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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 04.03.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-03-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070304011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907030401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907030401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-03
- Tag1907-03-04
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März mittags im Daurischen 'Mais. iS. Letzte Dep.) * Im Petersburger Polytechnikum sind gestern umfangreiche Haussuchungen vorgenommcn worden. (S. Letzte Dep.) * Nach einer ««wen Madrider Meldung ist der an der afrikanischen Küste gestrandete französische Kreu- ^r „Jean Bart" vollkommen verloren. (S. Letzte * Die Ortschaft Washington im Staate Arkan- ta» ist durch einen schweren Zyklon heimgesucht Vör de». (S. Letzte Dap.j da Lerrorirmur äer Zsrialäemoirratie. Man schreibt unS: Zu den vielen bleibenden Ergebnissen des letzten Wahl kampfes gehört, daß die Nation sich klar geworden ist über die unerhörte Vergewaltigung, der die freie politische Meinung, die freie Wahl durch die Sozialdemokraten aus- gesetzt ist. Welche Mittel man dagegen findet, ist eine zweite Frage. Zunächst ist schon viel gewonnen, wenn nach allen Seiten Klarheit darüber verbreitet wird, zu welchen tyrannischen Formen der Herrschaft über andere die Partei gegriffen hat, die sich den Arbeitermassen als die Vertreterin und tugendhaste Vorkämpferin in der Freiheit ausgibt. Und willst du nicht mein Bruder sein, So schlag ich dir den Schädel ein. Dieses Motto ist beinah« buchstäblich befolgt worden, und wir kenne« au» gerichtliche» Verhandlungen sogar Fälle, wo Arbeiter, die sich der Genossentyvannei nicht unter werfen wollten, auf die gröblichste Weise mißhandelt worden sind. Diese sind dann allerdings schwer geahndet worden. Körperverletzung ist etwas, was die Gerichte fasten können. Aber die Maßregeln der Einschüchterung, Be drohung, Erpressung sind viel schwerer straf rechtlich erfaßbar. Die erste Vorbedingung ist, daß sie durch Zeugen festgestellt werden, und dem wissen die Genossen schlau aus dem Wege zu gehen. Sodann muß die Drohung offen ausgesprochen sein; auch das verstehen die Leute über flüssig zu machen, indem sie sich mit Andeutungen begnügen, die der Betroffene vollkommen versteht, die aber den An- forderungen der Gerichte an Beweiskraft nicht genügen. Ob man übehaupt gesetzliche Maßregeln treffen kann, das muß sich erst Herausstellen. Was aber schon fetzt geschehen kann und sich in vollem Maße bereits vollzieht, daS ist die Aufklärung deS ganzen Volkes über die Schreckensherrschaft, soweit die Macht der sozialdemokratischen Komitees reicht. DaS wird die Entrüstung der in ihrer Freiheit so schwer beeinträchtigten Massen von Arbeitern und kleineren Geschäftsleuten verallge meinern und sie aufstacheln, mit vereinten Kräften der Tyrannei zu widerstehen. Bis jetzt haben sie meist die schnöden Zumutungen und den Schaden stumm erduldet. Sie haben noch AergereS befürchtet. Der allgemein« Zorn über diese» stet» gewalttätiger werdende Treiben wird dazu beitragen, daß diesem ei» Damm entgegengesetzt wird. Arbeiter, Wirte, Ladenbesitzer und sonstige Geschäftsleute mit Arbeiterkundschaft sind es vor allem, denen der Keulen schlag deS Boykotts droht, wenn sie ihre politische Selbstän digkeit auch gegen di« sozialdemokratischen Machthaber be wahren wollen. Man weiß, wie die nicht sozialdemokrati schen Arbeiter in die Gewerkschaften uud Vereine geängstigt werden. Wo die Sozialdemokratie die Macht hat, da muß der Arbeiter sich al« Mitglied der Gewerkschaft oder als Sozialdemokrat auSweisen, sonst findet er auf dem Bau, in der Werkstatt, der Fabrik den gröblichsten Widerstand, von Beschimpfungen gar nicht zu reden. Fruchten diese Mittel nicht, so verlangt man vom Arbeitgeber, daß er den Wider- spänstige» entlasse. Und ist dieser nicht willfährig, so wird mit eine« Streik gedroht. Die dringendsten Arbeiten wer den im Stich gelassen, um den TerroriSmuS der Partei über die einzelnen Arbeiter in die Tat umzusetzen. Jeder Hand werksmeister, Bauunternehmer, Fabrikbesitzer weiß, daß das nicht bloß leere Drohungen sind. Beschließt die Mehrheit eine- GewerkeS, einer Arbeiterschaft den Streik, so ist die Minderheit um ihr Recht auf Arbeit gebracht. Auch dabei wirken die gröblichsten Einschüchterungen und Gewaltmittel. Streikposten verzeichnen die Namen derer, die sich nicht in die Sklaverei begeben wollen. Früher oder später wird der Mangel an Untertänigkeit gegen die Parteiausschüsse ge recht. Neuerdings erstreckt sich die Vergewaltigung von sozial- deuzvkratischer Seite auch auf die geistige Nahrung auS der Tagespreise. Wer Abonnent eine» bürgerlichen BlatteS ist, ist von vornherein schwer verdächtig. Wo di« Macht der Sozis groß genug ist, muß jeder Arbeiter sich al» Abonnent «ineS soziqLemokratischen Parteiblattes auSweisen. Wer sich sträubt, hat die ganze Skala der sozialdemokratischen Ein- schüchteruugSmittel zu gewärtige». - ' Mehr und mehr dehnt sich dies alles auf die G es ch äft s- leute und Wirte in solchen Stadtteilen aus, wo die Arbeiter einen ansehnlichen Teil der Kundschaft aus machen. An Ueberfluß von Kunden leiden kleine Ladenbesitzer sehr selten. Selbst wo nur ein mäßiger Teil des Absatzes an Arbeiter geht, sieht man eine Einschränkung des Kunden kreises ungern. In eigentlichen Arbeitervierteln hängen die Detailgeschäfte ganz von solcher Kundschaft ab. Da ist es dann schon eine „bescheidene" Forderung, wenn verlangt wird, daß man das betreffende sozialdemokratische Lokal blatt hält und daß man sozialdemokratische Aufrufe und Flugblätter im Schaufenster auslegt. Wer sich weigert, einen Beitrag zur Parteikasse, dessen Höhe die Genossen festsetzen, zu bezahlen, riskiert den Verlust seiner Kundschaft. Ihm wird vorgerechnet, wieviel von dem Arbeitslohn seiner Gegend durch seine Kasse geht. Damit wird die Forderung begründet. Wie wir schon ausführten, braucht sie gar nicht einmal in Gestalt einer Drohung aufzutreten, und noch weniger sind Zeugen erforderlich: der Gebetene weiß ohne hin schon, was die Glocke geschlagen hat. „Wir Arbeiter können kaufen und einkehren wo wir wollen." Das ist der Grundton aller Besprechungen dieser Sache. Wo die Genossen Kenntnis erlangen, daß ein auf ihre Kundschaft angewiesener Mann sich erdreistet hat, seinen Stimmzettel einem bürgerlichen Kandi daten zu geben, oder daß er gar sich an der Agitation für einen solchen beteiligt hat, da wirb er — sei es zur Rache, sei eS zur Einschüchterung für die übrigen — einfach ruiniert. Wir zitieren einen Fall für viele. In Bremen erfuhr man von der Frau eines Bäckers, daß ihr Mann sür den liberalen Kandidaten gestimmt habe. Noch am Abend des Wahltages wurde der Boykott über ihn ver hängt und am andern Morgen hatte er weit über hundert Kunden verloren. Er blieb mit seinem frischen Brote sitzen; keine Arbeiterfrau durfte wagen, von ihm zu kaufen. Was jemals ostelbische Gutsbesitzer, was ein Stumm und andere Großindustrielle jemals an Wahlbeeinflussung geübt haben — das soll in keiner Weise beschönigt werden. Es ver dient schärfste Verurteilung. Es wird aber tief in Schatten gestellt durch die Gewaltherrschaft der Genossen, weil sie im Namen der Freiheit auftreten und in Wahrheit sich als Tyrannen zeigen. Ueberall soll die pölitische Meinung frei sein und sich frei betätigen dürfen. Solche Tyrannei muß beseitigt werden. Das ist eine dringende Aufgabe. Bebel hat im Reichstag von Herzen gesagt, er verurteile solchen Terrorismus in der Sozialdemokratie. Abstreiten konnte er ihn nicht. Möge er doch einmal seinen Einfluß geltend machen, daß er aufhört. Die bürgerlichen Parteien aber können ihrerseits durch festes Zusammenstehen auch zu dieser Abstellung von Mißbräuchen beitragen, indem sie den Sach verhalt in jedem einzelnen Falle darstellen. 2«t krmilerltng aer Kaiser Mbelm-Kanalr. Es heißt, daß dem Reichstage noch in dieser Session eine Vorlage zur Verbreiterung des Kaiser Wilhelm - Kanals und zum entsprechenden Ausbau seiner Anlagen zugehen soll. Jedenfalls mußte man sich früher oder später auf einen solchen Schritt mit seinen bedeutenden Kosten gefaßt machen. Denn ist einmal dieser Wasserweg für des Deutschen Reiches Wehrkraft notwendig befunden und gebaut, so muß er auch den modernen Bedingungen und den wachsenden Erforder nissen entsprechend ausgebaut und erhalten werden. Selbst verständlich bedürfen diese Fragen einer sehr ernsten Prü fung, denn die Ausgabe ist nicht gering. Es werden unge fähr 200 Millionen Mark angegeben, und das schnelle An wachsen der Reichsschuld ist eine sehr bedenkliche Tatsache. Allerdings würden sich diese Ausgaben auf eine Bauzeit von sieben Jahren verteilen. Auch ist in Anschlag zu bringen, ob wieder ein Teil davon, und ein wie großer von Preußen übernommen wird. Von den Kosten der ersten Herstellung, die sich auf 156 Millionen beliefen, hat Preußen etwa ein Drittel, 50 Millionen Mark, getragen, da ihm bzw. seiner Provinz Schleswig-Holstein Sondervorteile durch die Ent wässerung von Moorflächen usw. zufielen. Es sind bereits über zwei Dezennien vergangen, seit der Plan des jetzigen Nord-Ostseekanals festgelegt wurde. Seither hat sich in den Dimensionen der Kriegsschiffe und im Verkehrswesen viel geändert. Seinerzeit wurde der Nord-Ostseekanal mit den riesigen Brücken, Schleusen usw. auch technisch als eine Musterleistung über die deutschen Grenzen hinaus an erkannt. Aber auch die Technik hat seither gewaltige Fort schritte gemacht. Uebrigens verlief, alles in allem, die Her- stellung günstig. Die Bauzeit wurde richtig «ingehalten, der Kostenvoranschlag nicht überschritten, während letzteres bei dem gleichzeitig mit dem Nord-Ostseekanal beschlossenen Dortmund-Emskanal in sehr unangenehmer Weise der Fall war. Der Nord-Ostseekanal, zu dem der 90jährige Kaiser Wilhelm I. 1887, ein Jahr vor seinem Tode, den Grund stein legte, ist, wie gesagt, wesentlich aus marine-strategischen Rücksichten gebaut; zumeist, um eine Vereinigung der ganzen deutschen Kriegsflotte in der Nord- oder Ostsee, ungehindert vom Gegner, zu ermöglichen. Seither hat sich die Not wendigkeit, eine entsprechende Seemacht zu entfalten, für alle Großstaaten noch viel schlagender herausgestellt und ist im deutschen Volke endlich durchgedrungen. Also werden auch jetzt für die moderne Vervollkommnung des Kaiser-Wil helm - Kanals — so wurde er bei der feierlichen Einweihung durch Kaiser Wilhelm H. im Sommer 1895 getauft — die Gebote unserer Wehrkraft und Rüstung ausschlaggebend sein. Ist die Notwendigkeit erwiesen, dann wird der unter natio naler Parole neugewählte Reichstag in einer solchen nationalen Frage umso weniger versagen. Selbstverständlich kommt dem Nord-Ostseekanal auch für friedliche Verkchrszwecke eine nicht zu unterschätzende Bedeu tung zu. Der etwa 100 Kilometer lange Kanal kürzt die Fahrt von der Ostsee nach Hamburg um 425, nach London um 239 Seemeilen. Bei der Eröffnungsfeier pries der Kaiser den neuen Verkehrsweg besonders als Friedens- und Kulturwerk: „Im Frieden nur kann der Welthandel sich entwickeln, im Frieden nur kann er gedeihen, und Frieden werden und wollen wir aufrecht erhalten." Es hat sich denn auch die Zahl der den Kanal benutzenden Handelsschiffe stetig vermehrt, und es ist in den letzten Jahren finanziell wenigstens dahin gebracht, daß der Kanal seine Unter- Haltungs- und Betriebskosten deckte. Auf eine volle Ver zinsung deS Anlagekapitals wird bei diesem vorwiegend stra tegischen Wasserweg kaum jemals zu rechnen sein. Er wurde in einer Breite von mindestens 67 Meter auf dem Wasser spiegel und 22 Meter an der Sohle angelegt, die Tiefe be trägt 9 Meter. In welchen Dimensionen nun eine Ver breiterung und eventuelle Vertiefung geschehen soll, ist noch nicht bekannt. Ter verkehrsreichste internationale Kanal der Erde, der Suezkanal, hat seit seinem Bestehen schon be deutend verbreitert und vertieft werden müssen. Vie kircbenlrinSlicbe vemgung in Italien. (Bon unserem römischen ^.-Korrespondenten.) Die kirchenfeindliche Gesinnung ist in Italien bereit» alten Datums. Gegen die Usurpation und Tyrannei der Kurie bat man sich schon im Mittelalter ausgelehnt. Religiöse Neuerer von Arnolds bis Savonarola haben die Laster deS Papsttums gegeißelt. Von Campanella bis Vanini haben ungcachiet der schwersten persönlichen Nachteile eine Reihe von Männern der wissenschaftlichen Erkenntnis die dog matischen „Irrtümer" der Kirche ans Licht gestellt. Schon die Negierung von Venedig hat die Rechte deS Staates gegen die Theologen verteidigt, und König Karl III. von Neapel hat päpstliche Einmischung in die Domäne bürgerlichen Recht« energisch abgewiesen. Seit 36 Jahren ist dcr Papst weder effektiv noch moralisch der Köu'g von Rom, und selbst nach den Wünschen seiner nicht geistlichen Getreuen soll er eS nimmer wieder werden: ja ionservativ gestunke Männer haben ihm seit 1885 ei» Gesetz zugedacht, daS ibn noch weit mehr al« bisher der Autorität des LaienstaateS und gemeingültigen bürgerlichen Rechts normen unterstellt. In diesen Tagen nun sind lehr ernst zu nehmende Kundgebungen gewaltiger Volksmassen in allen Städten Italiens zu beobachten gewesen, die gegen die Kirche oder vielmehr gegen ihre heutige Geltung und ihre Be strebungen gerichtet sind. Was der Kirche, dem Vatikan zum Vorwurf gemacht wird, ist, daß er, wie allenthalben, so auch in Italien mit den ihm in so reichem Maße zur Verfügung stehenden wirksamen geistlichen und weltlichen Mitteln aller intellektuellen Entwicklung und Erziehung, aller Gewissens- und Handlungsfreiheit sowie aller auto nomen Organisation wirtschaftlicher und moralischer Kräfte sich entgegenstemmt, daß er alle reaktionären Tendenzen der kultur- und sozialpolitischen Gesetzgebung uud Praxis ver schuldet. Hinzu kommt ein ganz gewiß in höchstem Grade verständliches Mißtrauen in die Loyalität der vatikanischen Methoden, die noch immer dem Charakter und den jeweilig nächsten Zielen deS jeweiligen Gegners entsprochen haben, ohne die letzten Zwecke deS Vatikans zu verfehlen: heute droht, morgen schmeichelt er, übermorgen bietet er seine Mit arbeit gegen ein scheinbar gemeinsames Uebel an, dessen er sich aber demnächst wieder selber bedient, um den Mit arbeiter von gestern zu unterjochen. WaS nun jene Volks massen so nachträglich begehren, das hat einer ihrer Führer dahin ausgesprochen: „Wir wollen den Staat weder kon fessionell noch atheistisch, wir wollen den Laieustaat, eioen, der weder vcriöhnt, noch verfolgt, noch indifferent ist, der aber fähig ist, das Bewußtsein der Bürger mit der ganzen Kraft modernen Geistes, mit nationalem uud staats bürgerlichem Geiste zu erfüllen. Wir nehmen die volle Freiheit der Kirche bei einer Freiheit deS SiaateS an, wofern nur der Staat sich energisch, kritisch und einsichtig erweist und zur Erreichung immer höherer Ideale empor führt." Diese Forderung ist inhaltlich viel bescheidener, al« man in Anbetracht der Tatsache, daß die französische Gesetz gebung die Geister beherrscht, erwarten durfte, und ist ein Zeichen von der realpoltitischen Besonnenheit, die den Italiener jo selten verläßt. Wegen der Form und der Begleitumstände der Forderung empfiehlt eS sich aber nicht, sie einfach den so und so vielen poetischen Forderungen des italienischen Volkes nebenzuordnen, das heißt anzunehmen, daß ihre Berücksichtigung sich lange binauSschieben lassen würde. Die italienische Regierung hat sich namentlich durch die Augst vor Sozialisten und Republikanern allzusehr dazu verleiten lassen, dem Vatikan die Hand zu reichen, die dieser zu pressen versteht. Für die Hilfe der Klerikalen bei den Wahlen der Regierungskandidaten, sür die Verstärkung der parlamentarischen Maiorität durch daS sich sachte ver größernde katholische Zentrum, für vatikanische Unterstützung nationaler Aspirationen jenseits der Nordostgrenze sowie im Orient, — für alles das dielet die Regierung Kassierung deS Gesetzentwurfs über die Einführung der Ehescheidung, Förderung des religionSdogmatischen Unterrichts in den Schulen, Verhinderung oder Hemmung kirchenfeindlicher Kundgebungen . . . Vielleicht gibt nun da« Vorbild Frank reichs, die Niederlage der Sozialisten in Deutschland sowie eben die imponierende Kundgebung der Volksmassen der italienischen Negierung zureichenden Antrieb, der Mahnung CarducciS, dem sie selbst in Gemeinschaft mit dem Parlament so hohe Ehrung erwiesen bat, Folge zu geben: „Mit dem Vatikan und den Priestern keinen Waffenstillstand uud keinen Frieden l sie sind die wahren uud beständigen Feinde Italiens." veuksches Keich. Leipzig, 4. März. * Die Protokoüführerstekle beim Bundesrat. Der Geheime ObcrrrgierungSrat Ernst Lohmann, vortragender Nat im Neichsamt des Innern, übernimmt am 1. April die Stelle des Präsidenten der Fürstlich Stolberg-Wernigerodeschen Hos- lammer, scheidet somit aus dem Reichsdienste und legt die Stelle deS Protokollführer« beim BundeSrale, die er seil etwa Jahresfrist ebenfalls bekleidete, nieder. Die Stelle des Protokollführers beim Bundesräte dürste alsvann, wie die Kreuz-Zeilung hört, dem Geheimen Ober-RegierungSrat Heinrich Robolski im Reichsamt des Innern übertragen werden. * Zum Diebstahl im Flottenverein veröffentlicht das Präsidium dieses Vereins -och näheres über aas Verhalten de» J a n k e. Daraus gcht hervor, daß man nur zufällig von seinem Uebertritt zmn .Katholizismus erfuhr, nachdem er bei seinem Eintritt erklärt hatte, er sei evangelisch. Als in dem «ingeleiteten Strafverfahren seine Vernehmung erfolgen sollte, stellt« sich heraus, daß >/r inzwischen in dem katholischen St. Joseph-Institut zu Maltebrügge bei Gent untergebracht war. Am Tage der Entdeckung des Briefdiebstahl» hat noch in Gegenwart des Oskar Janke ein Gespräch stattgefunden, dessen Inhalt dem z^vayerischen Kurier", wie aus einer Notiz desselben unzweifeltv,st bervoryeht, wenn auch in entstellter Weise, hinterbracht ist. Es kann das nur direkt oder indirekt durch Oskar Janke geschehen sein. Der „Bayerische Kurier" hat demnach nachweislich urit OÄar Janke noch nach dem Brieidiedstcchl direkte oder indirekt« Beziehungen unterhal ten. Oskar Janke, dessen Vater als venlionierter Eisen bahnsekretär in sehr bescheidenen Verhältnissen lebt, war in früherer Zeit sehr bemüht, durch Extvaarbeiten einen kleinen Mchrverdienst sich zu erwerben. Der Vater war in früheren Jahren katholisch. Bei der Heirat s«iner ersten Frau wurde er evangelisch. Nach dem Tode derselben ehelichte er deren Schwester und trat im Jahre 1905 mit seinen Kindern wieder zum Katholizismus über. Bereits am 15. Oktober 1906 brachte der „Reichsbote" gelegentlich der Wistuda- Affäre die Mitteilung, daß demnächst seitens des Zentrums Enthüllungen über ReichS-Marinsamt und Flottenverein kommen würden. Das „Würzburger Journal" schrieb unter dem 12. Februar 1907 folgendes: „Die gestohlenen Briefe des Generalmajors Keim sollen, wie ein Münchener Korrespon dent erfahren ^Len will, dem Redakteur Sieberts vom Bayr. Kur." nicht von den Dieben, sondern von einer be kannten geistlichen Persönlichkeit, die vermoor ihrer Stellung zurzeit immun ist. zngeqangen sei». DaS müßte demnach ein geistlicher ReichStaasalbäeordneter fein." Die Schwester des EffenbÄnsekretär» Jank«, des Vater» der bei un» im Dienst gewesenen Brüder Janke, war längere Zeit im Hause «ines Er-vriester», der zugleich Reichstagsmitglied war. tätig. Der Redakteur de» „Bayr. Kur." hat der Staatsanwaltschaft gegenüber sein Zeugnis über den Erwerb der uns entwende ten Briefe verweigert. * Sin agrarischer Oberprästdent. Der neue Oberpräsi dent v. Bülsw erklärte am Freitag in der Vollversammlung der schleSwig - holsteinischen LandwirtschastSkammer in Kiel, er werde nicht aufhören, Landwirt zu sein, und hoffe auf eio gedeihliches Zusammenwirken mit der Kammer, wo eS sich um gemeinsame Interessen handle. Er werde in seiner neuen Stellung der Vertrauensmann und Berater der Kammer sein. — Sollte nicht ein Oberpräsipent ein Vertrauensmann aller Bevölkerungsschichten feiner Provinz sein?-! * Keine RepräsentationSgelVer für Yen ReichStagS-räst- dcnteu. Der Etat deS Reichstags für 1907/08, der kürzlich in einer VorstaubSsitzung seftgestellt worden ist, enthält, wie gemeldet wird, keine RepräsentationSgelver für den Präsi denten. Gras Stolberg hat ausdrücklich gebeten, von der Einstellung eine« solchen Posten«, wenigsten« sür diese Session, abzusehe». — Wir halten eine solche Stellungnahme de« Präsidenten, die sich durch seinen Reichtum erklärt, für ver fehlt. Das verleitet dazu, nur reiche Abgeordnete in das Präsidium zu wählen. * Pfarrer «aisert «ach immer i« Amt! Vor ungefähr einem Vierteljahr wegen Verleitung zum Meineid zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt, weilt der Zentrumsagitator und Psarrer Gaisert immer noch unbehelligt in seiner Gemeinde Gündelwangen. Wie der „Bad. LandeSztg." berichtet wird, liest er sogar täglich noch seine Messe, was übrigens mit der Verheißung, die hier und da gehört wurde, daß er nach der Strafverbüßung wieder in Amt und Würden eingesetzt werden würde, gut zusammenstimmt. Vielleicht, daß nächstens sogar noch eine Sühneprozesfion gegen daS Urteil des „staatlichen" Schwurgerichts iu Szene gesetzt wird. Etwas Neues wäre das nicht, und die BolkSmeinung scheint im Schwarzwald, daß man den Psarrer wohl längst geholt hätte, wenn er „zu Recht" verurteilt worden wäre. Diese „Volks- Meinung" ist kein Wunder, wenn man bedenkt, daß die ultra montane Presse fast ausnahmslos das die Revision GaifertS verwerfende Urteil des Reichsgerichts verschwiegen hat. Wo aber bleibt die badische Justiz, um dem Recht zu feinem Recht zu verhelfen'?! — * Zentrum und Polen. In der letzten Sitzung der Budgctkommission des Abgeordnetenhauses ist bei Erörte rung des polnischen Schulstrelks das Zentrum in sehr be merkenswerter Weise von den Polen abqerückt. Der Wort führer des Zentrums Professor Dr. Dittrich verurteilte nicht nur den Schulstreir mit derselben Entschiedenheit wie die anderen deutschen Parteien, sondern erkannte auch aus drücklich an, daß die Regierung das Recht und die Pflicht habe, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, ins besondere auch denen der Schulbisziplin, die Schulordnung wieder herzustellen. Aber auch darüber hinaus hob der Redner hervor, daß die von den Polen zur Begründung des Schulstreiks ausgestellte Behauptung, nach den Grundsätzen der katholischen Kirche müsse den Kindern polnischer Her- kunft Unterricht in polnischer Sprache gegeben werden, eine Fiktion ist. Er wies nach, daß die katholische Kirche in bezug auf den Religionsunterricht nicht» anderes verlangt, als wa» auch die richtige Pädagogik fordert, nämlich, daß den Kindern der Unterricht in einer Sprache erteilt werde, die sie so weit beherrschen, daß sie den Stoff nicht nur mit dem Gedächtnis, sondern auch mit dem Herzen erfassen können. Diese Auffassung deckt sich vollkommen mit derjenigen der preußischen Schulverwaltung und der darauf begründeten Behandlung de» Religionsunterricht» in tz« zweisprachigen
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