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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 25.06.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-06-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070625012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907062501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907062501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-06
- Tag1907-06-25
- Monat1907-06
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Umgebung die 6 gespaltene Petitzeile 25 Pf, finanzielle An zeige« 30 Pf^ ReNamrn 75Pf.; von au-wLrt» 30 Pf., Reklamen 1 Di.; vor» Au-land 50 Pf., finanz. Anzeigen 75 Pf, Reklamen 1.50 M. Juserate v.Behörden im amtlichen Teil 40Pf. Beilagrgebühr 5 M. p. Tausend exkl. Post gebühr. Geschäftsanzeigen an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Tarn. Festertrilte Aufträge können nicht zurück gezogen werden. Für da» Erscheinen an beiltmmten Tagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen - Annahme: AuguttuSplatz 8, bet sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Lxprdttionen des In- und Auslandes. Haupt-Filiale Berlin: CarlDuncker, Herzgl-Bayr.tzofbuchhandlg.. Lützowstraße 10 (Tel. Vl, 4M3. 101. Jahrqang. Var Wichtigste vom Lage. * In Weimar ward« gestern das Landesdenkmal für den verstorbenen Großherzog Karl Alexander -uthüllt. (S. Dtschs. R.) * Am Son ntag verhandelte eine ö sfeutliche Landes- ionfereuz der Bergarbeiter Sachsens über Wünsche zur Abänderung deS Berggesetzes. (S. Dtschs. R.) * Der Gesamtverband Evangelischer Arbeiter vereine Deutschlands wird den Grafen Posadowsky zum Ehrenmitglied erueunen. * 9m zweite» Rennen um die Coupe de France siegte wiederum die französische Jacht „Armen" vor der deutschen Jacht „Felca" mit 12 Minuten Borspruuz. * Die Erhebrwg deS türkischen Zollzuschlages (11 Proz. statt 8 Proz.) beginnt heute. * Gestern hielt die SeekriegSkommissiou des Friedenskongresses eine Sitzung ab. (S. d. bes. Art.) poraaomrtH. Eia Schmerz durchzieht die deutschen Lande: Graf Posa- dowSky ist geopfert worden! Und unr der deutschen Eigen art, der Schwerblütig!«», ist es zuzuschreibco, wenn dieser Schmerz sich nicht anders äußert, als in papierenen Klagen und wehmutsvolle« Zwiegesprächen. Die spöttische Erkennt nis dieses deutschen WeseoS gab den OpportunitätSpolitikern de» letzte» Anstoß, »m sich des Lästigen zn entledigen. Von ihre« Staadpuokte aus hatten sie Recht. Der Mann paßte nicht i» de» Kreis der Schönredner und Salon politiker. Nicht, daß er den höchsten Anforderungen der Aesthetik nicht entsprochen hätte. Der vor nehme Mann war als Staatsmann, als Denker, als Redner, als Mensch, sogar als Erscheinung ein Kultur träger vou feinster Durchbildung. Aber eS fehlte ihm das Spielerische, es fehlte ihm das Prahlerische, der Anstrich der Welt, i» der man sich langweilt. „Etwas Beschäftigung ist ganz nett", sagte der SimplizissimuS-Lcutnant, „sie darf uur nicht i» Arbeit ansarten". Bei Posadowsky artete jede Beschäftigung in Arbeit aus. Er konnte nicht anders, als ernsthaft an jede Frage herantreten. Wo andere nur daS Ziel und die Oberfläche sehen, da sah er zugleich auch die Schwierigkeiten. Das hinderte ihn naturgemäß, sich den immer für irgend etwas begeisterten, den Stürmern zuzugesellen. Es hat ihn aber nie an der ehrlichen Arbeit für seine hohen sozialen Ziele gehindert. Fest hat er die Arbeit angepackt, auch wenn es manchmal scheinen mochte, als lähme die Wucht des Er- kenutnisseS und der Bedenken die Tatkraft. Immerhin mochte ibn seine Tiefgründigkeit, seine aufrichtige Verachtung alles Dilettantentums und alles unehrlichen Scheinwesens zu einem häufig unbequemen Mitarbeiter machen. Aber eS hat sich doch ge zeigt, wie diese gut deutsche Ecktheit seines Wesens und Wollens auf die Dauer die Kritik aller ehrlich Mitstredenden ent waffnet bat, wie sie herausleuchtete aus der ganzen Umgebung als ein Vorbild der Mannhaftigkeit. Und die Erkenntnis dieser großen Ehrlichkeit und nie getrübten Sachlichkeit ist eS gewesen, die ihn dem deutschen Volke in allen sozial empfindenden Teilen wert gemacht hat, und die seinen Verlust jedem Einzelnen als persönlichen Schmerz und als Unbill empfinden läßt. Beauftragte Federn sind eifrig am Werke, um sein Bild dem deutschen Volke zu entfremden, und es dauert vielleicht nicht mehr lange, so wird dieser Mann als Nepotenzüchter hingestellt werden. Das ist so ziemlich die ärgste Fälschung, die man sich denken kann. Es war wirklich nicht vorteilhaft, zu den verdächtigen Posadowsky-Verehrern zu gehören, wenn man nicht die persönliche Befriedigung aus dem Verkehr mit dem bedeutenden Menschen als Lohn ansehen will. Der Mann gehörte gar nicht zu den Praktikern der Stimmungsmache, und seine Gunstbeweise bestanden ausschließlich, seiner ganzen durchgeistigten, leicht aSketenhaften Art entsprechend, in der Gewährung sachlicher Gespräche und vertrauensvoller Ein blicke in seine Arbeit. Es gibt, wie man zugeben wird, zug kräftigere Belohnungen jür Wohlverhalten, und deren An wendung bat sich noch immer als recht probat erwiesen. Es ist wahr, dem Grasen Posadowsky hat eS das Geschick versagt, in einem ragenden Gesetzeswerk sich ein Denkmal zu setzen. In Flickarbeit mußte er seine Kraft erschöpfen, vielfach angefeinvete und tatsächlich unzulängliche Gesetze mußt» er vertrete», und manche Arbeit wurde umsonst getan. Das Werk, au das er seine ganze Kraft setzte, und daS seinen Ruhm auch dem Gleichgültigsten verkündet hätte, die Zusammenfassung der BersichcrungSgesetze, muß er unvollendet zurücklassen — vielleicht der herbste Schmerz, der dem vollkraftigen Sechziger jetzt angetan wurde. Aber das Wirken dieses Staatssekretärs für Sozialpolitik ist nur zu verstehen und zu würdigen auS seinen Amtsbedingungen heraus. Zn erster Linie hat jeder Staatssekretär, vielleicht mit alleiniger Ausnahme des Vertreters des Auswärtigen Amts, Mandatar des Bundesrats zu sein. Und der Bundes rat ist numerisch fast zur Hälfte, praktisch noch weit mehr von Preußen abhängig. Und was mau in Preuße» zum Beispiel uuter KoalitiouSrecht versteht, das braucht hier wohl nicht erörtert zu werde». Also »ur i» gauz bestimmten Grenzen konnte Graf Posadowsky seine Absichten realisieren. Er mußte sich begnügen, daß alle seine Maß nahmen Fortschritte gegenüber de« Bestehenden darstellten, daß Schritt für Schritt, aber mit rwermüdlicher Zähigkeit, gegen die mächtigsten und gehässigsten Feindschaften, daS oziale Werk des Ausgleiches gefördert wurde. So hat man die Tätigkeit dieses ersten aller lebenden Sozialpolitiker zu verstehen, und dann wird man ihr die höchste Bewunderung nicht versagen können. Der Entwickelungsgang dieses Mauues ist wie der ganze Mensch eigenartig. Posadowsky übernahm das Reichs amt des Innern, nach der Episode im Reichsschatzamt, noch von den agrarischen Problemen erfüllt, die ihn als Landes hauptmann von Posen beschäftigt hatten. Und Zeit seines amtlichen Lebens hat er in der Landwirtschaft einen der wichtigsten Faktoren unseres wirtschaftliche» Lebens erblickt und sie in den verflossenen schwierigen Zeiten zu schützen gejucht. Manche meinen, in Ueberschäyung des Notwendigen. Indessen daS hat nicht im Geringsten vermocht, seinen Blick für die industrielle Entwickelung zu trüben. Er erfaßte mit ungebrochener Arbeitslust seine neue Aufgabe, wuckS mit allen Fasern in sie hinein, erkannte die Ratlosigkeit der konservativen Grundsätze diesen neuen sozialen Problemen gegenüber und wurde ein Typ, der in noch recht wenig Exemplaren vertreten ist. Er wurde ein Agrarliberaler. Ob diese Gattung eine Zukunft hat? Vielleicht stellt sie daS Realisier bare an der Bülowscheu PaarunzSidee dar, wenn auch nicht zuver- kennen ist, daß starke innere Spannungen indem Begriffvorhanden sind. Was heute noch als Dogma für die agrarischen StandeSoertreter gilt, müßte noch wesentlich umgesormt Werren, um sich mit aufrichtigem Liberalismus vertragen zu können. In Posadowsky jedoch war diese Verschmelzung zur Einheitlichkeit geklärt. Und eS sei hier wiederholt, was schon gestern über ihn gesagt wurde, daß an seinem von ihm selbst übrigens verkannten Liberalismus gar kein Zweifel sein kann. Er hatte den Glaube» an die Allmacht der Autorität glatt! abgestreist, war auch absolut kein Zyniker, der aus Zweckmäßig keitsgründe» an einer Farce Gefallen gesunden hätte. Und er trug eine große Liebe zu unseren arbeitenden Volksgenossen in seinem Herze» und eiu festes Vertrauen in ihre ethnche Gesundheit. DaS sind so wesentliche Merkmale liberaler Anschauung, daß man den Mann ruhig als Liberalen an sprechen kann, auch wenn er in keine unserer Parteischablonen hineinpassen sollrc Und gerade diese innerliche Abkehr von den konservativen Glaubenssätzen, von ihrem robusten Egoismus und ihrer Verständnislosigkeit für alle Erforder nisse der Zeit des allgemeinen Schulzwanges machte ihn zum Gegenstand des Hasses aller Reaktionäre. Ingrimmig sehen die Oldenburg, die G-rmp und die anderen Ritter in ihm ihren schärfsten Widersacher. Sie alle atmen aus und hoffen auf einen Nachfolger, der unter Wahrung des Scheines der Sozialfreundlichkeit ihre Geschäfte besorgt. Herr v. Bethmann-Hollweg mag sich in acht nehmen. Um noch kurz auf die höchst seltsame Geschichte seines erzwungenen Rücktritts einzugehcn, sei hier auf ein Faktum aufmerkiam gemacht, das bisher kaum beachtet worben ist. Man erwartete von dem Fürsten Bülow, daß er in Kiel mit den Führern jener Gegenpartei abrechnen würde, die ihn in ebenso geschickten wie perfiren Zeitungsartikeln zu diskr^si- lieren gesucht hatten. Es konnte» nur Ultrakonservative sein, die jene „Lokal-Anzeiger"-Noti;rn lancierten. In dies Wespen nest zu greisen, hat sich der preußische Ministerpräsident aber wohlweislich gehütet. Der schönen Paaruugsidee wurde dadurch Rechnung getragen, daß Herr v. Studt durch einen andere» Konservativen und Graf Posadowsky durch den schöngeistigen Konservativen v. Bethmann ersetzt wurde. Die Paarung beschränkt sich also nach wie vor darauf, daß die Konservativen regieren und die Liberalen den Regierenden applaudieren dürfen. Zum Negieren selbst werden sie nicht für reif und würcig befun den. Zur Versöhnung ihres gerechten Zornes aber wird ihnen zuliebe, ausschließlich ihnen, Posadowsly geopfert. Man müßte sehr bitter Werve», um die Stimmung im deutschen Volke, mit Einschluß der gesamten, auch der sozial demokratischen und der ultramontanen Arbeiterbevölkerung, in den Kreisen der Intellektuellen, der Sozialpolitiker und mit alleiniger Ausnahme ver Feudalpolitiker und Scharf macher treffend zu schildern. Wohin man hört: Trauer und Zorn. Möge dem trefflichen Manne dies wahrhaft ergreifende Schauspiel ver Dankbarkeit eines ganzen Volkes die Scheibestunve erleichtern und ihn stärken zu neuer frucht barer Arbeit. Umeriiranftcke Fsrriiptivnzzvimchafl. Amerika hat wieder einmal einen seiner bekannten Be stechungsprozesse; Bürgermeister . Schmitz von San Francisco ist nicht nur wegen Bestechung angeklagt, sondern auch in einem Falle bereits verurteilt. Dies ist die erste Verurtei lung in dem Antikorruptions - Feldzuge, der ge^en ihn und seine beutegierigen Genoffen nach unendlichen Schwierigkei ten eröffnet ist. Bürgermeister Schmiß, ein deutscher Musiker und frühe rer Präsident der Musikergewerkschaft, wurde hauptsächlich auf Betreiben des Rechtsanwalts Abraham Ruef vor mehre ren Jahren als Kandidat der Arbeiter in dem Wahlfeld zug aufgestellt, den die Gewerkschaften gegen die Korruption in den städtischen Verwaltungen Friscos eröffneten. Er wurde dank der Unterstützung der Arbei.erschaft, des Votums der Deutschen und einer großen Anzahl unab hängiger Wöhler, denen die allzeit in der skäotilchen Ver waltung blühende Korruption denn doch «chließlich zu weit ging, als Bürgermeister gewählt. Aber anstatt den Augias stall zu reinigen, hat Schmitz, zweifellos unter dem Einflüße Ruefs, ärger gewirtschaftet, als seine Vorgänger; es be gann ein Tanz der Millionen, wie er bisher noch nicht be obachtet worden war. Ungeheure Bestechungssnmmen ver schafften den Besitzern vou Freudenhäusern und Spiellokalen alle möglichen und unmögliche» Freiheiten. Straßenbahn-, Licht- und Wasserversorgungs-Gesellschaften bekamen gegen klingende Münze jede Vollmacht, tie sie wünschten, kleine Ge schäfte mußten ebensogut bluten, wie die großen Unter nehmungen. Als nun das Erdbeben einen großer Teil der Stadt in Trümmer legte, und neues Leben aus den Ruinen zu schaffen war, begann erst die eigentliche Ernte. Die neuen Konzessionen in der neu aufzubauenden Stadt wurden gegen Spenden von vielen Millionen gegeben. So zahlte allein die Telephongesellschaft für das Recht, ihre Kabel in den neuen Straßenzügen zu legen, die Kleinigkeit von 315000 Mark an Ruef. Erst auf Veranlassung des Deutsch-Ameri- kaners Rudolf Spreckels, des Sohnes des Zuckerkönigs, der Material gegen Ruef, Schmitz und die gesamten Mitglieder der Stadtverwaltung sammelte und 100 000 Mark dem Staatsanwalt zu Recherchen zur Verfügung stellte, ist schließlich die Anklage gegen Schmitz, Ruef und Genoffen er hoben. Wenn man bedenkt, welche ungeheuren Anstrengungen gemacht sind, um Schmitz der Aburteilung zu entziehen, so kenn man in diesem Falle einmal ganz besonders der ameri kanischen Justiz dazu Glück wünschen, daß si; fest geblieben ist und energisch in das Wespennest gestochen hat. Man könnte schließlich über den „Skandal Schmitz" hin- weggehen, wenn er vereinzelt wäre. Aber das ist nicht der Fall. In vielen Kommunalverwaltungen Amerikas ist die Korruption gleichsam in Permanenz erklärt. Die eine Partei löst darin die andere ab, und New Pork, die größte Stadt des Landes, kann sich mit ihrer Kolleg:« am Süllen Ozean in den zweifelhaften Ruhm teilen, durch die „Männer der Halle" das Bestechungswesen in die Form fester Organi sationen gegossen zu haben. Wie die Union im Zeichen des Imperialismus, so steht sie auch im Zeichen des „lxxxUo" l'oas Wort bezeichnet auf unehrliche Weise in Aemtern er worbenes Gelds. Boodleprozesse sind daher im Norden und Süden, im Osten und Westen der Union etwas ganz Ge wöhnliches. Sagte doch vor einiger Zeit sogar der Bürger- . meister von Chicago, Harrison, über die Spitzbübereien seiner Beamten: „Dieses Haus (Rathaus) ist voll von Spitzbuben, großen und kleinen. Man weiß es, aber man kann es nicht beweisen." Als in Chicago ein Schriftsteller Material für eine große Zeitschrift sammelte, führte ihn sein Weg auch zu jenen Kreisen, die die eigentlichen Urheber der Korruption sind. Er sagt darüber: „Ich brachte einen ganzen Vormittag damit zu, Bankpräsidcnten. große Geschäftsleute und Finanziers, die an bedeutenden öffentlichen Verkehrsunter- nehmungen interessiert sind, zu besuchen. Obwohl ich schon anderswo sie Beweise dafür erhalten hatte, das: diese Leute die Hauptquellc der Korruption sind, war ich doch auf die Sensation dieses Tages nicht vorbereitet. Diese finanziellen Führer von Chicago waren einfach wütend. Mit einer ein zigen Ausnahme waren sic so aufgebracht, daß sie sich nicht einmal anständig benehmen konnten. Sie wurden rot im Gesicht und schimpften auf die Reform. Sie sagten, dies« schade dem Geschäft; sie schade der Stadt. Anarchismus und Sozialismus nannten sie die Reform." St. Louis in Missouri dürfte heute neben dem fast ganz deutschen Milwaukoe korruptionsfrei sein, nachdem der energische Distriktsanwalt Volk durch sein schneidiges Vor gehen gegen die Boodlcrs vor einigen Jahren in ganz Ame rika sich Berühmtheit verschaffen konnte. Wie die Beamten der Kommunalverwaltungen, machen es auch die der Staatsverwaltung. Allen voran marschiert auf dem Gebiete der Korruption die Post. In Amerika jagt ein Postskandal den andern. Unter den dunklen Ehrenmännern der Postvcrwaltung verstehen es einige in geradezu über raschender Weise, sich auf Kosten des Staates zu bereichern. Tie Lieferanten müssen nicht nur für wirklich gelieferte Gegenstände hohe Provisionen an die Beamien zahlen, son dern brandschatzen direkt im Einvernehmen mit diesen Be amten die Verwaltung, indem sic über nicht gelieferte Gegen stände hohe Rechnungen einreichen, deren Betrag sie sich mit icncn teilen. Natürlich wird dieser Schwindel im Großen betrieben, und so ist cs begreiflich, daß in einem einzigen Fiskaljahre der „Superintendent" der Ntensilienabteüung allein für 10 000 Dollars mehr Tinte und zu viel höheren Preisen verbrauchte als sein etwas ehrlicherer Vorgänger. Sehr verbreitet ist im amerikanischen Postwescn der „Trick", in den Gebaltslisten Bureaugehilfen zu führen, die niemals nach dem Bureau kommen, sondern ihren bürgerlichen Be- ruf nach wie vor betreiben. Diese Beamten erfahren sogar, natürlich gegen einen Händedruck, bei dem eine genügende Anzahl von Goldstücken kleben bleibt, eine Beförderung in ihrer Stellung und selbstverständlich auch in ihrem Gehalte. Es würde zu weit führen, in diesen postalischen Sumpf tiefer hineinzuleuchtcn und noch andere Einzelheiten der Korruv- tivnsseuchc im Postwescn aufzuzählen. Von den Staats beamten gehen wir über zu den Politikern und Gesetzgebern. Ein Muster eines solchen Gesetzgebers war der frühere Brooklyner demokratische Kongreß-Repräsentant. Keiner wußte mit größerer Entrüstung im Kongreß die fulminan- testen Reden gegen die amtliche Verschwendung zu halten, und keiner von seinen aufmerksamen Zuhörern hatte eine Ahnung davon, daß dieser Ehrenmann im selben Augenblick die Negierung betrog, indem er gopen hohe Summen aus dem Geldspind einer New Uorker Firma deren automatischen Kassierer zu unverschämt hoben Preisen den verschiedenen Regierungsdepartcments aufschwatzte. Man weiß ferner, daß eine große Anzahl Senatoren aus dem Westen sich an dem Landschwindel beteiligen, Rcgierungsland widerrechtlich verkauften und sich durch hohe Summen bestechen ließen, als es galt, die Niagara-Bill, durch die die Niagarafälle als elektrische Kraftstationen in Anspruch genommen werden sollten, durchzubringen. Die Vorlage führte direkt den Namen „Niagara-Gauner-Bill" und der einzige Mann im Senate, der sie angriff, der Senator Marks, nannte sie „die großartigste Räuberei, die jemals von der Legislatur zum Vorteil einer Gesellschaft durchgeführt wurde." Muster von Gesetzgebern sind auch die Abgeordneten der gesetzgebenden Körperschaft des Staates Kalifornien. Nicht nur, daß sie versucht haben, vor einigen Wochen durch Aende- rung der Strafgesetze die Freisprechung der oben genannten Millionendiebe herbeizuführcn, haben sie sich selbst zunächst eine ordentliche Tageseinnahme gesichert. Ihre erste Vor- läge galt der Bewilligung von 25 Dollars täglich für jedes Mitglied des Senates und 16 Dollars für jedes Mitglied deS Unterhauses. Diese Zuwendungen, die sich für d.e 60 Tage dauernde Session auf 160 000 Dollars belaufen, werden der Staatskasse unter dem Vorwande entnommen, daß sie zur Bezahlung der Angestellten der Abgeordneten diene. Die 120 Abgeordneten haben 560 Angestellte, und da es bei dem besten Willen unmöglich ist, diese Heerschar der Bcuie- hungrigen im Legislaturgebäude unterzubringen, so finden sich die meisten nur alle zehn Tage ein, um sich das ihnen ikstimmte Geld zu holen. Nicht genug damit, bewilligten >ie Mitglieder der Ausschüsse auch noch 10 Cents j45 Pig., ür jede Meile, die sie auf Reisen zu Besichtigungen dc" Staatsanstalten zurücklegen. Natürlich brauchen sie von siesenr Gelde für sich keinen Pfennig zu verwenden, denn sie jaben nicht nur allenthalben, wo sie eintreffen, freie Ver pflegung, sondern auch für sämtliche Bahnlinien ein Frei billett. Neberhaupt bilden diese Freikarten und andere Vorteile, die die Kongreß- und Legislaturmitglieder von den Eisenbahngesellschaften erhalten, einen sehr wunden Punkt im wirtschaftlichen Leben Amerikas. Die kalifornische Legis latur z. B. ist direkt der Southern Pacificbahn, der mäch tigsten Korporation des Staates, mit Haut und Haaren, Leib und Seele verschrieben. Sre stellt dir ihr genehmen Kandidaten auf, die natürlich ihre Interessen vertreten. Was sie Southern Pacificbahn durch ihren Vizepräsidenten den Abgeordneten befiehlt, das geschieht. Der leidtragende Teil sind natürlich die Steuerzahler, und so ist eS nicht verwun derlich, daß in Kalifornien die Tarife für Personen- und Güterverkehr die höchsten sind, ö»e es in den Vereinigten Staaten gibt. Vie I. cagttvg Oer Vationalvereinr. Die erste Tagung des Nationalvereins hat unter un gemein starker Beteiligung in Heidelberg stattgefunden. Ueber die Ansprache des Professors Dr. Günther im Ausschuß haben wir schon berichtet. In der sich an diese Ausschuß sitzung anschließenden Mitgliederversammlung ge langte folgende Erklärung zu einstimmiger Annahme: „Die Mitgliederversammlung des Nationalvereins stellt mit Bedauern fest, daß eine nicht für die Oeffentlichkeit bestimmte Aeußerung des Generalsekretärs in der Presse so ausgelegt worden ist, als ob der Nationalverein eine einseitige Richtung einzuschlagen gedächte. Die Versamm lung hat sich überzeugt, daß mit der erwähnten Aeußerung keineswegs eine Herabsetzung einer bestimmten liberalen Partei beabsichtigt war und bittet die Freunde der libe ralen Einigung der mißverständlich aufgesaßten Angelegen heit keine weitere Beachtung zu schenken. Der National verein kennt kein anderes Ziel, als die Einigung des Ge- samtliberalismus und wird alles vermeiden, was irgend eine der bestehenden liberalen Parteien verletzen könnte." Generalsekretär Dr. Ohr sTübingen) sucht alsdann die Bedenken zu zerstreuen, die gegen die Neugründung des Nationalvereins von liberaler «Leite erhoben worden seien. Vor allem werde Wert darauf gelegt, die rege Verbindung zwischen den einzelnen Berufsständen und dem Liberalismus zu pflegen. Viele politisch Interessierte, die aus irgend welchen Gründen sich keiner Fraktion anschließen wollen, aber doch sich zum Liberalismus bekennen, würden sich dem Nationalverein anschließen. Der Nationalverein solle ge- wissermaßen eine Volksakademie für politische Bildung werden. Er solle den politisch-tätigen Liberalen die erforderlichen Kenntnisse vermitteln, die für politische Kämpfe unerläßlich seien. Es empfehle sich, die Führer der politsicb-liberalen Arbeiterorganisationen in den rein poli tischen Vereinen sprechen zu lassen und umgekehrt. Die programmatische Rede hielt Professor Dr. Gothein (Heidelberg). Er zog in scharfen Ausführungen die Grenzlinien gegenüber den ver schiedenen Parteien. Zunächst setzte er sich mit den Kon servativen auseinander. Den Block hielt er nur für eine vorübergehende Erscheinung. Die Liberalen müßten von den Konservativen lernen, wie man sich Einfluß verschafft und wie man äußere Machtmittel entfalte. Durch die kon servativ-liberale Paarung hätten die Liberalen die Wehrkraft und die Hochhaltung der Macht des Reiches kennen gelernt. Für diese nationalen Bewilligungen sei keine besondere Be- lohnung notwendig, wohl aber für das Entgegenkommen der Liberalen gegenüber der Politik des Reichskanzlers. Der große Block könne für das Reich Geltung haben, in den Einzclstaatcn lägen die Verhältnisse anders. Der Redner wandte sich dann in den schärfsten Worten gegen die Abarten des Konservativismus. Er sprach von einem demagogischen Agrariertum, das seine eigensüchtigen Zwecke verfolge, und ferner wandte er sich gegen die Antisemiten, die jeder an- ständige konservative Mann von sich abschütteln müsse. Denn bcr Antisemitismus sei keine politische, sondern eine perverse Richtung, mit der man keinen Händedruck tauschen dürfe Der Kampf gegen das Zentrum sei für die Liberalen von großer Notwendigkeit. Dieser Kampf solle aber nicht etwa ein Kulturkampf gegen den Katholizismus sein. Es müsse nur die konfessionelle politische Partei bekämpft werden, die im wirtschaftlichen und politischer Leben ein Unding sei, und die jede gesimde Entwickelung labmlege. Diese Eiterbeule, um mit Dernburg zu sprechen, müsse aufgestocbcn werden. Der Sozialdemokratie macke der neue Verein zum Vorwurf, daß sie die Betätigung des einzelnen verhindere und nur das Parteidogma herrschen lassen wolle. Infolge- dessen würde sic nie eine gesunde Sozialpolitik zustande bringen. Wir sind nicht ängstlich in der Zumessung der Rechte für die Arbeiter, wir bekämpfen aber die politische Sozialdemokratie, wie sie sich uns letzt zeigt, ebenso wie das Zentrum. Nur mit einem Unterschiede: Das Zentrum wollen wir sprengen, die Sozial demokratie aber wollen wir innerlich umwandeln. Vor allem ist die Taktik der Sozialdemokratie durchaus schädlich, indem sic die Unzusriedenbcit und den Neid der Klassen nährt, weil sie dadurch für ihre Zwecke werben und die Massen sammeln will. Solanye sie ihre kindische Temon- stration gegen die Monarchie nicht aufgibt, und mit der Re- volution kokettiert, stellt sic sich außerhalb jeder praktischen politischen Arbeit. Der neue Name für den Verein. Da man vielfach Kritik an dem Namen des Vereins geübt batte, der doch nicht nur nationalen, sondern gerade auch mit ihnen verbundenen liberalen Gedanken und Zielen dienen solle, so wurde als neuer Name gewäblt: Nationalvcrein jür das liberale Deutschland. . Ein Antrag aus Anschluß der Frauen als Mitglieder rief eine scharfe Aussprache hervor. Ter Antrag würbe schließlich mit großer Majorität abgclchnt. Ferner wnrdc beschlossen, den diesjährigen Vorstand provisorisch weiter zu behalten und durch Zuwahlen zu ergänzen. Auch der ge- kchäftsführende Ausschuß soll sortbcstehen. Einzelne Orts gruppen sollen nicht gegründet werden, wohl aber dürfen sich
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