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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 22.06.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-06-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070622028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907062202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907062202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-06
- Tag1907-06-22
- Monat1907-06
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BezuaS«PreiS filr Leipzig «nd Korortr durch unser» Träg« and Spediteure in- Hau- gebracht: Aus gabe (nur morgen») vierteljährlich 8 M., monatlich 1 M.: Ausgabe 8 (morgen» und abends) vierteliährlich 4 50 M., monatlich l.5O M. Durch die Poft bezogen (1 mol täglich) innerhalb Deutschlands und der deutschen Kolonien vierteljährlich 8 monatlich l M. ausschl. Poslbestellgeld, für Oesierreich-Ungaru vierteljährlich 5 L 45 b. Abonnement-Annahme: Augustu-platz 8, bet unseren Träger», Filialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern und Briefträgern. Die einzelne Nummer kostet 1V Pfz. Nedattton und Expedition: IohanniSgasse 8. Teleph. Nr. 14692, Nr. 14693^ Nr. 14694. Berliner Redaktions-Bureau: Berlin d^VV. 7. Prinz Louis Ferdinand- Straße 1. Telephon I, Nr. 9275. Abend-Ausgabe L. UtWigtiTligelllaü Handelszeitung. Ämtsvlatt des Nates «nd des VEzeiamtes der Ltadt Leipzig. AnHeiaen-PretS fitr Inserat« aus Leipzig u. Umgebung die 6gespaltene Petttzeile 25 Pf, finanzielle An zeigen 30 Pf, Reklamen 75Ps.; von auswärts 30 Pf, Reklamen 1 M-, vom Ausland 50 Pf, fiaanz Anzeigen 75 Pf, Reklamen 1.50 M. Juieratr ».Behörden im amtlichen Teil 40Ps. Beilagegebühr 5 M. p. Tausend exkl. Post, gebühr. ÄrfchästSanzeigen an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Toni. Festerteilte Aufträge können nicht zurück- gezogen werdeo. Für da» Erscheinen an depiminteu Tagen and Plätzen wird keine (Garantie übernommen. Anzeigen - Annahme: AuguttuSplaft 8, hei sämtlichen Filiale» ». allen Annoncen- Expeditionen des Jo- and Auslandes. Haupt-Filiale Berlin: CarlDuacke r, Herzgl-Bayr-Hofbuchho ndlg., Lützowstraße 10 (Tel. Vl, 4603). Nr. 171. Sonnabend 22. Juni 1907. 101. Jahrgang. Vas Neueste vom Lage. (Die nach Schluß der Redaktion eingegangenen Depeschen stehen auf der 3. Seite de» Hauptblatte»J Erneuerung des LpieivcrbotcS für Offiziere. Wie der „Information" aus militärischen Kreisen mit geteilt wird, ist man an maßgebender Stelle damit beschäftigt, ein neues Spielverbot für Offiziere zn erlassen, resp. das alte noch in Kraft seiende zu erneuern und eindringlichst die Offiziere zu ermahnen, sich nach diesem Befehle noch mehr, als es leider bisher der Fall war, zu richten. Wie verlautet, tollen recht empfindliche Strafen für eine Ueberlretung dieser Vorschrift festgesetzt sein und hauptsächlich in Strafver setzungen bestehen, iveun nicht noch schärfere Ahndung der Entlassung mit schlichtem Abschied vorgesehen ist. Man geht wohl in der Annahme nicht fehl, daß die Anregung hierzu in deu Aeußerungen, welche der Kaiser jüngst in Hannover den Offizieren des Reitinstitutes gegenüber getan bat, zu suchen sei. Bekanntlich ist ja die Gegnerschaft des Kaisers gegen das Spiel der Offiziere nicht jüngsten Datums, sondern bat sich schon in seiner Jugend, als er noch als Prinz von Preußen Regimeulskommändeur war, bemerkbar gemacht. Von »er Konferenz Der Vorschlag, den die amerikanische» Delegierten zur Drago-Doktrin einbriugen werden, besagt im wesentlichen, daß, ehe zur Eintreibung von Staatsschulden Gewalt an gewandt wird, die Anrufung schiedsgerichtlicher Entscheidung obligatorisch sein soll; der Vorschlag ist noch nicht ein gebracht, sonder» nur anzekündigt. Die amerikanischen Delegierten werden ferner im Laufe der Konferenz die Schaffung eines ständigen Gerichts für die SchiedSangelegeu- heiten sowie regelmäßige periodisch« Abhaltung von FriedenS- 'onserenzen Vorschlägen. Tie Tumaauflösmrg und ihre Folgen. Die massenhaften Haussuchungen und Verhaftungen der letzten Zeit haben der Regierung viel belastendes Material in die Hände gespielt. Die „Neue Züricher Zeitung" meldet: Unter den Schriftstücken, die bei der bei dem Sozialdemo kraten Obsol in Petersburg vorgenommenen Haussuchung gesunden sind, und die mit zur Auflösung der Duma führten, befinden sich Resolutionen einer revolutionären Versammlung, die am 11. Juni in Zürich abgehalten wurde, und die be schloß, die Auslieferung des Revolutionärs ÄilalschlSlY, welcher den Direktor der Weichselbahn, Iwanow, in Warschau ermordet halte, um jeden Preis zu verhindern. Kilatschisiy tollte bekanntlich nachts aus der Polizeikaserne in Zürich befreit werden. Die Resolution wurde in deutscher Sprache nach Petersburg gesandt, um dort übersetzt und au alle revolutionäre Komitees in Rußland versandt zu werden. Sie trägt die Registraturnummer 56018, was auf einen regen schriftlichen Verkehr schließen läßt. Beschlag nahmt wurde ferner ein Brief der sozialreooluiiouären Organisation in Genf, aus dem man erfährt, daß sich nach gelungenen Expropriationen die russischen Revolutionäre vorzugsweise nach der Schweiz begeben. In Milan ist das ganze lettische sozialdemokratische Komitee, welches am Londoner Kongreß beteiligt war, ver haftet. Dadurch gelangte die Regierung in den Besitz der I Resolutionen des Londoner Kongresses, welche unter anderem ! die Verstärkung des Terrors für ganz Rußland in Aussicht > stellten. — Während die Duma-Majorität diesmal von einem neuen Wiborger Manifest wegen deS früheren Fehl schlages abgesehen hat, find die Sozialisten gesondert mit einem solchen vor die Oeffentlichkeit getreten. Das Zentral komitee der sozialistischen und der revolutionären Arbeiter gruppen beschloß, ein gemeinsames Manifest an das Volk zu erlassen, in dem gegen die Auslösung der Duma protestiert und das Volk aufgefordert wird, feine eigene Volksouma wieder herzustellen, jowie auf der Expropriation deS Ge- samtbesitzes zugunsten der Besitzlosen zu beharren. Tie Lage in Ser Provence würde seit gestern erheblich gebessert erscheinen, wenn die Nachricht von der Unterwerfung der Meuterer sich bestätigte. Clemcnceau bat freilich in der Kammer verkündet, daß es dem in Böziers eingetroffenen General Baillouv gelungen sei, die Soldaten zu überreden, „wieder in ihr Korps ein zutreten". Auch wird aus Bvziers selbst gemeldet: Die Sol daten vom 17. Regiment gaben zweimal Salven in die Lust, dann zogen sie zur Kalerne. Die Mitglieder des Komitees der Weinbauern tprachen ibnen zu, bineinzugeben. Man teilte auch den Soldaten mit, daß Marcellin Albert ver haftet sei, und gab ibnen den Rat, mit dem General zu parlameniieren. Nachdem sie das Versprechen erhalten batten, baß sie nicht bestraft würden, begaben sich die Soldaten 'n die Kaserne. Da aber vieles Versprechen von Paris aus bestritten, mindestens von Clemcnceau nickt anerkannt werden wird, der es ab gelehnt bat, „mit Meuterern zu parlameniieren", da ferner AlbertS Verhaftung nicht staltgefuuden hat, so darf man vor der Hand die Kapitulation nicht entwaffneter Meuterer als unmaßgeblich betrachten. Bedenklich lautet auch die Nachricht aus Montpellier: Die Bewohner der um liegenden Dörfer traten zusammen und zerstörten den Eifen- bahndamm, um die Abfahrt des 142. Infanterie-Regimentes zu verhindern. General Baillouv bat um Ver stärkungen. In den umliegenden Städten finden zahlreiche Truppenabmärsche statt. — Also General Baillouv verläßt sich nicht allein auf seine Ueberredungsgabe. Wohin die „Truppenabmärsche" sich richten, ist auch nicht ge sagt: ob gegen' die Rebellen oder ins Rebellealager, hinein? Der Aufruhr wogt im ganzen Weiulande. Zwilchen Narbonne und Perpignan ist die telegraphische und tele phonische Verbindung unterbrochen; es heißt, viele Tele- grapbenstangen seien umgeworsen und der Verkehr auf der Landstraße durch die Drähte erickwert. Aus den Zentren deS Aufruhrs erhalten wir folgende Einzelnachrichtcn. Zunächst aus Narbonne: Gestern nachmittag wurden vier Opfer der Unruhen unter großer Beteiligung der städtischen Bevölkerung und benachbarten Ortschaften beerdigt. Alle Behörden waren vertreten. Zahlreiche Kränze wurden niedergelegt; einer davon, von Ferroul stammend, trug die Inschrift „Den Märtyrern". Unter Trauermärichen passierte der Leicheozug. Die Läden waren geschloffen, die Fahnen auf Halbmast gesetzt. Ohne Zwischenfall langte der Zug am Friedhöfe an. Es wurden neun Reden gehalten. Die Menge kehrte in vollkommener Ruhe heim. Auf der Untcrpräsektur gibt man die Zahl der während der jüngsten Ereignisse verwundeten Soldaten mit 62 an, darunter befinden sich 6 Offiziere und 9 Unteroffiziere. Die Zahl der in der Apotheke behandelten Zivilisten wird mit 21 angegeben, darunter sind 4 Schwerverletzte. Aus Montpellier: Einige Manifestanten sangen gestern abend auf dem Theaterplatz eine Hymne auf Marcellin Albert, dann pfiffen und johlten sie und ga^" Revolver schüsse ab. Einer von ihnen wurde durch Säbelhiebe eines Gendarmen leicht verletzt. Um 8str U'r zerschlugen die Manifestanten die Fensterscheiben deS städtiichen Polizei postens. Dragoner und Infanterie räumten den Platz. Die Menge ging dann lärmend auseinander. Um N'/, Uhr war die Ruhe wieder bergestellt. Zwei Personen sind verwundet, viele wurden verhaltet. — Der Bischof von Montpellier richtete einen offenen Brief an die Bevölkerung, in dem er seiner Trauer über die K'isiS Ausdruck gibt uuo eindringlich zur Beendigung der R.volle ermahnt. Die Regierung werde, wie er sagt, die Maßnahmen einslellen, die von ungerechtem Mißtrauen eingegebeu seien. Aus Perpignan: Lebhafte Erregung herrschte gestern abend. Nach der Präfektur führende Straß n wurden mili tärisch bewacht. Auf dem Ducke der Präfektur wurden Sol daten ausgestellt. Das Volk, ausgebrackt über ein derartiges Truppenausgebot, johlte und pfiff. Demonstranten veran- stalteten einen Umzug und drangen zum RatdauS vor, wo sie die Demission des Gemeinderats verlangten. Als diese nicht erfolgte, stürzten sich die Demonstranten auf daS Tor des Rathauses und suckten es zu stürmen. ES kam zu einem Handgemenge mit der Polizei, wobei l Demonstrant schwer verwundet wurde. Die Polizei vcrbaflele 10 Personen. Dl« Menge zog schließlich unter großem Lärm und den Rufen: „Nieder mit Clömenceau!" ab. Es wurden gestern die Enenbahnschienen teilweise aufgeriffeu, so daß der Bahnverkebr unterbrochen wurde. Aus N!mes: Nachts kam es hier zu schweren stößen zwischen Volk und Behörden; eS wurden wechselt, doch soll niemand verletzt worden sein. Aus Toulon: Zahlreiche Demonstranten durchzogen auch hier die Straßen unter den Rusen: „Nieder mir Clemenceau!" Doch sind ernstere Zwischenfälle gestern nicht vorgekommen. Recht bedenklich ist die Unzuverlässigkeit mancher Offiziere. Der Kommandant deS 61. Infanterie-Regiments in Narbonne, General Turcas, ist zur Disposition gestellt. Ein Oberst der Dragoner hat seine Entlassung eiogereicht und sich sofort zu den Rebellen begeben! politisches. Sachsen liberal! Je näher die Landtagswahlen heranrücken, desto schärfer kommt die Tatsache zum Ausdruck, daß der Wahlkampf diejes Mal nicht zwischen einzelnen Interessengruppen, nicht unter kleinlichen Gesichtspunkten ausgefochten wird, sondern daß sich wieder die beiden großen politischen Parteien in Sachsen gegenüberstchen: Konservative und Liberale. Wenn es auch lokalen Körperschaften oder beruflichen Organisationen selbst verständlich unbenommen bleibt, den einzelnen Kandidaten ihre Wünsche vorzutrayeu und von der Antwort darauf ihre Stellungnahme abhängig zu machen, so wird doch in gar vielen Fällen der Sieg nicht so sehr von den Versprechungen der Kandidaten in Einzelfragen, sondern vor allem von ihrer politischen Gesinnung abhängen, denn alle Anzeichen sprechen dafür, daß jetzt oder nie für das sächsische Volk der Augen blick gekommen ist, das Joch der reaktionären konservativen Majorität abzuschüttcln, das Jahre und Jahrzehnte auf dem Lande gelastet hat. In weiten Kreisen der Wählerschaft ist man auch schon zu dieser Erkenntnis gekommen, wie die Auf stellung der Kandidaten und der Verlauf der Wahlversamm lungen beweist. Einen geradezu klassischen Beweis für die Richtigkeit dieser Theorie bieten die Vorgänge im zweiten städtischen Landtagswahlkreise Tresden-Jobannstadt. Dieser Kreis ist seit mehr als drei Jahrzehnten im Besitz der Kon servativen gewesen, und da der letzte Vertreter, Herr Behrens, sich in seinen Anschauungen und in der Art, wie er diese Anschauungen betätigte, sehr den Nationalliberalen nähert, fand man es lange Zeit nicht für angebracht, ihn durch Aufstellung eines Gegenkandidaten zu bekämpfen. Diesmal jedoch, angesichts der wichtigen Aufgaben und schweren Ent scheidungen, die der kommende Landtag bringen muß, war es nicht möglich, dem Konservativen ein mindestens zweifelhaftes Mandat ohne Kampf zu überlassen, nur weil er in dieser oder jener Frage gelegentlich mit den Nationallibcraler. ge- gangen ist. Das wäre geradezu ein Verrat an den zahl- reichen Nationalliberalen im 2. städtischen Wahlkreise ge- worden. So wurde Herr Nechnungsrat Anders in diesem Kreise als Kandidat aufgestellt, der am Freitag in einer Rede über das Thema: „Sachsen liberal!" sein poli tisches Programm vor der Wählerschaft entwickelte. Anfangs fehlte es nicht an Stimmen, die den Sckritt als verfehlt bezeichneten, zumal unmittelbar darauf die Kon servativen und Reformer ein Wahlbündnis für Dresden schlossen, denn im 2. Wahlkreise trat der schon ausgestellte Reformer Claus plötzlich ohne alle Ursache zurück und die Reformer, Mittelständler usw. erklärten, für Behrens eintreten zu wollen, während dafür die Konser- vativen sich bemühen werden, im 3. städtischen Wahlkreise, den bisher Herr Dr. Vogel innehatte, dem von den Reformern aufgestellten Fabrikanten England zum Siege zu ver- Helsen. Somit erschien das Mandat des Herrn Dr. Vogel unnützerweise gefährdet — so wenigstens meinten dir Pessi misten. Der bisherige Verlauf des Wahlkampfes bat sie aber ins Unrecht gesetzt, denn die konservativen Wähler haben sich bisher sehr indifferent verhalten, nährend durch die Reihen der Nationalliberalen eine Begeisterung geht, die an die glanzvollen Tage des Reichstagswahlkampfes erinnert. In der oben bereits erwähnten, so zahlreich besuchter und von einer so gehobenen Stimmung beherrschten Versamm- lnng, wie sie der diesjährige Landtagswahlkampf in Dresden noch nicht gesehen hat, verlangte ein konservativer Redner in der Debatte zu wissen, warum gerade in diesem Kreise dem bisherigen Abgeordneten Behrens ein nationalliberaler Kan- didat gegcnübergrsiellt worden sei, und der Leiter der Ver sammlung, Rcichstagsabgeordneter Dr. Strcscmavn, gab ihm unter minutenlangem rcvschcnüen Bcssoll der An wesenden die Antwort auf diese Frage, die die Oeffentlichkeit lange schon beschäftigen: „Weil es sich in diesem Kampfe nicht um einzelne Fragen oder ein zelne Persönlichkeiten handelt, sondern darum, ob die konservative oder die liberale Weltanschauung den Sieg davontragen soll." Und in diesem Zeichen nur kann die nationalliberale Partei siegen, wenn sie als Trägerin des liberalen Gedankens jeden Kompromiß abwcist in diesem Augenblicke, in dem so viel auf dem Spiele steht, — auch wenn es sich um Männer handeli, die ihr einst persönlich nahe gestanden haben, — wenn sie als Schlachtruf das Losungswort wählt, das Rechnungsrat Anders für seine erste Kandidatenrede am Freitag gewählt hatte: Sachsen liberal! 6. Aus der Landtagswahlbcwegung im 20 städssjcycu Wahlkreis. Nachdem der liberale Kandidat, .Herr Stadt- rat und Fabrikbesitzer A. Bauer (Aue) schon in einer ver traulichen, stark besuchten Wählerversammlung sein Pro- lusammeu- Feuilleton. Grillparzer. Die Ungebildeten haben das Unglück, das Schwere nicht zu verstehen, die Gebildeten häufig das Leichte nicht, was ein noch viel größeres Unglück ist. A W lv w Der Ungebildete sieht überall nur einzelnes, der Halbgebildete die Regel, der Gebildete die Ausnahme. ^Neerfcrhrt. Von Hans Bethgc (Berlin). Meerfahrten sind die besten Erholungen, auf Mecrsahrten wird die Faulheit zum Prinzip (und was täte dem Körper und der Seele Wohler als Faulheit?), man rekelt sich auf bequemen Stühlen in der Sonne und atmet frische, salzige Lust, die so wundervoll frei ist von jenem hassenswertesten liebel des Landes: dem «Ltaub. Eisenbahnfähren ist immer schmutzig und rüttelt die Nerven entzwei. Meerfahren ist das Reinlichste, was cs gibt, und wird dem Körper zur Wohltat. Mecrfahren macht frei von den taufend Sorgen des Lebens, bräunt die Glieder und läßt das Auge die Farben und Rätsel der großen, gewaltigen Gebiete lieben, in denen nicht Menschen mit ihrem Haß und Hader wohnen, sondern die große Sonne und die Wolken und di« Sterne und der Wind und das Meer. Ich habe mancherlei Seefahrten gemacht, will aber hier nur von der kürzlich unternommenen letzten plaudern. Ich hatte die Absicht, Belgien zu bereisen, und da ich die lange Eisenbalmfahrt durch Westdeutschland vermeiden wollte, nahm ich einen Platz auf einem Dampfer der deutschen Ost- asrikalinic, der seine Reise von Hamburg aus antrat und in Antwerpen vor Anker zu gehen versprach. Es war ein schönes, großes Schiff und führte den aristokratischen Namen „Prinzessin". Die Abfahrt aus dem Hamburger Hafen hatte etwas Majestätisches. Mitten in die Abschiedsszenen zwi schen Braut und Bräutigam, Vater und Sohn, mitten in die Tränen solcher, die sich liebten und vielleicht nie Wieder sehen sollten, schmetterte ein lustiger Marsch, den die als Spiellntt« kostümierten Stewards bliesen. Alles, was die Reise aiche mitmochen wollte, mußte schnell von Bord hin weg. Ter große Landungssteg wurde durch die Dompckraft eines Kranes emporgezogen und beiseite gestellt. Langsam, von den üblichen zwei kleinen Begleitschiffen bugsiert, von denen das eine am Bug, das andere am Heck mit einem Tau befestigt ist, löste sich der Schiffskoloß rom Kai. Nr wurden Rosen an Bord geschleudert, von Weinenden, viel leicht von Verzweifelnden. Nicht alle erreichten das Schiff, manche fielen ins Wasser und schwammen dort einsam. Groß, sicher und ruhig trieb die „Prinzessin" in das Fahrwasser hinein. Die Stewards bliesen ihre gewaltsam-lustigen Klänge, Tücher wehten an Bord und am Lande, immerzu, immerzu, weiße Symbole inniger Wünsche und naher Be. ziehungen zwischen Mensch und Mensch. Die Szene, die in der ruhigen Stunde des sinkenden Nachmittags vor sich ging, hatte etwas an sich, daß cs einem den Rücken hcruntcrricseltc. Dann fuhr das Schiff schneller, und die Tücher mußten aufhörcn, ihre Grüße zu winken, da die Abführenden und Zurückbleibendcn sich nicht mehr sahen. Aufatmend kehrten sich die Passagiere dem Schiffe zu und damst der Zukunft. Die Vergangenheit auf der Erde lag nun hinter ihnen. Die Fahrt die Elbe hinab war kostbar. Erst das bunte Getriebe des Hafens, das Gekribbel der zablloscn kleinen Fahrzeuge und das stille Dahinrauschen der großen. Dos Gehämmer und Geklopf an den Schiffsrümpfeu, die in den Schwimmdocks ungeduldig ihrer neuen Ausfahrt entgegen harren. Das Gerassel der Kränkelten über den Schiffs bäuchen, die beladen oder entladen werden. Grüne, dicke Lokalfähren, vollgepfropft mit Hamburgern, trieben vorüber, man winkte uns mit Tüchern glückliche Fahrt. Ein leiser Dunst lag über dem ganzen Hafen; hier quirlte dicker, schwarzer, häßlicher Rauch empor, dort flutete weißer, wie. ein Ofcwcbe. Die Türme der Stadt ragten hoheitsvoll über das Ganze; schlanke, zum Teil schön oxydierte Türme, eine Ahnung gebend von der Größe und dem Reichium der Stadt, der sic gehören. Hamburg hat von der Elb: her eine be deutende Silhouette. Von hier aus, von einem Schiff, das elbabwärts fährt, dem Meere zu, muß man diese Stadt am meisten lieben. Nun liegt der Hafen im Dunst da hinten. Die Begleit schiffe, die uns durch das Gewimmel steuerten, haben uns verlassen. Das Steuer des Schiffes liegt in der Hand des Elblotsen. Die beiden Flußufcr, zwischen denen wir treiben, sind sehr verschieden. Links liegen Wiesen und flaches Land, dekoriert mit weidenden Kühen. Rechts sind schöne, grüne, hohe User, von den Landsitzen der Reichen ge krönt. Erst kommt Oevelgönne, ein Ausflugsort mit Gast wirtschaften am Ufer hin. Hier sitzen Liebespaare und an dere Leutchen; sie schwenken lebhaft ihre Tücher. Oben im Grünen erheben sich Villen, von Fahnen überffatbert. Villen in großen Parks, deren geschnittene Rasenflächen vornehm und sauber herunterleuchten. Die älteren dieser Landhäuser zeigen fast immer den würdigen Stil der englischen Gotik. Auch in den Villenteilen von Hamburg, besonders in Har vestehude, findet man die älteren, grauen Häuser in diesem Stil erbaut. Er hat etwas Exklusives, Stolzes nnd im günstigen Falle etwas Schloßartiges. Tann kommt Blankenese, aus kleinen Häusern luftig cmporgebaut, vom Süllberg gekrönt. Es war die Stunde vor Sonnenuntergang, als wir hier voruberfuhren. Alles, die Häuser und die Hohen, hatten einen rotgoldenen Glanz. Wie eine Verklärung lag es über der Landschaft. Täc trotzigen, dunkeln Jicktenhöhen, die man gleich hinter Blankenese passiert, haben etwas Nordisch-Heroisches. Große Konturen gegen einen kristallklaren Himmel. Auf dem linken Ufer sieht man in die Lühe, das slacbc Land der Kirschen, das für Hamburg eine ähnliche Bedeutung har wie Werder für Berlin. Unterdessen, während der Fahrt elbabwärts, harte ich mich auf dem Schiffe umgesehcn nnd meine Kajüte bezogen. Meine Kajüte ist behaglich, von peinlicher Sauberkeit, und zeigt einen soliden Komfort, so daß man sich sogleich wohl in ihr fühlt. Sie ist für zwei Personen eingerichtet, doch bewohne ich sic allein. Die Möbel sind mit Geschmack aus poliertem Polisanderholz gefertigt. Die räumlichen Verhältnisse sind musterhaft. Jedes Fleckchen ist in der passenden Weise ausgcnutzt. Alles ist gerade so notwendig, wie es ist. Nichts ist überflüssig, nichts wird entbehrt. Neben den beiden, sehr bequemen, übereinander gelegenen Betten enthäli die Kabine einen Schrank für Kleidungsstücke, dessen innere Türfüllung von einem großen Toilettenspiegel eingenommen wird. Die Waschtoiletten, die sozusagen aus der Wand herausgeklappt werden und über denen wieder ein Spiegel angebracht ist, sind von bequemer Konstruktion und zeigen eine Reihe verschließbarer Kästen für Wäsche, Flakons nsw. Der Tisch kann an die Wand geklappt werden. Er befindet sich vor dem gut gepolsterten Sofa, das einen roten Plüschbezug trägt und des Nackts im Notfall als Bett benutzt werden kann. Selbstverständlich wird die Kajüte elektrisch beleuchtet. Eine Badeeinrichtung ist in der Nähe, wenn auch nicht direkt mit der Kabine verbunden; dies ist nur bei den Luxuskabincn der Fall. Ich habe meine Sachen in dem Zimmerchen untergebracht und das „Ochsenauge" geöffnet, damit frische Luft eindringt. Ich schlage die Bettdecke zurück, befühle dos Bett und finde die Matratze elastisch und weich. Ich streiche einmal lieb kosend über das hübsche, glänzende Holz der Wandverkleidung und schreite ein paarmal in dem niedlichen Raume auf nud ab. Ich habe mich zur Hauptmahlzeit umgezogen, die um 7 Nhr eingenommen wird, und jetzt höre ich gerade, wie ein Steward oben das erste Diner-Signal auf einem Piston bläst. Ich begebe mich hinauf in den Speisesaal. Vorher werfe ich zur Orientierung einen Blick hinaus: wir sind bei Brunsbüttel, wo der Nordostseekanol beginnt. Eine Menge bunter Lichter zeigt rechts die Einfahrt an. Es dunkelt draußen. Bleiiy, schwer treibt das Wasser der Elbe vorüber. Di« Ufer sind jetzt ganz flach. Da» rechte Ufer ist ange- schwemmtcs Land, da» sich von Jahr z» Jahr vergrößert, — auf Kosten der linken, zu Hannover gehörenden Seite. Der Lauf der unteren Elbe rückt langsam mit jedem Jahr immer mehr nach Westen vor. Ich unterscheide die Knicks in der Dämmerung. Hier und da ruhig siebendes Vieh. Mitunter eine mystische Baumgruppe. Dann trelc ich in den Speisesaal ein. Er ist ganz mit weißem Marmor verkleidet und sirablt in elektrischem Licht. Die Leuchtkörpcr sind der Decke ein gegliedert. Zwischen den Fenstern ziehen sich weiße Marmor- säulchcn hin. Der Raum ist mit roten Teppichen anszelegt, hier und da sieht man an den Wänden ein paar diskrete, grüne Ornamente. Oben erscheint eine Balustrade, die den ausgesparten Mittelraum des Konversationszimmers nm- säumt. Dieses über dem Speisesaal gelegene Konversations zimmer ist in Grün gehalten und zeigt behagliche Klubsessel. Ein Flügel ist in ihm ausgestellt. Man findet bequeme Schreibtische. Wir setzen uns zwanglos an den geschmackvoll gedeckten Tisch und finden, daß wir lauter Herren sind, mit Ausnahme einer einzigen Dame. Wir sind nur vierzehn Personen, das Speisezimmer bietet Raum für siebzig. Einige der Passagiere gehen nach den Kanarischen Inseln, ich bin der einzige, der nach Antwerpen will, die meisten gehen in die Kolonien, nach Swakopviund, Lüderitzbuckr, oder in den Osten nach Dar cs Salam. Ein Gespräch ist bald im Gange. Die Anwesenheit der Dame sorgt dafür, daß. auch di: leb hafteren Temperamente sich im Zügel halten. Das Diner ist vortrefflich gewählt, die Bedienung dis kret und fein geschult. Mitunter sieht man durch die Fenster hinaus und erblickt die Lichter eines mystisch vorübertreiben- den Schiffes. Dieser Anblick hat etwas Märchenhaftes. Er gemahnt daran, daß man ja auf dem Wasser schwimmt. Sonst würde man es kaum merken. Man könnte meine.!, in dem geschmackvollen Speisesoal eines Hotels zu sitzen. Nach Tisch begibt man sich aus das Promenadendeck, um eine Zigarre zu rauchen. Es ist ganz dunkel geworden. Wo sind wir? Links tauchen Lichter auf, es sind die letzten des Festlandes: Cuxhaven. Und nun sind wir in See. Düster und glatt liegt sic da, der Mond wandert durch Wolken bin, hier und da blitzen Sterne. O du heimliches, geliebtes, o-dankcnvolieS Wandern aus nächtlichen Schiffen hin! Man schlägt den Mantel um sich und schreitet einsam aus und ab; man lehnt träumerisch an der Reeling und siebt zu den Sternen auf, und man lugt in die Ferne und zäblt die bunten, gleitenden Lichter: da ist ein grünes und da ein rotes. Man klettert vorn aus den Bug, über Taue fort und lauscht auf das große, gleichmäßige Raftschen des ausgerissenen Wassers. Man siebt das Lickt oben am Mastbaum schwanken und fühlt, daß man weit draußen schwimmt, anvertraut einer unsichtbaren, sorgsam leitenden Hand, einem immer hinaussväbenden Angenpaar. Jetzt hört man einen feinen Pfiff, der einem Matrosen gilt. Jetzt hört man ein Lachen oben in den Raaen, man sieht binau», und das Auge erkennt ein paar dunkle Leiber, die dort oben berumklettern. Jetzt dring«» fremdartig«
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