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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 02.02.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-02-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070202014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907020201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907020201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-02
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für Leipzig und Vororte: In der Haupt* Expedition oder der«» Au-gabeftrllen al>» geholt monatlich: Ausgabe (1 mal täglich) 70 Pf, Ausgabe L (2 mal täglich) 80 Pf^ bei Zustellung ins Haus Ausgabe 80 Pf., AuSgob« ö 1 Mark. Durch unser« aus wärtigen Ausgabestellen und durch die Post bezogen (I mal täglichsinnerhalbDeutschlandS monatlich 1 Marl ausjchl. Bestellgebühren, für Oesterreich-Ungarn 5L4bd vierteljährlich, die übrigen Länder laut ZeituogspreiSliste. Diese Stummer kostet aus 4 44 slll? allen Bahahvsrn und bet I II /I^I den Zeitung». Verkäufern 1 PeNatttuv uns ExpeStttour Johanntsgasse 8. Telephon Nr. 153, Str. 222, Nr. 1178. Berit«er SieVatttonS-Burea«: Berliu MV. 7, Prinz Loots Ferdinand- Ekaß« 1. Telephon I, Nr. 9278. Morgen-Ausgabe 8. KipMer TaMalt Handelszeitung. Amtsblatt des Nates «nd -es Valizeiamtes -er Ltadt Leipzig. Älnzeiqen-Preks die 6gespaltene Petitzrile für Geschäfts- Inserate aus Leipzig und Umgebung 28 Pf, Familien«, WohnungS» u. 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Reichenau, der in der Person des bisherigen ersten Sekretärs bei der deutschen Botschaft in Konstantinopel, des Botschaftsrats Fuhr. v. Bad manu, einen Nachfolger erhält. * Der König von Württemberg hat den Grafen Otto v. Rechberg und Rotheu l öweu zum Präsi denten der Kammer der Staudesherrn für die Dauer der nächsten ordentlichen Legislaturperiode ernannt. * Bei der gestrigen Reichstags st ichwahl in Bre men wurde Horiuano (Freis. Volksp.) gewählt. (S. Letzte Dep.) . * Am heutigen Tage finden die Stichwahlen in Meck ¬ lenburg (3 Wahlkreises, sowie in den Wahlkreisen Holzminden, Elmshorn-Pinneberg, Ran dow» Greifenhagen und Mem e l - H e hde krug statt. * Di« im Altonaer Fischereihafen und in der Fischauktion beschäftigten Arbeiter haben wegen Lohn- differenzen die Arbeit niedergelcgt. In- folgedessen können die Fischdampfer nicht eutlöscht werden. * Aus Harrisburg (Pennsylvania) wird telegra phiert: Durch eine heftige Feuersbrunst, die gestern morgen im Geschäftsviertel ausbrach, wurden das Ge bäude der Großen Oper, das Parkhotel und andere Baulichkeiten vollständig zerstört. Es läßt sich nicht voraussehen, welche Ausdehnung der Brand nimmt. * DaS neue montenegrinische Kabinett ist gebildet. (S. Ausl.) * Von der britischen Koloniallonferenz, die am 15. April in London zusammentritt, wird eine Verstärkung der schutzzöllnerischen Bewegung erwartet. (S. Ausl.) Hu» eine fsräerung Set lager. „Die Forderung des Tages", vom Fürsten Bülow pro klamiert, war nicht zum mindesten eine Forderung der Re gierung. Sie ist im wesentlichen schon durch die Haupt wahlen erfüllt worden, wodurch die Kanzlerschaft des Fürsten Bülow neu fnudamentiert wurde. Und das war lehr nötig. Nur um Wochen braucht man zurückzublicken, um den großen Unterschied zwischen der Stellung des viel und hart befeh deten Kanzlers im November 1906 und seiner heutigen Siegerpose zu erkenne». Der Kanzler hat sich vor der Wahl hartnäckig geweigert, den liberalen Wünschen nach Garantien für eine modernisierte freiheitliche Geschäfts führung zu entsprechen. Tas mag manchen Leuten als staatsmännische Offenbarung erschienen sein, um io mehr, als die Wahlen dem Kanzler recht gegeben haben. Es ging tatsächlich auch so, ohne Zusagen. Aber cs muß dock) auch gesagt werden, aus welchem Grunde. Die Wahrheit ist, daß der Liberalismus sich in einer Zwangslage befand, daß er es nämlich nicht über sich vermochte, die nationalen Rück sichten zu vernachlässigen. Der Liberalismus hat ohne Ga rantien für die Erfüllung auch nur seiner allerdringlichstrn Forderungen die Wahlschlacht schlagen und gewinnen helfen, die der Regierung erst wieder Luft zum Atmen geschafft hat. Damit hat der Liberalismus jedenfalls ein größeres Maß von nationaler Opserfreudigkeit bewiesen als die Regierung, die zwar für sich kämpfen lasten, aber nichts von ihren Nei gungen und Bequemlichkeiten opfern wollte. Nun sind dre Hauptwahlen vorüber, und die Stichwahlen stehen vor der Tür. Mögen uns hsc Götter freundlich vor neuen Wahlreden deS leitenden Staatsmannes oder gütigen offiziösen Fingerzeigen bewahren! Wir haben an den bis herigen Proben genug. Schon als Fürst Bülow in seiner ersten Kundgebung es weit von sich wies, das Zentrum als Hauptfeind vor die Sozialdemokratie zu rangieren, wollten Leute mit scharfen Sinnen ein diplomatisches Blinzeln nach dem verlorenen Zentrumsfreunde deutlich erkennen. Tie Zeit war schlecht geeignet zu grundsätzlichen Auseinander letzungen. Aber heute dürfte cs wohl gestattet sein, den Kanzler darüber aufzuklären, daß seine Kunst im Umgänge mit Diplomaten leider gar keine Erfahrung im Umgänge mit Menschen verbürgt. Die Parole „gegen das Zentrum" war der wesentlichere Teil der ganzen zugkräftigeren Wahl parole dieser denkwürdigen VoWabstimmung. Sie ist es sogar in den Wahlkreisen gewesen, wo gar nicht mit Zcn- trumsgeauern zu rechnen war. In Sachsen besonders wäre nicht an daS glänzende Ergebnis des 25. Januar zu denken gewesen, wenn die Wählermasten nicht in dem sicheren Ge fühl ihrer Wahlpflicht genügt hätten, in der Soziatdemo- kratie die antrnattonale und antikulturelle BundeSgenossin der tief verhaßten UltramoutamsmuS zu treffen. Deshalb war der Kanzler übel beraten, als er diesen seinen Dahl« brief schrieb. Von dem Wahlsieg jedenfalls darf der Wahl macher Bülow sich nichts zugute schreiben. Aber es sollte noch schlimmer kommen. Nachdem nun mehr die Wähler ihre Hauptpflicht getan und mit dem Vaterland auch die Regierung gerettet haben, nachdem jetzt dem Kanzler zwei brauchbare Majoritäten erblüht sind, «ine dnservativ-liberale für nationale, und eine konservativ- lerikale für wirtschaftliche und alltikulturelle Ausgaben — teckt jetzt der vor Weihnachten noch so zentrumswild ge wesene Kanzler den Kulturkampsdegen wieder friedlich ein. Nichts mehr vom autinationalen Zentrum! Nichts von Nebenregierung! Nichts von unzulässigen Pressionen! Nein, „einhellige Abgabe aller Stimmen gegen die Sozial demokratie!" Das soll die „Losung für die Stichwahlen" ein. So zu lesen in der „Norddeutschen Allgemeinen Zei tung", die nie eines anderen Geistes Hauch als den des je weiligen Kanzlers verspürt. Die noch eben zur Erlösung der Regierung aus dem Zentrumsjoch aufgebotenen Wähler ollen also jetzt gegebenenfalls einen Zentrumsmann wählen! Das will die Regierung! So michelhaft taxiert ie den deutschen Wähler! Wenn es je eines Beweises be- mrft hätte, daß Klugheit und Unerfahrenheit in einem Kopfe einträchtiglich beieinander Hausen können — hier ist er. Es ist geradezu ungeheuerlich, dem national empfindcn- )en deutschen Volke die Zumutung zu stellen. Es blieb der Regierung des Fürsten Bülow Vorbehalten, diesen Gipsei nationaler Staatskunst zu erklimmen. Wir haben schon auseinandergesetzt, welche beträchtlichen Schwierigkeiten sich im Reiche aus dem Anwachsen der kon servativen und dem Beharren der Zentrumsstimmen für die Liberalen ergeben. Bis weit in die Reihen der gemäßigt Liberalen hinein, bis zu den Rechtsnationalliberalen, wird die Schwierigkeit erkannt. Die „National-Zeitung" ist von uns schon zitiert worden. Es ist sehr bedeutungsvoll, daß auch der „Hannoversche Courier" unsere Auffassung teilt und schreibt: „Für Leute, die sich erinnern, daß wir unter anderem doch auch in die Wahlschiacht zogen, um dem deutschen Liberalismus ein Plätzchen an der Sonne zu erobern, ist die Situation wirklich nicht so einfach, wie sie sich unseren Offiziösen darstellt. Tic kennen, nachdem die Schwächung des Zentrums mißlungen ist, nur noch ein Ziel: völlige Niederzwingung der Sozialdemokratie. Dem stimmen natürlich freudig Konservative und Agrarier zu. Daß es gegen das in mehr als einer Beziehung wesensvcrwandte Zentrum gehen sollte, ist ihnen immer äußerst fatal ge wesen. Sie würden nur dem Zuge des Herzens folgen, wenn sie jetzt nach Möglichkeit dem Zentrum Wahlhilfe leisteten. . . Derlei (scharfmacherische) Tendenzen müssen natürlich mit in Kauf genommen werden — ohne Kom promisse und Entgegenkommen von hüben und drüben wäre der Erfolg nicht zu erstreiten gewesen —, aber man muß doch auch sehen, daß sie nicht übermächtig werden. Darum, scheint uns, kann von einer bürgerlichen Gemeinbürgschaft, die auch das Zentrum mit be griffe, im Ernst gar nicht die Rede sein. Das Zen- trum, das erst heute wieder durch den Mund der „Ger mania" droht: sein Vertrauen sei „leichtfertig" verscherzt und würde so bald nicht wieder zu gewinnen sein, muß uns bei den Stichwahlen bleiben, was es ebenso wie die So zialdemokratie beim ersten Gange war: der Feind an sich. Wo Konservative mit Sozialdemokraten ringen, werden jene selbstverständlich zu unterstützen sein. Im übrigen aber sitzen unsere natürlichen Bundesgenosten weiter links auf den Bänken des fortgeschrittenen bürgerlichen Liberalismus." Muß uns also die neuerliche Haltung der Negierung immer verdächtiger werden, so müßte anderseits doch auch die Regierung, so sie nicht ganz mit Blindheit geschlagen ist, allmählich merken, daß sie ein gefährlich Spiel treibt. Es sind nicht mehr nur freisinnige und nationallibcrale Blätter, die bereits kopfscheu gemacht worden sind, auch sonst so wenig oppositionslustige Organe wie die „Tägliche Rund- schau" halten es, wie wir schon gestern unter Abdruck eines längeren Stückes dieser Zeitung erwähnten, trotz des Ernstes der Situation, trotz der Nähe der Stichwahlen für unumgänglich, der Regierung des Fürsten Bülow die Zähne zu zeigen. Soweit hätte es also die Neberdiplomatie der Negierung gebracht, daß sie glücklich noch vor der letzten Entscheidung ihre Nothelser vor den Kops stößt. Wenn die Regierung des Fürsten Bülow nicht schleunigst Sorg« trägt, daS berechtigte Mißtrauen in weiten nationalen Kreisen zu zerstreuen, so wird nichts anderes übrig bleiben, als zum Kamps gegen die Regierung aufzurusen. Wenn die Stichwahlen vorbei sind, wird sich das weitere finden. vir Nachiviklrtmgen arr Zamailra-L«irchr«sallez. (Von unserem Londoner Korrespondenten.) Der Zwischenfall ist bcigelegt. Mr. Swettenham hat für seinen groben Brief revozieren und dcprezieren müssen und ist obendrein obberuscn. Obwohl er das formelle Recht und sehr triftige Gründe für sein Verhalten geltend machen konnte! Amerika bat jede mögliche Genugtuung erhalten. Und doch wäre es ein großer Irrtum, wollte man glauben, daß damit der ungeheure Schaden für die britische Politi " auch nur im geringsten abgeschwächt wäre. Sir Charles Dilke hat einmal über den Alabamazwischen- sall gesagt, der die beiden englisch redenden Nationen für ein Menschenalter entfremdete: „In Demokratien, wie Amerika und Frankreich, fühlt jeder Bürger einen Insult seines Lan-I >es wie eine gegen ihn selbst gerichtete Beleidigung". Erl >at ferner erklärt — es war im Jahre 1867, als die schieds gerichtliche Erledigung der Alabamastreitsrage noch nicht ichergestellt war — daß es „eine ewige Schande für die Zivilisation bedeuten müßte, wenn sich die Engländer daran machten, ihren Brüdern um einer Etitettesrage willen den Hals abzuschneiden." Trotz dieser ebenso richtigen wie klugen Beurteilungen solcher und ähnlicher Vorkommnisse, welche auch dieses Mal die politischen Kreise beider Nationen bestimmen, wird das Volksempfinden weder hüben noch >rüben zufriedengestellt sein. Das Volksgemüt ist eben un- ierechenbar. Man denke an die Verunglückung der „Maine" m Hafen von Havanna, welche der unmittelbare Anlaß des panisch-amerikanischen Krieges wurde, trotzdem die Unter- uchungskommission fast zum Ueberfluß die von vornherein onnenklare Unschuld der Spanier sestgestellt hatte! Freilich legen die Verhältnisse insofern himmelweit verschieden, als >amals der Wille zum Bruch auf amerikanischer Seite vor sanden war und dieses Mal gewiß nicht. Aber wir wissen zur Genüge, daß zwischen den Vettern längst nicht mehr olles so steht wie sonst. Für die Stimmung auf amerika nischer Seite brauchen wir keine weiteren Belege, aber auch englischerseits stand die Volksmeinung durchaus auf der Seite des Gouverneurs. Man gab ihm mindestens in der Sache recht. In privater Unterhaltung gaben viele ernste Leute sogar der „meisterhaften Unverschämtheit" des Tones im Briefe Swettcnhams ihre Zustimmung. Man ist eben vielfach der „Ueberhebung" der Uankees müde. Nach der Beilegung des heute noch auf beiden Seiten un vergessenen Alabamazwischenfalles schrieb ein bedeutender englischer Diplomat und guter Kenner der Vereinigten Staaten: „Der Amerikaner tritt überall dem einzelnen Eng länder mit Zuneigung entgegen. Aber er macht auch kein Hehl aus seiner Erwartung, daß alle die ersten Avancen für eine Erneuerung der Freundschaft von unserer Seite kommen müssen." Damit ist die englisch-amerikanische Politik der 'cicken 40 Jahre gekennzeichnet. Mr. Roche, das liberale kanadische Parlamentsmitglied für .Halifax, sprach sich erst kürzlich folgendermaßen aus: „Der Wunsch, sich den guten Willen der Vereinigten Staaten zu erhalten, hat im Rate Großbritanniens immer überwogen, und man hat der ame rikanischen Empfindlichkeit gegenüber immer mehr Rücksicht genommen, als mit den kanadischen Interessen oereinbarwa r." Ui.o das trifft zu von dc« Tagen des amerikanischen Fenicreinfalles bis zur Schlichtung des amerikanisch-kanadischen Grenzstreites durch eine rein eng lisch-amerikanische Kommission und durch die entscheidende Stimme des englischen Vorsitzenden: es trifft zu bis zur Er ledigung des Neusundlandstrcites ohne Befragung dieser Kolonie, ja bis zur unverdienten Abberufung Sir Mortimer Durands vom Washingtoner Botschafterposten. Sir Mortimer war zwar an Takt dem Gouverneur von Jamaika weit überlegen, aber an Festigkeit in Verteidigung britischer Interessen ihm mindestens gewachsen. Von Herrn Bryce erwartet man in englischen Diplomatcnkreisen zwar kaum geringere Festigkeit, aber doch flexiblere Manieren und mehr spekulative Gerissenheit im Umgang mit den Dankees, denen seine Bücher soviel blauen Dunst vorgemacht haben. Dieser Politik der Avancen ist man nun in weiten Kreisen Englands, nicht nur der Kolonien, müde. Man gönnt dem „einmischungslüsternen" Amerika den Nasen stüber gerade in Jamaika um so mehr, je fester man in allen denkenden Klassen Großbritanniens überzeugt ist, daß früher oder später über ganz Westindicn das Sternenbanner weben wird. Seit den Plänen Grants auf Westindien und die An tillen, noch mehr natürlich seit dem spanisch-amerikanischen Kriege und der faktischen Annexion Kubas ist man in Eng land sehr argwöhnisch geworden. Tas prompte Eingreifen des amerikanischen Kubageschwaders — Guantanamo liegt nur 12 Tampsstunden von Jamaika — berührte einen be sonders empfindlichen Punkt, weil die Uankces den britischen Kriegsschiffen nur dadurch zuvorlommen konnten, daß die Politik der englischen Avancen im Jahre 1905 zur Zurück ziehung des alten nordamerikanisch-wcstindischcn Ge schwaders geführt hatte, so daß der „Brilliant" von Ber muda 1100, der „Jndefatigablc" von Trinidad 1000 See meilen nach Kingston zurückzulegen hatte, eine deutliche Illustration der Verteidigungslosigkeit Westindiens. Diese Beobachtungen und Gedanken drängen naturgemäß jetzt an die Oberfläche und können auch in Amerika ihren Eindruck nicht verfehlen. Denn wenn sie auch keinen offi ziellen oder nur einen beschränkten offiziellen Ausdruck finden, so gilt doch der Satz, den ein amerikanischer Schrift steller ausgesprochen hat, von keinem anderen Volke mit so viel Recht, wie von dem amerikanischen, der Satz: „Alle Völker begehen in erregten Zeiten den Fehler, zu denken, daß alle Völker auf Erden, mit ihrer eigenen einzigen Ausnahme, in ihrer Politik einmütig sind." Das werden die Amerikaner jetzt von England denken, und sie werden sich dabei nicht einmal sehr im Irrtum befinden. Nach der 40jährigen Lyrik über die Brüderschaft und die Interessen gemeinschaft der beiden Nationen muß aber dieser schroffe Beweis einmütigen Mißtrauens gegen eine bloße Aktion impulsiver Menschenliebe eine starke Ernüchterung der leicht überschwänglichen Gefühle der Jankers ausüben. Und das ist wohl nur gut. Die kMimitg äer rebuantepeebabn. Das Kabel fiat die feierliche Eröffnung der „Merika- nischen JsthmuS-Route" durch den Präsidenten Porsirio Tiaz gemeldet, unter dessen Negierung Mexiko und sein Vcrtebrs- wesen einen so gewaltigen Aufschwung genommen hat, daß das alte Aztekenland heute nach langen Jahren der Mißwirt schaft das Vertrauen der Nationen gewonnen hat. Ich wettc, die meisten Leser werden die Notiz von der Löschung deS ersten Dampfers in Saline Cruz und in Coatzocoalcas mit nicht größerem Interesse gele'en haben, wie etwa die Nach richt von d-n Studentenunruhen in Sofia, und doch bedeutet I die Eröffnung der Tehuantepecbahn «inen neuen und wich tigen Abschnitt im Kapitel deS interozeanischen Verkehrs, t dessen wichtigste Straße der Panamakanal sein wird. Die Panamastrecke ist nicht die einzige, auf der schon seit langer Zeit sich di« Projekte des Jschmusdurchschnitts ver wirklichen wollten, und es ist sicher, daß im Laufe der kom menden Jahrzehnte neben dem Panamakanal auch noch anoere Wasserstraßen zwischen den Ozeanen hergestellt werden. Schon Cortez wies auf die Vorteile hin, die gerade die Senke zwischen den Hochländern von Guatemala und Mexiko dem Kanalbau bietet. Skur 210 Kilometer trennen hier Ozean von Ozean, nur 203 Meter beträgt die größte Erhöhung. Tie »coderne Technik wird hier also lange nicht die Schwie rigkeiten zu überwinden Haden, wie beim Panama- und Rica- raguaprojekt, und da die Mississippistaaten Nordamerikas auf dem Wasserwege über New Orleans—Coatzocoalcas—Salina Cruz die bequemste Verbindung mit der Ostküste Nord amerikas, der Jnselweli des Still«» Ozeans und Ostasien l-aden, so wird das Projekt des Durchstichs der Tehuantepec- enge sicherlich einstmals zur Tatsache werden. Wie in Panama arbeitet die Eisenbahn dem Kanalverkehr vor, auch hier bereitet die Sicherung der von der Natur ge- gebe neu Hafenplätze die erste und größt« Arbeit. Die mexi kanische Regierung lmt Salina Cruiz «igentlich erst geschaffen. Vordem waren Acapulco und Manzanillo die einzigen Häf«n an der Westküste, die in jenen Breiten angelaufen wurden. Demgemäß ist Salina Cruz noch «in werdender Platz, der ich erst mit dem Verkehr der Bahn entwickelt. Die Bai von Tehuanrepec ist hier sandig. Mit gewaltigen Erdbaggeru wurde der Hafen Salina ^ruz in ihr ausgehoben, riesige Betonwürfel als Grundfesten der Kaimauern eingesenkt; zwei große Molen schützen gegen die nicht schwache Brandung. Die englische Piersongesellschaft, bei der auch deutsche In» genieure und Beamte angestellt sind, stellt den Hafen und die Bahn her, die nun von der mexikanischen Regierung übernomuden ist. Die Zoll- und Quarantäneqebäiche sind einstweilen aus Holz hergestellt. Chinesen Hausen in großer Zahl in der Arbeiterkolonie, die vor dem eigentlichen Salina Lruz liegt und, wie Johannes Wilda kürzlich berich tete, zum Teil an das berüchtigte Mattendorf bei Tsiugtaa erinnert. Salina Cruz selbst ist auf Zuwachs gebaut. Der Grund und Boden ist natürlich hon heut« Gegenstand der Bau» spekulatiou geworden, breite Straßen sind abqesteckt, neue, villenartige Häuser erheben sich in Gärten, die heute noch dürre Sandplätzc mit kümmerlichem <Ä«düsch sind. Den Europäern sägt das Klima -ficht besonders zu - oder waZ will das an einem Platze bedeuten, wo in Zukunft schweres Geld verdient werden soll? Panama und Colon sind schlim mere Fieoerlöcher, und doch lwsinnt sich kein Kaufmann, dort die Flur des Dollars obzufangen. Im Laufe der Jahre wird es auch in Salina Cruz Schatten, Rasen und gutes Trrnk- wasser geben, heute gibt es viel Pulque, Whisky und Bier in den zahlreichen Kantinen und Kneipen, die überall wie Pilze aus der Erde schießen, wo große Verkehrswege ent stehen. Salina Cruz wird jedenfalls «ine modernere Stadt, als die anderen Häsen an der mexikanischen Westküste sein. Völlig unmodern aber ist bisher die Art der Ülbsertigung der Passagiere und Güter. Der harmlose Mensch, der glaubt, mit der Lösung seiner Fahrkarte seine Pflicht getan zu l-aben, wird bald inne, daß er weit von Europens Höflichkeit ist. Er schleppt höchst eigenhändig seine Koffer an die Wag«, wo jedes Stück umständlich gewogen und gebucht wird; mehrere Pappstücke, mit Stempeln versehen, werden ver abfolgt, von diesen bei der Verladung wieder ein Teil zerrissen, Stunden verbringt der erfreute Reisende in sengender Son nenglut am Nachmittage, wenn cr die Absicht hat, am folgen den Morgen wirklich die Bahn zu benutzen. Für Unterkunft der Reisenden ist in den primitiven Buden gesorgt, die fix« Chinesen ,Hotel" getauft haben. Die Söhne des bimm- lischen Reiches Haden zum Teil den „pip^nil" obaeschnitten und bemühen sich, cs äußerlich den weißen Kollegen gleichzu- tun. Im Ausstellen der Rechnung für den geehrten Gast haben sie von ihnen bereits nichlS mehr zu lernen. Der Zua selbst wird von etlichen mexikanischen Soldaten begleitet. Man traut trotz der unerbittlichen Bestrafung der Räuber durch den Präsidenien Diaz an'^eincnd den Herren Briganten noch nicht recht. Uebrigens herrschen nach dieser Richtung im nordamcrikanischcn Westen noch weit schlimmen Zustände, das „Hände lxoch!" steht hier ncch immer in An sehen. Telmantepec taucht miß ärmliclw Häufir unier blühen den Bäumen: die Bevölkerung in eigenartiger Tracht, wie sie nirgends in Amerika wiederkehrt. Auch die Frauen tragen hier den breiten und spitzen Filzhut, unter dem allein der Mexikaner sich wohlfühlt. Allmählich steigt die Strecke. Statt des offenen Kamps ' ehnt sich Gestrüpp aus, dann nimmt sie der dichte Urwald aus. Brennholz und Wasser werden eingenommen, auch sonst hält der Zug hin und wieder, fährt dann mit äußerster Vorsicht — die Strecke ist noch 'ehr neu und an manchen Stellen noch nicht vollkommen sicher. Es ist fraglich, ob deutsche Behörden einen solchen Betrieb schon gestattet hätten, aber in Amerika ist man bei wcckem weniger skrupulös. Die Wagen selbst sind unbequem, die Verpflegung in den Cbinefinbuden an der Strecke nicht ber- vorragend: die landesübliche „Comiva von fettem Fleisch unk schmierigem Gemüse". Die Kondukteure und Lokomotiv führer sind meistens Nordamerikaner, fast immer .zuverlässige Leute, nicht die freche und anmaßende Gesellschaft der Panama Railroad. Von -antq Lucrezia beginnt der Ab stieg nach Coatzocoalcas am Golf. Die neue Jsthmusroute .fird schnell zu einer wichtigen Strecke -es Weltverkehrs wcrden, dessen Schwerpunkt immer mehr nach Westen rückt. Die ersten Güter von Hawaii für Philadelphia und von New Dork für San Francisco, Seattle und Honolulu sind bereits auf der neuen Strecke befördert, während sie früher den langen Weg aus den Pacfiscbrhnen. über Cokon-Panama oder um Kap Horn machten. ES zeugt von dem weiten Blick der rexikanischcn Regierunp, daß sie sich wenigstens eine Strecke der neuen Welloerkahrslinien beizeiten gesichert hat. Ohne Zwrffel wird der Ausbau von Salina Cruz und die Strecke Tchuantepec-Mexiko einen guten Teil des Weltverkehrs sichern, der von Nordamerika und Europa nach Ostasien bald nicht mehr über Suez, son dern über den Isthmus Zentralamerikas gehen wird. Los
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