber auch der beste Klassengeist wird durch die Verheißung gemeinsamer Bestrafung bei Richtgestehen wankelmütig. »Du mußt es sagen, Elda!* flüsterte eine Verängstigte im Hintergründe. . Aber noch ehe diese den Mut zu dieser Tat ausgebracht, wandte sich Doktor Teffow an die Prima: .Sie find verantwortlich für die Ordnung der Klasse! Wer war es?* .Ich glaube, Elda Renner.* .Elda Renner*, flüsterte es, mutig geworden, von fern und nah. Ein Leuchten huschte über deS jungen Lehrers hübsche Züge. Eldas Blick irrte über ihn hin, gewahrte — erstaunt — dies Leuchten. .Elda Renner, ich hoffe, Eie werden er sich überlegen, daß erwachsene junge Damen nicht wie vierzehnjährige Flegel raufen dürfen. Ich gebe Ihnen dafür Zeit heute nachmittag. Schreiben Sie ein Feuilleton über den guten Ton im Klassenzimmer! Sie werden es mir morgen in der ersten Stunde vorlesen!* Ein Emporschnellen d«S jungen, gertenschlanken Körper-, ein Zucken der Lippen, etwas Böses, Miß trauisches im Blick. .Ich — darf ich nicht bi- übermorgen?* Die Stimme zerbröckelte in der Tönung von De- mütiOmg und Weichheit. Es war nicht ihr wahrer Slang. Zorn wurde abgedämpft, das war zu merken. »Ich bin kein Unterhändler, wir haben auch keine diplomatischen Beziehungen miteinander. Sie werden heute nachmittag in Ihrer Klaffe ein kleines Kabinettstück von Takt und stilistischem Geschick vollbringen. Und nun zum Unterricht!* In Elda ging irgend etwa- in Scherben. Die LiebeS- kraft ihrer achtzehn Jahre wurde durch einen Schlag gefällt. Doktor Teflow gab Aufsätze zurück. Elda hatte die blanke Eins. Aber er deckte diese Tatsache heute mit dem Mantel der Verschwiegenheit. Gemaßregelte können nicht im selben Atem belobigt werden. So tadelte er die Schrift, das paßte besser in den Streifen. Es gäbe Schönschreib hefte mit täglichen vorgeschriebenen Uebungen, er wolle ihr gern behilflich sein. Sie biß die Lippen aufeinander. Die Eins unter der Arbeit ward zum Balken und brannte wie eine Fackel vor ihren Augen. Sie hätte aufspringen mögen, aber ihre Kräfte hatten so nachgelassen, daß sie sich beinah duckte Es war ja doch alles eins. Beim Nachhausegehen lam ihr Annette Köber ling nach und faßte ste unter. .Dummerchen, mach dir doch nichts drauS! Ich war ja schuld — aber zu raufen angefangen hast du!* .Ja doch!* murmelte Elda. „Ich bin's gewesen! Ach, laß die Dummheiten!* Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. .Ich hab dich nicht beleidigen wollen, Elda!' fing Annette wieder an, denn die traurigen Augen der Käme» radin taten ihr leid. »Teß ist albern! WaS er nur gegen dich hat? Deine Mutter mag er doch. Wir sehen ste jeden Tag zum Tennis gehen. Du hast doch früher auch milgespielt. Warum drückst du dich? Man muß Beziehungen ausnützen.' .Geh, Annette, das ist unfair!' .Ach, du, bei Paukern — das ist nur diplomatisch * .Ich bin nicht diplomatisch!' fuhr Elda auf und schri« so laut, daß Annette erschrocken zusammenfuhr. »Hu, friß mich nicht! Im übrigen — Mahlzeit, laß dir das Mittagessen schmecken!' Sie bog in einen Gartenweg ein, der auf ein frei stehendes, hübsches Haus führte. Elda hatte noch ein Stück zu gehen. Sie beschleunigte ihre Schritte, denn sie sah eben Pa aus dem Auto steigen, holte ihn ein und begrüßt« ihn zärtlich. .Nun, Kind! Gut abgcschnitten? Wirst wieder einen Bärenhunger Haden! Geh immer hinein — ich bin gleich bereit. Mutti soll nach der Suppe klingeln * Der gute Pa enthob sie der Antwort auf die erste Frage. Sie hätte ihm zuliebe auch schließlich ein .Ja* gelogen. Bei Tisch saß Frau Adele lauernd Elda gegenüber. Irgendeine unausgesprochene Frage lag auf ihren Lippen. Die Nachmittagsfahrt wurde eingehend besprochen. Doktor Renner beschrieb die Fahrtrichtung und gab seiner Gattin Verhaltungsmaßregeln bei den Schwierigkeiten des Weges, denn sie hatte es durchgesetzt, daß Schröder beurlaubt wurde. .Ich habe meine Prüfung mit .Gut' bestanden, lieber Rolf! Warum behandelst du mich wie einen Säugling?* sagte Frau Adele. .Uebrigens — wird dir die Heimfahrt nicht zu spät Elda! Du bist jetzt oft mit Schularbeit überlastet. Will? du dir wirklich die Zeit rauben? Wenn einer fährt, ist ei doch genug — es wird nicht sonderlich belebend werden Ich tue es nur dir zuliebe, Rolf!* »Du möchtest nicht mit, Elda?' fragte Doktor Renne» erstaunt. Eine Tür sprang auf in EldaS Gebirnzellengang .Ich möchte sehr gern m»t!' antwortete sie frei und Nar>- Viertes Kapitel, Frau Adele Renner sah in ihrem Autlerdrcß mit der braunen Lodcnkappe recht gut aus. Die Brille entstellt« sie nicht einmal — es war alles wie aus einem Guß! Das dachte Elda, während sie neben ihr durch die Straßen der Stadt fuhr. Sie fuhr auch sicher und voll Umsicht, und Elda konnte eigentlich nicht recht verstehen, warum ibr überängstlicher Pa sie nicht allein fahren lassen wollte. Er hatte ihr so besorgt nachgeseyen, als ste ihm zärtlich mit der Hand zurückgewinkt hatte. Das macht eben: Pa wird alt!, dachte Elda weiter und hüllte sich fester in ihren neuen Wintermantel, mit dem sie zum ersten Male ausfuhr. Merkwürdig nur, daß man solche Umwege nahm. Die Straße nach Birkenau ging doch weiter außen herum. Aber die Fahrerin mußte ja den Routenplan im Gedächt nis haben. Seltsam nur, daß sie fortwährend nervös nach der Uhr sah, sie hatten doch noch reichlich Zeit für deck Nachmittag. Während des Fahrens wechselten sie nur wenig Worte. Frau Adele liebte das nicht — und es strengte ja auch an. Noch kurze Augenblicke, und sie kamen auf die freie Landstraße. Tas war Frau Adele immer eine Wonne, die Fahrt auf achtzig Kilometer zu stellen — Elda kannte diese Leidenschaft. Heute aber schien sie gebändigt, sie fuhr nicht einmal schneller als mitten tn der Stadt. Was mochte der Grund sein? Fühlte sie sich unsicher? Es war doch freie Sicht auf der ganzen Strecke, kein Hindernis, nicht einmal ein Mensch war weit und breit zu sehen. Doch! — — Ganz hinten am Verschwindungöpunkt der beiden Straßcnscitenlinien tauchte — ganz klein, einent winzigen Pünktchen gleich — «in Mensch auj M« Geschwindigkels des Wagens Netz ihn bald gröber erscheinen, ihn erkennen auf Meterentfernung. Elda wechselte di« Farbe. Der da vor ihnen langsam dahinschlenderte, gleichsam als warte er auf irgend etwas -- das war —. Ach, früher wäre fie erschrocken wie in ehrfürchtig schwärmerischem Erschauern: rS war Doktor Lessow. Der Wagen hielt. .Gnädige Frau!?* .Herr Doktor!?* Frau Adele reichte ihm die Hand, die er küßte. .Woher deS Wegs?' Eie zwitscherte, gut gekünstelt, Absicht und Ziel der Fahrt. Er behauptete, einen Spaziergang zu machen, und beide staunten über das kurios« Zusammentreffen. Rur Elda staunte nicht. In ihren Gedanken stand da- Erlebnis des Vormittags, das Stelldichein der beiden, die Neckerei der Klaffengenossinnen und der erbitterte Kampf, der ihr die Strafe eingebracht. .Sieh da, Elda Renner! Was macht das Feuilleton? Hatten Sie nicht Stubenarrest, kleine Unverbesserliche!?' Es klang liebenswürdig, ohne Schärfe. Früher würde Elda sogar entzückt darüber gewesen sein. Jetzt vermochte sie nicht davor zu kapitulieren. Etwas verschloß ihr den Mund. Sie neigte das Haupt, und als ste wieder aufsah, begegnete sie seinem fragenden, ein ganz klein wenig erschrockenen Blick. .Ich möchte Ihnen gewiß die Freude nicht rauben, aber der Zwischenfall heute früh hat mich doch gezwungen, Ihnen einen kleinen Denkzettel zu geben. Verstehen Sie?* Rein, er war gewiß nicht unehrlich, der jung«, un erfahrene Probandus. Sie standen beide unter einem Zwang, nur daß sie mit ihren achtzehnjährigen Mädchen augen viel weiter und tiefer blickte als er. .Ich kann es ja abends schreiben*, sagte sie, plötzlich die Hemmung bekämpfend. »Es war ein so schöner Tag!* Er war aufgesticgen und saß neben Frau Adele. Schräg hinter sich mußte er immer an EldaS geradem Näschen vorbei in die Landschaft sehen. Sie war wunder schön im Herbstgewande; aber das liebliche Profil seiner Schülerin bot einen noch weit anziehenderen Anblick ES war, als bemerke er es jetzt erst. .Ich hatte vermutet, daß du nicht abkömmlich wärest, Elda', bemerkte Frau Adele streng. .Wenn «S Pa erfährt, daß du so leichtsinnig bist, wird er sehr ungehalten sein!* Der Jungmädchenstolz und der Zorn über diese De mütigung ließen Elda er?tttern, aber ste beherrschte sich um Doktor Tessows willen. ,Pa bat noch nicht Ursache gehabt, über meinen Leicht sinn zu klagen!' Es sollte kühl und abgedämpft klingen, aber die letzten Worte erstickten in einem Schluchzen. .Du bist nervös, Elda! Was hast du? Pa muß dir Pillen geben!' zwitscherte Frau Adele. Sie waren am Ziel. Die Nein« Rina Sell, ein junges, kaum erblühtes Mädchen von fünfzehn Jahren, deren Vater ein Studien genosse Doktor Renners war, jubelte vor Freude, als die drei vor dem Landhaus hielten. Man forderte Doktor Teffow auf, sich anzuschlteßen und mit zum Geburtstagskaffee ins Haus zu kommen. Frau Adele schien entzückt davon, und in dem allgemeinen Jubel, der von den Wänden des hübschen Landhäuschens widerhallte, fühlte sich auch Elda wohl. Der Tisch war in einem Gartcnsalon gedeckt. Man legte für Doktor Teffow ein Gedeck unter der Jugend auf. Neber Frau Adeles Züge huschte ein Schatten, als Doktor Sell ihr den Arm bot und mit jovialem Lachen rief: »Lassen wir der Jugend ihr Recht, gnädige Frau, und sieben wir uns auf das Altenteil zurück!' Er führte sie an das obere Ende des Tisches, und sie dankte ihm kühl. »Du mußt die Krau Doktor nicht zu den Alten zählen, Männchen', sagte seine rundliche Gattin, der die Ver änderung auf Adeles Gesicht nicht entgangen war. »Run, mein Gott, wenn man eine achtzehnjährig« Di« Jugend war ausnehmend vergnügt, und Doktor Teffow taute förmlich auf. Elda sah ihn ganz anders al- unter dem Einfluß Frau Adeles. Er konnte harmlos lachen und behandelte sie gar nicht wie eine Schülerin. Auch Rina Sell war aufgekratzt, und das glückliche Eltern paar wechselte «inen fröhlichen Blick um den andern. »Wie dankbar sind wir Ihrem Gatten für die Bei Handlung unseres Kindes!* sagte Doktor Sell befriedigt, »So ein biederer Allerweltsarzt könnte wohl eine so spezialisierte Kur gar nicht vornehmen. Ihr Gatte, gnädige Frau, es ist mein Jugendfreund, und ich kann es wohl sagen: er Hai meinem Kind das Leben gerettet. Sie können stolz auf ihn sein!* Elda hörte diese Worte und sah stolz und glücklich zu Doktor Sell hinüber. Und so entging ihr auch das un gütige, unfreie Lächeln nicht, daS auf Frau AdeleS Lippen stand. Und diese blieben auch geschlossen — sie fand keine Antwort auf das Lob des Gastgebers. Plötzlich wurde Schröder gemeldet. Doktor Renner telephonierte zu gleicher Zeit, daß er den Chauffeur schicke, um es seiner Gattin zu erleichtern. Elda vermutete einen Zornausbruch ihrer Mutter. Aber sie erschrak fast, als ste diese lachend ausrufen hörte: »Der gute Pa denkt doch an alles!* Es war Zeit zum Aufbruch. Doktor Teffow, wurde natürlich aufgefordert, mitzufahren. Man verabschiedete sich sehr umständlich, Nina bat sogar Doktor Teffow um die baldige Wiederholung seines Besuchs. Elda saß jetzt vorn beim Chauffeur. Sie war wirklich angeregt und zu erfüllt von dem Erlebten, um jetzt die .Horcherin zu spielen. Sie hörte Geflüster hinter sich; aber ste wollte gut sein, einmal nicht mißtrauen. Von einem Schlüssel sprachen ste. Frau Adele war eifrig, und zuweilen drang ein Wort etwas lauter zu den vorn Sitzenden. Doktor Tessows Stimme vernahm man wenig. Elda strengte nun doch ein wenig ihr Gehör an, aber die Worte gingen unter in dem Geräusch de- Fahrens. AlS ste nach Hause kamen, saß Doktor Renner schon beim Abendbrot. »Ihr kommt spät! Es war also schön?* fragte er gütig, »Warst du denn nicht ungehalten, daß ich euch Schröder schickte?* Seine Augen baten um Verzeihung, und Elda war es zum Weinen. »Oh, durchaus nicht, Rolf! Du bist immer besorgt!* erwiderte Frau Adele. Sie erzählte von dem Nachmittag, ohne dabei Doktor Tessows zu erwähnen, und es war wie auf Verabredung, daß auch Elda es nicht tat. Sie schall sich deshalb — und wagte es doch nicht. Las war das doch! Sie machte sich ja einer Unaufrichttgkett schuldig, hielt zu ihrer Mutter. Das wollte sie doch nicht. Und dann fürchtete sie sich wieder, ste könne ihrem Pater weh tun durch Nennung dieses RamenS. Wer wußte, ob er nicht schon einmal Verdacht geschöpft hatte? So schwieg sie, und Frau Adele schien es ihr zu danken. Es war vielleicht das erstemal, daß sie zufrieden mit Elda war. »Soll ich dir noch Tee hinaufbringen?' fragt« ste, vcsaalb besorgt, und als ihr Gatte erstaunt schieu läuterte sie ihm, daß Elda noch zu arbeiten habe »Und ich muß euch jetzt verlassen*, sagte Doktor Renner. »Eine außerordentliche Sitzung des Aerztevereins * »Ich weiß — und mich laßt ihr allein!* seufzte Frau Adele. In Elda regte sich etwas, aber sie sah schweigend auf ihren Teller. Ihre Arme legten sich leidenschaftlich um ihres Vaters Hals, als er sich zu ihr herniederbeugte. Er küßte Frau Adele die Hand. »Verzeih — aber der Beruf fragt nicht nach einem trauten Heim. Wirst du nicht ein wenig musizieren?* Frau Adele gähnte. »Ich bin müde', sagte sie, »der Tag war anstrengend.* Elda ging auf ihr Zimmer. Sie hatte nicht bemerkt, daß ihr Vater noch einmal zurückgekommen war und plötz lich hinter ihr stand
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