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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 01.07.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-07-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070701025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907070102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907070102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-07
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Abend-Ausgabe 8. Bezug--Preis ftk Sechzig »»d Vorort« durch unsere lrüger und Gvrduenrr io» Hau« gebracht: Lu«, gäbe L (nur »orgrn«> vierteljährlich M., monatlich I M.; Lutgade 8 (morgen« und abend«) vierteljthrlich <50 W., monailich 1^0 W. Durch die Pvk bezogen (2 mal täglich) innerhalb Deutschland« U: . der deutschen Kolonien vierteljährlich 5,25 M , monatlich l,75 M. au«schl. Poftdeftellgeld, sür Oesterreich 9 L 66 k, Ungarn 8 L vierteljährlich. Lbonnement-Lnnaüme: Ungustu-platz 8, bei unsere» Dräger», Mlialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern und Briefträgern. Die einzelne Nummer kostet 10 Pf^ Nrdaktton uud «krvedit!»»: Iohauni«gasie 8. Delep Hou Nr. 1«SW, Nr. 14693, Nr. I«SL Verl irrer Nedaktivn«. Bureau: Berlin kl'lV. 7, Prinz Louis Ferdinand- Straße l. Delephon I, Nr. 9275. WpMrTagMaü Handelszeitnng. Amtsblatt des Rates und -es Rokizeramtes -er Lta-t Leipzig. Wr AnIern»» an« SetpBa nod wngebung die Sgewätten« PetttzäleL Ps-, stnanziellc Anneige» 30 Ps,, Neklame» l M ; mm au «wärt« 30 PH., Nrvameu 1.20 M : vmuLrrälaaü 50M., firranz. Lungen 75 Ps., Nrklame» l.50 M. Firserutn«». Bichördernim amtlichen Teil 40 Pi. Beilagegebähr 5 M. p. Dausend exkl. Posi- aebähr. »eschästtanzeigrn an bevorzugter Stell« im Preise erhöht. Rabatt nach Dani. Festertrilte Aufträge können nicht zurück- aenogr» werden. FSr da« Erscheinen an bestiniulie» Dog«» nod Plätzen wird keine Garantie ilbernommcn. Lazeigen-Annahme: Pugustu-platz 8, ini sämtlichen Filialen u. allen Annoncen Expedttionen des In- und Auslandes. P«tpt > Ntltalr Berlin: T«rl Duncker, Htrzogl. Bahr. Hofbuch- handlung, Lützowstraße 10. (Delephon VI, Nr. 4603). Nr. 180. Montag 1. Juli 1907. Das wichtigste vorn Tage. * Im Prozeß Peters wurde heute vormittcch die Witwe des früheren Kolon ialdirektors Kayser vernommen. (S. Letzte Dep.j * Eine offiziöse italienische Not« berichtet, daß der neue italienisch -russische Handelsvertrag ln Peters burg unterzeichnet worden ist. Er bat eine Dauer von zehn Jahren. * Eine Spezialmission des Sultans begibt sich nach Sinais, um dem König Carol den Höch ft en türkischen Orden Nischan Jmtiaz in Brillanten zu überreichen. * Das französisch-japanische Abkommen wird im Amtsblatt im Wortlaut veröffentlicht. Ktinrinunasbild aus Südrvestafvika Die Frage, wie es jetzt wobl in Deutsch-Südwestafrika aussieht, nachdem drei schwere Kriegsjabre hinter der Kolonie liegen, interessiert allgemein. Wir haben dort unsere braven Truppen bluten und leiden sehen, haben ihre Heldentaten und Siege versalzt und zugleich des schweren Schicksals gedacht, das aus den Kolonisten, unseren Landsleuten lastet. Wie sich nun alles gestaltet hat, darüber gibt ein Windhuker Mitarbeiter der „D«»ck. Kvlon.-Ztg." in einem Ende Mai geschriebenen Brief ein anschauliches Stimmungsbild. ES heißt iu ihm: Die große koloniale Bewegung in der Heimat erweckt hier Hoffnung und Freude. Wir sehen hinter uns das deutsche Volk und einen Reichs- lag, der wirklich Kolonialpolitik treiben will. Dazu kommt noch, daß viele Tausende im lieben Vaterlande für immer mit diesem Lande ver bunden stad. Man frage den zurückgekehrteu Krieger, ob eS ihn nicht wieder hinauszieht in daS Land, wo er seine Kraft vnd Ausdauer er probt hat. Oder man trete hinein in die Familien, die einen der Ihrigen in der Erde SüdwestasrikaS gebettet wissen. Ein besseres Ver- nanduis für unser Land und seiue Bewohner ist vorhanden. Mehr als je ist jetzt die Presse berufen, ein Bindeglied zwischen Heimat und Kolonie z« sei». Als uns am 18. Mai der Drabt meldete: „Lindequist lebnte das Ami des Unterstaatssekretärs ab. Kehrt im Juni nach Suvwest zurück", herrschte hier ungeteilte Freude. Schon lange wünschte man sehnlichst die Rückkehr des allseitig beliebte» Gouverneurs. Er fehlte tatsächlich hier an allen Ecken und Enden; so manche wichtige Angelegenheit wurde mit der Bemerkung: Muß erledigt werden, wenn der Herr Gouverneur kommt, beiseite geschoben. Zu dieser Freude über die Rückkehr des Gouverneurs gesellte sich die Zufriedenheit über die endlich« Bewilligung der Entschädigung. Alle, di« mitgeholfen haben an der endlichen Regelung der Sacke, können des DaukeS der Entschädigten gewiß sein. Besonders erfreut war mau, daß der Hemmschuh einer Rückzahlung uns erspart geblieben ist. Es gibt für jeden der Sorgen und Arbeit sckon ohnehin genug. Doch in diese Freude sollte eine bitterer Tropfen fallen. Am 22. Mai kam die Kunde: „Lindequist ist zum Unterstaatssekretär ernannt." Also dock für «ns verloren! Wo wird nun daS sturmumtobte Fahrzeug hin treiben, wenn ihm der erprobt« Steuermann fehlt? Dies waren wobl zunächst die Empfindungen über jene Hiobspost deS 22. Mai. Allmählich aber sagte man sich doch: Rein, wir haben unseren Gouverneur nicht verloren, sonder« wissen jetzt au verantwortungsvoller Stell« einen be wahrten Freund unseres Landes, der ans eigener Erfahrung mit den Südwestafrikauern fühlen kann. So hoffen wir, daß der Gouverneurs wechsel, so schwer er uns gerade in der jetzigen Zeit fällt, dennoch zum guten Ende führen wird. Neben dem Bedauern über LindequistS Scheiden entstand natürlich die Frage: „Wer und wie wird der neue Gouverneur sein?" Sein Name wurde uns ja telegraphisch gemeldet, und solche, die ihn von seiner Kap- städter Amtsätigkeit her kennen, sind des Lobes über ihn voll. Er ist ein kerndeutscher Mann aus der Bismarckschen Schule, vnd das genügt unS. Hier im Lande der alten knorrigen Dornakazien haben wir solche Leute nötig und ganz besonders jetzt, wo vieles, wenn nicht alles, auf die ge eigneten Persönlichkeiten ankommt. So sehen wir unserem neuen Gou verneur von Schuckmauu mit Vertrauen entgegen. Es erübrigt noch etwas über den gegenwärtigen Zustand des Landes zu sagen. Er läßt sich am besten mit dem eines langsam wiedergeuesenden Menschen vergleichen. Ueber Nacht kam schnell das Leid — die Gesundung aber will Zeit haben. Die Zeichen der Besse rung sind vorhanden. Die Empörer sind niedergeworfen, und die Sicherheit im Lande kehrt immer mehr ein. Eine ruhige, solide Geschäftslage hat dem Hasten und Treiben, das der Krieg mit sich brachte, Platz gemacht. Lästige Auswüchse, die zutage getreten sind, schwinden. Verschiedene bergbauliche Unternehmungen sind im Gauge. Geradezu brennend wird die Eingeboreuenfrage und damit die Arbeiterfrage. Wir erwarten ein Dienstbotengesetz, den Paßzwang und anderes mehr. Erwünscht wäre auch eine recht gründliche Aufräumung mit dem Bam- busen-Unwesen. Bambusen werden hier die halbwüchsigen schwarzen und braunen Bengels genannt, die als Diener der Soldaten zu Dutzenden herumiungern und den größte« Teil des TageS Allolrja treiben. Von einer Kriegslage kann man eigentlich nicht mehr sprechen, aber dennoch besteht eine solche solange, bis auch Simon Köpper, der Häupt ling der Gockas-Hotlentotten, die Waffen gestreckt hak. Hierzu hat er bereits sein Wort gegeben, aber das böse Gewissen trieb ihn wieder kalabariwärts. Er hat eben zu viel auf dem Kerbholze. Zwischen ihm und der Truppe liegt ein böses Durstfeld. Von den Bondelzwarts berichten Augenzeugen, daß sie ein sehr freches Benehmen an den Tag legen. Der Eisenbabnbau im Süden schreitet rüstig vorwärts. Je eher KeelmauShoop erreicht wird, desto größer wird die Gewähr für einen dauernden Friedenszustand im Süden sein. I Jeitungsstiinrneii. Der PcterSprozctz bietet einem Teil der Presse schon jetzt Anlaß, einzelne Episoden kritisch zu besprechen. Zunächst wird verurteilt, daß der Rechtsanwalt des Beklagten die Schriftstellerin Frieda von Bülow darüber vernehmen ließ, ob sie die Geliebte des Klägers gewesen sei. So schreibt mit Recht die B. Z. am Mittag: So geschehen in einer Zeit, wo auch die vorsichtigsten „Mittelparteien", ja sogar einige weiße Raben unter den Konservativen die große Resormbedürftig- kett des strafprozessualen Verhörs zugeben und verlangen, daß man niemanden in öffentlicher Sitzung vor Krethi und Plethi nach seinen Vorstrafen fragen soll, daß man ferner den Zeugen nicht nur solche Aussagen erlaßen soll, durch die sie sich kriminell belasten, sondern auch wiche, durch die sie sich ethisch oder auch nur gesellschaftsmorajisch kompromittieren. So geschehen von dem Anwalt einer Partei, die der Reaktion im Gerichts saal sonst mit größtem Eifer entgegentritt und nun hier, in einem ersten besten Feuilleton 12888888888888888888888 8 888888888888888888888 Stendhal. La Bruyere. 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 Alle unsere Leide» kommen doher, daß wir nicht allein scku können. Je mehr eine Person allgemein gefallt, desto weniger üef find die Gefühle, die man ihr entgegenbringt. Prüderie ist eine Art Geiz, und zwar die schlimmste von allen. Durch Argwohn und Eifersucht, die jenem entstammt, wächst das Gefühl der Liebe. Z 8 8 8 8 8 8 >8 8 >8 12 - 12 <2 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 (2 Französische GeseUsch«ft»pr»blen<e. Bon Karl Fr. Nowak (Berlin). Kein Bokk zeigt Europa sein Bildnis bunter, wechselnder in den Farben, verführerischer, schmiegsamer zugleich und starrer, als Frank- reich, die dritte Republik nach Königtum und Kaiserreichen. Urä> den hübsche» Satz von der Zivilisation, an deren Spitze die Gallier mar schieren, wögen di« einen so nachsichtig belächeln, wie ihn die anderen lebhaft immer noch verfechten. Sicher aber ist, daß zwei Seelen in dieiem merkwürdigen Volk wohnen, die „alte" und die „neue" Seele, beide in aufrührerischem Kampf miteinander, beide deutlich spürbar, beide gleichsam Hell «rd Dimke! auf dem Bildnis, daS sich Europa zeigt. Bon der „alten Seel« haben di« letzten Jahrhunderte vor uns so manches^willig gelernt. Nicht das Wichtigste war's, daß di« Künstler und Dichter über den Rhein gingen, um überreich, gefahrvoll reich zu befrucht«:, was moderwärts karg und spröde war. Auch dies war nicht da- Beste, daß die Sprache Richelieus und Mazarins an allen Höfen ber Diplomatie die politischen Verwicklungen klären half; daß die Fürsten Paläste fich erbauten, die ihr Muster vom Prunk des Sonnen königs nähme»; doch eins war wichtig und unabsehbar in den Folgen Al*" Jahrhunderte vor uns: daß Europa im Norden pnd »» Öfter» erneu Stil bekam, der immerhin auch dort, wo er dem fremden' Volk nicht paßte, -um ersten Male bewies, daß cs überhaupt einen Begriff des Stiles gab. Keinen Stil der Bauten so sehr, der Dichter rmd der Künste, als jenen Stil des Lebens, gesellschaftlicher Kultur, der allen fehlte. Es war der Stil der „alten" Seele, der Grandseigneure und der feinen großen Lebcnskünstler, den die fremden Völker längst wieder überwanden, weil sic seither sich eigene Entwickelungen schufen, der Stil der „alten" Seele, die aber heute noch in ihrer Heimat lebt, in Frankreich, das freilich der modernsten Staaten einer ist Von Moltke, dem lakonischen, den nach Sedan jemand fragte, gegen wen man denn jetzt eigentlich weiterkämpfen wolle, zitiert Oskar H. Schmitz die knappe, verblüffende Antwort: „Gegen Ludwig XIV." Denn Oskar H. Schmitz spricht von „Französischen Gesellschafts problemen", und er braucht Moltkes Ausspruch, weil er in seinem hübschen, geistreichen Buche *) vor allem zeigen will, wie beständig dort hinter den Vogesen die „alte" und die „neue" Seele miteinander ringen. Neberall der gleiche, zähe Kampf zwischen Durchaus nicht verstaubter, blanker Kulturerbschaft" und modern-praktischer Lebensfordcrung, zwischen sichtbarer Tradition und frischer, junger Blüte: politisch, sozial, religiös. Neben radikalen Politikern, die tapfer, fleißig und unbeirrt aus der dunklen, ungekannten Menge emporstiegen, für die sie die tönenden Reden dann in der Kammer halten, noch immer die Geschlechter selbstbewußten Adels, die auf ihren einsamen Schlössern ohne Resignation des Tages harren, wo ruhmreiche Vergangenheit wieder nahe Gegenwart sein könnte. Neben Royalisten starre Republi- lauer, auf di« mißgünstig wiK>er geschwächte Bonapartiften blicken. Und ernste Menschen der Geschäfte, Techniker, Beamt«, Industrielle, die in der Hast bes Tages Frank um Frank erjagen, doch schnell sich abends des „Grandseigneurtums", des „Lebensstiles" wieber be sinnen. Kaum ertönen in den Pariser Abendstraßen die zermalmenden Rufe: „L'Jntransigeant — La Presse — Paris — Sport", so steisst Festlust in jedem auf. Das Diner ist eine große Angelegenheit in Paris. Ob man in die teuren Restaurants oder in die kleinen volks tümlichen Bouillons tritt: der Stil ist derselbe, nur das Material unterscheidet fich. Zwischen Hellen Spiegelwänden die diskrete Lustig keit von Leuten, die fich's gerne wohl sein lassen, aber daran gewohnt find und kein Aufhebens davon machen. Den Mittelpunkt bilden bunt gekleidete, sieghafte Damen und Dämchen. Es werden farbige Hors d'oeuvres aufgetrogen, daun Fleisch, und Gemüsegänge, die nach bekannten Persönlichkeiten besonders der Diplomatie und der Musik, benannt sind: Calnbacärös, Talleyrand, Mcyerbeer, Rossini. Zwei Desserts, oft in kleinen Töpfchen, Büchsen oder Papillotten serviert, an Buntheit mit den Hors d'oeuvres wetteifernd. Zum Schluß der un erläßliche Kaffee, der di« Geister des leichten, prickelnden Weins mit warmen Fluten besänftigt. Für diese Genüsse zahlt der eine 22 SouS und denkt mit Müsset: qu'imsineto 1«- flneon, PON.I-ON il ckonns ivi««« ein anderer läßt sie sich ebensoviel oder mehr Franken kosten/ *) Oskar A. H. Schmitz: „Französische Gesellschaftsprobleme". Verlag Dr. Wedekind, Berlin. 101. Zal'MNsi. Fall«, wo eS in ihren Kram paßt, alle guten und heiligen Vorsätze mit Füßcn tritt. Wenn ein im Dienste hart gesottener — um nicht zu sagen grau ge- wordener — Staatsanwalt Angeklagte und Zeugen durch seine „intimen" Fra en bis aufs Blut foltert, so wendet er schließlich nur pflichtgemäß das psychologische Marterinstrument unseres immer noch so inquisitorisch-miltelellerlichen Straf verfahrens an. Hier aber hüllt sich ein Sachverwalter der Lozialremokraiie, unter deren liberalen Fahnen auch die der radikalen Prozeßreform flattert, in die Toga des Großinquisitors und läßt eine Frau unter Eid nach ihren Herzens- beziehnngen längst vergangener Tage fragen. Daun wird das Auftreten des G.'neralleutnantS von Liebert einer scharfen Kritik unterzogen, weil er das Urteil des DiSziplinar- gerichtshoses gegen PeterS einen „Schandfleck der Justiz" genannt hat. To schreibt Oberst a. D. Gädke im „B. T.": Den Rekord aber in der Ungehörigkeit des Auftretens hat zweifelsohne der frühere kaiferli^ Gouverneur, Generalleutnant a. D. Herr v. Liebert, erreicht. Wir kennen ihn ja von früher her, ein Heißsporn und ein Fanatiker, den man nicht allzu ernst nehmen darf, und der je?er von ihm vertretenen Sache mehr schadet als nützt. Indessen gibt es ein Maß in allen Dingen, und es will mir scheinen, als ob selbst Herr v. Liebelt nur geringe Nachsicht verdiente, weua er das in zwei Instanzen ergangene Tiszipiinarurteil gegen Herrn Peters öffentlich vor einem deulschen Gerichtshöfe „einen Schandfleck der deutschen Justiz' nennt. Wenn das ein Sozialdemokrat, wenn es irgendein gewöhnlicher Sterb licher gewagt hätte, so würde er mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe darüber belehrt werden, daß preußische Beamte zu beleidigen eins der unverzeihlichsten Vergehen der Welt ist. Wegen weit müderer Aeußerungeu sind schwere Ahn dungen erfolgt. Soviel mir noch erinnerlich, hat Herr v. Liebert ziemlich scharf gegen mich in meinem Kampfe gegen die Willkür der Milnärverwaitung Partei genommen. Was würde er wohl gesagt haben, wenn ich bas gegen mich ergangene ehren gerichtliche Urteil — ein Urteil ohne die Garantien der Disziplinargerichte und ohne die Unabhängigkeit der bürgerlichen Richter — „einen Schandfleck des preußischen Osfi.rerkorvS und der Justiz" genannt hätte? Vielleicht aber üätte ich doch besseren Grund zu so vernichtendem Urteil gehabt als er zu seinem Ausspruche, der im Munde eines ionfervativen Staats retters doppelt unverzeihlich klingt. Freilich, es ist die Moral des Herren menschen, die er vertritt: für ihn alle Rechte; für die anderen, seien sie Mgger oder Weiße, die Knute! Der „Hannov. Kurier" beurteilt das ganze afrikanische Milieu, wie es sich aus den Aeußerungen der einzelnen Zeugen ergibt: Man braucht absolut kein Philister zu sein und man kann auch bei der Beurteilung solcher, aus afrikanischem Boden, in der Tropeusonne und unter den Fiintenläufen einer Eingrbvrenen-Uel erwacht sich a pielender Tinge aller hand konzedieren, dennoch scheint uns, bleibt in dem Falle Peters nickt so sehr gerade ,bei den Taten, die nun die formalistische Unterlage zu dem Prozeß gegeben haben, wie bei den Ausflüssen seiner Persönlichkeit und seiner Art, mit Menschen und Dingen umzugehen, so vieles übrig. Laß es an- gebracht erscheint, zu rechter Zeit davor zu warnen, nun etwa wegen der auf ganz anderem Gebiete liegenden, unzweifelhaften Verdienste des Mannes eine neue Gloriole um ihn zu winden, die er ja sich auch leibst nicht gerade vorzvenlhalken pflegt. Das Lehrgeld, das wir in kolonialen Dingen zu zahlen, und die Kinderkrankheiten, die wir dabei zu überwinden baben, mögen ihre Berechtigung in der absoluten Neuheit dieser nationalen Ausgabe finden. ES wird aber nie gelingen, eine Berechtigung zu konstruiere» dafür, daß Ebaraktere wie Karl Peters nun aus einem unzweifelhaften Verdienst heraus die dauernde Notwendigkeit empfinden, den Uebermenschen im schlechtesten Sinne L«S Wortes als eine Vorausjetzung sür die loloniicuorrfche Betätigung hinzujtelleu. Deutsches Reich. Leipzig 1. Juli. * Offiziöses znm Peters-Prozeß. Das im Münchner Peters-Pro-cß am Sonnabend abgegebene Gutachten des früheren Gouverneurs von Liebert enthält, einer offiziösen Feststellung der „Kölnischen Zeitung" zufolge, so außerordentlich viele Irrtümer, daß ihm sofort widersprochen werden muß. Der große Kampf, der unter Manteuffel Noch immer ist bas „savoir vivrs" das oberste Gesetz der französischen Gesellschaft geblieben, die starke Tradition, die sich nicht niederbrechen läßt. Zwar wirbelt sie alle durcheinander: die Abenteurer, die ver schuldeten, leichtsinnigen Aristokraten und di« wahrhaft Reichen, sie alle sind nicht immer ganz zuverlässig so, wie sie sich geben, aber sie alle scheinen auf gleiche Art, auf gleichen Ton, auf gleiche Manier der Lebensführung abgesttmmt. Sie alle leben groß und voll, großartig und voll, leben fich aus. Ein junger Mann zieht vor, nicht zehn Jahre oder fünfzehn von seinem kleinen Vermögen in vernünftiger Oekonomie zu leben, er zieht vor, ein knappes Jahr lang uneingeschränkter Ge nießer zu sein. Aber er wird ein neues Vermögen später erwerben. Immer genießen, ein Rausch, in Verschwendung, voll Anstand genießen, manchmal erst durch eine Flucht von Mühseligkeiten, Widerwärtigkeiten kleinlichen Alltags zu diesem Genießen zu gelangen, genießen aber um jeden Preis: dies zählt zu der Erbschaft »och aus Ludwigs UV. Tagen. Kühl, sachlich, zweckbewußt daneben das moderne Frankreich. Aber Oskar Schmitz über die Modernität der dritten Republik sagt, ist vielleicht so wenig neu, wie seine feinen Essays über das alte Frankreich. Aber wie er beide in der Durchdringung sehen läßt, Rokoko und Modernität, könnte besser nicht gezeigt werden. „Als wäre die gesunkene Sonne von Versailles eine verzehrende Wüstensonnc gewesen, atmet das Land auf und sendet eine langgchemmte Blüte empor. Frankreich hat wieder wirkliche Lyriker — zwischen der vorklassischen Dickter- plejade und AndrS Chenier, unter der Herrschaft Mal- herbescher «nd Boileauscher Doktrinen nist nicht einer zu entdecken. Frankreich tritt das Erbe der nnakademischen modernen Malerei von den Holländern und Engländern an; es schafft die moderne realistische Prosa und trägt dadurch vor allen Ländern zum Bewußt, werden und zur Klärung des modernen Lebens b«i, indem fich sein alteS moralkritisches Genie mehr und mehr dnrch psychologische Analyse ver jüngt. Langsam entwölkt fich der Rückblick aus das 18. Jahrhundert, in welchem man nun mehr als hie welkende Fäulnis, hie nüchterne V«r- nunftkälte unterscheidet, sondern von einem neuen Lebeusaspekt ver wunderte Angen, in neuen Schauern zitternde Nerve», iu neue Probleme verstrickte Geister, kurz moderne Sehnsüchte «rd Ziele er kennt, die durch die Vulgarisier»»« der Revvlntion unkenntlich geworden waren. Das Beste, was sich von diesem neuen französischen Geist sagen läßt, ist, daß er zwar in französischer Erde wurzelt, sich aber bereitwillig mit allen fremden Kulturen auseinaudersetzt, ihre Resultate erwägt, mindestens zu begreifen sucht, selten gcwz abtoeist." Dazu die Politik, die beute längst das ganze Volk aufs Feld der Arbeit ruft, diese kühne Politik, die in der Macht der Kirche die einstige MLtbehüterin des gleichen „nncinn regimei" bedroht, das überall noch fortzubeftehen scheint; dazu die rechnerisch nüchterne Macht stets weiter «»-gedehnter Industrie; ein wohlbedachter Sinn, der abseits vom „Lebensstil" nur Tatsachen — selbst in der Liebe — erwägt, Tatsachen anSspiekt, a»f Tatsächlichen baut: man könnte sich freilich ein vernünftigeres Volk als diese emsigen modernen Franzosen kaum denken. Emsig, vernünftig, modern, — so stob ftvH tu Lu» MM»
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