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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 14.03.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-03-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070314013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907031401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907031401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-03
- Tag1907-03-14
- Monat1907-03
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BezuqS-Prei- fßr Selpzi, mW I» da Haupt- Llpeditio» »da deren A»«gabesiell«u ab- orholt monatlich: Au-aabeL (I mal täglich) 70 Ps., «»-gab. ü .2 mal täglich) 80 Pf, bei Zusielluug tu« Han« Ausgabe L 80 Pf., Au-gabe ü 1 Marl. Durch unser« au«- wärtigen Ausgabestellen und durch die Post bezogen (l mal tSglIch)tnuerda>b Deutschland« monatlich l Mark autjchl. Bestellgebühren, für Orsterreich-Uagara bL 4bd vierteljährlich^ dir übrigen Länder laut Zeüu»g«prei«liste. Dieje Stumm« kostet auf 4 4b tdd? allen BahuvSfe» uud bet I II den Zeitung«-Serküuseru Pedatttou uad Ex-ed Mo»; JohauuiSgass« 8. Telephon Nr. ILS^ Nr. 2LT Nr. U7L. Berliner ckedattions-vureao: B«liu d^v. 7, Prinz Louis Kerdinand- S trabe 1. Tele-Hou l, Nr. 987L. Morgen Ausgabe 8. MMtr.TagMaü Handelszeitung. Ämlsblatt des Mates und des Nolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Nr. 73. Donnerstag 14. März 1907. Anzeiqen-PreiS di« «gespaltene PetltzeU» für Geschäft«- ios«at« au« Leipzig und Umgebung 2ü Pf, FamUieu-, Wohnung«- ». tzteUea-Anzetgen. sowie An- und «erkäufe SO Pf, fiuauztell« Anzeige- 30 Pf, für Inserate von au«wLrt« SO Pf. Reklamen 7b Pf, auSwärt« 1 Mark. Beilage- gebühr 4 Mark p. Tausend «xkl. Postgebühr. Geschäslsanzeigen an bevorzugt« ktell« i« Preise erhöht. Rabatt nach Tarik. FürInseratevomAuSIandebeiond«« Tarif. Äuzrigeu-Auaahm«; A»»»ft»«z>l«tz 8, bet lämtltcheu Filialen u. alleuAunoucev- Ex-rditionen de« In- und Au«landet. Für da« Erscheinen au bestimmten Lage» u. Plätze» wird kein« Garantie übernommen. Festerteilt« Aufträge können nicht zurück- gezogen werden. Haupt-Filiale Berlin: LarlDuncker, HrrzglBayr-Hofbuchha ndl g. Lützowstraf,« 10 (Tel. VI, 4603). FtItal-Er-edMamDre»-eu.Marienitr3^. 101. Jahrgang. Vas WiÄligrte vom Lage. * Der Deutsche Kaiser bat den Präsidenten FalliLreS au« Anlaß der .Isna'^katastrophe eia in Herz- lichen Worten gehaltenes Beileidstelegramm gesandt. Der deutsche Botschafter erschien persönlich im Elysse, um sein Beileid zum Ausdruck zu bringen. (S. d. bes. Artikel.) * König Friedrich August wird erst am Montag von Porwgal nach Madrid reisen. (S. Dtsch. R.) * In der gestrigen Rei ch-tagSsitzung wurden gelegent lich der Interpellation über den Stand der Iustizresorm sächsische Verhältnisse eingehend besprochen. Das gab den sächsischen Abgeordneten Wagner, Günther und vor allem Dr. Iuuck Anlaß, in die Diskussion einzugreisen, wobei sich Dr. Iuuck sehr günstig über die sächsische Arbeiterschaft hinsichtlich ihrer Mitwirkung bei der Recht sprechung auSsprach. (S. d. bes. Artikel und Parlaments bericht 2. Beil.) * In der gestrig«» Sitzung des Deutschen Laud- wirtschaft-rat«, derKolouialdirektorDernburg und der Herzog von Mecklenburg auwohuten, wurde die Kolonial frage behandelt. ES sprachen u. a. auch die Gouverneure Graf Goetzeu und von Liudequist. (S. d. bes. Art.) * Der AuSlieferuug-vertrag zwischen Deutsch- laud uud Griechenland ist am 12. März in Athen unterzeichnet worden. * Der Braunschweiger Landtag hat sich g^ter» ans unbestimmte Zeit vertagt. (S. DtschS. R.) * Ein Mordauschlag auf den Gouverneur von Jaroslawl ist nicht gelungen. (S. Ausland.) * Du Gesetzeutwarf über die Aufhebung der Feld gerichte wird nicht der Duma vorgelegt. (T. AuSl.) Stzlgarien. ES war in den 80er Jahren, da schrieb die „Nordd. Allg. Ztg." einmal, es fei doch arg, daß schon zum dritten Male die Sommer-Ruhe durch Bulgarien gestört werde. 1885 war durch den Husarenritt des Fürsten über den Balkan die autonome türkische Provinz Ost-Rumeliru dem Fürstentum angegliedert, 1886 wurde der Fürst Alexander entthront, und 1887 wurde Europa abermals durch die Neuwahl des Fürsten Ferdinand uad ihre Begleiterscheinungen beunruhigt. Es ist seitdem nicht bester geworden. Bulgarien ist der .Wetter winkel" der europäischen Politik geblieben. Es folgten die Ermordung Stambulow« und die famose .Umraufe" des kleiaen Boris, welche dem ruffenfreundlicheu Kurswechsel da- Siegel ausdrückte. Für das Frühjahr 1902 war eine ganz besonder« große Aktion in Aussicht genommen. Kaum hatte mau die Schnee schmelze abgewartet, da brachen die .KomitatschiS" in Makedonien ei». Die unglückliche Provinz wurde in ihren Grundfesten aufgewühlt. Durch Dynamitattentate wurden strategisch wichtige Brücken uud Viadukte gesprengt, Explosiv- geschoffe in türkische Truppenabteilungen hineiugeworfru, um weithin Augst und Schrecken zu verbreiten uud — die Haupt sache — ein Einschreiten der Großmächte herbeizuführen. ES ist das nur zu gut gelungen. Zwar wurde eine ernstliche Ausrolluug der .makedonischen Frage" durch daS Eiuveruehmeu zwischen Oesterreich und Rußland abgeschnitten. Aber daß die Verwirklichung der Reformen, zu welchen sich die Pforte im Berliner Vertrage verpflichtet hatte, ihr au« der Hand genommen und durch internationale- Einschreiten beschleunigt, durch die Mürzsteger Bereiobaruuge« geregelt wurde, enthielt abermals eine Vermi»d«rung ihre« Prestige«, besten Stärkung unter den uuregierbareu Völkerschaften der Balkan-Halbinsel so bitter not tut. Die beiden Kaisermächte hatten in Mürzsteg den ge schworenen Türkeuseinden au« Gladstone« und Mazziui« Schule halb recht gegeben und konnten mm nicht mehr tapfer schmähten, wenn Westeuropa über A hinaus buch stabiere» wollte. Dort, wo eine nicht einmal immer echte Sentimentalität die ebenso dickleibigen wie herzlich lang weilige» Veröffentlichungen der antitürkischen Gesellschaften lesen zu können die geistige Disposition besitzt, glaubt man «in moralisches Recht zu jene« abgeschmackten Entrüstungen über „türkische Greuel" erhalte» zu haben, nachdem die Mürzsteger den allseitig so beliebten „gesnuden Keru" io den makedonischen Beschwerde» herauSgefunden hatte». Noch schlimmer war die Wirkung de« .bösen Bei spiels" der Bulgaren auf die übrige» Rajah-Völker. De« Sparen der Bulgare» folgten serbische und griechisch« KomitatschiS. Maa vergaß allmählich deu Kampf mit den Türken, der so gar nicht gefahrlos war, uud zog e« vor, sich auf türkische« Boden untereinander Gefechte zu liefern uud eine» zähe« Kleinkrieg zu entfeffel», beste» Koste» fast allein die friedliche Bevölkerung trage» mußte, die so herzlich gern beim Sultan bleiben möchte, unter dem sie es seit dem Untergang der Iauitscharru durchaus nicht so schlecht gehabt hatte. Reichte» auch feine administrativen Fähigkeiten nicht dazu a«S, seine Länder zu« Paradies zu gestalt«», so lebte rS sich doch im Limbo der Wenig-Regiererei »»endlich gemütlicher al« im Fegefeuer der Natiooalilätea- Sämpfe, von denen die bulgarische Griecheuhetze des letzten I Sommer» ein so anmutige» Bild gab. Mau kann nicht behaupten, daß das .freie" Bulgarien sein« Befreiung vom türkischen .Joch" glänzend gerechtfertigt habe. Allerdings sind ja seine Ansprüche noch nicht gesättigt. Noch schaut der Bulgare wehmütig auf die Karte von .Groß- bulgarieu", wie e« der kassierte Friede von San Stefano auf die Leinwand gezaubert hatte. Noch fehlt die Königskrone aus Ferdinands Haupt. Wie viele Kilometer hat die alte Mutter auf Europas Eisenbahnen verfahren, um ihren Herzenswunsch seiner Erfüllung näher zu bringen! Wie hat Louis Philipps Erbe bluten müssen, mit dem die französischen Neffen gekargt hatten, als e- galt, die ungleich herrlichere Krone Gallien« zu kaufend Clementine ruht in der Gruft von Coburg, uud der goldene Reis ist noch heute nicht fertig geschmiedet. Zwar sagt man, daß er bereits in Arbeit gegeben sei. Aber jene tragische Ironie, die OedipuS Geheimnis in dem Augenblicke enthüllt, wo er die Wahrheit de- Orakels Lügen gestraft wähnt, könnte am Ende beide Kronen ihm eben in dem Moment entreißen, wenn er mit der Linken die Fürsten krone abnimmt, um mit der anderen Hand die mehr gezinkte auftusetzcn. DaS Laud ist in dumpfer Gahrung. Fürst Ferdinand bat nicht- von der volkstümlichen Art seine« Vorgänger« au« minder edlem Geschlecht, der in die Herzen de« Bauern volke» sich hineiuzuleben, eia Bulgare unter Bulgaren zu werden verstand. Er hat die Etikette, da« steife Hos-Cere- moniell der kleine» deutschen Residenz io ein orientalische- Land verpflanzen wolle», welche- keinen Adel kennt. Be zopfte Hosleute haben die unglaubliche Torheit begangen, von einer Nationalfeier, der Einweihung des au« den Steuer leistungen de- armen Volke» erbauten Theaters, die Uni versität auSzuschließen, den Stolz de« Volke«, da- mit seinem BilvungSzentrum sozial so eng verwachsen ist. Al- die Ausgeschlossenen aufbegehrteu, wurden die Majestät-beleidigllllgS-Paragraphea verschärft! Die Studenten wurde», um eine schwierige u»d zeitraubende Untersuchung zu ersparen, ohne Au-nabme -elegiert und d-r Vollständig Kit halber die Professoren dazu, die Tore der Universität wurde» geschloffen. Werde» sie wieder geöffnet, so soll in die medi zinische Hauplprofestur Dr. Eisenbart berufen werden, in vie juristische der Athener Dracou. Herrn Petkow« Schnei- digkeit koaate nicht überboten werden. Unsere Scharf macher lasen mit Entzücken die Zeitung-rubrik „Bul garien", sie, die in die Männer mit der gepanzerten Faust so vernarrt sind, daß sie solche handfesten Burschen auch mit Westeuropa« seingeschnitzteu Schachfiguren spielen lasten wollen, unbekümmert, wie viele zerbrochen werden. Bulgarieu hatte seinen Uebermenschen, auf deu sie fahnden, wie die Zoologen auf Exemplare de« Pithekanthropo«. Leider besaß der Uebermensch einen sehr zerbrechlichen Leib. Ein einziger Treffschuß hat seinem Leben ein Ende gemacht. Ob der Mord ein politischer war, ist »och nicht ausgemacht und auch durch Geständnisse de- Mörder« so wenig sicherzustelleu wie durch amtliche Ver kündigungen: au- denen erfährt man bloß» wie die Regierungen den Fall auszufaffeu wünschen. Andererseits verlautet nicht- davon, daß der Meuchelmord iu die Kategorie jener besonder- in Halbasien nicht so seltenen Verbrechen gehöre, bei den« die stereotype Frage französischer Juristen am Orte ist: oü est la temms? Wahrscheinlich wird da- Motiv je»em politisch - unpolitische» Grenzbezirk unserer Hövel und Nobiliug entstammen: dem Amoklaus ei»eS leben-überdrüssigen Desperado, der blind auf die höchsten Mäuoer des Staate« loSrennt, um hervstratisch zu enden. Möglich aber immerhin, daß die Mordtat direkt au« den Kreisen der radikalen Opposition hervorgegauge«, nicht blo« ei» trübe« Gärungsprodukt der durch den Universitäts konflikt und de» wocheulaugen EisenbahnerauSstaad auf gewühlte» Tiefe» der Volksseele ist. Ja dem Falle dürfte eine nahe Zukunft noch ungeheuerlichere Dinge auSbrüleu als den die Welt nicht gerade erschütternden Mord eine« bulgarischen Ministerpräsidenten. » Der Bwkarester Berichterstatter de» „Verl. Tagebl." meldet: „Obwohl die au» Bulgarien eiutreffende» Telegramme be richte», daß dort Ruh« herrsche uud obwohl Poulirw, der Sekretär der bulgarische» diplomatische» Agentur, erklärte, daß da» Attentat auf Petkow nicht politischer Natnr, sondern eiu persönlicher Racheakt sei, besage» private Telegramme, daß die Lage in Bulgarien sehr bedenklich ist. Fürst Ferdinand von Bulgarie» reist hier durch, um die Fahrt durch Serbien zu vermeide». Die provisorisch« Regierung Bulgarieu» hat beschloss«», dem Fürsten keinen offiziellen Empfang zu bereite», aber die Bevölkerung wird ihu sympathisch begrüße«. Jedenfalls fi»d in unserem Rach barstaate außerordentliche Vorgänge z« gewärtigen." Der .N. Fr. Pr." wird an» Sofia gemeldet: Stauciow erhielt vom Fürsten Ferdinand ei» Telegramm mit der Anzeige, daß er zu dem Begräbnis Petkow» komme. Der Mörder Petrow sagte au», er habe vor dem Attentat einen Redakteur gefragt, ob e» eia Verdienst um da» Vaterland sei, wen» Petkow, Gheuadiew oder der Fürst getötet würde. Der Redakteur antwortete, die Ermordung Petkow- und Ghenadiew- wäre die Befreiung Bulgarien« von der Tyrannei, der Tod de« Fürste« Ferdinand aber eia Hebet für da» Land. Zweifellos bestand eine Verschwörung. Biele Per- soneu wurde» verhaftet, ihre Namen werd« einstweilen geheim gehalten. vt. Zunckr und die zäcbrircben Arbeiter. Die Mittwochsitzung des Reichstages wäre beinahe zu den verlorenen zu rechnen gewesen. Immer mehr entfernte sich die Diskussion von dem Jnterpellationsthema der Revision der Strafprozeßordnung, so daß sehr bald die berechtigte Sehnsucht nach Schluß der Debatte sich zu einem ent sprechenden Anträge verdichtete. Dieser Antrag wurde, wohlgemerkt, auch von den freisinnigen Führern unterstützt. Als es nun aber zur Abstimmung kam, hatte sich Ver wirrung in die Reihen der Freisinnigen geschlichen, und der zur Kontrolle vorgenommene Hammelsprung ergab 12 Stim men Mehrheit für die Fortsetzung der Debatte. Unter schallendem Gelächter wurde das Resultat momentaner ba bylonischer Verwirrung bekannt gegeben, und die Witze über die gesamte nationale Mehrheit und die iu die Brüche ge gangene liberale Einigung liegen zu nahe, um nicht gemacht zu werden. In dieser Stimmung fand man sich leichter darein, auch noch den Rest der Lesung über daS an sich hochwichtige, aber bereits banalisierte Thema von der Strafprozeßordnung zu würdigen. Dann nahm die Debatte Plötzlich ein spezifisch sächsisches Gepräge an. Der Landrichter Dr. Wagner, der konservative Abgeordnete des neunten sächsischen Wahlkreises, machte eine jener Bemerkungen, die wie Bomben zu wirken pflegen und für die es nur die eine Entschuldigung gibt, daß sie vielleicht nicht ganz so böse ge- meint gewesen sind. Man sprach von der ungenügenden Heranziehung der Arbeiter zum Schöffen- und Geschworenen dienst. Darauf platzte Herr Wagner mit der Bemerkung heraus: Wer bürge dafür, daß man bei der so zialdemokratisch verhetzten Arbeiterschaft genügend unabhängige Elemente zum Schöffen dienst find«! Für sozialdemokratisch kommandierte Schöffen danke er! Damit hatte dann glücklich die SozioLdemokratre den bis dahin schmerzlich ersehnten Anlaß gefunden, um in höchstem Pathos d-ie Unantastbarkeit des GeuostentumS zu preisen, und die Situation war so verfahr:», daß schwer etwas gegen die Entrüstung zu machen war. Ginger, Heine und Stadthagen rissen sich föcm- kch um den Vorrang, auf dem Abg. Dr. Wagner, dem sächsischen Richtertnm und der sächsische» Justiz herum zutrampeln, bis schließlich Herr Dr. Iu n ck das Wort er griff. Er stellte sich auf die Tribüne und logte Zeugnis ab für den sächsischen Arbeiter in der Justizpflege. Er er klärte, seine Erfahrungen wie di« seiner Bekannten bezeugten, daß der sächsisch« Arbeiter sich als Schöffe, wie als Ge schworener und besonders als Gewerbe- und Kauf-nanns- gerichtsbeisitzer durchaus bewährt und sich nicht gescheut habe, gegen feine Genossen zu entscheiden, wenn daS Recht es er fordert habe. Diese loyal« Rehabilitierung des sächsischen Arbeiters von bürgerlicher Seite schaffte mit einem Schlage Ruh«. Es hatte niemand mehr Lust, den damit erledigte» Streit von neuem anzufachen. Die Leipziger Arbeiterschaft aber wird wohl aus dieser Episode ersehen, daß der Vertreter Leipzigs es ernst nimmt mit seinem Versprechen, ein Man- datar der gesamten Bevölkerung zu sei» und daß ihm nichts ferner liegt, als sich durch politische Gegnerschaft in seinem Gerechtigkeitsgefühl beirre» zu lasten. Wir werden die Rede des Abg. Dr. Jun ck die zunächst nur im telegraphischen Bericht vorliegt st. 2. Beilage), »och ausführlicher wiedergeben. 6»e deutrcke Niederlage in fionttantinspel. «Von unserem Londoner L.-Korrespondenten.) Die deutsche Niederlage in Konstantinopel bei dem lleber- gange der Kaigesellschaft in englisch-französische Hände ist mit nichten das erste Glied in der Kette englischer Avancen. Es ist nur der erste große Knalleffekt, während schon vorher die Periode der großen deutschen Erfolge zum Abschluß ge kommen war. Der deutsche Einfluß war schon seit zwei Jahren im Sinken, zum großen Teil, weil die bureaukratisch erzogenen Diplomaten nicht den richtigen Takt besitzen, son dern zwischen lächerlicher Ueberschätzuug „türkischer Ex zellenzen" und Grobheit hin und her schwanken, während der Engländer die Grobheit durch abwartende Zähigkeit, die Katzbuckelei vor den Paschas durch ironische Kollegialität er setzt, die zu verstehen gibt, daß man nicht zu täuschen ist. Dazu kommt, daß die englischen Kolonien in allen türkischen Städten, so arg die Medisance untereinander ist, nach außen immer eine geschlossene Gesellschasts- und Geschäftsfront bieten, die man in den deutschen Kolonien vergeblich sucht. Dadurch erfährt die Botschaft manches viel zn spät — die Kaufleute wenden sich nicht selten lieber an den englischen Regierung-Vertreter —, und ohne eine fortwährende intime Fühlung mit der Kolonie kann ja auch kein Botschafter herauSfinden, wie weit er in schwierigen Fälle» gehen kann. Gerade in diesen schwierigen Fällen pflegen seine eigenen Informationsquelle» im Pildiz zu versagen, sich geradezu hermetisch zu verschließen. Der Botschafter „schwimmt" dann. DaS sind wesentliche Gründe, wart.« B. beim Falle Fehim Pascha der Wettbewerb mit dem unmittelbar vorauf gegangenen festen englischen Auftreten in Smyrna ganz de placiert wnrde. Bei einer lebhaften Fühlung mit der Ko lonie konnte der Botschafter wissen, daß er von de« eng lischen,französischen und russischen Vertretern so lebhaft unterstützt wurde, weil man gern Nedschib Pascha, einen katholischen Syrer, dem man noch schlimmereDinge als Fehim nachsagt, an seine Stelle bringen wollte. Die Schwierigkeiten, die England in der Regelung der makedonischen Finanzen und in der Zoll frage machte, hat man in Berlin trotz wiederholter War nungen nicht mit der Kaifrage, sondern nur mit den Kilo metergarantien für die Fortsetzung der Bagdadbahn in Ver bindung gebracht, obwohl schon früher LonstanS unverhälr» «iSmäßig feste» Estttreten für die französischen Interesse» an der Kaigesellschaft darauf hindeutete, daß man diese Ge sellschaft als Sturmbock gegen die Bagdadbahn benutzen wollte. Auf Grund ihres Charters von 1894 hat die Gesell- schäft zwar sowohl auf der Galata-, wie der Stambulseite des Hafens Kais gebaut, aber türkische Verzollungsmethoden und die Verwahrlosung der Zollhäuser haben dazu geführt, daß Haidar Pascha, auf der kleiuasiatischen Seite, die Schlußstation der Bagbadbahn, alle Aussichten hatte, den Verkehr für sich zu monopolisieren. DaS ist jetzt vorbei, nachdem sich auf den KaiS der franko-englischen Gesellschaft ein geordneter Lagerhausbetrieb und ein nach dem jüngst von England erwirkten Jrade ge ordneter Zollbetrieb entwickeln wird. AIS der König Eduard mit der Königin nach Paris ging, fehlte es nicht an Warnungen für die deutsche Diplomatie, und deutsche Finanziers regten sich sehr eifrig; aber die Stimmung im Jildiz war inzwischen bereits hoffnungslos verdorben; den Levantinern sind schon nicht immer englisch«, häufig nicht einmal französische, aber fast nie preußische Methoden ge wachsen. Wie kurzsichtig and mit welchem Bewußtsein der eigenen Gottähnlichkeit die deutsche Diplomatie in Konstan tinopel gearbeitet hat, geht daraus hervor, daß die seit zwei Jahren in allen Berichten des englischen Vertreters und Vorsitzenden bei dem Aufsichtsrat der Dette Publique, Mr. Adam Block, wiederkehrenden Hinweise auf den Erwerb der Kais unbeachtet gelassen sind. Sir Edward Grey, der als Unlerstaatssekretär des Auswärtigen unter Rosebery den Wert der Mitarbeit der Finanzleute auch in den Details der auswärtigen Politik würdigen gelernt hat, hält zwar keine so schönen Reden, wie Fürst Bülow, obwohl er selbst ein klassischer Redner ist, aber der ehemalige Champion angler versteht in der Stille zu fischen, während wir die guten Fische durch festes Auftreten verjagen. viefioloPalftage vordemveulrcdeo caudwinrchaltrlai. Der deutsche Landwirtschaftsrat hatte gestern einen großen Tag. Iu Gegenwart DeruburLS, sowie des Präsiden ten der Deutschen Kolonialgeselffchast Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg, und der Spitzen der koloniale» und landwirtschaftlichen Verwaltungsbehörde» verhandelte er über das Thema: Die Entwicklung n»o Be siedelung unserer Kolonien. Die sonst menschen leeren Tribunen des Brandenburgischen Provinzial-LandeS- hauses waren überfüllt, ein deutliches Zeichen, welche Be deutung die Oeffentlichkeit der heutigen Tagung beilegt. Der Vorsitzende Goas Schwerin-Läwitz eröffnete di« Ver sammlung und begrüßte den Herzog und den stellvertreten den Kolonialdirektor, sowie die Gouverneure Götzen und v. Lindequist. Zu dem Thema liegt folgender gemeinsamer Antrag der Referenten vor: Der Deutsche Landwirtschaftsrat erklärt: 1) Es liegt sowohl im Interesse des deutschen Volks tums, wi« der heimischen Volkswirtschaft, daß die deutschen Auswanderer nicht im fremden Äolkstume untergeben und das Ausland wirtschaftlich stärken, sondern in den Kolonien des Mutterlandes sich «inen neuen Wirkungskreis suchen. Deshalb muß zunächst eine tatkräftige und zielbewußte Entwickelung der Landwirtschaft in den dafür geeigneten Kolonien herbeigeführt und daselbst ein mög lichst großer Viehstand beschafft oder herangezüchtet werden. 2) Es ist «in« hohe nationale und volkswirtschaftliche Aufgabe der deutschen Reichsregierung, die Kolonien durch die Verbesserung aller Verkehrsmittel, insbesondere durch den Bau von Eiseubabnen, auszuschließen, sowie die Bil dung von aufnahmefähigen Markten rn jeder Beziehung zu fordern. Die Einwanderer sind durch Erleichterungen weitgehendster Art bei dem Erwerb von Land und der Be- schaffung von Vieh und Material zu unterstützen. MS erster Referent sprach zu dem Thema Abg. v. Böb - le udorf f-Kölpin. Er hob hervor, daß das Fortschritten einer Kolonie von ihrer Landwirtschaft abhäuqt. Will man die Kolonie erschließe«, so muß man Landwirtschaft treiben. Vorbedingung sind aber Straßen und Eisenbahnen. Sonst ist «in« industrielle uud landwirtschaftliche Entwickelung aus geschlossen. sPr unser jüngstes Schutzgebiet Kiautschau kommt nur Viehzucht in Betracht, ferner aber vor allem die Aufforstung. Für eine Besiedelung kommt allerdings das Gebiet nicht in Frage. Danin ergriff das Wort der Generalsekretär der deutschen Kolonialgesellschaft Stabsarzt Dr. Sander«: Die Kolonien, die vom Mutterlande besiedelt werden sollen, wüsten ein Klima -eigen, daS nicht allzu sehr von dem des Mutter landes abweicht, denn Beamte und Führer in der Landwirt schaft uud im Bergbau werden stets Weiße sein müssen, da Eingeboren« dazu nicht geeignet sind. Der dritte Referent Dr. Becker (Berlins legte der Versammlung eine Arbeit über unsere Kolonien vor. Er hebt darin u. a. hervor, daß z. B. ein großer Teil der späteren Mißerfolge auf wirt schaftlichem Gebiete in Ostafrika und in de» anderen Kolo nien lediglich auf den Mangel an praktischen Land- inid Forstwirten sowohl in der VerwaltungS- als auch Beamten stellung«« der kolonialen privaten Erwerdsgesellschafteu »u- rückzuführen sei. Auch er weist weiter darauf hin, daß die Entwicklung und wirtschaftliche Erschließung unserer Kolo nie» im wesentlichen von der Lösung der Verkehrtfrage ab hängig ist. Kurze Feldbahnen würden dem Verkehr ge- nügen. Gegen die Landgesellschaften spricht sich Dr. Becker mit aller Schärse aus. Der Landerwerb wird vpn den Lanv. gesellschaften in ihren Gebieten geradezu erschwert. In Siid- westafrika hat die GroßfarmwirtAaft den Vorzug In Ostafrika kann Kleinsiedlung und Viehzucht betrieben wer den. Dr. Becker berechnet -um Schluß seiner Ausführungen, daß zur Ansiedlung einer vierköpfigen deuffchen Bauern familie in Südwestafrika, eingeschlosten Reisekosten und Ver pflegung auf 1A Jahr, 1K000 ^l erforderlich war«». Be, «inem Anlagekapital von 6800 erhöhe sich do« Kapital bei einer Rinderfarm in S Jahren auf 125000 bei 14 500 Verzinsung bei einer Fleischschaffarm stziegen) in vier Jahren auf 132075 ^l, bei 18 425 X Zinsen und bei einer Wvllschafzucht bei 71000 Antage auf 1Ä 524 ^l bei 15 361 Mart Verzinsung Inzwischen ist auch der preußische Landwirtschafts min ist er v. A r n t m - Criewen erschienen, der an der Seite des Herzogs Johan» Albrecht Platz nimmt. In der Diskussion ergriff daS Wort Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg. Er führte auS: Fürchten Sie nicht, daß ich eine kolonialpolitische Debatte
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