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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 18.06.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-06-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070618027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907061802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907061802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-06
- Tag1907-06-18
- Monat1907-06
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WpMcr TaMait Haudelszeitnng. Ämlsblatt des Rates und des Volizeiamtes der Ltadt LeiPzig. Anheiaen-PreiS fkr Inserate an- Leivzig u. Umgebung die kgespaltrue Petitzeile 25 Pf, finanzielle Au- zeigen 30 Ps„ Reklamen 75Ps^ von auswärts 30 Pf., Reklamen I M vom Ausland 50 Pi., finanz Äuzeigen 75 Pf. Reklamen 1.50 M. Inserate v.Bebördrn im amtlicheu Teil 40Ps. Beilagegebühr 5 M. p. Tausend erkl. Post gebühr. Geschäftsanzeigrn an bevorzugter Stell« im Preise erhöht. Rabatt nach Tarn Fesrerteilte Aufträge können nicht zurück gezogen werden. Für das Erscheinen au bepimmten Tagen und Plätzen wird leine Garantie übernommen. Anzeigen - Annahme: AugustuSPlatz 8. bei sämtlichen Filialen n. allen Aunouceu- Expeditiouen des In- und Auslandes. Haupt-Filiale Berlra: CarlDuncker.Herzgl.Bayr.Hofbnchhandlg., Lützowstrahe 10 (Tel. VI, 4603). Nr. 187. Dienstag 18. Ium 1907. 101. Jahrgang. Vas Neueste vom Tage. (Die nach Schluß der Redaktion eingegangenen Depeschen stehen auf der 3. Seite des HauptblatteSI Reue Unruhen in Teutsch-Lüdweft? lieber ein neues Aufflackern des Aufstandes in Deutsch- Süvwcstafrika liegt folgende Melduni vor: Simon Köpper Leute von GochaS töteten am 5. Juni bei Daberas den Farmer Duncun, wahrscheinlich aus Rache für seine den deutschen Truppen während des Krieges geleisteten Dienste. Die Mörder trieben Ochsen in die Kalahari und konnten nicht mehr eingeholt werden. Tas Seutsch-spauifche Handelsabkommen. Zuerst verlautete aus spanischer, dann auch aus deutscher Quelle, Laß das am 12. Februar 1899 getroffene Abkommen über die deutsch-spanischen Handelsbeziehungen, das infolge Kündigung von deutscher Seite am 30. Juni d. 2. außer Kraft treten sollte, bis auf weiteres verlängert worben ist. Mit anderen Worten — es ist uns bisher nicht gelungen, das bestehende Ablommen durch ein besseres zu ersetzen, aber wir geben die Hoffnung noch nicht auf, daß es gelingen wird. Das Haupthindernis soll gewesen sein, daß Deutschland in der Frage der Verzollung der spanischen Verschmttweise nicht weiter entgegenkommen wollte. Das wird es auch in Zuluust nicht können; sonst muß es Frankreich und Italien dietelben Zugeständnisse macken und damit Gefahr laufen, daß diese Länder mit ihren Weinen Deut'chlanb überschwem men und den deutschen Weinbauern unerträgliche Konkurrenz machen. Andererseits ist ein festes Handelsabkommen im Intereffe der deutschen Exportindustrie bringend wünschens wert uud io hat man sich entschlossen, weiter zu verhandeln und durch den Verzicht auf einen bestimmten Termin sich möglichst freie Hand hierzu zu verschaffen. TaS Urteil tm Liebeulehner Brandstifter-Prozetz Iu dem Siebenlchaer Brandstifter-Prozeß vor dem Schwur gericht in Freiberg wurde heute Nacht 2 Uhr das Urteil ge fallt. Baumeister Straube, Kaufmann Zetzsche uud Schlofsermeister Dadeu wurde« zu je 3 Jahre» 6 Monaten Zuchthaus, WirtschastSbefitzer Nendel zu 3 Jahren 6 Mo naten Gefängnis, Schuhmacher Sohr zu 1 Jahr 9 Mo naten Gefängnis, Schumacher Starke zu 1 Jahr 8 Monaten Gefängnis und Schuhmacher Franke zu 7 Monaten Ge fängnis verurteilt. Die übrigen fünf Angeklagten wurde» freigesprochen. Tic Winzer-Bewegung bat llumuebr ihr erstes Opfer gefordert: UnterstaatSsekretär Sarraut ist nicht mehr. Die Nachricht von seiner Demission hat im Süden gewaltige Aufregung hervorgerufen. Wahr ¬ scheinlich spielt der Herr Gambit uud will sich, zunächst für das Resiort - Ministerium, als Nachfolger feines bisherigen Chefs Clemenceau präirntieren. Er ist Deputierter in Narbonne und hat gestern an Clemenceau ein Schreiben gerichtet, in dem er diesem mitteilt, daß er von jeinem Amte zurücktritt, weil die Ereignisse, deren Schauplatz sein Wahlkreis gegenwärtig sei, ihm nicht erlaubten, seine Mitarbeit an der Regierung fortzusetzen, uud ihn der Mög lichkeit beraubten, die Sache derer, die ihn als ihren Adoptiv sohn angenommen hätten, im Schooße der Regierung zu verteidigen. Trotz der dringenden Vorstellungen Clemeu- ceaus verharrte Sarraut bei seiner Weigerung, sich mit den Maßnahme« des Ministerrates einverstanden zu erklären. Handelsminister Doumergue und der Unter staatssekretär im Kultusministerium Dujarvin - Beau- metz, die wie Sarraut Deputierte des Südens sind, behalten ihre Portefeuilles, weil nur wenige Bürgermeister ihrer Wahlkreise ibr Amt niederlegten, während im Wahl kreis Sarrauts alle demissionierten. — Auf der andern Seite hat natürlich der gestrige Kammerbeschluß vaS Wein bauland stark erbittert. DaS Komitee in Argelliers empfiehlt den Weinbauern, keinerlei Konzessionen zu machen. Den Zentralbehörden sind die Maßnahmen des Ministeriums gegen die Winzerbewegung sofort notifiziert worden. — Folgende Nachrichten beweisen die hochgradige Erregung der Bevölkerung: Eine Dynamitpatrone wurde auf dem Eisenbahngleis zwischen Beziöres und Narboune gesunden. Mau weiß nicht, ob ein Attentatsveriuch vorliegt. Die Be hörden stellten sofort eine Lokaluntersuchung an. — Die Bäcker vou Gap sind in den Ausstand getreten. Auf An ordnung des Bürgermeisters hat sofort im Rathaus eine Brotverteilung stattgefunden; weitere Maßnahmen zur Ver hütung von Brotmangel werden vorgesehen. Die wegen der Zwischenfälle beim 12. Infanterieregiment angestellte Unter suchung hat ergeben, daß einige Soldaten die Internationale gesungen und verschiedene Rufe auSgestoßen baden. Die Reservisten haben sich an den Zwischenfällen nicht beteiligt, sondern stets die größte Ruhe beobachtet. Ungefähr zehn Aufwiegler sind verhaftet. vowbeuwurf in einem Stscubahuwaggo«. Aus Kopenhagen wird uns mitgeteilt: Ein Unbekannter, der iu einem Schnellzug Platz genommen hatte, warf in eiuem Abteil, in welchem 6 Schweden saßen, eine Bombe. Sämtliche 6 Personen wurden verwundet, der Attentäter getötet. DaS Motiv znr Tat ist unbekannt. Nachrichten ans Rufzlan-. Bis jetzt ist angeblich alles ruhig geblieben. Gegenteilige Nachrichten liegen nicht vor. Infolge der andauernden Rude und da der von den Sozialdemokraten angetündigte General streik allem Anfcheine nach resultailos verlaufen wird, sind gestern die Garoerruppen wieder nach ihren Stationen in Zarskoje Selo zurückgekehrt. — Auch aus Riga wird Ruhe gemeldel. Es regnet natürlich Verhaftungen. — Bel den Mitglieder» der Moskauer radikalen Organisation wurden strenge Haussuchungen vorgenommen. Auch das Klublokal des Verbanves der russischen Leute wurde durchsucht. Zahlreiche Führer sind iu Haft genommen. — Die Postzei in Riga unternahm zahlreiche Haussuchungen bei Leuten, bei Venen man vermutete, daß sie io Beziehungen zu revolutionären Organisationen stehen uud verhaftete 25 Per sonen, vorwiegend Letten uud Juden, darunter deu Chef redakteur Berg der radikalen lettischen Zeitung „WestnotzS". — In Odessa wurden 350 Angehörige der Linken verhaftet. — In Petersburg wurden bereits 26 sozialistische Abge ¬ ordnete verhaftet, außerdem 6 Sozialrevolutiouäre iuS Ge fängnis gebracht. , . , ES herrscht im Augenblick Ruhe; aber es ist nur die Ruhe vor dem Sturme. Aus Petersburg wird gemeldet: Obwohl der gestrige Tag ruhig war, macht sich doch iu allen Kreisen eine nervöse Ueberreizlheit bemerkbar. Die Furcht vor Dombenexplosionen ist allgemein. In allen Partei quartieren der extremen Linken wurden Haussuchungen vor genommen, nur die Volkssozialisten wurden von Verhaftungen verschont. Die Masseuarreste dauern fort. Golowin reiste nach Moskau, die Abgeordneten begeben sich in ihre Provinzen. Die Kadetten berufen zum 23. Juni einen Kongreß nach Finland zusammen, um über die Haltung der Partei Maßnahmen zu treffen. — Die „Börseazeituag* veröffentlicht ein Interview mit Golowin, welcher erklärte, ihm sei die Auflistung der Duma völlig unerwartet ge- kommen; er habe sie erst für DienStag vorausgesehen. Golowin ist überzeugt, daß die dritte Duma nicht reaktionär werden kann. Sollte eS der Regierung gleickwohl gelingen, eine nichioppositionelle Duma zu erhalten, so würde ihr dies nichts helfen, da eine solche das Land nicht au« seiner jetzigen Lage befreien könne. Die Kadetten stehen auch ferner auf streng konstilulioneller Basis. — Aber die Kadetten sind w eder einmal aus der Reihe der maßgebenden Faktoren ausgefchaltet. Die entscheidenden Faktoren sind jetzt die Extremen: Revolutionäre und Reaktionäre. Letztere sind oben auf uud feiern, besonders in Odessa, den Staatsstreich mit Massen - Demoustratiooen und Dankgottesdiensten! Uud der Zar gibt ikneu feinen Segen: Er hat dem Ver band des russische» Voltes seinen Dank für^ seme loyale Haltung ausgesprochen. Er sandte dem Präsidenten des Verbandes des russischen Volke« Dubrowin folgendes Te>ea.an!w: Sprechen-Sff allen AbteilnugSpräsie-ntcu, sowie den Mitgliedern des Verbandes meinen Dank aus für den Ausdruck ihrer Ergebenheit uizp Bereitwilligkeit, dem Throne zu dienen zum Segen des Vaterlandes. Ich bin überzeugt, daß alle wahrhaften Sohu« Rußlands, die das Vaterland grenzenlos lieben, noch enger untereinander verknüpft werden, daß ihre Reihen sich immer mehr vergrößern, und daß sie mir helfen werden, die fried- licke Eineuerung Rußlands zu erreichen sowie die Vervoll kommnung des Wesens feines Volkes. Möge mir der Ver band eine zuverlässige Stütze sein und für alle in allem ein Beispiel geben in der Gejetzlichkeit und Ordnung — Die Pogromisten sollen also die friedliche Erneuerung Rußlands erreichen, die Pogromisten sind tue zuverlässige Stütze des Thrones! Die anderen aber arbeiten mit Mord und Raub! Fol gende Fälle werden berichtet: In einem nach Kielce fahrenden Perioaeuzug wurde Fürst Godrojie von Unbekannten überfallen uno seiner Barschaft von 80 000 Rubel beraubt. Bon den Dieben, die beim Einfahren in die Station aus dem Zuge spraugeu, fehlt jede Spur. Während gestern in JaroSlaw drei Gymnasiasten aus den Siadtwällen spazieren gingen, explodierte eine Bombe. Ein Gymnasiast wurde schwer, die beiden anderen wurden leichter verwundet. poMisGes. - Parteiweseu. Aus einer Bemerkung, die die ..National liberale Korrespondenz" zu dem Bericht über einen Vortrag des Reichstagsabgeorduelen Dr. Hugo Böttger im Steg- litzer Nationalliberalen Verein macht, ist zu entnehmen, daß 1908 ein preußischer nationalliberaler Ver- tretertag abgchalten werden soll, auf dem voraussichtlich auch die Frage der preußischen Wahlreform erörtert Werder wird. I) L. Eine Berliner Weltausstellung 1913 wird so ziem- lick von allen Seiten abgelehnt. Der Deutsche Handelstag hat an seine Mitglieder eine Umfrage gerichtet, ob eine solch« Veranstaltung im Interesse von Deutschlands Industrie uud Handel liege und ob in den Kreisen der einzelnen Handels- kammern aktive und opferwillige Beteiligung zu erwarten sei. 43 Handelskammern und 7 wirtschaftliche Vereine haben sich zu dieser Frage geäußert und von diesen Organisationen haben 43 die Hauptfrage rundweg vereint. Bejaht wurde nur aus Frankfurt a. O., Graudenz, Heidelberg und Reutlingen. Eine aktive und opferwillige Beteiligung konnte eigentlich von keiner Seite in Aussicht gestellt werden: nur Reut lingen nimmt eine „Beteiligung in mäßigem Umfange" an und Graudenz berichtet, daß die Mehrzahl der größeren dortigen Firmen ausstellen würde, bezweifelt aber, ob eine „opferwillige" Beteiligung zu erwarten sei. Ganz Rheinland. Westfalen und Mitteldeutschland verhält sich ablehnend. * Nltramoutane Aampfweise. Graf Hocnsbrocch bittet uns, folgenden Brief, den er am 11. d. M. eingeschrieben an die Redaktion der „Kölnischen Volkszeitung" gerichtet bat der aber bezeichnenderweise vou ihr nicht veröffentlicht worden ist, zu veröffentlichen: „In einem gegen muduu>. richteten Artikel: „Auch ein Vertreter der Wissenschaft vom 10. d. M. schreiben Sie: Ein Prachtstück Hoensbroechscher Wisseuschasl stellt das Sätzchen dar: „Madame dc Greville, mit ihrem im Jahre 1878 von der französischen Akademie preisgekrönten Roman „Dosia" (stehl auf dem Index)." Hier ist nämlich Feuilleton. 2LSSSSSSSSSSSSSSKSSSSSSSSSSSSSSS2SSSS 21a- —— —- ' - 2> 12 A Do sahst eine Sternschnuppe fallen; A Was hebst du scheu die Hand? m Sieh, kein Stern verschwand: A A Alle leuchten noch allen. D , 12 D Oehmel. H W >2 2> --- - - - 12 LLLlSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSktSSSSSSSSSSSSS Kerbst. lZllw 900jährigen Jahrestage der Stadtwerdung.s Von F. Meyer-Schönbrunn (Berlin). Boleslav Chobry vou Polen schloß 1005 mit den Deutschen Frieden. 1G17 schon brach er ihn und rückte gen Magde burg mit großer Heeresmacht; so kam er auch nach der Stadt joplckumj Zerbst, dessen Bewohner er mit sich sortschleppte, ww weiland Ncbukadnezar die Juden. — So meldet der Chronist. Zum erstenmal wird Zerbst hier mit dem Epi- tethon „Stadt (opickum)" belehnt. Es dürfte daher in Anbe tracht der zeitlich ziemlich raschen Aufeinanderfolge der alten Archiv-Manuskripte die Stabtwerdung des Deutschen- uno Wendendorfes Ciervisti, die Gründung der deutschen Stadt Zerbst, der Pionierin westlicher Kultur und Gesittung, im Spätfrühling dieses Jahres erfolgt sein. Sic wurde nach mannigfachem Wechsel der Herrschaft, der ihrer Entwicke lung nicht immer günstig war, aber ihr Wachstum, ihre kul turelle Energie nicht sehr schwächen konnte, im Jahre 1307 anhaltinisch. Albrecht I. wurde ihr Herr; doch bedeutete da mals die Fürstengewalt gar wenig der städtischen Selbstver waltung gegenüber. Die deutsche Stadt, die des Ostens so wohl als die des Westens, d. h. kurz die deutsche Kultur, hat unter republikanischer Gesellschaftsform ihre Funktionen vollzogen. Schöffengericht und Rat herrschten mit fast un umschränkter Gewalt: der fürstliche Beamte war nur ge duldet. Die vom Landesherrn auferlegten Akzisen, Steuern uud Zölle wurden selten ausgczahlt; seine Drohungen fruch teten gor wenig. Als die Husfitenaesahr Fürst und Städter zwang, sich für einige Zeit zu versöhnen, bauten die klugen und stolzen Zerbster mit und ohne des Anhalters Zustim mung die Mauern der Stadt, die festen Basteitürme und Wachthäuser, die noch heute erhalten sind und der Stadt jenen reizvollen, mittelalterlichen Aspekt verleihen, den nur wenige deutsche Städte, wie Rothenburg a. T. und Nürnberg, haben. Die Zerbster waren auf der Höhe ihrer Macht: kurzerhand ließen sie in dieser Zeit z. B. einen be klagten und verurteilten Bürger ihrer Stadt, der das Ge richt des Fürsten anrufen wollte, rädern. Gegen die über mächtigen und übermütigen reichen Städter schloffen jetzt ober die Fürsten ihre großen Kriegsbündniffe, denen aus die Dauer auch daS starke Zerbst nicht widerstehen konnte. Nach langem, hartnäckigem Kampfe beugte es sich der Gewalt. Zerbst war dann nach Wittenberg die erste deutsche Stadt, die der evangelischen Lehre ihre Pforten erschloß Am 18. Mai 1522 predigte Luther in der dortigen Augustiner- kirchc. Fürst Wolsaana trat zum Protestantismus über, und die Gemeinde der Nikolaitirchc wählte einen evange- litchen Prediger- DaS Schulwesen blühte auf, Handel und Verkehr nahmen zu, und Zerbst halte damals bereits 10 000 Einwohner. Der unglückselige Dreißigjährige Krieg aber brachte auch Zerbst sehr zuruck. Kaiserliche und Schweden, Freund und Feind brandschatzten abwechselnd die Stadt, doch nach dem Frieden erholte lich diese mit fast beispielloser Schnelligkeit, und im Zeitalter des Merkantilismus Ides ge schloffenen Handelsstaates), im 17. und 18. Jahrhundert, dürste sie ihre größte wirtschaftliche Bedeutung gehabt haben. Leider versäumte Zerbst im 19. Jahrhundert, im Jahr hundert des rasenden Verkehrs, den Anschluß an das große internationale Eisenbahnnetz: so mußte cs in der ökono- mischen Entwickelung stagnieren. Zerbst blieb mit seiner Zweigbahn nicht viel mehr als der Großmarkt für feine Bannmeilenfläche, blieb so eine echte, mittelalterliche Stadt, in deren weiterem Umkreis sich moderne Industrie- und Handelsstädte von ungeahnter Größe entwickeln konnten. Niemand wird behaupten, daß zivilisatorische und wirtschaft- liche Entwickelung unbedingt immer kulturelle Werte schafft. Für unsere anhaltinische Stadt war so diese umfreiwillige Abgeschlossenheit ein unvergleichliches Konservierungsmittel der Mittelalterlichkeit, d. h. deutscher Kultur. Man hat Zerbst darum das nordische Nürnberg genannt. Man muß hierbei jedoch berücksichtigen, daß Nürn berg selbst sich eben zu einer der wichtigsten Gewerbe zentralen unseres Vaterlandes entwickelt hat, während Zerbst ein armes Landstädtchen geblieben ist, man darf sogar sagen, wenn man das rasende Tempo moderner Entwickelung in Betracht zieht, ein solches geworden ist. Noch liegen in unserm Städtchen zwischen den Straßen Gärten und Felder, auf denen Gemüse gebaut wird: noch zieht gemächlich die lchmbraune Nuthe ihres verzweigten Weges, noch rinnen gemütlich die Gossen durch die Straßen und geben der Luft jenes leise, seine Kleinstadtparfüm. Noch rattern schwere Planenwaaen, mittelalterliche Reminiszenzen über das spitze Holperpflaster, daß die Scheiben klirren. Hier leben die Leute in Gemüt lichkeit und ruhiger Pedanterie; man braucht noch kein Adreßbuch, und wenn man mit dem Kantor durch die Straßen geht, so tut man wohl, den Hut in der Hand zu behalten. Das anhaltische Völkchen hier ist freundlich und zugänglich, ohne jedwede politische Leidenschaft lebt es regel recht dahin, vertraut seinem Rate und Fürsten. Genügsam und zufrieden verrichten die Leute ihr Tagewerk, essen gute, einheimische Wurst und trinken Bitterbier. Des Abends spazieren sie ans der Promenade. Diese ist ein Werk der neuen Zeit und zugleich ein schönes Denkmal des natur freudigen Sinnes der Gartnerstadt Zerbst. Mit feinem an geborenen Takte, nicht in roher Restaurierungssucht und Zerstörungswut, wie in so vielen anderen deutschen Städten, haben diese Anhaltiner die alte, herrliche Architektur erholten, sie mit ehrwürdiger Scheu behandelt. Bei notwendiger Aus- debnung und Umänderung der Stadt haben sie weislich dar- auf Bedacht genommen, daß der Eindruck der alten Bauwerke nicht leidet, sondern eher gehoben. in seiner Wirkung ge steigert würde. Man bat die Wälle größtenteils abgetragen, die tiefen Gräben zugeschüttet und die neugeschaffenc Flache mit schattigen Bäumen und blumigen Wiesen bepflanzt, während die architektonisch bock interessante Ringmauer, die so manchen bösen Sturm erlebt hat, ganz erhalten ge blieben ist. Die alten Tore sind fast alle stehen geblieben. Ein unsagbarer kunstgeschichtlicher Verlust wäre dieSchleifung der Mauer gewesen, es existieren deren noch gar wenige in dieser Vollständigkeit: ein Teil der Umgänge (für die Bogenschützen) mit den alten Schindeldächern ist ebenfalls erhalten. Tic Tore uud die Mouertiirme sind in ihrer energievollen Massivität, mit ihren kühnen Zinnen ein Srnnbild der Wehrhaftigkeit und des zähen Trotzes der mittelalterlichen Bürgerschaft. Diese errichtete dicht am Herrenschloß auch den Kiekinpoit (Guck in den Topj), um deu Fürsten in seiner Burgküche zu schauen, um seinen Speisezettel täglich kontrollieren zu können. Die beste Orientierung über die Stadt gewährt uns ein Blick aus der Vogelperspektive vom Turme der Nikolaikirchc aus. Große grüne Flecken liegen zwischen den Häuserzeilen. Duftende, hochstämmige Lindenalleen werfen ihren webenden bläulichen Schatten auf die festen Straßen und Plätze. Jenseits der laubwogenden Promenade grüßen langgestreckte Alleen und bläulichschimmernde Bauminjeln zu unserer Warte heraus. Im Schloßaarten blinkt das Silber der Teiche verstohlen durch das volle Gezweig. Draußen vor der Stadt im vollen Sonnenschein dehnen sich die vom Wind gewellten Getreidefelder und bellen, leuchtenden Wiesen. — Ucberall Sprossen und Reifen, Fruchtbarkeit und Fleiß! Steigen wir wieder in die Kleinstadtluft, bahnen wir uns dort mit Sciltänzergeschicklichkeit einen Weg über das Knüppelpflaster, so tun wir gut, oft zu ruhen und stille zu stehen, um all die versteckte uud intime Kunstschönheit zu berrachteu. — Von den älteren Gebäuden vor 1600 sind frei lich, wenn man von der großen Ringmauer usw. absieht, leider nur wenige erhalten. An der St. Bartholomäus- kirchc stammen einige Manerteile und ein Tor aus dem Jahre 1200. Auch andere Teile haben ein erhebliches Alter. Der Glockcntnrm steht seltsamerweise abseits, als Gebäude für sich. Seine Hartkantigkeit und seltsamen Fundamente lassen die Vermutung wach werden, daß es sich um einen Be- fcstigungstt'.rm der ältesten Ringmauer handeln könnte; Parallelbcispiele gibt es deren viele. — Tas Rathaus am Markt stammt aus dem 15. Jahrhundert. Aber auch hieran sind nur wenige Teile echt geblieben, vor allen, zwei prächtige Backsteingiebel: in spnmmetrisch aufgeteilten Feldern sieht man hier derb naturalistische Szenen aus der heiligen Le gende. Der Bau hat mannigfaltige Veränderungen erfahren und darunter (auch unter Feuersbrünsten) arg gelitten. Massig und repräsentativ wirkt das ganze Gebäude; es be herrscht souverän, seiner inneren Bedeutung gemäß, den Marktplatz. Die neu errichtete Fassade in etwas zu derber Renaissance ist — koreibile clietu — mit greller, weißer Oel- sarbe anaestricheu: durch diese unmottvierte Tüncharbeit wird die Geschlossenheit des Marktes aufs empfindlichste ge stört. Man muß sich schon hart gegen die Mauer stellen, um den Markt als geschloffen, blockartig, wie ibn die alten Baumeister sich ja auch dachten, zu sehen. Bis auf eine Fassade in moderner Maurergefellcn-Rcnaiffance ist wohl kaum etwas wesentlich verändert worden. Der steinerne Ro- lano, das Svmbol der autonomen, städtischen Gerichtsbarkeit, und die goldne Butterjunofrau, eine heidnisch-chriftliche Re miniszenz, die Stille umher, versetzen uns in die Zeit der alten Stadt, zaubern uns all die Geschehnisse vors Auge, die m den wohlgeordneten und gepflegten Archiven auf Per gament und Papier niedergeschricben sind. Sonst sind aber nur noch knappe Fragmente aus jener Zeit erhalten: Portale, Fensterrahmen usw. So befinde, sich eine besonders inter essante Pforte in wohlgegliedertcr Renaissance an dem sog. neuen Haust, der jetzigen Mittelschule. Leicht und fliegend, wst spielerisch wie^einc Vorahnung des Frührokoko, steigt die Architektur aus Säulen und Gesimsen: sicher und zierlich sind die Profile und Kapitale hcrausgcarbcitet. In einer der oberen Dvppekfüllungcu findet sich als Relief der Doppel- ad,er des heiligen römischen Reiches deutscher Nation. Reine Gotbik weist die im 15. Jahrhundert erbaute Nikvlai- kirche aiff. deren mächtige Silhouette weithin dos Stadtbild beherrscht Himmelan steigen die Pstiler und Gewölbrippeu. die zähe, titanenhafte Energie der Bauleute spricht aus jeder Rippe und jedem erreichieu Knaufe zu uns — wir fühlen aus als Zwerge in diesem Gigantenbau. Der zweiten Blütezeit, dem 17. und 18. Jahrhundert, ent stammt der andere Ärchiteklurkreis, der Ail-Zerbst feiuen Charakter verleiht. Als bedeutendstes Bauwert ist hier das herzogliche Schloß zu nennen, mit besten Bau 1681 begonnen wurde. Die gewaltige zweiflügelige Anlage überrascht, wenn man bedenkt, daß ein kleiner Territorialfurst diestn Bau er richtet hat. Aus dem 17. Jahrhundert stammt eine ganze Zaht gut erhaltener Bürgerhäuser. Konstruktives Fachwerk und prächtige Schnitzerei, die ganze herrliche harmonische Form zwingeu uns Heutigen, die wir in verlogenen Renaissancemietshäujern erzogen wurden, unsagbare Bewun derung ab. Im 17. und 18. Jahrhundert da gab es bei uns noch eine Baukultur. Eine architektonische Kammermusik scheint uns von diesen an sich so unscheinbaren, bescheidenen Bauten auszugehen, wenn in wohlbewußtem Rhythmus, in feinster Berechnung der Silhouetten vier oder fünf dieser Häuser znsammenlehnen. Man vergißt darüber sogar oft, was die Neuzeit Schlimmes getan. Leider ist ein Teil dieser Häuser restauriert worden, d. h. hier, Gott sei Dank, nur von außen mit Putz beworfen worden; er wird hoffentlich bald abgcklopst und so das Fachwerk ireigelegt werden. Es sind schlimmere, unsagbare Sünden wider den Geist der alten Architektur bei neuzeitlicher Restaurierung geschehen, so daß uns der Mißgriff der Zerbster Bürger gering er- scheint. Dieses Zerbst, unser kleines nordisches Nürnberg dürfen wir es ohne Euphemismus nach alledem nennen, ist leider zu wenig bekannt und gewürdigt. Liegt es dabei doch den Kulturzentren Berlin, Dresden, Leipzig so nabe, daß man es nicht als Utopie anseben könnte, wenn Zerbst für das neue, aufstrebende Kunstland des deutschen Nordens das werden möchte, was das bekannte romantische Maternestchen Rotbcnburg a. T. für Süddeutschland, d. b. für München, Frankfurt, Darmstadt. Karlsruhe und Stuttgart ist. — Möge die Feier der Anlaß sein, sich einmal die kleine an baltische Residenz anzusehen — indes wird der Kultur europäer wohl vorziehen, ste sich nach dem „Fest"- gewande im einfachen, ehrsamen Bürgerkleid anzuschaueu, vielleicht zur Herbstzeit, wenn die reisen, goldenen Früchte und das duftende Obst aus den Gärten aus den rüttelnden Bauerwaaen durch die grauen Tore und niedrigen Häuser zeilen auf den großen Markt gefabren werden. Dann kommen wir erst in die reckte, echte Stimmung, ein liebes, trautes Städtchen wie Zerbst zu genießen. * * Die ültefte erhaltene deutsche Lper. In seiner letzten muzckaliscken Vesper brachte der Dresdner Kreuzckor (Dir. Musikdirektor Otto Rickter) außer zwei Motette» Seb. Bachs eine Aria, Sinkonia und Chor aus S. Tb. Stadens „Geiillick Wald gedicht oder Freudensviel, genannt Seelewig, ans Italianisck« Ark aefetzet", zur Aufführung. ..Seelewig", bekanntlich die älteste er- baltene deutsche Oper 11614' ist von Robert Eitner in deu „Monats- besten kür Musikgeschichte" (Fahrq. Xllk, S. 53ff.l neu gedruckt. Der instrumentale Teil dieses musikgeschichtlich sehr interessanten Werkes schreibt folgende Orckrsterbeletznng vor: 3 Keiften, 3 FlStea, 3 Schalmeien nnd 1 großes Horn, während den „Grund" (Oon- tiouo) „eine Tbeorba durch »nv durchführet". * Ueber Huga W-lss letzte Jahre erzählt C. Krebs iw „Tag" u. a. folgendes: Es muß erschütternd für die Freunde qe- wesen sein, die gebeten waren Brnckstücke ans sein-m neuen Werk zu börcn. als der Künstler plötzlich nom Klavier aufstand und ihnen erklärte, er iri Direktor der Hofover q,worden. Mau brachte ihn nach seiner Wohnung, zwei Getreue wachten bei ihm, uud alt
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