Radfahrer-Zeitung. Amtliches Organ. Herausgeber: 11 No 10 Jahrgang. Sächsischer Radfahrer-Bund. Alle die Zeitung betreffenden Einsendungen, Mittheilungen ete. sind an die verantwortliche Schriftleitung Max Möller, Leipzig, Elsterstrasse 53 zu richten. Die Distanz-Radfahrt V ien-Berlin im Lichte ihrer kulturellen Bedeutung. Näher und näher rückt die Zeit, verkürzt sich der Termin, zu welchem der Radfahrsport den ausserordentlichen Werth beweisen soll, den eine der wichtigsten Erfindungen des „fin de siede“ dem Fortschritte der Kultur zuschreibt. In sehr ge- theiltem Sinne werden unter den Laien noch immer die Beweggründe kommentirt, welche zu dem Unter nehmen einer nationalen deutsch-österreichischen Distanz-Radfahrt geführt haben. Während die Einen glauben, dass es sich um die Ruhmessucht der sich ihrer gewaltigen Aufgabe gewachsen fühlen den Sportsleute handele, meinen Andere, die „Fabrikate“ sollten sich den Rang ablaufen und leider sind es nur relativ wenig Tieferblickende, welche dem Unternehmen höhere Bedeutung bei messen wollen. Nicht Wenige sind es auch, welche auf den Distanz-Ritt exemplificiren indem einfach die Ueberlegenheit des Radfahrers über den Reiter, besser: das Fahrrad über das Pferd erwiesen wer den solle. Die letztere Beweisführung bedarf unter Sportsleuten keines Wettkampfes, die Ueberlegen heit des Radfahrers über den Reiter ist als eine erhebliche längst bekannt. Wir halten es für eine Pflicht der sportlichen Presse, alle irrigen Laienbehauptungen zu wider legen und auf den wahren Werth des grossen Unter nehmens hinzu weisen. Nicht die Ruhmessucht Einzelner soll befriedigt, wohl aber soll an einem glänzenden Beispiele be wiesen werden, zu welcher Summe von Kraft und Ausdauer der menschliche Körper gelangen kann, wenn er die bei einer solchen territorialen Aus dehnung der Fahrt in Betracht kommenden Körper- theile zu hohen Leistungen fähig macht. MitBedauern hört man ängstliche Gemüther äussern, dass bei einem solchen Wettkampfe, bei einer Herausfor derung der körperlichen Kräfte Leben und Gesund heit Einzelner auf dem Spiele stehe. Das hiesse; das Kind mit dem Bade ausschütten! Wenn wir auch zu der Ansicht neigen, dass ein Caroussell- Fahren über 1000 km, wie es jüngst in Paris stattfand, an die Grenze des sportlichen Wahn witzes heranreicht hnd hier thatsächlich mit dem Menschenleben Frevel getrieben wurde, so darf der Tourenfahrer Wien-Berlin zu Recht die Worte des Pharisäers in der Bibel gebrauchen „ich bin nicht, w’ie dieser da“! Dort ein schwindelerregen der, bis fast zur Grenze geistiger Umnachtung führender Rundlauf auf kleinem Raume, hier ein beschleunigter Lauf durch die herrliche Gottes natur im wechselseitigen Reize flüchtiger Beobach tung von Land und Volk, ein Durchmessen land schaftlicher Schönheiten, eine wohlthuende Gegen wirkung von Höhe und Fall, ein erfrischender und belebender Temperaturwechsel. Gegen die Wag- I halsigkeit und Geringschätzung der Gesundheit j wird auch die einsichtsvollste Oberleitung nichts vermögen, die Ersteren herauszufordern — das möge sich jeder Startende sagen — kann nicht in dem Unternehmen gefunden, wird auch nicht von den leitenden Factoren gebilligt werden. Wird auch die „bestgefahrene Zeit“ der höchsten Anerkennung würdig sein müssen und in ihrem Resultate durch die Presse aller Länder getragen werden, so darf man doch nicht vergessen, dass sich Parallelen schon deshalb nicht ziehen, Con- currenz-Läufe über gleich lange Strecken nicht anstellen lassen, weil niemals die Beschaffenheit des Terrains eine gleiche ist. Was das Rangablaufen der „Fabrikate“ anbe trifft, so wird es allerdings hochinteressant sein, den Werth der technischen Beschaffenheit aller — jedenfalls in reicher Fülle — zur Anwendung kommenden Räder zu beobachten und dürfte es dem Fabrikanten der „Siegermaschine“ kaum zu verübeln sein, wenn er die Leistungsfähigkeit des Rades auf das Conto seiner technischen Geschick lichkeit setzt, immerhin aber sprechen Handhabung der Maschine, Gunst oder Ungunst elementarer Eingriffe, Glücks- oder Unglücksfälle bei der Boden-