Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 26.02.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-02-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070226018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907022601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907022601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-02
- Tag1907-02-26
- Monat1907-02
- Jahr1907
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezitaS-Vkei- ftlr Lekvzt« ma> Vororte: g» der Haupt» <ktp»dilioa oder deren AuSgabeskelkea ab» grdott mouatttchr LI »«gäbe (L mal täglich) ?i» Pf., »»«gäbe 8 mal ttgltch) 8V Pf, bet tlusirlluag in» Hau» Audaabe X 80 Pf., ÄuSgab« Ü 1 Mark. Durch unsere aus» ivürtiqea Ausgabestellen und durch die Post leigen tl mal täglich)tnnrrdaib Deutschland» monatlich l Mark ausjchl. Bestellgebühren, für Otiierrrich-Ungarn 5L45K merteljührtich^ dir übrigen Länder laut Zeituagspreisliste. Dies» Stummer kostet aus -14» «N allen BahahSsea uub bei III I den .8ettung«»>v«rkaaferu I* StedaMon und ErpeStttour Johauni-gasse 8. Telephon Nr. 153, Str. 22^ Nr. 1173. Berliner MedaMous-Vurear»'. Berliu diVV. 7, Prinz Louis Kerdtuaad- Etratze 1. Telephon I. Nr. S27S. Morgen-Attsgabe 8. UchWr. TaMalt Handelszeitung. Amtsblatt des Rates «nd des Rolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Ntr^eiqenePreiS Für da» Hrgtzriurn an begiinmira Tagen u. Plätzen wird keine Garantie übernommen. Fesirrteilt« Aufträge können nicht zuruck- gezogen werben. HaNPt-Ktltale Berlin: TarlD u n cke r,Hrrzgl.Bayr.Hofbuchhandlg. Lüuowstraße 10 (Tel. VI, 4ütt3. Filtal-Orveotttnn: Tressen,Marienur.31. die 6gespalten« Petitzeile silr Geschäft«» inserat« au» Leipzig und Umgebung Lü Ps, Familien-, Wohnung»» u. Stttleu-Anzriarn, sowie Au» und Verkaufe 20 Pf^ fiaanzirll« Anzeigen 30 Pf, für Inserate von auswäri» 30 Ps. Reklamen 75 Ps, au-wärl» 1 Mark. Beilage gebühr 4 Mark p. Tausend exkl. Postgebühr. Geschästranzeigen an bevorzugter Ltelle >m Preise erhöht. Rabatt nach Tari>. FürInserate vom AuSlande b« anderer Taris. Anzeigen-Annahme: Auguttusplatz k», bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Expeditionen de» In» und Auslandes. Nr. 57. DieuStag 26. Februar 1907. tOl. Jahrgang. Var lvicbtigrle vsm Lage. * Im Reichstag ergriff bei der gestrigen ersten Etatsdebatte der Reichskanzler daS Wort, um die Stellung der Regierung zum Zentrum und zur Sozialreform zu präzisieren. (S. d. des. Art. u. Ber. 'n d. 2. Beil.) * Kolonialdirektor Dernburg beabsichtigt, seine erste Kolonialreise, jür die vier Monate in Aussicht genommen sind, aus Ostasrika zu beschränken; er gedenkt die Rtiie unmittelbar nach dem Schluß der ReichslagSsejsion, die etwa Mitte Mai zu erwarten sein dürfte, anzutreten. o * Die berggesetzliche Borlage wurde gestern im preußischen Abgeordnetenhause in erster Lesung beraten und dann einer besonderen Kommission über wiesen. (S. DtschS. R.) * Der Hamburger Fünfmaster .Preußen", eine» der größten Segelschiff« ver Welt, hat einen neuen Rekord für die Durchsegelung der Streck« Taltal (Chile)—Cuxhaven erreicht. (S Neues a. a. W.) * Di« finnische Regierung fordert in Petersburg die Auslieferung des Mörders HertzensteinS. (S. Ausl.) * Zn Warschau wurde ein erfolgloses Attentat aus ein hervorragendes Mitglied der „wahrhaft russischen Leute" gemacht. (S. AuSl.) * Der Papst will einem der Haager Delegierten be auftragen, gegen die Ausweisung MoutagniniS aus Frankreich Einspruch zu erheben. Vie erste fteiebrtagrredlachi. (Telegraphischer Bericht.) Die große Frage des neuen Reichstags, die unsrer ge samten inneren Politik, ist heute beantwortet worden: Der Reichskanzler will einmal versuchen, nicht gegen, aber ohne das Zentrum zu regieren. Dieses Pro gramm wurde vom Fürsten Bülow, dem vierten Redner des Tages, entwickelt, öer mit seinem Borredner Bassermann zusammen die bessere Hälfte der Debatte, nämlich die verständliche, exekunerte, während die Herren von Stengel und Spahn wieder einmal sämtliche Tribünrnbesucher zur Verzweiflung brachten. Im dicht- besetzten Hause, dessen BundeSratStribüne außer von sämtlichen Staatssekretären und dem Sekretäraspiranten Dernburg auch von einer großen Reihe preußischer Minister gefüllt wurde, war das Verständnis durch häufige Unruhe sehr erschwert. Bei dem ganz eigenartigen Organ des Abg. Spahn, das auch mit zunehmender Tonstärke nicht ver- stänclichrr wird, gingen gleich ganze Partien seiner Rede verloren, und nur aus den in Intervallen ertönenden Zu rufen des Zentrums konnte man entnehmen, wann der Redner an einer Kraftstelle angekommen war. Gegen den Schluß feiner Rede hin wurde wenigstens stellenweise deutlich, worüber der Zentrumsredner sprach. Er erhob Kulturkampfbeschwerden gegen Sachsen und Braunschweig und stellte die belustigende Behauptung aus, das Zentrum habe kein Interesse daran, konfessionelle Momente in den Wahlkampf zu ziehen. Dann kamen die Briefe des Generals Keim an die Reihe. Aus dem Saal wurde dem Redner zu gerufen: .Woher stammen die Briefe?", und Herr Peter Spahn fand die harmlose Antwort: .Sie standen ja in der Zeitung!" — Dann kam eine Attacke auf den Reichs kanzler wegen seiner furchtbaren Wahlbeeinflussungen, die man nur mit Vorkommnissen in napoleonischer Zeit ver gleichen könne. Die» brachte daS ganze Hau» sichtlich in beste Laune, so daß es auf die Lamentationen über die Präsidenten wahl nur mit Heiterkeit quittierte. Herr Spahn meinte nut sehr bekümmerter Miene, die Stellung des Präsidium» werde durch künstliche MajoritätSbildung herabgedrückt. Aber dann warf sich der Zentrumsmann in Positur, nannte sein« Partei den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht und feierte die chrsstliche Kultur als daS Fundament aller staatlichen und volklichen Wohlfahrt. Bassermann antwortete mit einer großen Rede, die an manchen Stellen die nervös gewordene Sozialdemolratie zu größter Aufregung brachte. Besonder» Bebel geriet ganz außer Fassung, so daß ihm von einem Nachbarn zugeredet und auf die Schulter geklopft werden mußte. Bassermann forderte am Eingang feiner Rede, daß nuu auch von der Regierung die Konsequenz au» dem Ergebni» der Wahlen und der Errichtung der neuen Mehrheit gezogen werden tollte, d. h. unter kaudinische Joche dürfe man sich nun nicht mehr beugen. Der Redner war so liebenswürdig oder so boshaft anzunehmrn, auch das Zentrum Werve sich über das Aufhören solchen Mißbrauch» der parlamentarischen Gewalt freuen. DaS bißchen Agitation des Flottruverein» fei nicht der Rede wert, und di« Flottenagitatoren die reiuen Waisen knaben im Vergleich zu den ZentrumSgeistlichen. Aber die Bries« des General» Keim sind zwcifello» gestohlen, und ich will keinen Zweifel darüber lassen, daß ich da» für eine.Gemeinheit" halt«. Die neuen Aufgaben der Regierung und des Parlament» fand Bassermann vor allem in der Sozialpolitik, di« sich auch auf den Mittelstand zu erstrecken habe. Redner richtete an den Reichskanzler die Anfrage, wie er sich hierzu stelle. Ein großes sozialpolitisches Programm bildete den Schluß der Rede: Ordnung drS Vereins- und Versammlungs rechts mit Berücksichtigung der Frauen, ein ReichSarbeitsamt und Entlastung des Grafen Posadowsky. Die Neve de» Reichskanzlers wurde unter einem etikettewivrigen Andrang aus der Bundesratstribüne gehalten. Von der Hofloge aus hörte auch ein jugendlicher Herr in OsflzierSunisorm zu, der vom Grasen Stolberg begrüßt wurde unv für den Großherzog von Mecklenburg gehalten werden konnte. Die Kristallisationspunkte der Bülowschrn Rede waren die Stellung der Regierung zum Zentrum und zur Sozialresorm. Immer noch legt der Kanzler den größten Wert darauf, nicht jür «inen prinzipiellen Gegner deS Zentrums als konfessioneller Partei gehalten zu werden. Nur weil das Zentrum in einer nationalen An gelegenheit die Grenzen überschritten habe, jenseits deren er, der Kanzler, keinen Spaß verstehe, sei die ReichStagSauflösung erfolgt. AuS dem ganzen Gedankengang des Kanzlers ging mit Sicherheit hervor, daß er dem Zentrum di« Pforte zur Aufnahme in einen nationalen Block nicht prinzipiell verschließen will. DaS mag nicht sehr tröstlich im liberalen Sinne sein, doch ist jedenfalls für die nächste Zu kunft an eine solche Verständigung noch nicht zu denken. Dazu ist die Erregung viel zu groß, sowohl bei der Regierung wie beim Zenlrum. Fürst Bülow gebrauchte starke Worte gegen das Zentrum und hatte in diesem Teil seiner Rede die wirlungsvollsten Momente. Er habe die Ehre de» Zentrums nicht angetastrt, over vielleicht dadurch, daß er den Reichstag ohne Erlaubnis de» Zentrums aufgelöst habe? Ein recht schwaches Zwischenstück war der Teil der Rede über da» persönliche Regiment. DaS^ sei nur ein Popanz, mit dem man polnische Kinder schrecke. DaS eine Wort .Lippe" hätte wohl zur Widerlegung des Kanzlers genügt, dieses Wort siel aber nicht DaS Bündnis zwischen Zentrum und Sozialdemokratie ist im Reichstag bisher noch nicht so scharf verurteilt worden wie heute vom Reichskanzler. Er nennt eS einen groben politischen Fehler und ein mora lisches Unrecht. Zuletzt kämpfte Fürst Bülow noch für das Recht der Regierung, sich im Wahlkampf das Maul nicht verbinden zu lassen, und kündigte an, in zukünftigen Kämpfen noch ganz anders zur Agitation überzugehcn. Er wolle kein Pagode sein. Der Schluß der Bülowschrn Rede war die Antwort auf die Bassermannsche sozialpolitische Anfrage, und diese Antwort war trotz der rhetorisch guten Quali täten deS vorauSgegangenen doch der bessere Teil. Der Kanzler kündigte an: die Regelung des Vereins- und BersammlungSrecht», die Reform der Straf prozeßordnung, die Aufbesserung der Beamtengehälter, eine Börsenreform, die der Börse eine größere Einwirkung auf den Welthandel ermögliche, strammen sozialen Fortschritt mit Berücksichtigung auch deS Mittelstandes. Mit diesem Pro gramm wolle er der Zusammensetzung der neuen Majorität Rechnung tragen, während in wirtschaftlicher Beziehung der alte Kurs gesteuert werden solle. Der Beifall am Schluß der Rede war laut und stark. Wieviel davon dem Rhetoriker, wieviel dem Politiker galt, müßte noch besonders untersucht werden. Das Fazit des ersten großen Tages ist jedenfalls: Abwartende Haltung der Regierung gegenüber dem Zentrum, Wirt schaftspolitik mit besonderer Berücksichtigung der Rechten, Sozialpolitik nach Wunsch der Linken! Vie Sauern i» aer steiedtcluma. Als im vergangenen Ja-re -um ersten Male die Manner im Schafpelz und mit bastbewickelten Küßen in Petersburg einzogen, wo sie als Vertreter der russischen Bauernschaft in die Reichsduma gehen sollten, drängte sich sofort ein Häufchen prächtig assortierter Tschernosotnegi an sie heran, die den An kömmlingen „in selbstloser Weist" unentgeltliche Quartiere zur Verfügung stellten. Bald nur freilich zeigte sich, daß diese Selbstlosigkeit nicht so ganz echt war: denn es Hub im Frei quartier bei GratisschnapS ein hübsches Werben an. Man gab sich alle erdenkliche Mühe, den „naiven" Bauern, die ja zum Teil nicht lesen und nicht schreiben konnten, -u beweisen, daß nur im Schoße de» Absolutismus und der Orthodoxie di« alleinseligmachende Politik zu finden sei. DaS Merkwürdige war damals, daß nur wenige der Naiven auf den — allerdings etwas dick aufgestrichenen — Leim gingen. Weitaus die meisten drehten dem wohlfeilen Quartier den Rücken und erklärten, sie wüßten allein, walt sie in der Duma zu sagen hätten. Da» war nun allerdings «in« klein« Enttäuschung, auch für die linken Truppen, die natürlich gehofft hatten, der fette Braten, die stimmreiche Bauerngruppe, werde ihnen müheloS zufallen. Daß e» ander» kam, hatte seinen guten Grund: die Bauerndeputierten waren mit fester Marschroute von ihren Gemeinden und Wolosten abgesandt worben. Ihre Politik, das ihnen straff oorgezeichnete Programm, batte zwei Punkte:! 1) Ihr müßt dafür sorgen, daß wir Land bekommen, und 2) den Löwenanteil eurer Diäten laßt ihr eurer Gemeinde zuschicken. Um den -weiten Punkt, der so ganz westeuropäi schen Begriffen entgegen ist, begreifen zu können, muß man wissen, daß die meisten der bäuerlichen Dumadeputierten von ihren Gemeinden mit Kleidern, Reise- und Zehrgeld versorgt worden waren, eine Fürsorge, deren praktische Durchführung den verarmten Gemeinden gewiß nicht leicht gefallen ist. Vor dem Zauberworte „Land" verblaßten alle idealen Forderungen der Liberalen. Schließlich, wem kann man es wohl verargen, daß er nicht über die Unantastbarkeit der Persönlichkeit oder die Freiheit des Wortes zu diskutieren wünscht, wenn er und die Seinigen Jahr um Jahr den Kampf mit dem Hungertode führen müssen. Der Magen hat be kanntlich seine eigene Politik. Das lehrt schon eine alte Fabel, die gelegentlich der seeossio in rnortsna saorrun von einem klugen Römer erzählt worden ist. Und heute? Jetzt, da die Duma zum -weiten Male zu sammentritt? Hat ber russische Bauer andere Gesinnungen, andere Hoffnungen, andere Ziele? Hat er die leibliche Not abgestreift, die ihn daran hinderte, idealpolitische Ziel« anzu streben? Fürst Dolgorukow, der Moskauer Journalist undKadetten- führer, ist sicher einer der Besten der russischen Nation. Man hat — das sei hier nebenbei bemerkt — jüngst den Versuch gemacht, ihn wegen seiner Zugehörigkeit zur Kabettenpartei al» „ehrlos" aus dem Kaiserlichen Jachtklub auszustoßen. Der Versuch ist dank der Ehrenhaftigkeit der Majorität der Klubmitglieder ins Wasser gefallen. Nichtsdestoweniger ist es bezeichnend dafür, daß man sich durch die G^cnwart des gefürchteten Politikers geniert fühlte. Es soll eben öfters vorgekommen sein, daß der Fürst daS letzte Wort behalten hat Personen gegenüber, die gewohnt sind, allerorten das erste und das letzte Wort zu haben. Jedenfalls legt der Vorfall Zeugnis dafür ab, daß Dolgorukow keine Durchschnittsnatur ist, und daß seine Worte es verdienen, mit kritische:: Maßen gemessen zu werden. Fürst Dolgorukow hat sich nun jüngst in feinem Mos kauer Blatte zu der Frage, welche politische Haltung di« Bauernschaft im neuen Hause voraussichtlich einnehmen werde, geäußert. Er ist der Ansicht, daß die Dauern von der Agrarreform der Negierung durchaus Nicht zufrieden gestellt sind. Und zwar hätten sie erkannt,, daß an dem lang samen Fortschreiten der Dodengesctzgebung die Administrative die Hauptschuld trage. Das bodeutet zweifellos einen poli tischen Fortschritt: denn jetzt würde neben die Landforderung noch das Verlangen treten, die schädlichsten Hemmnisse der Agrarreform zu beseitigen, indem vor allem die Polizeigesetz- gebung geändert werde. Hat Fürst Dolgorukow recht, so findet sich hier ein Be rührungspunkt der kckdcttischen und der bäuerlichen Inter essen. Fast scheint es, als habe auch die Regierung erkannt, daß sie den Bauern in dieser Richtung entgegenkommen müsse. Es verlautet nämlich, daß die Semstworeform und die Po» lizeireform zu den ersten Entwürfen gehören, die die Regie rung der Reichsduma vorlegen werde. Sie wird gut daran tun; das allerdings unter der Voraussetzung, daß sie — wie es den Anschein hat (z. B. durch Beseitigung des Plehweschen Instituts der Landhauptleute) — den Verkehr -wischen der Krone und den Bauern zu erleichtern wünscht. Jedenfalls wird das Werben um die bäuerlichen Stimmen wiederum beginnen, wenn die Duma ihre Tore öffnet. Und da sie die Majorität bilden, so wird ihre politische Stellung nahme dem Hause die Signatur geben. 2ur Lage ller fieicMinanren. Der Staatssekretär des Neichsschatzamtes tonnte gestern im Reichstage bei der Schätzung der Ergebnisse des Finanz jahres 1900 in seiner die Etatsberatung einleitenden Rede den Nachweis der Erträge aus den bedeutendsten Einnahme quellen des Reiches während 10 Monaten verwenden. In dieser Zeit haben Zölle und Verbrauchssteuern eine Jftein- nayme von 753,9 Millionen Mark oder 34,5 Millionen Mark mehr als im gleichen Zeiträume des Vorjahres aufzuweisen gehabt. An dem Mehr beteiligen sich mit 19,3 Millionen Mark die Zuckersteber, mit 12,4 Millionen Mark die Brannt weinverbrauchsabgabe, mit 8,3 Millionen Mark die Brau steuer, mit 5,1 Millionen Mark die neu eingesührte Zigaret tensteuer, Mit 2,2 Millionen Mark die Salzsteuer und mit 0,4 Millionen Mark die Schaumwcinsteuer. Ein Weniger verzeichneten die Maischbottlchsteuer mit 4,7 Millionen Mark, die Brennsteuer mit 3,9 Millionen, die Zölle mit 3,3 Millionen und die Tabaksteuer mit 1F Millionen Mark. Jür die Schätzung des finanziellen Ergebnisses des lau fenden Etatsjahres gibt aber nicht der Vergleich der Ein- nabmen mit denen des Vorjahres, sondern mit den Etats ansätzen den nötigen Anhalt. Hier gestaltet sich die Sache nicht so günstig. Bei diesem Vergleich kann zunächst die Brennsteuer außer Betracht bleiben, die im Etat nicht auf geführt ist, und sodann die Zigarettensteuer, deren Erträg nis im Etat in die Sammelposition für die neuen Steuern ausgenommen ist. Nach Vornahme dieser beiden Aende- rungen beläuft sich die Jsteinnahme an.Zöllen und Ver brauchssteuern während der ersten -ebn Monate auf 757,1 Millionen Mark, auf einen Betrag, der fast genau einem durchschnittlichen ZehnmonotSansatze des Etats entspricht. Dabei haben die Zölle ein Weniger gegen den Etat von 9, die Tabaksteuer und die Salzsteuer von je Och, die Maisch bottichsteuer von 7ch Millionen ergeben. Diesem Gesamt weniger von 17,5 Millionen steht ein gleiches Gesamtmehr gegenüber, an dem die Braufteuer mit 8.6, die Zuckersteuer mit 4,2, die BranntweinverbrauchSabgaoe mit 4 und die Schaumweinsteuer mit 0,7 Millionen teilnehmen. Aus einen sehr ungünstigen Abschluß deS Finanzjahres bei den Zöllen und Verbrauchssteuern deutet ein solches Ergebnis jedenfalls nicht, zumal daS Weniger bei der Maischbottichsteuer ganz naturgemäß in den nächsten Monaten stark »urückgehen durste. Von den übrigen im ZcbnmonatSnachweiS vorliegenden Einnahmen kommen zunächst die den Einzelstaaten zu über weisenden Reichsstempelabgaben in Betracht. Sie haben «AME" Mark «geben, wovon 40,2 Millionen auf ine Bürsensteuer, 27,0 Millionen Mark auf die Loseftruer und 0,2 auf den Schiffsfrachturkundenstempel fallen. Hinter dem anteiUaen Etatsansatze bleibt die Gesamtsumme um 5,7 Millionen Mark zurück. Hier läßt sich also kaum ein gün stiger Endabschluß erwarten. Dagegen haben die Einnahmen der ersten zehn Monate bei der Post und bei den Reiche- cisenbahncn den Etatsansatz überstiegen, und zwar bei der ersteren um 13,4 und bei der letzteren um 9,0 Millionen Mark. Ob hier aber günstige Ergebnisse für den Finalab- schlaa zu erwarten sind, ist zweifelhaft, da die Mehrausgaben bei beiden Verwaltungen beträchtlicher Natur sein werden. Von den neuen Steuern schließlich haben bis Ende Ja nuar abgesehen von der schon ausgeführtcn Zigarettensteucr mit 5,1 Millionen Mark der Frachturkundenstempel 9,7 Millionen, der Fahrkartenstempel 8,8 Millionen, die Steuer für Kraftfahrzeuge 1,1 Millionen, für Aufsichtsratsmitglieder u. s. m. 1,0 Millionen und die Erbschaftssteuer 1,7 Millionen Mark erbracht. Tie Summe dieser Steuern macht 26,9 Millionen Mark aus. Ob sie in den fehlenden zwei Mo naten den mit 61,7 Millionen Mark für daö ganze Jahr in den Etat eingestellten Satz wird erreichen können, erscheint sehr zweifelhaft. Hier wird man mit ziemlicher Sicherheit auf «neu Ausfall rechnen müssen. » v v AablmittblStiche llnck Asblurnr. Wir meldeten schon in unserer letzten Ausgabe, daß der Reichstagsabgeordnete für Leipzig-Stadt Dr. Junck zur besseren Sicherung des geheimen Wahlrechts einen Antrag im Reichstag eingebracht hat, der dahin gebt, di« bei bet Wahlhandlung für den Reichstag notwendigen Wahlurne» auf Kosten des Reiches anzuschaffen. Der Antrag ist schon früher einmal angeregt, aber von konservativer Seit« be kämpft worden. Man meint in diesen Kreisen, nicht noch mehr für die Sicherung des Wahlrechts tun zu sollen. Da» kann einen liberalen Mann wie Tr. Junck natürlich nicht bindern, die bessere Sicherung der geheimen Wahl mit alleck Kräften anzustreben. Dazu aber gehört eben, wie wir fchoa an anderer Stelle kurz ausführten, daß die in ihrer Fornt unzulängliche Wahlurne, wie man sie häufig auf dem Lande, vor allem im dunkelsten Osten Deutschlands findet, durch Wahlurnen ersetzt werden, die der Sicherung des Wahlgeheim nisses dienen. Die Anschaffung und ausschließliche Gültigkeit solcher Wahlurnen wird aber nur dann durchführbar sein, Venn man es nicht den einzelnen Wahlorten überläßt, die Wahlurnen zu beschaffen. Man must darum gleich so weil gehen wie es der Antrag des Dr. Junck will — das Reich muß die Wahlurnen beschaffen. Mag dies auch einige Kos»» verursachen — das darf nicht ins Gewicht fallen. Solche wie andere Schwierigkeiten müssen bei dieser Frage als nebensäch lich angesehen werden gegenüber der Ausgabe, daß die durch die Reichsverfassung verbürgte und durch die Anschaffung von Wahlurnen erstrebte geheime Wahl auch wirklich durch geführt wird. Wie weit wir unter den jetzt obwaltenden Verhältnissen noch davon entfernt sind, daß die Wahlurnen -ie geheime Wahl verbürgen, darüber gibt eine soeben erschienene Schrift des Prof. N. Siegfried Ausschluß, die die Ucberschrift trägt: „Die geheime Wahl in Ostpreußen aufge hoben. Schlimmste Entartung der Reichs tagswahlen auf d e m L a n d e." In dieser Schrift wird darauf hinaewiesen, wie man am konservativer Seite in Ostpreußen Wahlen „macht". Reichlich fließen Freibier und Schnaps, auch Tanzmusik und andere Vergnügungen werden versprochen, wenn die Wahl „gut" ausstillt. Auf der anderen Seite aber wird mit Entlassung. Kündigung und wirschat't- licher Schädigung gedroht, wenn ein „Liberaler" oder gar ein Sozialdemokrat gewählt wird. So schreibt das nationalliberale ,,M c m eler Dampk- boot": „Da setzt irgend ein bezahlter oder auch anderer Agitator dem Gemeindevorsteher oder einem anderen ein flußreichen Mann auseinander, daß nur die oder die Partei der Negierung angenehm und dem Bauern zum Nutzen wäre, jeder Änderswäblcnde aber ein „Staatsverbrecher" sei. ganz gleich, welch anderer Partei er sich anschließe. Schon vor der Wahl hören die bezeichneten Leute gelegentlich, daß dort oder hier für einen andern Kandidaten Stimmung gemacht wird: da geniert sich so ein Herr gar nicht, öffentlich zu lagen: „Wenn ihr für den stimmt, werde ich euch nächstes Jahr höher einschätzen und dem Herrn Landrat melden." Ein anderer sagt im Gasthame, „wenn bier so gewählt werb-m soll, kann man hier kein Glas Bier trinken". Wenn das 'ckmn geschieht am dürren Holz, n>as soll am grünen werden? Nun kommt die Wahl. Da sitzt einer von diesen Herren nm Wcchltisch, hat unter der führenden Liste einen Bogen Papier, worauf er die Namen eines jeden Wählers ber Neihe nach bei Abgabe der Stimmzettel notiert. Sobald die Wahl be endigt und die Stimmen verlesen werden, wird rückiäu^ig an jedem Namen ein Zeichen gemacht. (In den meisten Fäden sind die Wahlurnen voll und das Ümrühren der Wab - kuverts kaum möglich.) Dann wird auf Leute, die nicht im Sinne des Agitators gewählt, mit Fingern gezeigt, sie werden verhöhnt und bedroht, wie bereits angegeben." Ferner erzählt die „Königsberger Volkszeitung": „Wie auch bei dieser Wabl wieder konservative Wahlen gemach: worden sind, darüber erhält unser Parteisekretär jetzt täglich Mitteilungen aus den verschiedensten Wahlkreisen der Pro vinz. Daraus geht zunächst hervor, baß in vielen ländlichen Wahlbezirken wieder vollständig ungesetzliche, der geheimen Wahl widersprechende Wahlurnen im Gebrauch waren. Offene Suppenterrinen, Pappschachteln, die so klein waren, daß die hineingelegten .luvens an^inanger ueschicbtet werden mußten. Holzkästen mit zwei Einschnitten je an einem Ende der Kiste — die Kuverts der al? rot nerbäbiigen Wähler wur den link», die andern rechts bineingesteckt — waren vielfach im Gebrauch. Ganz unverfroren wurden bei ter Wahl in Nebenlisten der Reihe nach die Wähler notiert, bei Beendi gung der Wahl die aufeinandergeschichteten KuvextS um gekehrt und ein jeder herauSgenommene Stimmzettel mit der Namenliste verglichen. So wußten die Gutsherren auch gleich nach der Wahl, wen ihre Leute gewählt batten. ES sind denn auch bereits vier im Landkreise Königsberg Entlassungen von sozialdemokratischen Wählern erfolgt. In einem Wahlbezirk faßte der Wahlvorstand die geheime Wahl so auf: Es durste immer nur ein Wähler das Wahllokal betreten. Erst wenn der Betreffende fertig war, durfte ber nächste Wähler da» Lokal betreten. Weiter werden eine ganze Reihe von Einzelfällen «r»äbll, auS denen wir nur folgende herausgrcisen' In Nudflor- lauten bei Popelken, Kreis Wehlau, demselben Wahl- I bezirk, über denen ungesetzliche Wahlhandlung bei der vorigen I Wahl mit Erfolg Protest erhoben wurde, der Wahlvorstand I aber straffrei auSging, sind auch diesmal gencm dieselben
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite