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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 30.04.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-04-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070430018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907043001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907043001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-04
- Tag1907-04-30
- Monat1907-04
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April auS Washington in Berlin eingetroffen sind, wird das deutsch-amerikanische Handelsabkommen in den nächsten Tagen unterzeichnet werde». * Im Reichstag, der gestern weiter über den Postetat verbandelte und ihn erledigte, wird heute der Etat des Auswärtigen Amtes beraten werden. Es wird eine Rede des Reichskanzlers über die politische Lage erwartet. (S. Dtschs. R.) * Bor der Strafkammer des Landgerichts zu Schneide mühl fand gestern ein interessanter Prozeß gegen die Polenbank statt. (S. Gerichts» aal.) * Kaiser Franz Josef ist gestern von Prag nach Wien zurückgekehrt. (S. letzte Dep.) * DaS dänische Köuigspaar ist in Christiania eiogetroffen. (S. AuSl.) * Die türkische Herrschaft in Demen ist auf die Linie Hodeida-Saua eingeschrault. (S. AuSl.) * Norwegen bat Ansprüche auf Spitzbergen er- erhoben. (S. Ausl.) * Der italienische Schatzminister Mtjoraua ist rückenmarksleidend. (S. Ausl.) * Die Stellung des amerikanisch en Staatssekretärs Root soll erschüttert sein. * Gestern nachmittag ist er» 4jahriger Knabe von einem elektrischen Straßenbahnwageu überfahren worden. (Näh. s. Lpzg. Ang.) Kaiser, stau zier «n<l striegsministrr. Albert HonoriuS von Monaco, geschmückt mit dem Orange band und dem blauemaillierten Adlerkrenz des höchsten preußischen Ordens, uud Raoul GuuSbourg, angetan mit dem preußischen Kronenordeu Zweiter, haben mit der monegassische» „Spiel"»Oper Berlin — Gott sei Dank! — verlaffen, und viel Lärm, sicht nur im Orchester und unter den Soffitte«, ist damit endlich verballt. Ehedem verschmähten eS die Kabinette Eul vpas nickt, Kammerdiener und Perücken künstler zu diplomati'chen Missionen zu verwenden, und mancher Potentat ließ sich unter der Brenuschere und im Pudermantel lieber von der Welt Ereignissen berichten als von KabiuettSräten und Ministern im gestickten Frack. Heute scheint Albertus HonoriuS, seines Zeichens Landes- vater im Reiche der Roulette, die Rolle übernommen zu haben, zwischen Paris und Berlin den ehrlichen Makler zu spielen, die unangenehmen Eindrücke, welche die Herren Picquart, Bailloud v tutti gnunti durch ihre vorlaute Revanchetrompeterei in Berlin hervorgerufen haben, zu ver- wifchen und den Herren Lecomte uud Cambon die Arbeit zu er leichtern. Wenn man nach den äußeren Anzeichen geben wollte, so hätte der monegassische Zwischenhändler gar nicht schlecht abgescknitteu. An Aufmerksamkeiten gegen ihn und sein Theatervölklein hat es nicht gefehlt, aber sie waren so dick aufgetragen, daß selbst Herr Clsmeoceau trotz seiner englischen Brille merken muß, man habe in Berlin mit den Theaterleuten eben — Theater gespielt. Und wen» man sich in Paris ernstlich eiubildet, auf den Kaiser durch Albert HonoriuS so gewirkt zu haben, daß in den Anschauungen der deutschen Auslandspolitik gegen Frankreich ein Um schwung eiugetreten sei, so wäre das ein verhängnisvoller Irrtum, und die Herren an der Seine müßten eigentlich Herrn von Einem, der mit dürren, aber wahren Worten die maßgebenden Ansichten über die nötigen Rüstungen des Reiches ausdeckte, sehr dankbar sein. Aber sie find es kaum, denn ein mal hat Herr von Einem ein sehr empfindliches französisckes Hühnerauge mit plumpem preußischem Kommißstiefel berührt — als er von der mangelhaften Kriegsbereitschaft in der Zeit der Algecirasspannung sprach — und zum anderen hat er dargetan, daß wir trotz Albert HonoriuS genau wissen, gegen wen wir auf dem Kontinent unser Pulver trocken zu halten haben. Aber ob dankbar oder nicht — sie werden auS deS KriegSmmisterS Worten deutlich erkannt haben, waS des Kaisers Courtoisie und des Kanzlers glattverbiudliche Manieren nicht verrate»: daß wir im Reich« dask der immer rücksickisloser und zuversichiluher austretenden Politik der Herren Eduard und Clümenceau genau wisse», woran wir sind. Und an dieser Tatsache, die uns weder zu unberechtigte« Pessimismus »och zu leicht fertiger Ueberhebung ii k» Gramoat verleite» darf, wird auch Herr Tittoni trotz seiner Phrasen in Rapallo nichts ändern. Wir ziehen beute Zug um Zug gegen die Herren von der Entente uud mache» uns keine Illusionen. Das Un wetter in Europa kann schneller zur Entladung konune», als es manchem Fanfarenbläser lieb sei» möchte. ES wäre heute noch müßig, darüber zu prophezeie», wo der große europäische Brand assflackeru wird, den selbst die begeistertste» Friedensapostel ahueud kommen fühlen. Aber wir wolle» auf Grund bester Informationen nicht unterlasse», unsere Dreibiendgenofs«» jensntS d«r Alpe», welche den Kanzlerbesuch in Rapallo uud die Albert HonoriuS- tage in Berlin mit so viel Hohn uud Selbstüberhebung be gleitete», auf etliches aufmerksam zu mache», das man bei übersteht, „d -q« da» »a» 1» Rom «scheinend die Vogel-Strauß-Politik spielt. Wir sind nicht — wie „II Secolo* und andere Franzoieniölduer »reinen — in Rapallo Herrn Tittoni nachgelausen, sondern wir haben auch dort als ehrlicher Dreibundgevoß, der sich gegen welschen Brauch noch sür redlich verpflichtet hält, solange er noch im Kontrakt steht, uns bemüht, die Kriegs gefahr aufzuhalteo, welche für Italien tat sächlich besteht. Nur die Abneigung des greisen Franz Josef, in seinen letzten Lebensjahren noch einmal das Sckwert zu ziehen, schützt das König reich Italien einstweilen vor der Auseinander setzung mit Oesterreich-Ungarn, die rn der Habs burgermonarchie sehr populär werden könnte, iu Italien aber böse Ueberraschungen bringen würde. Wir baben Grund, die'e drohende Gefahr als die anzusehen, die den Großmächten Europas, denen w rklich an der Er haltung des Friedens ehrlich gelegen ist, die meisten Sorgen macht. Das militärische Italien ist völlig unfertig, muß Hals über Kopf nachholen, waS in den Jahren der Drei- bundgarantie veruachlMsigt ist, und wäre im Kriegslalle auf die Hilfe Frankreichs mehr angewiesen als vor Billa Franca. Viktor Emanuel baut anscheinend felsenfest auf diele und macht — siche Athen und Gaöta! — diplomatische Boistöße, die nicht einmal im Kreise feiner engsten Verwandten Ver ständnis finden. Mag uun die Nachricht von dem Bruch mit seinem montenegrinischen Schwager auch in der Presse über trieben fein, immerhin ist es ein verhängnisvoller Irrtum, wen» er glaubt, auf dem Balkan Verständnis für feine Pläne zu finden. Ja Athen hat man ihm natürlich Helle Begeisterung vorgemimt, weil — nun weil auch dort phan tastische Ideen statt verständiger Realpolitik daS Wetter vvu jeher gemacht baben. Aber so klein das Land der schwarzen Berge sein mag, man hat dort von jeher einen eigenen Draht nach Petersburg, und wenn Vittorio Emanuele via Montenegro gewarnt wirb, tut er gut, darauf zu achten. Aber er ist so iu seine Franzosenpolitik verrannt, daß er nicht einmal merkt, daß er mit seiner Abkehr vom Dreibund denen in die Hände arbeitet, die noch immer seine und des Königreichs Italien schlimmste Feinde sind, die nie mals aufhörea werden, den Besitz Roms als ein Sakrileg anzusehen, das auS der Welt geschafft werden muß, unv wenn darüber eine Savoyer Dynastie und ein Königreich. Italien in die Brüche gehen sollte! Diese geschworenen Feinde haben aber von leber in der Wiener Hofbura ein Standlager besessen, unv daß sie im Hause eines Franz Ferdinand d'Este besonders einflußreich sind, wird selbst die Naivetät italienischer Staatslünstler nicht leugnen. In den Reihen der Italiener, die sich den klaren Blick bewahren, hat darum auch eine tiefgehende Unruhe sich eingenistet, die nicht erst seit den Tagen des ver gangenen Herbstes datiert, wo nach Südtirol die großen Truppeufchübe und di« Versetzung der besten östcreichischen Offiziere stattfanden. Die neudeschlosseue Schaffung einer österreichischen Panzerdivision ist gleichfalls ein Zeichen dafür, daß man iu Wie» mit einer gründlichen Abweiluug der Adriagelüste Italiens und der nachgerade abgestandenen Albauieupolitck rechnet. Es kann al>o sehr balv der Tag anbrechen, an dem die Firma Tittoni Luocessoros gern unsere Hilfe in Anspruch nähme. Ob wir dann noch iu ver Lage sei» würden, dem österreichischen Wagen iu die Speichen zu greifen, bezweifeln wir. Alles das übersiebt man in Italien, man stellt sich, als könne man uns gegenüber den gnädigen Herrn Wohltäter spielen, und will es nicht wahr haben, daß wir unsere Beziehungen zu anderen Mäckten bedeutend bessern kounten, weun wir in dem gewissenlosen Egoismus, der inJtalien heute als höchste Weisheit gilt, dl« Rücksichten auf die italienischen Interessen ein fach fallen ließen. Der Kaiser und Fürst Bülow haben bisher — die Mensur depesche ist ohne Wirkung nachhaltiger Art gewesen — an Italien gehandelt, wie es — soll man sagen: leider? — deutsche Art ist. Die Reise des Herrn von Tscbirschky nach Rom ist sogar des Guten zu viel gewesen. Aber eS wäre nach aller Großtuerei unserer Herren Nachbarn im Süden und Westen beute angebracht, wenn nicht nur der Kriegs minister unzweideutige, ruhig-selbstbewußte Worte fände, die nach innen ausklärend und für manchen Heißsporn draußen wie ei» kalter Wasserstrahl gewirkt haben, sondern auch von der Stelle, die nach der Auffassung der Welt unsere Aus landspolitik macht, unzweideutig die kühle ablehnende Haltung gezeigt würde, die allein uns nützen kann. Die Franzoten fauchen bereits ob Einem« Red«, in Italien macht man er staunte Augen ob der Ministerrede, die so gar nicht nach Schamade klang, u»d in London wird »an diese Korrektur der überflüssigen Tribunedepesche Tschirschkys gleichfalls ver stände« haben. Das ist da« Präludium zum Haager Spekta- kulmn uud dringt drohend durch das süßliche monegassische Saitnrspiel. Wir sind die letzten, die nach der Kriegs- tuba rufe», aber unseren Weitermacher in Berlin müssen wir als ehrlichen Mensche» bitte», alles zu unterlassen, WaS nach Hascherri um besonder« gute Beziehungen zu Frankreuh schmeckt. Der Albert HvuoriuS-Zauber mag vergeffen sein. Er ist nur eine Episode gewesen, die nichts zu tu» hat mit de« Drama, defse» erztlirrenve Akteur« auf der Sze»e stehe». Wir dürfe« — mag «an in Frankreich noch so sehr über Takt losigkeit schreien — r»big daraus Hinweisen, daß die Deutschen ei« Volk von «0 Millione» sind, daS sich durch keine magischen Kreise baave» läßt, heiße auch der große Zauberer Eduard, u»b daß es sür jede» Gegner ei» gewagte« Stücklei» wäre, mit u»S eine» Ga»g zu tu«. Unsere Rüstsog ist heil und unser Schwert scharf und die letzten Jahre haben uns gelehrt, daß dec Deutsche — wie stet« — nur auf sich selbst baue» darf. U»d diese Erkenntnis ist »uS mehr al« eia Armeekorps wert. Aach uasere Feinde keu ue» unsere wirt liche Stärke und scheuen sie. Warum also vor der Welt noch immer da- Scharmieren mit Französlingen, das liebevolle Nachgeben in Italien, das wie mangelndes Selbstvertrauen anssieht? Mit Frankreich sind wir von jeher am besten gefahren, wenn wir zeigten, daß der Frankfurter Friede die einzige Plattform ist, auf der wir uns treffen können. Wozu also allerlei Diversionen, die in Paris falsche Vermutungen anfkommen lassen lönnen — von Italien gar nicht zu reden? Wenn wir im Hinblick auf Rapallo, Gaöta und vie GunSbourgiade den Preis für das nützlichste Wort vergeben sollten, wir würden ihn dem Kriegsm,nister von Einem reichen. Wie er im Parlament, fprickt hoff nilich Herr von Bieberstein im Haag und die zuständige Stelle in Berlin zu — Herrn Lecomte und Cam bon. Dann wird es ein für allemal mit dem Geschwätz zu Ende sein, das Albert HonoriuS machte, als er von der „waill pui°8unto ot lozcnls" sprach, die der Kaiser Frankreich entgegenstrccke. Frankreich und wir salutiere» eiuauoer, aber von Händeschütteln ist kerue Rede. ver fall Schilling uns sie Zlrattecbtrreform. Wiederholt ist in den letzten Wochen und Monaten in der Presse wie in den gesetzgebenden Körperschaften der Wunsch -um Ausdruck gebracht worden, daß di« nach dem Abschluss« des Bürgerlichen Gesetzbuches begonnenen Vorarbeiten zu einer Reform des Strafgesetzbuches in einem schnelleren Tempo zum Abschluß gebracht werden möchten, da unser heutiges Strafrecht den Forderungen der modernen Zeit nicht mehr entspricht und die beiden großen Gegensätze: zwischen Determinismus und Indeterminis mus, zwischen Vergeltungsstrafe und Schutz strafe lange nicht mehr in dem Maße vorhanden sind, wie bei Beginn der Vorarbeiten, die nun schon ein reichliches halbes Jahrzehnt in Anspruch genommen haben. In zwischen hat sich in unserem engeren Vaterland« ein Pro zeß abgespielt, der -deutlicher als alle Leitartikel und Par lamentsreden die Unzulänglichkeit unseres heutigen Straf verfahren?! beweist: der Falj Schilling, f>em Wonwe Monate vorver der Prozeß ! oen Rtörder Hofmann vorausgegangen war. In diesen beiden Verbrechern stan den zwei klastische Beispiele für die Theorien beider Schu len unter den Strafrechtslehrern vor den Gerichts schranken. Hofmann, der unter großem Ausivand vcn Umsicht und Klugheit sein Opfer in eine eigens zu diesem Zwecke gemietete Wohnung gelockt und es dort getötet hatte, — dem es gelungen war, seine Tat monatelang zu verheimlichen, der vor Gericht sich mit der Gewandtheit eines alten Advokaten bis aufs äußerste verteidigte, um nach dem Todesurteil mit einem frechen Scherzwort auf den Lippen den Saal zu verlosten — ein klassisches Beispiel für die von den Anhängern der alten Schule vertretene Theorie des Indeterminismus und der Ner- geltungs strafe. Schilling dagegen, der blind lings auf seine Opfer zustach, auch wenn er kein Geld mehr von ihnen erwarten konnte, bei besten Mordtaten er wiesenermaßen der Geschtechtstrieb «ine große Rolle spielte, der nicht einen Finger zu seiner Verteidigung regte, ober auch nichts von dem Chnismus des Gewohnheitsverbrechers an sich hatte, bildet in seinem ganzen Wesen einen mächtigen Beweis für die Theorie des Determinismus und der Schutz st rase, wie sie die moderne Schule verficht. Ten schlagendsten Beweis hierfür liererte der Vertreter der An klage selbst, Staatsanwalt Seyfert, indem er u. a. aus führte: „Allerdings muß man sich angesichts dieser Ver brechen unwillkürlich fragen, ob sie wirklich den Ausfluß der freien Selbstbestimmung eines Menschen bilden. Nach dem Gutachten des Oberarztes an der Strafanstalt Waldheim kann aber kein Zweifel darüber sein, daß man es nicht mit einem Unzurechnungsfähigen im Sinne des Gesetzes zu tun hat, sondern mit einem der vom Strafgesetz sür feine Handlungen verantwortlich gemacht werden muß, denn die heutige Rechtspflege kennt nur geistig Zurechnungs fähige und Unzurechnungsfähige. Eine Zwischenstufe gibt es heute noch nicht. .. . Falls die Geschworenen jedoch die Frage nach der Zurechnungsfähigkeit verneinten, würde ich genötigt sein, den Angeklagten wieder auf freien Fuß zu setzen, — ihn gewissermaßen wieder auf die Menschheit loszulasten." Danach blieb den Geschworenen tatsächlich nach dem heutigen Zustande unserer Rechtspflege nichts weiter übrig, als die Bejahung der Schuldfragen, aber wie schwer ihnen dieses an und für sich so einfache und unumgängliche Ver dikt geworden ist. geht daraus hervor, daß sie volle zwei Stunden dazu brauchten. Und die Geschworenen — ebenso wie die Mehrzahl der im Saale anwesenden Anwälte, Ge richtsberichterstatter usw. — waren fest davon überzeugt, daß der Verurteilung die Begnadigung folgen würde. Inzwischen ist Schilling von Rechts wegen gewaltsam vom Leben zum Tode befördert worden, so daß der Fall nur noch ein akademisches Interest« hat. Nur sollte man nicht vergessen, daß es sich zwar nur um einen kleinen Teil des Riesenwerkes der Strafrechtsreform handelt, aber gerade um d»e Kleinigkeit von Leben und Tod, und der grimmige Humor bei der Sache ist, daß sich gerade über diesen Punkt fast alle Rechtsgelehrte, mögen sie nun der klastischen oder der modernen Schule angehören, einig sind, denn erst vor kurzem sagte der berühmte Strafrechtslehrer Professor Kahl in einem öffentlichen Vortrag« über dieses Thema: „. . . In dem Strafrecht der Zukunft soll dem Geistes zsstand der Verbrecher besondere Aufmerksamkeit zuge- wondt werden. Während das Gesetz heute nur geistig Ge sunde und Geistesgestörte kennt, soll in Zukunft dem Richter die Möglichkeit gegeben werden, die geistig Minderwertigen, die nicht unter den Paragraphen der Unzurechnungsfähigkeit fallen, nut dem ihnen zukommen de» Maß M messe». ... Dem Richter soll auch bei Kapitalverbrechen die Wahl zwischen Todes- und Freiheits st rase gelassen werden." Hätte der Richter am 20. Januar diese Wahl gehabt, so wäre Schilling heute wohl noch am Leben. Daß dieses Leben für die bürgerliche Gesellschaft großen Wert hätte, wird zwar niemand behaupten wollen, — aber das steht auf einem ganz anderen Blatt. Am Tage nach der Hinrichtung wurde von der „Sachs. Arb.-Ztg." der Dries eines Dresdner Arztes veröffentlicht, in dem es hieß: Schon der Umstand, daß der Mensch nicht Revision angemeldet oder ein Gnadengesuch eingereicht Hal, müßte darauf Hinweisen, daß er geistig nicht normal ist. Kein geistig Normaler läßt sich io ohne weiteres den Kopf ab schlagen, ohne vorher alle Hebel in Bewegung gesetzt zu haben, daß der Prozeß revidiert, oder, wenn dies aus sichtslos ist, daß der Strafvollzug wenigstens um eine kurze Zeit hinausgeschoben wird. Und wenn dies alles vergebens war, wendet er sich noch an die Gnade. Nichts von alledem bei dem Verurteilten. Stumpfsinnig ergibt er sich in sein Schicksal. Deshalb erscheint es nötig darauf hinzuweisen, daß wir davon überzeugt sind, daß Schilling seine Schandtaten nicht bei vollem Bewußtsein, sondern in einem Zustand verminderter geistiger Zurech nungsfähigkeit ausgesührt hat. Gegen den Antrag des Staatsanwalts auf Todesstrafe und das Urteil des Ge richts ist nichts einzuwenden. Sie konnten gar nicht anders in Anbetracht des ärztlichen Gutachtens. Wie aber steht's mit diesem? Wir nehmen an, daß es ein einzelner Arzt abgegeben hat. Kann sich aber ein einzelner nicht irren? Wenn es sich um weniger wichtige Dinge als einen Kopf handelt, werden oft Gutachten über Gut achten und dann noch Obergutachten ein geholt. Und wie oft stehen sich diese nicht geradezu di rekt gegenüber? Und hier? Der Gesängnisarzt, der Schilling beobachtet hat, hat nichts Krankhaftes an ihm gefunden. Und damit basta! Daß Schilling Sadist ist, daran ist nach der ganzen Art seines Handelns nicht zu zweifeln. Diese psychische Abnormität ist ihm angeboren. Und dafür soll er nun seinen Kopf hergeben. . . . Ehe man dies täte, sollte man nicht ein weiteres Gutachten eines anerkannten Psyckwpathologen einholen? Die Ausführungen des Dresdner Arztes enthalten sicher viel Beherzigenswertes, sie kamen jedoch zu spät. Was aber gestern Schilling postierte, kann morgen e:nem passieren, oer sich heute noch des Vollbesitzes seiner geistigen Kräfte, der Achtung seiner Mitbürger erfreut. Nichts ist merkwürdiger als die Irrwege der Menschennatur. Des halb ist es unsere Pflicht, dabin zu wirken, daß der gegen wärtigen Unsicherheit ein Ende gemacht wird, daß die Ge schworenen nicht vor di« Eventualität gestellt werden, einen Mörder, der — wie ein Sachverständiger sich damals aus drückte, „an der Grenze der Unzureckinungsfähigkeit steht", auf die Menschheit loszulasten oder dem sicheren Tode zu überantworten, — dem Tode, der ibn erwartet, wenn nicht sein Verteidiger oder seine Angehörigen alle Hebel in Be wegung setzen, um durch die Gnade des Königs sein Leben zu retten, wie das im Falle Hofmanns geschah. Deutsches Keich. Leipzig, 30. April. * Ter Kaiser iu Llratzburg. Gestern vormittag nahm der Kaiser den Vorbeimarick der Garnison ab. Er trat in Generalsuniform mit dem Staitballer Fürsten zu Hohentohe- Langenburg und dem tvmmaiid>erenvcn General R ttcr Hentjch.l v. Gilgenhcimb in das Portal des Kaiserscklosses, wo die Truppen in Züge», iämklick zu Fuß, vordei'amen. Hieraus nabm der Kaiser militärische Meldungen entgegen. Das Fiübüück nabm er bei dem kommaudierenden General Rilier Hentschel v. GUgenheimb ein. * Bundesrat. In der gestrigen Sitzung deS DunveS- rateS wurve über die Wiedervorlegung deS Entwurfes eines Gesetzes über die Sicherung der Bauforderungen Beschluß gefaßt und dem Ausckußbericht über die Entwürfe eines Gesetzes über den Versicherungsvertrag, eines zugehörigen Einsnhrungsgesetzes und eines Gesetzes belr. Aenveiungen ver Vorschriften des Handelsgesetzbuches über die Seeversiche rung vie Zustimmung erteilt. * Ter Tcniorenkonvevt des Reichstages beschloß, auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung den Etat des Aus wärtigen Amtes zu fetzen, zu dessen Beratung der Reichs kanzler erscheine» wird. Das Pensionsgesetz soll, wenn mög lich, noch erledigt, der Gesetzentwurf über die Majestäts- beleidiaungen in die erste Lesung gebracht und der Reichstag vor Pfingsten bestimmt vertagt werden. — Wie verlautet, werden bei der heutigen Sitzung des Reichstages aus dem Hause selbst Bassermann, Vollmar, Fürst Hatzfeld, Liebermann von Sonnenberg daS Wort ergreifen. * Bon der Marine. Zu überzähligen Vizeadmiralen sind befördert worden die Kontreadmirale Zeye, Inipelteur des Torpedowetens, und v. Holtzendorff, mit der Führung des ersten Geschwaders der Hochsecflolre beauftragt unter Er nennung zum Cbes dieses Gefchwavers. tl>. Tie PetitiouSkommifsio» des Reichstags bat die Petiiiou der Ortskrankenkasse Straßburg i. E, daS Kranken- versicherungSgesetz vabln abzuändcrn, daß Betliebskranken- kasftn und ähnliche Kasseiieiurichlungen alö gefährliche Ver- sicherungsträger ausgeickaUet werden, zum unnvenen insoweit, taß durch sic eine Benachteiligung des KrankenkasfenwesenS wie der Versickerten nicht mehr stattfindet, dem Reichskanzler als Material überwiesen, desgleiclren eine Petition des Frauenbundes Nufringen-WilbelmSbaven wegen Gcwäbrung des Arbeitslohns für die auf Wochentage entfallenden landeö- gesetzlicke» Festtage an die iu Reichsbetrieben beschäftigten Arbeiter. * Minister p. Lindt und die Franziskaner. Das Ver kalken des Ministers v. Studt zur Frage der FranriSkaner- Niederlassungen in Oberschlesien, »ein Auftreten >n der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 26. April, wird vvu der „Schles. Ztg." überan« scharf kritisiert. Da« konservativ«
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