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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 13.07.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-07-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070713020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907071302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907071302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-07
- Tag1907-07-13
- Monat1907-07
- Jahr1907
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Abend-Ausgabe 8. Vezugt-Prei» Nr Lechzt» und Sororte durch unsere Dräger und Spediteure int Haut gebracht; Aut- gab« ä (nur morgen») vierteljährlich 3 M-, monatlich I M.; Autgabe 8 (morgen« und abend«) vierteljährlich 4.50 M., monatlich I SO M. Durch die Poft bezogen (2 mol täglich) innerhalb Deutschland« u der deutschen Kolonien vierteljährlich 5,25 M., monatlich 1,75 M. autichl, Postbestellgeld, für Oesterreich 9 L 66 k, Ungarn 8 L vierteljährlich. Abonnement-Annahme: Auguftutplatz 8, bei unseren Drägern, Filialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern und Briefträgern, Die einzelne Nummer kostet IS HKjt Redaktion und Lxpeditioar Johanni«gaste 8. Delepho« Nr, 14692. Nr. 14693, Nr. 14694. Berliner Redaktion» > Vureau: Berlin UV. 7, Prinz Louis Ferdinand- Straße l. Telephon I, Nr. 9275. MiWgcrTaMM Handelszeitung. Amtsblatt des Rates und des Rolizeiamtes -er Ltadt Leipzig. Luzeigeu-Prelt für Inserate au» Letpzta und Umgebung di« 6gespaltene Petitzeile 25 Pf., stnanztelle Anzeigen 30 Pf., NeNamen 1 M.; von autwirtt 30 Pi., Reklamen 1.20 M; vomAu«land5OPs., finanz. Anzeigen75Ps., Reklamen 1.50 M. Inserate v. Behörden im amtlichen Deil 40 Ps. Beilagegebübr 5 M. p. Tausend exkl. Post gebühr. Keschäs»«anzeigen an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Tarts. Festerteilte Austräge können nicht zurück gezogen werden. Für da« Erscheinen an bestimmten Dagen und Plätzen wird keine Sarantie übernommen. An,eigen-Annahme: Lugustutplutz 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Expeditionen de« In- und Autlandet. Haupt - Filiale Berlin: Earl Duncke., Herzog!. Bahr. Hofbuch handlung, Lützowstraße 10. (Delephon VI, Nr. 4603). Nr. 182. Sonnabend 13. Juli 1907. 101. Jahrgang. Das wichtigste vorn Tage. * Der Kaiser ist nach vortrefflicher Fahrt und bei schönstem Wetter Freitag abend in Tromsö eingetroffen. An Bord ist alles wohl. * König Friedrich August ist heute vormittag, begleitet von dem Flügeladjutanten Oberst von Wilucki, mit Automobil von Relie fe ld nach Hermsdorf abgefahren. Um 10 Uhr erfolgte die An kunft in F r a u e n st e i n, wo sich der Kreishauptmann Dr. Rumpelt und der Amtshauptmann Dr. M e h n e r t - Dippoldiswalde meldeten. * Staatssekretär Dernburg verläßt heute Berlin und tritt damit seine Reise nach Lstafrika an. (S. Ttschs. R.) * Wie aus Konstantinopel gemeldet wird, beginnt jetzt die legale Erhebung des dreiprozentigen Zuschlagszolles, nachdem die einhellige Zustimmung der Mächte erfolgt ist. * Der italienische Senat hat sich als Staatsgerichtshof zur Verfolgung der Affäre Nasi konstituiert. * Die Abreise des Zareü nach den finnischen Schären ist wegen seiner Attentats-Befürchtungen abermals ver schoben. sS. Ausl.j * Die Mahal la hat die Einkreisung Ra'isulis begonnen. lS. Ausl.j Eine Antwort. Der sächsische Rcichstagsabgcordnete Herr Dr. Stresemann hat in den „Juugliheralen Blättern" einen Artikel erscheinen lassen, der sich mit dem Verhältnis zwischen Liberalismus und Blockpolitik befaßt. Unsere freundschaftlichen Beziehungen zu Herrn Dr. Stresemann sind bekannt. Wenn wir alfo gegen seine Darlegungen polemisieren, so sind wir wohl gegen persönliche Mißdeutungen geschützt. Uebrigens ist eine Ent gegnung nicht zu umgehen, denn wir werden in dem Artikel namentlich zitier!. Nach diesem Händedruck zur Sache. Dr. Stresemann verteidigt zunächst die Blockpolitik gegen den Vorwurf der Unfruchtbarkeit. So weit die positiven Leistungen des Blocks, besonders die Erledigung des Etats mit allen wünschenswerten nationalen Garantien, in Frage kommen, haben wir uns der gleichen Ausgabe unmittelbar nach der Ver legung oes Reichstages unterzogen. Wir glauben dabei bis an die Grenze des Möglichen gegangen zu sein und die Verdienste des Blocks wahrlich nicht unter den Scheffel gestellt zu haben. Das hat uns freilich nicht gehindert, die übrige Ausbeute ein wenig dürftig zu finden, welcher Ansicht wir auch heute noch sind. Indessen haben wir daraus nie eine Kabinettsfrage zu machen versucht, sondern stets die absolute Notwendig keit besorgt, vorläufig im Block zu bleiben und nach besten Kräften zu wirken — in Erwartung des Versprochenen. Wir sind weder Schwarz seher noch Optimisten in dieser Beziehung — Herr Dr. Stresemann ist Bülowianer und schreibt: „Daß Bülow die konservativ-liberale Aera sto aufsaßt, daß seitens der Regierung auf liberale Wünsche Rücksicht genommen werden müsse, hat er wiederholt ausgesprochen." Wir sind in der Lage, das zu bestätigen ... . Nun aber fährt Dr. Stresemann fort: „Für das Fortschreiten auf dieser Bahn spricht ebenso der ein getretene M i n i st e r w e ch s e l, und zwar nach beiden Richtungen hin. Viele Blätter stellen die Entlassung Studts als selbstverständ lich hin, ohne in Betracht zu ziehen, daß hinter dem scheidenden Minister doch die Mehrheit des preußischen Abgeordnetenhauses und die kleine, aber einflußreiche Partei des „Rcichsbotcn" stand. Aber Posadowskys Ausscheiden sei eine Niederlage des Liberalismus und ein Triumph der Scharfmacher, sagt der sozialliberale Verein zu Ber lin und sagen in gleichem Sinne freisinnige nnd auch nationalliberale , Organe wie das „Leipziger Tageblatt". Ob man in den Schriftleitun gen beider Blätter vergessen hat, wie sehr man einst den letzten Zoll- tarif und die Handelsverträge bekämpfte, die doch das Werk Posa- dowskys sind? . . . ." Zur Widerlegung dieser von beneidenswertem Optimismus durch tränkten Zeilen muß längst Gesagtes wiederholt werden. Studts Rück tritt war seit dem Winter beschlossene Sache. Wenn das Ereignis trotz- dem als Opfer auf dem Altar des Blocks wirken konnte, so lag das aus schließlich an der Ungeschicklichkeit des Ministers, der das Stichwort für die Abschiedsszene nicht fiiiden konnte. Herr Holle als liberaler Konzessionsminister ist übrigens auch nicht übel. Und Posadowsky? Wir müssen annehmen, daß Dr. Stresemann unsere Posadowsky-Artikel nicht oder nur flüchtig gelesen hat. Wir haben den Sturz Posadowskys durchaus nicht als Triumph der Scharfmacher ausgegeben, sondern als einen persönlichen Erfolg Bülows, dessen Folgen allerdings alles andere eher als eine sozialpolitische Garantie bedeuten. Ob wir vergessen haben, daß Posadowsky der Vater des Zolltarifs ist? Nein. Wir haben die starken agrarischen Neigungen des früheren Staatssekretärs nie ver kannt, haben uns übrigens stets dagegen verwahrt, Zollfragen innerhalb gewisser Grenzen zu Weltanschauungsfragen stempeln zu lassen. Aber ein paar Gegenfragen wird uns Herr Dr. Stresemann gestatten. Wer war doch zu Zeiten des Zolltarifs und der Handelsverträge der „leitende Statsmann"? Wer hat sich noch in diesem Winter einen agrarischen Leichenstein gewünscht? Wer hat bis zum Ueberdruß dem Zentrum Konzessionen gemacht? Wer hat unter Majorisierung der kleineren Bun desstaaten die Aushebung des 8 2 des Jesuitengesetzcs durchgedrückt? Wer hat lange Jahre nie daran gedacht, sein liberales Herz zu entdecken, bis die Blockpolitk ihn hellseherisch machte? Wir leben der Ueber- zeugung: So liberal, wie Fürst Bülow zudenken versprochen hat, war Graf Posadowsky alle Tage. Dr. Stresemann schließt: „Dazu szur Blockpolitik! gehört aber nicht nur die Erfüllung berechtigter Forderungen auf dem Gebiete der Ge setzgebung, sondern vor allem auch eine Parität zwischen Kon- iervatlsmusund Liberalismus in der inneren Ver waltung und im Heerwesen — eine Frage, die ich für bedeu tungsvoller halte, als alle angckündigten Gesetzesvorlagen, und die ich in einem besonderen Aussatz noch ausführlicher zu beleuchten gedenke." Ganz unsere Ansicht. Und als Probe auf das Exempl - erlauben wir uns den jüngsten Ministerwechsel vorzuschlagen. Für den wahrhaft frei heitlich gesinnten Grasen Posadowsky Herrn v. Äethmann-Hollweg, der mit Hilfe von Kant das preußische Dreiklassenwahlrecht verteidigt und auch sonst sehr anregend belletristisch zu plaudern weiß. Für Herrn v. Studt der streng orthodoxe konservative Holle, für Herrn v. Bethmann der ostpreußische Oberpräsident v. Moltke. Ist das die ..Parität zwischen Konservatismus und Liberalismus in der inneren Verwaltung", worauf Herr Dr. Stresemann seinen Optimismus gründet? Zum Schluß eine Bemerkung als Frucht langer politischer Be obachtung und natürlich ohne jeden persönlichen Beigclchmack: Realpolitik ist eine schöne Sache, wird aber leicht verwechselt mit Opportunitäts politik. Und die hat in wirklich kritischen Perioden noch immer Schiff bruch gelitten. Zeitungsstiinineir. Die „Köln. Ztg." bringt einen bemerkenswerten Artikel über Ungeeignete Fragen vor Gericht. Sie schreibt dabei u. a.: Fast in jedem Strafprozeß kann man die Beobachtung machen, daß an Angeklagte oder an Zeugen oder Sachverständige durclaus ungeeignete Fragen gestellt werden, die diese Personen empfindlich verletzen müssen; es wird in dieser Hinsicht sowohl von den Beamten d>r Staatsanwaltschaft als auch von den Verteidigern gesündigt, und aus welcher Seite der Sünden Mehrheit liegt — das zu beflimmen, ist schwer, da eine Statistik darüber nicht vorhanden ist. Auch in dem Prozeß Peters ist dieser Uebelstand wieder zutage getreten, und er bat in juristischen Kreisen namentlich wegen einer an eine Zeugin gerichteten Fiage starkes Mißvergnügen hervorgerufen. Es muß dahingestellt bleiben, ob nicht schon die geltende Strafprozeßordnung dem Vorsitzenden die Befugnis gibt, solche un,rechnete Fragen zurückzuweisen, die auf die Urteilsfindung ohne Einfluß sind. Dec richtigen Auffassung nach ist das allerdings der Fall, trotzdem die R,chtsprechung der Reit sgcrichte den Begriff der Beschränkung der Verteidigung wegen der Ablehnung einer Fragestellung bekanntlich sehr weit gezogen hat. Jedenfalls bedarf es aber bei der Abänderung der Strafprozeßordnung der Ausnahme einer recht scharfen Bestimmung, damit der Bloßstellung von Zeugen und Sachverständigen im Gerichtssaal einmal ein Ende bereitet wird. Es ist vollkommen verständlich, wenn die Unlust, sich als Zeuge vernehmen zu lassen, in Deutschland in bedenklichem Maße zunimmt. Wer setzt sich denn gern der Gefahr aus, daß die dem Innenleben und der Geheimsphäre angehörigen Dinge, die leinen Menschen etwas angehcn, und die jeder nur mit sich selbst auszumachen hat. ans Licht gezerit werden und dann dazu dienen müssen, die Neugierde oder das Sen'alionsbeeürfnis eines hocbzuvcrehrenden Publikums zu befriedigen, das mit steifen Obren den Zuhörerraum besetzt hält? Es geht unmöglich länger an, daß unser Gerichtsverfahren sich im Sinne des amerikanischen entwickelt. Wenn die Gesetzgebung in unfern Tagen sich mit vollem Recht daran er innert hat, daß es ein Persönlichkeilsrecht und eine Geheimsphäre gibt, die gegen zudringliche Antastung ebenso zu schützen sind wie gegen böswillige Verletzung, wenn wir heute bis zu einem gewissen Grade das Recht an dem eigenen Bilde anerkennen, Io muß koch auch dafür gesorgt werden, daß der Zeuge im Gerichts- sual vor indiskreten Fragen geschützt ist, gleichviel ob sie von dem Staatsanwalt oder von dem Verteidiger ausgehen. Zu dem Ltrcit im Katholizismus schreibt der „Hamb. Korresp." und zwar speziell anläßlich deS Hinweises, es sei ein neuer SyllabuS zu erwarten: Das eine Wort „Syllabus" genügt, um die Situation bedrohlich erscheinen zu lassen. Es ruft die Erinnerung wach an die Enzyklika vom 8. Dezember 186t, mit der Papst Pius der Neunte gegen den modernen Staat, sofern er keinen Unterschied „zwischen der wahren Religion und der falschen" mache, seine Angriffe richtete. Die Enzyklika und der Syllabus waren Vorläufer des auf dem vatikanischen Konzil durchgesetzteu Unfehlbarkeits-Dogmas; beiden waren die Quelle jener politischen Erregungen, die dann bald zum Kulturkampf führten. Kein Wunder, daß die Aufrecht- erhaltung des Syllabus bis auf den heutigen Tag als schlimmste Gefahr des konfessionellen und lirchenpolilijchen Friedens bekämpft wird Ta leider weder in Berlin, noch in München, noch sonst irgendwo in deutschen Landen aktive Staatsmänner vorhanden find, die befähigt, gewillt oder ermächtigt wären, mit der römilchen Kurie ein ernstes Wort zu sprechen, muß in der Presse beizeiten auf die Gefahr neuer Kulturkämpfe hingewiejen werden. Die „Frankfurter Zeitung" siebt dem „Aufbäumen" des ResormkathoUzismus bereits das Gehorchen folgen: Die gebildeten katholischen Krei'e Deutschlands befinden sich in wachsender Erregung über das Vorgehen des Papstes gegen eine Anzahl hervorragender katholischer Gelehrten und anderer Katholiken, die dem verstorbenen Würzburger Tbeologieprofessor Hermann Schell ein Denkmal errichten wollen. Diese Absicht Hot der Pavsl in einein Briefe an den Wiener Professor Commer scharf getadelt, und nun hat er auch noch die Ordinariate angewiesen, daß der Brief in den Amtsblättern der Diözesen veröffentlicht, alfo offiziell zur Kenntnis aller Gläu bigen gebracht werde. Seit Rom unfehlbar ist, läßt es sich noch weniger be lehren wie früher, und am allerwenigsten von den Deutschen, die in Rom seit Luthers Zeiten, die Katholiken nickst ausgenommen, im Verdacht der Ketzerei stehen. Bossuet Kat gejagt: „Ein Ketzer ist ein Mensch, der denkt", und das ist auch RomS Ansicht: die Deutlichen aber, und sogar rie katholi'chen. wollen sich bas Denken nicht veibieten lassen. Sie stehen jedoch vor einem unlösbaren Dilemma, denn sie sind dem Papste auch zum Gehorsam verpflichtet. Schell selbst bat sich, wenn auch mit gebrochenem Herzen, „löblich unterworfen"; er hat, wie er selbst sagte, die Tis,ciplinarg,walt der Kirche anertennen müssen, auch wenn er innerlich anderer Meinung war wie die Kongregation, die seine Werke ans dem Index setzte. So werken auch feine Freunte und Nachfolger tun müssen; im Zwammenstoße mit Rom hat erfahrungsgemäß die deutsche katholische Wissenschaft noch immer den kürzeien gezogen. Deutsches Reich. Leipzig, 13 Juli. * Dornburgs Reise nach Ostafrika. Ter Staatssekretär des Reichs- kolonialamtes Dernburg tritt heute die Reise nach Ostafrika an. Ter Staatssekretär fährt vom Anhalter Bahnhof ab und trifft morgen in Neapel an. In seiner Begleitung werden sich die Herren Oberstleutnant O. uadc vom Oberkommando der Schntztrnppen, Geheimer Banrat Balzer vom Kolonialamt nnd Nittüieistcr Graf Henckel p. Don nersmarck von den Gardekürassieren, zugetcilt dein Kolonialamt, be finden. In Neapel schifft sich Staatssekretär Tcrnburg auf dem Dampfer „F e l d in a r s ch a l l" am Monrag nach Ostasrika ein. Feuilleton. Verbesserung macht gerade Wege, aber die krummen Wege ohne Verbesserung sind die Wege des Genius. William Blake. * GhettonoveUen von Schalom Asch. Von ÄarlFr. Nowak (Berlins. Indes „Der Gott der Rache" durch Deutschland und Oesterreich sährt, bringt der neuentdeckte Russe Schalom Asch eifrig Buch um Buch: ein neues Drama, das Berlin im Winter sehen soll, liegt fertig in seinem Schrcibpult — vorläufig soll für den Sommer ein Band Novellen ge nügen. „Bilder aus dem Ghetto". Was zwischen Grotzpolen und Ma- sovien geschieht, die kleinen bekümmerten Abenteuer der Juden Kuja- viens, Lkizzen aus den drückenden Winkeln kleiner Städte, die sie ver femen, Synagogenbilder, manchmal ein Kampf, manchmal ein Schicksal, ziehen vorbei. Am Dramatiker Asch war die herbe, realistische Klein- zeichnerei, das allzu oft verweilende Ausmalen volkstümlicher Situa tionen ausgefallen. Sie rechtfertigten nicht den Triumph des Dramas, denn sie störten es meist, aber sie ließen doch denken, daß der Novellist Asch glücklicher sein müßte. Und so ist es recht seltsam, daß auch der Novellist — man nimmt drei oder vier Stücke der Sammlung (Verlag von S. Fischer, Berlins aus — in der Hauptsache enttäuscht. Mystisch die Einleitung. Die Geschichte, besser noch: die Tatsache eines Mordes wird berichtet, symbolisch, voll wirrer Reflexion eine Stimmung darum gewoben. Der Mann liegt tot im offnen Feld, Blut färbt das Gras, die Schreckensnachricht jagt — „Der Eilbote" — am Morgen durch das verschlafene Ghetto, die Menschen stauen sich. Ter Himmel gewittert. Der Himmel tobt im Zorn über die Untat, Un- lebener von Wolken, gleich den Menschen, bedrohen sich, zerreißen ein ander — endlich bricht wieder die Sonne durch: Ruhe, Glanz, heitere Unbekümmertheit.^ Ein Melodram. Recht tüchtig geschrieben, mäßig, wo Kraft nötig wäre, zum Ende lau. Wie Schalom Aich denn überhaupt weder geistreich, noch originell, noch stark durch Wirkung ist, wo er in leinen Novellen vermummt symbolisch, doch allzu dürftig durchsichtig kommt. „Ein Wunderrabbi" ist noch das beste Stück dieser Art: die lehrreiche Fabel von dem gottstorken Judenjungcn, der die Macht des Herrn am deutlichsten dann begreift, wenn er pteifcnd durch die Felder zieht — er liegt w,e Sudermanns Paul rm Gras, spitzt die Lippen und lendet die innigste Andacht einer einfachen Empfindung empor — die Fabel von dem Judenjungcn, den der alte Rabbi durch ein Svphisma beschützt, da er inmitten von Frommen, Gerechten und Entsetzten im Tempel plötzlich zu pfeifen begann. . . . Verschwommen, verworren in der Konzeption, durchwebt von unbestimmten Stimmungen westeuropäi scher Literaturen, wobei die Sentimentalität in deutschem Sinne mit der Sentimentalität des russischen Juden ein wunderliches Gemisch ergibt — so völlig fremd und unbefangen, durchaus frei im Geiste seiner Heimat, war ja auch der Dramatiker nickt —, ist „Ein Aergernis", die Schluß novelle eines zu Verwandten halb abenteuernd ausfabrenden und heim geschickten Schülers, nicht besser, nicht packender, nicht seiner, als die ge suchte, mühselig fortgebaute „Geschichte eines Buches" Aber man mag „Das Kind" lesen, „Aus vornehmer Familie", „Das Kolacr Gäßchen" oder „Auch eine Mutter". „Das Koiacr Gäßchen" ist die wertvollste Leistung des allzu rasch kompilierten Bandes. Hier steigert sich die flüchtige Skizzentechnik zu kraftvoll breiter Charakteristik, die Zeichnung der Epifodisten wird trotz der buntesten Farbenabstusungen ganz und gar Einheit, gedrungen die Darstellung, klar, fest, unbeirrt die Geschehnisse. Es gibt hier keine schwächliche Sentimentalität mehr: die Ochsenhändler sind echt, die Fischer sind echt, sie alle aus dem Kölner Gäßchen sind rauh, schnell bei der Tat, schnell zu Exzessen geneigt — die „feinen Leute" wohnen im „Bethaus-Gäßchen" — und wenn Note, Reb Israels derber Sohn, der eine sanfte Neigung für Tauben hat, einen gehässigen Taubendieb vor dem Schlage ertappt, verprügelt er ihn jo kräftig, daß er nicht nur die Tauben, sondern ein paar Tage darauf auch das Leben läßt. Note wandert in die Gefängniszelle des Städtchens, dort erfährt er ab und zu durch ein Wort, wie die Christen für einen be stimmten Tag Rache brüten. Der Tag bricht an. Es ist ein Markttag. „Ter große, breite Platz, von dein zwei Wege auslcmscn, ist ganz mit Fuhren besetzt, von Pferden, Ochsen, Menschen und Schweinen über flutet. Ein buntfarbiges Gewimmel, aus dem man die verschieden artigsten Rufe heraushört. Besoffene Bauern jagen mehreren lang- röckigen Juden nach, die ihnen entronnen sind, und nun wie die Hasen über den Weg dahinrennen. Dort vernimmt man das jämmerliche Ge schrei eines Burschen, der über einen Wagen springt und verzweifelt um Rettung fleht. . . . Dazwischen ein wildes, trunkenes Lachen. . . . Von allen Seiten sieht man Juden in langen, schwarzen Röcken mit schreck lichem Geschrei vorbeirennen. In dieses Gewirr ergießt sich das Kolaer Gäßchen wie ein glühender Strom in das tiefe, kalte Meer. Wuchtig dringen die Eisenstangen in die Leiber der Menschen, heißes Blut rinnt über die Augen, die Bauernkaftans, über die Fuhren und Räder. Man unterscheidet nichts mehr. Alles ist durcheinander gemischt. Pferde liegen auf Menschenleibern, Menschen auf Pferden. Eine blutüber strömte Baueisfrau schleppt einen zerschundenen Mann; «r schlägt sie nnd entreißt sich ihren Händen. Kleine Kinder zerren ihre Väter an den Rockfchößen, aber die Männer stoßen die Kinder, die Lippen fest auf einander pressend, die Augen rollend, von sich. Sie eilen in das Ge dränge zurück." . . ... Und Note hält es nicht länger aus in seiner Zelle, Josepha, die Christin, die als Magd immer um ihn war, verrät ihm, daß die Dauern über seinen alten Vater kommen wollen, sie reicht ihm eine Eisenstange durchs Fenster, er bricht die Zelle auf, und zu Hause kämpft er, kämpft, bis ihn die Ucbermacht dock zu Boden schlägt und ihn Josepha, die endlich selbst die Eisenstange für den jüdischen „jungen verrn" gegen die Bauern schwingt, mit genauer Not vor dem Aeußerftcn , bewahrt. .... Das alles ist lebendig, reich, voll großer Linien. Ein oft gewohntes Erlebnis, brillant berichtet. ... In zarter Innigkeit stehen neben diesem Stück der Brutalität dann die abgetönten Novellen „Das Kind" und „Auch eine Mutter", ein merkwürdiger Kontrast aus gleichem Motiv — aus der starten Fcnnilicngemeinschaft des Semiten — in wechselnden Nuancen geschöpft. Wie der arme Kolak, ein Lump übrigens, dem Besitzuntcrschicde nur wenig galten, iein kleines Kind er tränken will, da ihn sein Weib betrog und durchaiug, wie er cs versucht und versucht, wie er cs ausictzt, wieder in den Wald zurückkäust, um es zu Halen, wie er cs schließlich doch mit fortnimmt, hegt, hätschelt und pflegt, mag leicht rühren. Ergreifen aber wird die Geschichte von der schweigsamen, glücklichen Mutter, deren Bub in der Fremde ein großer jüdischer Gelehrter werden soll, deren Bub hebräische Briese nach Hause schickt, die sie nicht versteht, die sie nicht lesen kann, die ihr keiner erklärt, der Rabbiner nicht und der Unterrabbiner nichl, weil ihr jeder lächelnd sagt: „Sehr gut ... . ausgezeichnet, sehr gu:! .... Ter Kleine ver steht etwas. . . . Nichts für Euch, das versieht Ihr nicht." .... Und ergeben gebt die Frau nach Hause, legt die Brieic uivgclesen in ihres toten Mannes Gebetbuch, küßt den Umichlag und wartet, wartet, bis ihr Zschok der große jüdische Gelehrte sein wird Dann endlich gibt Schalom Asch auch noch ein wenig Ironie „Aus vornehmer Faun >e": wie der plumpe Fuhrmann Mates, der sein Geld sparte, sich selbständig machte, aber doch noch mit 'einen Kameraden aut du nno du verkehrt, wie früher, durch seine Heirat mii der Bürgers- tochter Ruchla, die Reb Jochanan vermittelte, allmählich ein gebildeicr Mann wird und die rohen Sitten der Kameraden, dann bald auch die Gemeinschaft mit ihnen völlig vergißt. „Wenn Mutes manchmal ein unpassendes Wort entfiel, rief Ruchla ihn in ein Nebenzimmer, faßte ihn vertraulich beim Knovfe seines Rockes nnd sagte: „Sichst du, Mates, das Ichickt sich in Gesellschaft nicht . . ." Und Ruchla muß ibn recht oft ins Nebenzimmer rufen, aber schließlich wird aus dem plunnnn Fuhr mann Mates doch „der gnädige Herr". An seinen Zügen, sorgsamen, hübsch beobachteten Details, ist auch diese Novelle reich. Toch auch sic ist mitunter schon gesucht, durchaus nicht europasern, und wünscht da oder dort gewiise Ueberlegcnhcit recht heftig durchzusctzen, — gesteigert, wird sie unleidlich: uniünstlerisch in dem Rest der Novellen. * Leipzig, 13. Juli. I!. v. 6. Neues Theater. Gestern ging G. v. Mosers Lustspiel „Ultimo" in Szene, welches durch seine späteren Osfizlersluslipiele in den Hintergrund gedrängt worden ist, seinerzeit aber ein iebr be liebtes Bühnenstück war. Vorausgcgangcn war ihm „Das Stistungs- sest", welches Moser zusammen mit Roderich Bcncdix versaßt hatte; auch «später bat Moser fast immer auf dem Zettel genannte Mitarbeiter ge habt. „Ultimo" und „Ter Vcilchcnfresser" tragen indes sein alleiniges Molerzeichcn, und doch wurden stets Bedenken rege, ob er bei diesen Stücken nicht geheime Mitarbeiter gehabt: namentlich bei „Ul'imo" war dies Bedenken nicht ganz grundlos, da liier die Handlung zum TeU in kaufmännischen Kreisen spielte, welche dem früheren Gardc'chutzcn- offizier doch fern lagen.
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