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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 25.07.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-07-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070725013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907072501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907072501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-07
- Tag1907-07-25
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Juli 1907, Anzeigen-Preis für Inserate au« Leipzig und Umgebung di, 6 gespaltene Petitzeile 25 Ps., Nnanztelle Anzeigen 30 Ps., Reklamen l M.; von aurwärt« 30 Ps., Reklamen l.SV M.: vomAuiland5OPs., finanz. Anzeigen75Ps. Reklamen l.5t) M. Inserate v. Behörden im amtlichen Teil 40 Pt Bk'lagegcbübr 5 M. p. Ta:.send epkl. Post, gebühr. ie:ichL-:«anzeigen an bevorzugter stelle im Preise erhöht "ghao nach Taris. Festerteilte Aufträge können nicht zurück gezogen werden. Für dar. Erscheinen an bestimmten Tagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen.Annahme: Augustuäplatz 8 bet sämtlichen Filialen n. allen Anncncen- Expeditioncn de« In- und Auslände». Haupt-Filiale Berlin: Carl Du tick-. . Herzog!. Bahr. Hofbuch- handlunz, Lützewstraße 10. (Telephon VI, Nr. 4603). lOl. Iabraanq. Da» wichtigst« von» Tage. * Eine neue KabinettSorder deS Kaisers gegen den Luxus im OsfizierkorpS ist der Offizrerreitschule >n Hannover zugegangen. * DaS bayerische Justizministerium bat zwei wichtige Erlasse veröffentlicht, die eine mildere Hankhabung der Unter- fuchungShaft und eine bessere Anwendung der bedingten Be gnadigung bezwecken. (S. Dischs. R.) * Der Fürstbischof von Breslau, Kardinal von Kopp vollendet heute das 70. Lebensjahr. (S. Dtjchs. R.) * Türkische Truppen in Hodeida (Jemen) haben gemeutert. (S. Ausl.) * DaS persische Orientbank-Abkommen ist unterzeichnet, nachdem der Schab und das Parlament die Bedingungen des DirekrorS Gutmann angenommen batten. * In Amerika studierende Filipinos haben eine Resolution be schlossen, daß sie die amerikanische Herrschaft verabscheuen, die Rückkehr der Spanier.vorziehen, aber auch die Japaner mit offenen Armen aufnehmen winden. (S. Ausl.) Rassenkampf und Enteignung. Himmel und Hölle möchten die publizistischen Vertreter des Polen- tums gegen den Enteignungsgedanken in Bewegung setzen. Der Lem berger „Slowo Polskie" erinnert an das Beispiel der russischen Juden, die durch ihre Agitation leidenschaftliche Sympathiekundgebungen in Europa und Amerika hervorgerufen hatten, und fragt, ob sich denn nicht in London auch eine Volksversammlung inszenieren lasse, um der deut schen Regierung über eine derartige Nichtachtung der Menschenrechte die Entrüstung auszudrücken. Auch in Amerika falle etwas geschehen. Wer im Ausland Kongresse besuche, solle das Wort ergreifen und mit dem ostsrruu osnsso schließen, daß das preußische Enteignungsprojekt eine Schande für die Kultur des 20. Jahrhunderts sei. Auch ans Prä sidium der Friedenskonferenz könne ein Protesttelegramm entsendet wer den. Es ist daS alles ein Vorgeschmack des Lärms, der sich erheben wird, wenn die erwartete Polenvorlage nach ihrem Wortlaut bekannt sein wird. Die Polen haben eine lange Praxis in dergleichen. Ihre Agitation arbeitet mit der Verdrehung, wie unter dem Schwert der Enteignung die polnischen Bauern zu Tausenden von Haus und Hof vertrieben ins Elend gehen müssen — „ein grenzenloses Uebermaß von Jammer, Tränen, Mißhandlungen von feiten der Henker, die unter der Losung der Kultur unter dem Schutze des Rechts marschieren, die das Ver brechen zur strengen Vorschrift machen!" So phantasiert „Slowo Polskie". So wird den polnischen Bauern in den preußischen Ostprovin zen vorschwadronicrt, um sie vor den Wagen des polnischen Adels zu spannen. Nur um diesen und seinen ausgedehnten Grundbesitz, die Basis seines politischen Einflusses, die Herr Bie dermann klug zu verbreiten weiß, handelt es sich bei dem Ent- eignungsgedanken. Die Vorposten des galizischen Schlachzizentums pochen auf die Unbeholfenheit des Verfassungsstaates, dem sie nur die Rechte des obersten Nachtwächters übrig lassen möchten bei ihrem Unter wühlen der deutschen Stellungen in der Ostmark. Ter preußische Staat ist ihnen seiner ganzen Art nach zuwider und muß es ihnen sein — denn die einzige Staatsreform, die dem echten polnischen Junker und seiner Rassenbefähigung zusagt, ist die Adelsrepublik les weiland polnischen Reiches, wie sie in Galizien so ziemlich wieder nicht zu Recht, aber zu Kraft besteht. Der Bauer ist für diese Staatsauffassung nur das zwei beinige Lasttier. Der Bürger ist kaum bester. Die polnischen Ideale des Schlachzizentums beschränken sich auf die Wiederherstellung der weiland Adelsrepublik, und als Vorspann für deren Erneuerung hat es unter dem Schutz der preußischen wie der österreichischen Verfassung auch das polnische Bauerntum sich wieder hörig gemacht, jetzt nur in geistigem Sinne durch politische Phrasen, wie früher durch brutale Gewalt: durch die praktische Ausbeutung der dem Adel wie dem Bauern damals geläufigen Rassenverschiedenheit des polnischen Adels und der hörigen Massen. Es ist zurzeit nicht modern, wenn der polnische Junker in seinen Bauern die Nachkommen Chams erblickt, und deshalb findet sich davon auch nichts in den Zeitungen, die dafür die Bauern mit dem Schlagwort der nationalen Aufklärung an der Nase führen. Nur mit der Suggestionsfähigkeit läßt es sich er klären, wenn jüngst in einer Strazversammlung zu Exin der „Starost", ein biederer Bäckermeister, sich darüber verbreitet hat, wie dort die Polen auf uraltem polnischen Boden ständen, wie die Klosterkirche an die Zei ten erinnerte, wo die polnischen Magnaten vorgefahren seien, um Gott den Herrn zu preisen. Jetzt seien sie verschwunden, jetzt sei man hier von lauter Unflat und Gewürm umgeben. Spottet seiner selbst und weiß nicht wie! Was dazu Wohl sein Großvater gesagt hätte, den erst der preußische Staat zum freien Menschen erklärt hat? Nickt moderner Ueberschwang, wie er sich in mancher hastigen Theorie vom Boden der Tatsachen entfernt, sondern wohlbegründeter Hinweis aus Wirklichkeit ist die Erinnerung an die in den staatlichen Zuständen des alten pol- nischen Reiches festgelegte Rassenverschiedenheit des Bauerntums und des Adels. Was sich ihm auch von deutschem und litauischem Blute und selbst von germanischen Rückständen vandalisch-rugischer Herrenge'chlechter zngesellt hat, ist doch die Bezeichnung Schlachta für den Adel selbst ger manisch — tatsächlich ist der kriegcri'ckc Stamm der erobernden Lechen für die anthropologische Würdigung noch heute leicht zu unterscheiden von der Masse der Landbauern. Bei ihnen herrscht trotz jahrhundertelanger Einführung tatarisch - osteuropäischer Kriegsgefangener ein Typus, der sich zu dem reingermanischen wie ein stumpferer Bruderstamm stellt, blau- oder grauäugig, blond, gutmütig und arbeitssam, der Grundstock des westslawischen Volkstums, der sich ebenso leicht die germanischen Rück stände der Vandaler und Burgunder sprachlich anähnlichen wie später ins Deutschtum übergehen konnte. Ganz anoers geartet ist der kriegerische Herrenstamm geblieben, wenn er auch die slawische Sprache der unterworfenen Masse so frühzeitig angenommen hat, daß darüber nicht mehr wie bei den Vulgaren die histo rische Ueberlieferung berichtet« kann. Schlank, kräftig, meist dunkler Haarförbung, blitzenden Auges, leicht beweglich, trägt der echte polnische Adel das anthropologische Gepräge eines turaniscken Reitervolkes kriege- rischer Auslese. Der kahlgeschorene Kopf, die eigenartige Tracht, der krumme Säbel, stellt den polnischen Adel früherer Jahrhunderte wie den madjarischen zu den Völkerschaften, die aus fernem Osten nach Europa als Ritter der Steppe vorgedrungen sind und Adelsoligarchien über fried liche Ackerbauvölker zu begründen verstanden haben. Edlere Züge nicht entbehrend, aber grausam im Kriege und gewalttätig gegen jede Regung der Selbständigkeit bei den Unterworfenen, den Staatsgedanken nur als Organisation ihrer Vorrechte betrachtend, dabei mit einem unwidersteh lichen Hang zur Genußsucht, dem orientalischen Schwulst der Rede zuge tan, auf die stete entsagende Arbeit geringschähcnd herabblickend, lernte die polnische Adelskaste wie die magyarische ihre Herrschaft mit den von der katholischen Kirche und der deutschen Entwickelung entlehnten Elementen zu stützen, aber die libsrtas des Adels blieb stets der oberste politische Leitstern. Diese Art Freiheit, die Abneigung gegen staatliche Pflichten, die das polnische Reich zersetzte, lebt noch immer fort im Bruchteil polnischen Adels in unserer Ostmark, der im latenten Kriegs zustand gegen die deutsche Staatsordnung sich gefällt — eben deshalb, weil seine Staatsauffassung Ergebnis der Nasse und deren Wirkung im geschichtlichen Leben ist. Es ist hohe Zeit geworden, daß der preußische Staat mit diesem ihm widerstrebenden Element in seinem Innern gründ lich Abrechnung bält, wie es Bismarcks Gedanken bei der Jnaugurierung der Ansiedelungskommission gewesen ist, aus der tiefen historischen Ein- sicht des politischen Genies heraus. Huock rrrsäioina non sanat, sanatz ierrurrr. Nicht um die Ausrottung der polnischen Nationalität, sondern um die Unschädlichmachung des Sarmatentums bandelt eS sich bei dem Enteignungsrecht des Staates in seinen östlichen Provinzen. Wer nicht will deichen, muß Weichen. Der neue Syllabus und anderes. Aus München wird uns geschrieben: „Mir wird von alledem so dumm, als ging mir ein Mühlrad im Kopfe herum!" Schon wird es schwierig, die Syllabuse auseinander zu halten. Dem Schell-Syllabus, dessen Veröffentlichung freilich ein Schlag ins Wasser gewesen sein dürfte, ist rasch der „neue L-yllabus" gefolgt, der den „Irrlehren" der katholischen Theologie den Todesstoß versetzen soll. Das Leipziger Tageblatt hat ihn bereits einer Würdigung unter zogen. Heroorzuheben wäre vielleicht noch die prompte Arbeit, die dies mal Nom geliefert hat. Der Syllabus Pius IX. hat über den Horazi schen Rat hinaus zwölf Jahre gebraucht, bis er das Licht der Welt er blickte, unter Pius X. bedurfte man anscheinend kaum so vieler Wochen. In seiner Bedeutung ähnelt er dem schell-Shllabus, denn auch er ist zum guten Teile gegen den Würzburger Theologen, den der Vatikan nicht nn Grabe ruhen lassen will, gerichtet. Die Welt wird er nicht aus den Angeln heben. Er trägt einen rein ideologischen Charakter. In sonderheit besteht für den Staat keine Veranlassung, sich irgendwie mit ihm zu beschäftigen. Die Forderung eines bayrischen Blattes, daß die bayrische Regierung vom ^laost: rexinrn Gebrauch machen und seine Verkündigung untersagen soll, erscheint daher nicht gerechtfertigt. Die bayrische Regierung würde sich freilich vor einem solchen Schritte ängst lich hüten, auch wenn das Staatsinteresse in Mitleidenschaft gezogen wäre: sie käme auch nicht dazu: kein Bischof würde erst die Erlaubnis bei ihr einholen. Hart getroffen wird in erster Linie die theologische Wissenschaft. Ihr Geist wird künftig noch leichter zu fassen sein. Und mit ihr wird die katholische Kirche die Folgen verspüren. Die gebildeten deutschen Katho- liken werden sich innerlich noch weiter von ihr abwenden. Gewiß, auf lange Zeit hinaus wird Kirchhofsruhe einkehren. Aber einst wird kommen der Tag, wo man in Rom mit Schrecken erkennen wird, daß sein Tun nicht unfehlbar war, daß cs schlimmer ist als da es große Theo logen wie Franz Xaver Kraus und Hermann Schell, die treuesten Söhne der Kirche, die sie mit der Gegenwart versöhnen wollten, verfolgte, als es Schell zu Tode hetzte. Seinem Andenken hat der neueste Vorstoß nichts geschadet. So mancher, der ihn seit seiner „Unterwerfung" für einen schwachen Charakter gehalten hat, mag jetzt sein Scherflein zu dem Grab denkmal für den Alten beitragen. Dem Würzburger Theologieprofessor Dr. Kiefl soll nicht vergessen werden, daß er auch in diesen Lagen den Mut fand, für den toten Freund eindringlich die Stimme zu erheben. Im Vatikan aber mag man nicht nur von der „Liebe" sagen, was Scheffel dem Papste Jnnocentius in den Mund legt: ,Zlnter allen Völkern aber Sind's die Deutschen, die am meisten Uns damit zu schaffen machen." Und daß es unter den Deutschen gerade Bayern sind, mag iqren Landsieutcn zum Stolze und Tröste gereichen. Tas Ministerium Podewils allerdings denkt wahrscheinlich darüber anders. Ueber dem neuen Syllabus sind beinahe die Jnderbittschrift und der Papstbrief an Commer in Vergessenheit geraten. Gott sei Dank, wird das Publikum rufen. Mancher ist dabei unter die Räder gekommen, so der Reichsrat und Professor Frhr. v. Hertling. Exzellenz, der sich mutig in die Büsche schlug, als er statt Morgenluft Gefahr witterte. Wie aber steht es mit der Veröffentlichung des Papstbriefes durch die Diözesanblätter, die bekanntlich von Rom aus angeordnet war? Bisher wurde die Befolgung des Befehls nur aus Münster gemeldet. Im Amtsblatt der Erzdiözese München stand er, wie die „M. N. N." un widersprochen berichteten, schon vor zehn Tagen gedruckt — die Nummer wurde aber bis heute nicht ausgcgeben. Man denke deshalb nicht an Rebellion. Offenbar haben die Vor stellungen der beiden in dem Schreiben so schwer angegriffenen bayrischen Kirchenfürsten gefruchtet, und die Weisung wurde zurückgenommcn. Der Schlüssel hierzu liegt vielleicht in der Feier der 900jährigen Gründung des Bistums Bamberg, die zu Ende der vorigen Woche mit großem Gepränge stattfand. Erzbischof von Abert gedachte dabei des Ober- Hauptes der Kirche mit größter Wärme und sandte vom Festbankett der Stadt aus namens der Metropolitankirche Bamberg an Pius X. ein Telegramm, in welchem die aufrichtigsten Gefühle kindlicher Ergeben heit, treuen Geborsams und innigster Liebe erneuert und übermittelt wurden. Ein gnädiger Dank des Papstes wurde ihm zuteil, und der päpstliche Nuntius Caputo in München telegraphierte für sich, daß ibn „die Versicherung der aufrichtigen Ergebenheit und der vollen Ein mütigkeit mit dem römischen Papste" mit größter Freude erfüllt habe. Solchen an sich üblichen Worten darf man in diesen Tagen, wo die Luft mit Elektrizität geladen war, besondere Bedeutung zumessen. Nicht absichtslos war bei diesem Jubiläum auch die Ansprache, m>t welcher der protestantische Vorstand des Bamberger Kollegiums der Gemeindebevollmächtigten (Stadtverordneten) den Erzbischof von Abert feierte nnb ihm im Namen und Auftrag der „Bamberger Ge- samtbürgerschaft aller Konfessionen" das höchste Vertrauen zum Aus- druck brachte. Die begeisterten Worte, welche wirklich die Gefühle der Bamberger ohne Unterschied des Glaubens Wiedergaben, mögen dem vielgeprüften Erzbischof Balsam auf seine Wunden sein. * Unser Römischer Korrespondent schreibt nochmatö zum Syllabus: Die römisch-katholische Kirche, wie sie namentlich nach der Proklamierung des Unfehlbarkeitsdogmas geworden ist, würde sich rasch selbst ansgebcn müssen, wollte sie mit dem, was man inoppor tuner- und konsequenterweise Modernismus nennt, ein Paktieren be ginnen: der Religionsgeschichte exoropla ckooent. Diesem Standpunkt lassen bie bisher erschienenen zahlreichen Kritiken über den SyllabuS aus mehr unb minder kompetenten Federn nur wenig Gerechtigkeit widerfahren, trotzdem unverkcnnbarerweise der Sybailus in allen Einzelheiten nur die Zurückführung auf den statu> gue> ante als Zweck hat: ist doch der heutige Syllabus von dem von 1864 eben darin unter schieden, daß er nur Einwände gegen die von der Kirche stabilisierten Dogmen bekämpft, während der andere theologische, philosophische und politische Lehren in Bausch und Bogen zunichte machen wollte, die der .Kirche nicht gefielen! Die Kritiken batten sich vielmehr an den Um stand, daß der heutige Syllabus den Erwartungen nicht entspricht, die sie sich über Ziele und Wege der römischen Kirche auf Grund von im wesentlichen subjektiven Voraussetzungen gemacht hatten. Es ist gewiß nicht des Papstes Schuld, wenn man in seiner Freigabe des Bibel studiums mehr sah, als eine Erlaubnis zu einer gewissen Philologie ber Bibel, die in eine Auslegung des sachlichen Gehalts der Bibel oder in eine Bewertung von deren Gesamtcharakter wahrlich nicht „ent arten" sollte; denn eben derselbe Papst gab ja nicht einmal Freiheit der Auslegung des Thomas von Aquino und bestimmte selbst die Schranken, innerhalb deren die Auslegungen der Werke dieses Kirchenvaters sich be wegen sollen. Das Verfahren gegen den Abbe Loisy, gegen den irischen Jesuiten Thyrrel, gegen den Abt Pandozi, gegen den Direktor des kleri kalen Seminars von Perugia Fracassini usw. bewies dies überdies tm einzelnen. Die römisch-katholische Kirche zeigt mit diesem neuen Syllabus abermals ihren altbekannten, geistige Regsamkeit er- stickenden oder verfälschenden Charakter. Die römische Kirche wird sich durch zartfühlende Petenten nicht davon abbringen lassen. Man muß sich das auch in Deutschland endlich vergegenwärtigen! Schließlich kann man katholisch und doch „los von Rom" sein. * Soeben sind im Verlage von Göbelund Scherer in Würzburg unter dem Titel „C o m m e r - S ch e l l" Ernst Commers Briefe an Hermann Schell von 1885—1899 (16 S. Preis 0,50 erschienen, her- ausgcgebcn von einem früheren Schüler und Freund Schells, dem Würz burger Gefängnispfarrer Dr. Hennemann, um, wie er im Vorwort sagt, zahlreichen und dringenden Wünschen zu entsprechen und ein klares Bild von dem früheren und jetzigen Standpunkt Commers zu geben. Commer finde nämlich im Gegensatz zu den päpstlichen Aeußerungen in seinem Buche an Schells Charakter und Werk wenig oder nichts Gutes mehr und spreche seinem früheren Freunde und Mitarbeiter an dem Commer- schen Jahrbuche für Theosophie und spekulative Theologie, dem toten Apologeten, trotz der Versicherung, Schell sei ein großer Gelehrter ge wesen, so ziemlich alle die wissenschaftlichen Vorzüge jetzt ab, denen er ehemals nicht nur vor, sondern auch nach der Vollendung der groß angelegten Dogmatik Schells Worte hohen Lobes, der größten Bewunde- rnng und warmen Anerkennung gezollt habe. Dabei müsse besonders beachtet und ausdrücklich hervorgehoben werden, daß es vorzugsweise die Dogmatik Schells sei, in der seine beanstandeten Anschauungen sich finden. Neber diese Dogmatik schrieb Commer unterm 10. November 1889 an Schell: Ich selbst bewundere an dem Buck zweierlei vor allem: den groß artigen Standpunkt, von dem ein so freier Blick in die Abgründe der Theologie ermöglicht wird, und die echt deutsche, unserem modernen Denken entsprechende Behandlung des spröden Stosses. Wegen des letzteren Vorzugs sehe ich in dieser neuen Dogmatik eine Brücke für gutgesinnte Protestanten und überhaupt für ehrliche Forscher, auf der sie zur Kirche hiniibergehen können. Den ersten Vorzug erkenne ich um so lieber an weil ich ibn als strenger Thomist nicht einmal erstreben dürfte. Da klingt jedoch noch sehr dunkel; laß mich so sagen: Im Prinzip ist ein freier und hoher Blick durchaus das Ideal des hl. Thomas selbst. Deine Dogmatik beginnt eine neue Zeit in Deutschland. Daß die Kathederdogmatiker davon nichts wissen wollen, wird Dich nicht stören können. Am 6. März 1888 beglückwünscht Commer seinen Freund herzlich zur Beförderung zum Ordinarius und fährt dann fort: „ack multcm SNN09 und in frischer fröhlicher Arbeit gegen alle engherzigen und kastenmäßigen Tendenzen, welche das Licht der Wissenschaft verdunkeln können!" In einem Briefe vom 1. November 1885 sagt Commer unter anderem: Wenn ich aber wahrheitsgemäß meinen ersten Eindruck schildern darf, so halte ick Dein Buch (Das Wirken des dreieinigen Gottess für geradezu epochemachend. Es ist nicht bloß ein Denkmal deutscher Theologie, welches beweist, daß wahre und tiefe Theologie auch bei uns noch möglich ist, sondern es ist selbst der Anfang einer ganz neuen Periode der theologischen Wissenschaft, der Großes verspricht und nicht bloß Anfang, sondern zugleich Vorbild für alle Zeiten geworden ist. Ich betrachte deshalb dieses Werk geradezu als eine oaui-a sxernplari'? et kormalm der neuen Theologie und sogar der im edelsten Sinne anfgefaßten Thomistischen Theologie. Interessant ist ein Geständnis Commers, das seine begeisterte Freundschaft für Schell zu erklären scheint: Commer schreibt nämlich am 22. September 1886: „Dieser Artikel (die mystische Theologie des Buddhismus und die bezüglichen Publikationen ans den esoterischen Kreisen! hat mein Glück gemacht, dadurch ist das Jahrbuch auf den Damm gekommen." Bemerkenswert sind auch zwei Aeußerungen Commers über die Jesuiten: Am 20. April 1891 sagt er von den Jesuiten, sie scheinen sich „eigensinnig zu verwahren" gegen eine wissenschaftliche Annahme, und am 20. November 1893 erklärte er, er stehe mit der großen Familie Pesch (gemeint sind die den Rainen Pesch tragenden Mitglieder der Gesellschaft Jesu! aus dem Kriegsfüße. Die bezeichnendste Stelle aber findet sich in einem Briefe vom 28. Februar 1899, also aus der Zeit, wo Schell auf den Index kam. Commer schreibt: Gestern abend erzählte mir ein Leser von Zeitungen, daß ein Jndexdekret über verschiedene Deiner Schriften erflosien sei. Ich weiß nickt, ob es wahr ist: jedenfalls würde ick eS tief bedauern und mußte Dir meine herzliche Teilnahme auSspreckcn. Daß gegen Dick qearbeitet wurde, batte ick freilich schon im vorigen Jahre auf einer Reise in Rom gebärt. Aber ick wurde beruhigt, als ick erfuhr, daß die Dominikaner Dich sowohl in Rom wie in der Leo-Gesellschaft, die man gegen Dick anrusen wollte, wacker verteidigten. ES tut mir herzlich leid, daß der wisscn'ckaftlichen Erörterung in dieser Weise vorgegriffen ist und Deine edlen Absichten nicht so anerkannt sind, wie sie es vcrbienten. Im Nackwvrt spricht der Herausgeber die Vermutung auS, Commer könne mit Repressalien anworten, indem er die Briefe Schells oer Oessentlickkcit übergebe, wie er daS in seinem Bn he schlecht verhüllt be- reits angcdrobt kabe. Dr. Hennemann schließt' Das Wort cko mariui» Iiil nisi bona musie Schell gegenüber die richtigere Fassung erhalten: 6s mortuis nil nisi vors.
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