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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 06.03.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-03-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070306016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907030601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907030601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-03
- Tag1907-03-06
- Monat1907-03
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Bez«a-»PrliS M Saipztg Mld V»r«1r: 3» d« Hmws- Srpedftloa »der der»» A»»gabesiell«n ab- geholt «yaatttch: Ansgab« L d mal täglich) 70 Pf-, Aasgade ü .2 mal täglich) so Pf„ bei Zustellung ins das- Ausgadr SO Pf., Ausgabe v 1 Mark. Durch »»irre aus- iväriiqen Ausgabestellen und durch die Post bezogen d mal täglich)inuerdalb Deutschlands monotlichl Markausschl-Beflellaebühren, für Oesterreich-Ungar» dL4üo »lertetjäbrlich, die übrigen Linder laut Zeitung-Preisliste. Dies« Stamm« kostet aus ßllL alle» Bahaddfe» und bet III ^1 den Kettung«-Verkäufern UeitlMon uu» Er»e»ttt*>: Iohauaisgasse 8. Lelephou Str 1ÜSl Rr. 22S, Nr. 1I7L. Verl tu er ckedukttouS-vurrau: Berit» UV. 7. Prinz Lori» Ferdtuaud» Straß« O Delepdou I, Nr. 9275. Morgen-Ausgabe 8. MMer. Tageblatt Handelszeitung. Ämtsökatt des Rates und des Nolizeiamleo der Ltadt Leipzig. Mittwoch 6. März 1907. Anzeiqen-PreiS die Sgespalteoe PetitzeUr für Geschäft», iuseratr au- Leipzig und Umgebung L5 Psi. Familien^ Wohouugs» ». Stellea-Änzeigen. sowie Au- uud Berkäuse LO Pf, stuauziell« Anzeige» 30 Pf, für Inserate von auswärts SO Pf. Reklamen 75 Pf, auswärts 1 Mark. Beilage- grbüvr 4 Mark p. Tausend rxksi Postgedüdr. Geschäst-anzeigea an bevorzugter Stelle im Preise erdicht. Rabatt nach Tarif. Für Jnserate vom Auslande besonderer Tarif Anreigea-Anuadme: lklnGUftus-lai» 8. bei lämtlichen Filialen ». allen Annoncen- Lxveditionen de« Fn- und Au-lanoe». Für da- lLrichrtnrn an beuimintrii Tagen u. Plätzen wird keine Garantie übernommen. Festerteilte Aufträge kbnnen nicht zurück- gezogen werden. Haupt-Filiale Berlin. CarlDouckrr,Herzgl.Baor.Hofbuchdandlg.. Lützowssraßr lO (Tel. Vl. 4M3. Filial-lvroeSittonrrresoen Mariennr 3t. 101. Jahrganq. var tvicdtigrle vom Lage. * 9m Reichstag wurde gestern die erste Lesuug des Etatß beendet, wobei der Abg. Erzberger eine endgültige Niederlage erlitt und Gras Pofavowsky sich über aehänigc AuAkisfe gegen seine Person beschwerte. Der Abg. Strese- m«uu hielt bei der Beratung deS Gesetzentwurfs wegen der Vornahme einer Berufszählung seine, allerdings nur kurz«, Jungfernrede. (S. d. des. Art. u. Parl.-Ber. 2. Beilage.) * Der Parteitag des bayerischen Zentrum» billigte eiostimmig die Stichwadlparole zugunsten der Sozial- vemokratie. (S. DtschS. R.) * Das preußische Abgeordnetenhaus beschäftigte sich mit der Interpellation über die Verbesserung der Besoldung-- uud RuhegehaltSverhaltuisse der Geistlichen. (S. DtschS. R.) * Die Duma ist gestern eröffnet. Zum Präsiden- te« wurde Golowru (Kadett) 356 gegen 102 Stimmen gewählt. (S. d. des. Art.) * Der König von Italien wird nach seinem Athen- Besuch, wie uns unser römischer?.-Korrespondent meldet, nach Bukarest reisen, um für eine Versöhnung Griechenlands und Rumäniens zu wirken. * Auf Betreibe« der französischen Regierung soll der Vatikan von der Haager Konferenz ausgeschlossen Werve«. * Die Genick st arre fordert im Rheinland immer mehr Opfer. Im Kölner Garnisonlazarett ist wiederum des 4 Artilleristen und 1 Infanteristen gestern amtlich Genickstarre festgestellt worden. Einer der Pranke« ist bereit- gestordeu. Buch in einem Eltzer sieckd erKiw derheim wurde eia Fall von Genickstarre festgestellt. konservativ, national «na nationalliberal. Der am 24. Februar im „Leipziger Tageblatt" unter der Leberschrift „Farbe bekennen" erschienene Artikel, der sich in seinem Hauptinhalte an die Adresse der nationalen Ausschüsse wandte, hat leider, wie allerdings zu erwarten war, seinen Zweck insofern nicht erreicht, als wir auf das „Farbe bekennen" seitens der erwähnten nationalen Aus schüsse noch beute warten und wahrscheinlich noch lange «arte» werden. Andere dagegen haben sich zu ihrem Ver teidiger aufgeworfen, und zwar — das ist im höchsten Grade charakteristisch — sind es fast ausschließlich kon servative Blätter, denen jener Artikel offenbar sehr unwillkommen gewesen ist. Liberale Männer «erden hieraus ihre Schlüsse zu ziehen wissen. In erster Linie steht als Rufer im Streite die „Neue Preußische (-s-s Zeitung", die in der Behandlung säch sischer Angelegenheiten, wie unser Artikel in Nr. 62 über die recht-ufrige Elbtalbahn beweist, eine recht unglückliche Hand zu haben scheint. Die „Kreuzzeitung" bricht eine Lanze für die nationalen Ausschüsse, aber wir möchten fast bezweifeln, daß die Hilfe in dieser Form mit großer Begeisterung ausgenommen wer den wird. DaS Blatt schreibt nämlich gleich am Anfang seines langen Artikels: .... ES liegt in der politischen Entwicklung der säch sischen Verhältnisse begründet, wenn es auch vom partei politischen Standpunkte keineswegs nach allen Richtungen hin erfreulich wirkt, daß in Sachsen «eite bürgerliche Kreise geneigt sind, über parteipolitische Unterschiede so gut wie ganz hinwegzusehen und nur noch zwischen Ordnungsparteien und Sozialdemokratie zu unterscheiden. Neben dem Vorteil, den diese etwas be quemere Neigung im Kampfe gegen die Sozialdemokratie wohl gewiß manchmal gebracht hat, hat sie doch auch ver schiedentlich Zustände geschaffen, die den Spott der Gegner herauSsorderten und das Wort von dem „Misch- masch" nicht ganz ungerechtfertigt erscheinen ließen. Diese Bestätigung unserer Ausführungen können wir nur dankend quittieren, dagegen fordert der Rest des Artikels zu scharfem Widerspruch heraus. Die „Kreuzzeitung" be hauptet, in unserer Meldung von einer bevorstehenden Spal tung in der konservativen Partei in Sachsen sei der Wunsch der Later de- Gedankens gewesen. DaS ist ein Irrtum, der nur einer oberflächlichen Kenntnis der sächsischen Parteiverhältnisse entspringen konnte. Im Gegenteil! Von» rein parteipolitischen Standpunkte auS betrachtet haben die Liberalen jeder Schattierung ein hervorragendes Interesse daran, daß die konservative Partei diese- Landes bleibt, wiesieeben ist, den» trotz der gegenteiligen Be- Hauptungen der „Deutschen Tageszeitung", die in ihrer Sonnobendnummer erklärt, der agrarische Einfluß in der konservativen Partei in Sachsen existiere überhaupt nicht, läßt sich die Tatsache nicht auS der Welt schaffen, daß tt-rade da» Odium de» AgrariertnmS manchem sächsischen Wähler, der i, ferne» innerste» Herzen gut konservativ war. die Freude an seiner Partei so verleidet hat, daß er sich im entscheidenden Moment den Nationalliberalen zuwandte. Einer direkten Entstellung macht sich jedoch die „Kreuz zeitung" schuldig, indem sie weiter sagt: Der angestrebten Scheidung der Geister sollen denn auch die neu angeregten Debatten über die Wahlrechts- reform dienen. Schon in di« jüngste Wahlbewegung wurde bekanntlich plötzlich, ohne daß ein genügender Anlaß dazu vorgelegen hätte, denn in der Agitation war dies Thema bisher so gut wie gar nicht angeschnitten worden, wozu auch bei den Wahlen zum Reichstag kein Grund vor handen war, die Erörterung über die sächsische Wahlreform geschleudert. Der Zweck war ziemlich durchsichtig: man wollte den Konservativen Nngelegenheiten bereiten und dann selbst allein die Vorteile aus dem Kampfe gegen die Sozialdemokratie einheimsen. Diese Ausführungen entstammen einer rührenden Un kenntnis der Tatsachen. Der Schreiber deS Ar tikels hat offenbar keine Versammlungen nationaler Wähler irgendwelcher Partei während des Neichstagswahlkampfes besucht und keine Berichte darüber gelesen, sonst müßte er wisse», daß in Dutzenden von Versammlungen, ja in fast allen, in denen freie Diskussion gestattet war, nicht nur den konservativen, sondern auch den »ationalliberalen »ad anderen nationalen Kandidaten regel mäßig das Wort von dem jämmerlichen sächsi schen Wahlrecht ins Gesicht geschleudert wurde. Er kann ferner nicht gewußt haben, daß in dem Artikel über die bekannte Wahlrechtskundgebung der sächsischen Regierung da» „Leipziger Tageblatt" seiner Befriedigung darüber Ausdruck gab, daß dies fortan nicht mehr möglich sei. Was di« Stellungnahm« d«r Liberalen zu der erwähnten Wahlrechts-Vorlage anbetrifft, so kann dies« natürlich erst er folgen, wenn der Inhalt bekannt ist. Nationalliberale RoichStagSkandidaten, auch die inzwischen gewählten, Haden, wie beiläufig bemerkt sein mag, wiederholt erklärt, daß sie di« «infache Adoption des Reichstagswahlrechts für den säch- fischen Landtag nicht ohne weiteres befürworten könnten. Trotzdem behauptet di«,,Kreuzzeitung", der Zorn der Blätter vom Schlag« d«S Leip». Tgsbl." wende sich gegen di« ton- servativ«» in Sachse», weil sie, obwohl Freunde der Wahl reform. auf die Forderung -eS gleichen, geheimen und direk- ten Wahlrechts für den sächsischen Landtag nicht eingehen, daS ,chie Freisinnigen bekanntlich ebenso wie die Sozialdemo kratie" befürworten. Die „Kreuzzeitung" wird nach alledem Vielleicht emsehen. daß ihre Behauptungen auf falschen Vor- aussehungen beruhen.und daß daS Beste an ihrem Artikel der erste Absatz war, den wir oben Wiedergaben. Und nun noch ein kurzes Wort zur Sache selbst: die kon servative Presse sucht nach v.llerhand Gründen für unsere Absage an di« „nationalen" Vereine und Ausschüsse. Diese Absage ist von uns überhaupt nur bedingt erfolgt. Wir anerkennen die Verdienste dieser Vereine vollkommen, sobald sie sich darauf beschränken, bei t«n ReichstagSwahlen, wo es den gemeinsamen Kampf der bürgerlichen Parteien gegen die Sozialdemokratie gilt, ihre Tätigkeit auszuüben. Für Landtagswahlen aber sind sie vom Uebel. Hier stehen sich vor allem die beiden Gruppen der Liberalen und der Konservativen gegenüber. Da ist jede Mischmasch politik abzuweisen und darum auch die Tätigkeit von Vereinen, die sich um die Entscheidungsfrage: liberal oder konservativ herumzudrücken suchen. Jeder wirklich konservative Mann, der daweiß, wes halb er konservativ ist, kann uns darin nur zu stimmen. Ihm müssen die Kreise, die weder konservativ noch liberal sein wollen, und dies unter dem Vorgoben einer rein nationalen Ueberzeugung zu verdecken suchen, politisch gerade so bedenklich sein wie uns. Ja — wir gehen getrost so weit, zu erklären, daß uns ein überzeugter Konservativer, der den Liberalismus am? vollem Herzen bekämpft, zehn mal lieber ist, als diese „nationalen G«fühlspolitiker", die weder kalt noch warm sein wollen. Sie suchen nur im Trü ben zu fischen und wo gar ihre Politik mit d«m Zeitungs wesen verknüpft ist, ein Geschäft damit zu machen, indem sie heute rechts und morgen links schreiben. Behaupten sie dann, daß für sie die Parteiunterschiede konservativ und liberal in d«r höheren Einheit „national" ausgeglichen seien — so kann man mit gutem Gewissen sagen, daß sie entweder zu unerfahren sind, um diese Parteiunterschiede zu verstehen, oder daß sie zu feige sind, sich zu einer dieser Anschauungen zu bekennen, wobei dann jene Geschäftsleute auf dem Papier markt" noch ihr«n wirtschaftlichen Privatvorteil im Auge haben. — Darum aber können wir unS auch mit einer dauern den Tätigkeit der nationalen Ausschüsse nicht befreunden. Wir werden sie immer dankbar anerkennen, wenn es sich um den großen Kampf für national« Fragen und Güter bei Reichstagswahlen handelt. Da können sie eine Hilfstruppe sein für die parteipolitischen Organisationen der bürger lichen Rechten und der bürgerlichen Linken. Aber alles weitere ist vom Uebel. Für Landtagswahlkämpfe müssen sie auSscheiden. Da heißt es ein offenes Bekenntnis ablegen für »der wider die liberale und für oder wider die konser vative Anschauung. Da kann es darum auch nur heißen, organisiert euch rechts und organisiert euch links. Diese beiden Schlacht reihen kämpfen um den Sieg, und wer sich dazwischenstellen will in falschem Friedensduiel, der verdient, von beiden i Seiten zusammengeschosse» zu werden. Illi; Sem ZeicbZlag. (Telegraphischer Bericht.) Die Dienstagssitzung des Reichstags brachte endlich den Schluß der ersten Lesung des Reichsetats, wobei, wie üblich, das Wort „Etat" kaum erwähnt wurde. Dafür wurde munter weiter polemisiert. Zunächst sprach Herr Paasche gegen das Zentrum. Er ließ der Rede des Herrn v. Heuling volle Gerechtigkeit widerfahren. Die Worte des Redners vom „Kuhhandel" waren der Mitte sichtlich unbequem und fachten die Gemüter zu Zwischenrufen und Lärmen an. Im übrigen wäre es recht wünschenswert gewesen, bei der Gelegenheit dem Zentrum mit positivem Material zuleibe zu gehen, was einem so versierten Parlamentarier, wie Herrn Paasch«, doch nicht hätte schwer fallen können. Besonders interessant wäre es gewesen, wenn einmal die svstematische Verquickung von Reichs- und vreußischer Politik durch den Zentrums- kuhhandel aufaedeckt worden Ware. Herr Erzberger hat selbst den kloisischen Beweis dafür erbracht, als er erzählte, er habe mit Herrn v. Loebell auch wegen des preußischen Schulgesetzes verhandelt. Was in aller Welt geht denn d«n chwäbischen Neichstaosabaeordneten Erzüerger die preu- iische Schulpolitik an!! Das nennt man gerade Kuhhandel: ür seine Abstimmung auf einem Gebiet den Lohn auf einem ganz andern zu fordern. Und das ist vom Zentrum bei jeder Gelegenheit geübt worden. Nach einer belustigenden Rede deS Stockkonservativen v. Kröcher. der sich von dem Verdacht rechtfertigen wollte, ein Gegner des Neichstagswahlrechts zu sein um» sich un willkürlich in einen immer heftigeren Zorn gegen das Wahlrecht hineinredete, hielt dann Erzberger seine an gekündigte Verteidigungsrede gegen Herrn v. Loebell. Sie war, wie sie sein mußte: trotz großer Zungengeläusigkeit eine schmähliche Niederlage. Es verlohnt sich nicht, einzel nes herauszugreifen: denn cs würde nur zu Wiederholungen kommen. Hier steht nicht Behauptung gegen Behauptung, sondern Behauptung gegen Beweis; denn Herr Erzberger wird doch nicht nun auch noch seine beschworene Aussage einer nachträglichen Revision unterziehen wollen! Ter Chef der Reichskanzlei hatte denn auch einen leichten Triumph über seinen Gegner, und im ganzen Hause wird es, selbst im Zentrum wohl nicht, kaum irgend jemand gegeben baben, der nicht zur Genüge von der kompletten Niederlage des Kolo- nialenthüllers überzeugt gewesen wäre. Eines aber muß doch noch gesagt werden: Herr Erzberger pielt« seinen letzten Trumps mit der Angabe aus, auch nach einem Beeinflussungsoersuch sei noch Herr v. Loebell wegen »es neuen Kolvnialamts an ihn herangetreten. Und hierauf erwiderte Herr v. Loebell nicht! Hier rächen sich eben die Sünden des früheren Aplanierungssystems, das die ganze Misere verschuldet hat. Einen Beweis für die Richtigkeit der Erzbergerschen Angaben enthielten die nachträglichen Verhandlungen zwischen der Negierung und Herrn Erz berger naürlich nicht, wohl aber ,st es ein Nachbeweis der hostentlich für immer eingesargten Schwäche dem Zentrum gegenüber. Aus dem Schluß der sogenannten Etatsdebatte ist noch daS Wort des Staatssekretärs Grafen von Posadowsky herauszugreifen, daß gegen ihn „persönliche, ge hässige und verleumderische Angriffe" ge richtet würden von Leuten, die dem Staatssekretär seine Sozialpolitik verübeln. Es ist die authentische Bestätigung unserer Ausführungen in der letzten Sonntagsnummer. Dann wurde glücklich der Etat an die Budgetkommission überwiesen, und das Haus trat in die erste Leiung des Ge- setzendwurses wegen der Vornahme einer Berufs- und Betriebszählung ein. In der Debatte wurde be sonders auf den von uns schon gerügten Mangel hingewiesen, daß die Fragebogen der Kritik nicht zugänglich gemacht wor den seien. Der Gesetzentwurf wurde ziemlich allseitig be grüßt. Dr. Stresemain hielt dabei seine Jungfern- rede und führte sich vortrefflich ein. Wegen der bisherigen Jnformationslosigkeit des Hauses über den Entwurf war es aber schließlich doch nicht zu vermeiden, den Nest einer Kommission zu überweisen, wodurch immerhin wegen der Ueberlastung der kurzen Session die Gefahr heraufbeschworen wird, daß der Entwurf in diesem Jahr nicht mehr Gesetz wird und die Zählung Heuer nicht mehr vorgenommen werden kann. Indessen wollen wir das beste hoffen. kine Verladung kür Meckrlenbnrg. Die beiden Mecklenburg sind die einzigen Bundesstaaten in Deutschland, deren Bersassungsleben noch nicht über die staatsrechtlichen Verhältnisse des — 18. Jahrhunderts hin ausgekommen ist. Sieht man von dem Mecklenburg-Strelitz ungegliederten Fürstentum Radeburg ab, das eine eigene tändische Vertretung von 21 Mitgliedern besitzt, die be- anntlich fast noch nie aktionsfähig geworden ist, so erfreuen ich die beiden Großherzogtümer noch eines staatsrechtlichen Zustandes in ivelchem die erbliche Monarchie wesentlich nur nach den Verträgen von 1701 und 1755 beschränkt ist. Tie damals geschaffenen Stände der Ritterschaft (landtags- fähiZe Grundbesitzer) und der Landschaft (Obrigkeiten von 42 Städten) haben natürlich mit einer Verfassung im Sinne der seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland ein geführten Konstitutionen nichts zu tun. Der Widerspruch gegen diese vormärzlichen Verhältnisse ist von Jahr zu Jahr gewachsen. Nicht nur in den beiden Mecklenburg selbst, deren Wahlergebnisse für den Reichstag starke liberale und sozialdemokratische Neigungen neben den konservativen zeigten. Auch in den anderen Bundesstaaten bat man cs immer peinlich empfunden, daß es in Deutsch land noch zwei Bundesstaaten gab, die konstitutionell so völlig rückständig waren. Es hat darum auch im Reichstage seit einer Reihe von Legislaturperioden nicht an Versuchen gefehlt, vom Reiche aus Mecklenburg zur Schaffung an- derer konstitutioneller Verhältnisse zu bewegen. Freilich umsonst, schon um der rechtlichen Frage willen, ob ein solcher Eingriff der Reichsgewalt zulässig sei. Auch für die eben begonnen« Session des Reichstages lagen wieder Versuche in dieser Richtung vor. Daß der Widerspruch von seilen der Großherzöge und ihrer Negierung nicht mehr so stark als früher war, verlautete wiederholt seit dem vorigen Sommer, und Grobherzog Friedrich Fran- IV. von Mecklenburg- Schwerin hat jetzt auch bestätigt, daß er seit Beginn ferner Regierung, 1901, darauf bedacht gewesen sei, Erfahrungen darüber zu sammeln, wie die VersassungSfrage gelöst wer den könne. Und nun soll die Lösung dieser Frage beginnen, wie wir schon vor wenigen Tagen meldeten und wie vorgestern die beiden Großherzöge ihren Landräteu gegenüber bestätigt haben. Den Inhalt der von den Fürsten gehaltenen Neben gaben wir schon rn ein« Teil der gestrigen Morgenausgabe unter den letzten Depeschen wieder. Sie zeigen, daß der gute Wille vorhanden ist, etwas Positives zu schassen, das „den Anforderungen des Volkswohls" entspricht. Wie cs aber bekanntlich schon theoretisch sehr verschiedene Meinungen darüber gibt, was im Interesse des Volkswohls an ver fassungsmäßigen Rechten dem „Volk" gegeben werden soll, fr dürsten sich praktisch hier besondere Schwierigkeiten zeigen, wo jede Erweiterung der Volksrechte einer Verminderung der Rechte jener Kreise Lleichkommt, die bis jetzt so gut wie allein im Besitz von ständischen Rechten waren. Das ist zwar überall so gewesen, wo neue Verfassungen geschaffen wurden, aber zumeist geschah dies in Zeiten allgemeiner starker Volksbewegungen, in denen fortschrittliche Gedanken spurlos auch nicht an den bisher bevorzugten „Standen" vorübergingen. Daß solche Gedanken gerade jetzt unter den „ritterschasklichen" Kreisen besonders mächtig wären, dafür liegt kein Beweis vor. Darum ist eS verständlich, daß der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin bei seiner Rede vor allem erklärte: „Ich verkenn« nicht, daß für alle, die in überkommener Tradition mit den ständischen Verhältnissen eng verwachsen sind, der Uebergang in den neuen Verfassungszustand nichtohne OpferundEntsagung geschehen kann. Da es sich aber nm das Wohl des ganzen Landes handelt, hege ich das Vertrauen, daß Sie ebenso wie ich dazu bereit sein werden, solche Opfer auf sich zu nehmen, und gebe ich mich der Hoffnung hin, daß S,e demnächst, wenn meine Vorschläge den Ständen zur Beratung vorgclegt sind, mir Ihre Unterstützung gewähren werden." Aus diesen Worten spricht die Erkenntnis der Schwierig keit, die bisher Privilegierten zur Nachgiebigkeit zu be- wegen. Und wir fürchten, daß trotz des Appells an die Opferfreudigkeit der Privilegierten die Aussichten für eine Verfassung, die selbst gemäßigt liberalen Ansprüchen genügt, recht gering sein werden. Die mecklenburgischen Negierungen wollen denn auch sehr vorsichtig zu Werke gehen. Der Großherzog von Mecklen burg-Schwerin sagt darüber: ,,Jch habe schon vor längerer Zeit mein Staatsmini- sterlum beauftragt, ein Gutachten über die Frage der Re- formbedürftigleit der bestehenden ständischen Verfassung vorzulegen. Dasselbe ist mir lm vorigen Sommer über reicht worden. Nach eingehender Prüfung dieses Gut- achtens bin ich in der Ansicht bestärkt worden, daß es an der Zeit ist, die Verfassungsverhandlungen mit den Stän- den wieder auszunehmen. Ich habe mich darin zunächst des Einverständnisses des Großherzogs von Mecklenbura- Strclitz mit diesem Vorgehen versichert und nunmehr meinem Staatsministcrium befohlen, die erforderlichen Vorlagen zu bearbeiten und sie für einen im nächsten Jahre Von mir einzuberufenden außer- ordentlichen Landtag fertig zu stellen. Ich habe nun Sie, meine Herren Landräle, zu mir berulen, um Ihnen als den Ersten von dieser meiner Entschließung Kenntnis zu geben. Dabei gedenke ich dankbar des langen, gesegneten Zusammenwirkens von Landesherren und Ständen zum Besten des Landes." Man will also den Privilegierten die für sie bittere Medizin tropfenweise und in einer längere Zeit ausgedehn ten Kur eingcben und hofft dadurch um so besser ihre Zu stimmung zu erlangen. So pessimistisch wir auch vom liberalen Standpunkt aus dem Erfolg dieser Kur entgegensehen, so soll uns das nichr abhalten, ihr eine möglichst weitgehende Einwirkung auf die staatsrechtlich kranken Verhältnisse der beiden Mecklenburg zu wünschen. Bedenkt man, wie trostlos z. B. die Schulder- hältnisse in den beiden Staaten liegen, und wie weit man in ihnen noch zurück ist an kirchlicher Toleranz — Klagen darüber sind ia in den letztvergangenen Jahren oft genug durch ganz Deutschland geklungen — dann kann icder Freund deutscher Kultur den Regierungen der beiden Staaten für ihr reformatorisches Venassnngswcrk nur den Wunick, mit geben, daß sie es mit dem Maßstab des 20. Jahrhunderts messen und dem ganzen Volk unter möglichst gleichen Rech ten eine parlamentarische Mitwirkung zu verschaffen suchen, damit die Kulturaufgaben nicht fernerhin unter dem Druck der Ritterschaft Schaden leiden. Serli« unll üer Aberglaube. Die Rcichenberger Straße ist einer der Boulevards un seres Sudostens. Man macht von der Möglichkeit, ihn mu der Hochbahn oder in einer achtzig Minuten umfanenüen Tramdahnfahrt zu erreichen, nur bann Gebrauch, wenn man im Volkstheater des Südostens, dem nach der Königin Luise benannten „Luisenthealer" den für diesen Stadtteil extra fabrizierten „Sherlock Holmes" ansehen will. Oder man kreuzt-ihn, wenn man an traulichen Sommer- abenden den Seegeftadcn und grünen Aalen Treptows sehn suchtsvoll entgegenileuert. Aber die Physiognomie dieser Straße kennt man dennoch. Sie ist sauber, breit, bequem — diese Schlagworte, mit denen der Berliner sein Straßen bild so gern verteidigt, trcsfen alle auch auf sie zu. Aber zwischen diesen schmucklosen Häusern, im sahlcn Grau oder Gelb ihrer „staubfreien", nüchtern-korrekten Fassaden dustct's nach Arbeit und Sorge. Tie Menschen, die diese breiten Trottoirfliesen belaufen, haben den typischen Ber liner Eilschritt. Ihre Augen hängen, während die Füße mechanisch dem Ziele zustreben, an irgendetwas Ungewissem, dem die nächste Geschäjtsstunde gehören wird. Sie inter essieren sich nicht, sie sorgen nur, hasten nur. „Vorwärts" ist das Motto. Nachdem man diese Lteeplechase eine Weile betrachtet hat, reist man vergnügt vom „Görlitzer Bahnhof", der diesen Straßenzug schließt, nach dem Spreewald, zu den Ammen oder den Lübbener Gurken. . . . In der Nummer 138 dieser Straße hat sich also am letzten Tage der verflossenen Woche jene Tragödie des Aber- glaubens ausgetobt, deren nackte Tatsachen in Ihrem Blatte bereits erzählt wurden. Das körperliche Opfer: ein Zahlmeister, der von seiner religiös fanatisierten Familie — sie will ihn durch ekstatische Gebete von einem Siechtum befreien — mißhandelt, geschlagen^ zerschunden wird und sich nur mit List von dem Andränqen der tobsüchtigen Flagellanten befreien kann. Die geistigen Opfer: eine reife Frau, zwei blühende Mädchen, -w«i jung« Männer in den Jahren der wachsenden Kraft. Die Frau, die ein umfang reiches Wirtschaftssystem zu leiten hat, von keinen materiellen Sorgen dabei gestört wird, steht ein Vierteliahrbundert lang nur inmitten ihres häuslichen Lebens, abseits besonderer geistiger Interessen. Auch von den anderen Familienmit gliedern käme für diese letzteren höchstens der jüngere Sohn in Betracht, der, etwas spät, mit siebzehn Jahren das ein- 1 jährige Zeugnis umwirbt. Sein älterer Bruder ist Bcr- I liner Konfektionär, also nach Sachlage der Dinge und seiner 1 Berusssphäre entsprechend durchaus in der Mitte ein«
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