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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 27.07.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-07-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070727028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907072702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907072702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-07
- Tag1907-07-27
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Abend-Ausgabe 8. BezugS-Pretv Nr L»ip»ia und Vorort« durch untere lräger und Lpedlteure in« Hau» -«bracht: Aut- gabe ä (nur morgen») vierteljährlich 3 M., monallich I M.: Lu»aabe » (morgen« und abend») viertel jährlich 4.50 M., monatlich 1.50 M. Durch di« Po« bezogen (2 mal täglich) innerhalb Deutichland» u der deutschen Kolonien vierteljährlich 5,25 w., monatlich 1,75 M. auälchl. Postbestellgeld, für Oesterreich S L 88 k, Ungar» s L vierteljährlich. Abonnement-Annahm,: Au-ustusvlatz 8, bet unseren Drägern, Filiale», Spediteure» und InnahmesMen^ stwie Postämtern uad Li« einzelne Nummer kostet IO kstedakttvn und Expedition: Johanni»gasse 8. D-l-phon Nr. 14602, Nr. 14SS3, Nr. I4SS4. verltuer «edaktton- vureau Berlin 5! ZV. - Prinz Loui» Ferdinand- Straße 1. Lelephon I, Nr. 0275. Nr. 206. WpMtr.TagMM Handelszeitung. Ämlsösatt -es Nates und des Nolizeiamtes der Stadt Leipzig. 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Geburtstag. * Prinz Heinrich XV11I. von Reuß stürzte in Hei ligendamm während eines Spazierrittes mit seinem Pferde, wobei er sich an der Schulter verletzte. Innere Verletzungen scheinen nicht vorzuliegen, doch klagt der das Bett hütende Patient über Schmerzen. * Unter dem russischen Militär droht eine neue Revolte auszubrechen. lS. Ausl.) * Die Legung eines telegraphischen Kabels zwischen Peters burg und Kopenhagen ist vollendet worden. Der? Stapellarrf -es „Bellerophon". lVon unserem Londoner Korrespondenten.) England baut bekanntlich drei weitere „Dreadnoughts", von denen der „Bellerophon" in Portsmouth, die „Tömoraire" in Devonport und die „Superb" in Elswick unter Äeobachtungeines wesentlich größeren Ge- yeimnisses, als bei der Erbauung des Mutterschiffes des Geschwaders obwaltete, ihrer Fertigstellung entgegengeben. Immerhin sind einige Einzelheiten bereits ausreichend zu der Erkenntnis, daß die neuen „Dreadnoughts" namentlich in artilleristischer Beziehung und hinsichtlich der Panzerung einen Fortschritt gegen die nunmehr schon „alte „Dreadnoughts darstellen. Das heißt freilich zunächst nur, daß einige unbegreifliche Konstruktionsfehler, die den Wert des Musterschiffes sogleich nach der Indienststellung zu beeinträchtigen begannen, vermieden worden sind. . , „ .. . Das er st e dieser Schiffe, der „Bellerophon .lauft heute vom Stapel. Wie die „Dreadnought" wird der „Bellero phon" 490 Fuß Länge und 82 Fuß Kielbreite haben; auch das Gewicht des Rumpfes einschließlich Panzerung wird wieder 11700 Tonnen be tragen. Aber der „Bellerophon" wird bei vollständiger Eintauchung 700 Tonnen mehr, nämlich 18 600 Tonnen Wasserverdrängung haben und einen 6 Zoll stärkeren Tiefgang. Sonst führt auch er 23 000 in dizierte Pferdekräfte„ macht 21 Knoten und kann 900 Tonnen Kohle aufnehmen. Schon bei der „Dreadnought" hatte man die Einfachheit des Schraubenapparates gerühmt und die volle direkte Kontrolle, welche der Navigationsoffizier auf der Brücke darüber besitzt. Diese Ver einfachungen und Verbesserungen sollen noch weiter fortgesetzt worden sein. Die Armierung wird wie bei der „Dreadnought" aus 10 IS-Zollgeschützen in der Hauptbatterie bestehen, aber die Anordnung dieser Batterie wird geändert. Bisher wurden 3 Geschützpaare in der Mittellinie des Schiffes, eine Barbette auf dem hohen.Frontkastell, eine in der Mitte gleich hinter der Schiffsmitte und eine dritte gerade hinten hinaus, die beiden letzten neben den Deckbalken, ein wenig vor der Schiffs mitte, ausgestellt. Alle Geschütze befinden sich also auf dem Oberdeck. Das Schiff hat also auf Teckhöhe ein Feuer von 8 Geschützen, sowie vor wärts oder rückwärts von 6 Geschützen, da die Zentralfeuerstelle, in der Kiellinie und mit der Achterbarbette auf gleicher Deckhöhe liegend, m ihrem Feuerkreis beschränkt ist. In dem „Bellerophon" wird die Zentralbarbette ans gleicher Höhe mit der Frontbarbette liegen, so daß ihre beiden Geschütze auch über die Achterbarbetrc und über die Seiten barbetten feuern können. Auch die zweite Batterie erhält eine große Verstärkung ihrer artilleristischen Offensivkraft. Sie besteht in der „Dread nought" aus 27 Zwölfpsündern. Für die neuen Schiffe sind vorläufig vierzöllige Fünfundzwanzigpfünder vorgesehen, möglicherweise kommen noch schwerere Geschütze in Frage. Die Panzerung besteht wieder aus einem vollständigen, im Minimum 11 Zoll starken Gürtel und einem ähnlichen, 8 bis 11 Zoll dicken Schutz für die Geschützstellungen. Bei der „Dreadnought" hat sich jedoch ein ernster Fehler heraus gestellt. Bei voller Belastung taucht der Panzergürtel an seiner stärk sten Stelle in das Wasser ein oder befindet sich wenigstens gefährlich nahe der Wasserlinie. Vor der Schlacht von Tsushima erleichterte Ad miral Togo seine Schiffe, indem er Kohlen s!) Über Bord warf, um diesen Fehler auszugleichen. Reicht ein Panzergürtel eines leicht ge ladenen Schiffes bis nahe zur Wasserlinie, so braucht das Schiff nur zu rollen, um vitale Teile einem glücklichen Schuß auszusetzen: man kann dann aber durch Wasserfüllung des Doppelbodens das Schiff senken und die Wasserlinie schützen. Denselben Fehler durch Erleichterung zu be seitigen, ist nur auf Kosten der Schlagfertigkeit möglich. Das ist noch eines der Hauptprobleme, die bei dem neuen „Bellerophon" zu lösen sind, bevor die englischen Marineleute mit ihm zufrieden sein werben. Beiehsrnts-Ferien. (Von unserem Wiener k'.-Korrespondenten.f Das österreichische Abgeordnetenhaus, das erste auf Grund des all gemeinen, gleichen und direkten Wahlrechtes erstandene, ist gestern auf Ferien gegangen. Wie hat es sein erstes Sommersemester bestanden? Wie war das Debüt? Welche Hoffnungen dürfen auf die Herbsttagung, in der die eigentlichen politischen Kämpfe losbrechen werden, in der der Ausgleich mit Ungarn zur Beratung und Beschlußfassung gelangt, ge setzt werden? Tie Optimisten sagen: Es ist besser gegangen, als man erwartet hatte. So hat sich in der gestrigen Sitzung der Pairskammer der ehemalige Handelsminister Dr. Baernreither geäußert, der ein heftiger Gegner der Wahlreform war und gewiß nicht mit liebevoller Voreingenommenheit die ersten Schritte beobachtet hat, die das „Volks haus" gemacht hat. Die junge Volksvertretung hat einige größere poli. tische Debatten erledigt, akademischer, theoretischer Art, einige Auf klärungsgefechte durchgeführt, in guten Formen; einige heftige Zu sammenstöße der radikalen Parteien kommen nicht besonders in Be tracht. Tas Haus hat glatt sein Präsidium gewählt. Tie Negierung hat das beanspruchte Budgetprooisorium bis Ende dieses Jahres mit einer stattlichen Zweidrittelmehrheit bewilligt erhalten. Weiter: die Beratungen des Parlaments fanden lebhaftes Interesse in der Bevölke rung; man kann konstatieren, daß der politische Nerv in Oesterreich, so lange Zeit fast gelähmt, wieder kräftig vibriert. Und man findet schließlich, daß die Erfolge des Kabinetts Beck, die Gefolgschaft des Parlaments, ihn bei den Ausgleichsvcrhandlungen mit Ungarn unterstützen werden, daß Zisleithanien nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in poli tischer Hinsicht stärker dasteht, als in den letzten Jahren. Die Pessi misten sagen: Die Negierung hat glänzend abgcschnitten, das Parla ment aber hat sich höchst unsicher benommen; die Parteien haben diplo- matisiert; alle Gruppierungen haben nur provisorischen Charakter; alles ist in labilem Zustande. Von keiner Partei ist eine entschiedene Erklä rung gemacht und eine klare Stellungnahme getroffen worden. Die Sozialdemokraten haben in ihren Reden ihr Wahlprogramm wieder holt, haben aber sonst höchst gemäßigt operiert; sie wollen die Arbeits fähigkeit des Hauses nicht stören. Die Christlichsozialen stehen als Diktatoren da; ihnen mußten sich die Klerikalen unter Führung Tr. Ebenhochs unterordnen; Dr. Lueger, der Bürgermeister von Wien, setzte es durch, daß ein Parteigenosse, Dr. Weiskirchner, zum Präsidenten des Abgeordnetenhauses gewählt wurde. Diese Wahl wurde von den Polen, den Tschechen und den Südslawen unterstützt und der Teutschnationale Verband gab auf Wunsch Dr. Luegers seine Stimmen ab. Ist das nicht die Wiederkehr des alten eisernen Ringes unter Taaffe? Ter Deutschnationale Verband könnte ja leicht ausgeschifft werden. Und dieser Deutschnationale Verband selbst! Er wurde als deutsch-freiheitlicher Block geplant, als Gegengewicht gegen die Christlich- sozialen und die Klerikalen, die nun unter einer Fahne marschieren. Von „Fortschritt" wird aber in diesem Verbände nicht gesprochen; die einzige von freiheitlichem und kulturellem Geiste diktierte Rede hat der tschechische Realist, Abg. Professor Tr. Maseryk, gehalten. Gut; es steht kein Kulturkampf in Oesterreich in Sicht. Gut; zunächst müssen die deutschen Abgeordneten die nationalen Interessen vertreten, und des halb die Bettgenossen und die Weggenossen nehmen, die sie brauchen — es hieß aber doch, daß das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht die nationalen Schwierigkeiten in den Hintergrund schieben werde? Und wenn dann im Herbste der neue Ausgleich mit Ungarn auf den Tisch des Hauses niedergelcgt werden wird, und die Regierung ihr Kabinett mit den Führern jener Parteien ausgestaltet, die für Portefeuilles den Ausgleich votieren, wenn dann die christlich soziale Färbung des Kabi netts durchgeführt ist, der Marsch nach rechts beginnt, wo werden dann die deutschen Parteien, die den Fortschritt nicht ganz abgeschworen haben, Anschluß finden? Bei den Sozialdemokraten! Ist aber dies die richtige Gesellschaft für die deutschen bürgerlichen Parteien? Und weiter: Das Parlament soll doch die führende Nolle haben; es soll alles gehen, wie es die Mehrheit der Volksvertretung will und für richtig erkennt — im österreichischen Abgeordnetenhause aber kann der Ministerpräsident erklären, daß er sich die Parteien zu seiner Unter stützung wählen werde, wie er wolle, wie es die Verhältnisse gestatten! Gewiß, Baron Beck ist ein ehrlicher Staatsmann, ein aufrichtiger Konservativer; er spielt mit offenen Karten, er ist ein politischer Genile- man; er hat die allgemeinen, die Staatsinteressen zu wahren und man kann ihm vollstes Vertrauen entgegenbringen — wozu aber dann der ganze Rummel der Wahlreform, wozu die Erregung, wozu die Stärkung der radikalen Elemente? Wo bleibt der Volkswille? So urteilen die Pessimisten. Die Resultante aus diesen, wie man sieht, sehr divergieren den Anschauungen ist: das Gebiet der unbeschränkten Möglichkeiten ist eröffnet. Nichts ist entschieden; kein Weg verlegt, keine Trasse gezogen; man kann Gutes und Schlechtes erwarten. Tie Herbstkampagne wird außerordentlich interessant sein. Da die Thronrede und das Regie- rungsprogrammm tatsächlich treffliche Aktionen in Aussicht stellen, muß der Hoffnung Ausdruck gegeben werden, daß das neue Parlament seiner historischen Mission, als erstes Volkshaus, gerecht werden möge. Zeitungsschau. Die freisinnige „Kieler Zeitung" beschäftigt sich mit der erneuten Eingabe einer größeren Anzahl deutscher Pastoren in dem Grenzdistrikte, die die Einführung von zwei fakultativen dänischen Spiachstunden in denjenigen Schulen Nordschleswigs, in welchen dänstcker Religions unterricht erteilt wird, im Interesse dieses Unterrichts besüiwortet, u. a. mit der Begründung, daß in Ermangelung solcher Sprachstunden dem Besuch der dänischen Hochschulen Vorschub geleistet werde. Die Zeitung schreibt: Wir haben das Steinmannsche Sprachedikt bekämpft, durchaus nicht aus sentimentalen, sondern aus politischen Gründen. Seitdem sind aber beinahe zwanzig Jahre ins Land gegangen, und es kann sehr fraglich sein, ob es heute noch politisch verantwortet werden könnte, einen Schritt zurück zu machen. Wenn es möglich sein sollte, den Wunsch der deutschen Geistlichkeit in den Grenzbezirken zu erfüllen, so könnte das selbstverständlich nur geschehen, wenn es das deutsche Staatsinteresse erforderte, und wenn das Ver balten der dänischen Bevölkerung und ihrer Presse uns eine genügende Garantie dafür böte, daß diese Bevölkerung entschlossen ist, mit den deutschen Bewohnern der Nordmark friedfertig zusammenzuleben und zu wirken, wenn die dänische Presse sich aus den verfassungsmäßigen Boden stellt und alle offenen und ver steckten Versuche aufgibt, den Gedanken an eine Wiedervereinigung mit Tüne- mark immer wieder zu beleben. Tas sind Wandlungen, die sich nicht im Hand umdrehen vollziehen werden. Vielleicht werden Jahre vergehen, bis die innere Gewinnung der heute noch Widerstrebenden gelungen ist, aber sicher ist, daß wir früher nicht imstande fein werden, irgend eine Maßregel in NorüschleSwig zu befürworten, die als ein Zurückweichen vor dem Drucke der dänischen Agitation aufgefaßt werden könnte. Die »Neue Hamb. Z." schreibt über die »Revokation" des Generals v. Lieben: General v. Liebert wird übrigens bald spüren müssen, daß trotz des glimpf lichen Ausganges der Münchener Exzeß auf leine öffentliche Wirksamkeit nicht ohne Einfluß geblieben ist. Wenn er sich künftig wieder einmal über sozial demokratische Roheiten in Wort und Schrift entrüstet, wird die Neigung, diesen sittlichen Zorn ernst zn nehmen, aller Voraussicht nach erheblich schwächer sein. Die „Franks. Ztg." urteilt: Aus dem Schreiben Lieberts spricht eine geradezu erheiternde Naivität. Erst redet der General vor Gericht, wo er doch unter dem gcwissenschärfenden Eindruck des Eides stehen müßte, in den stärksten Tönen so, wie es ihm nicht einmal in der derberen Sphäre des Exerzierplatzes gestattet wäre, und nachher erklärt er wie ein Schulknabe ganz munter: Er habe sich nichts dabei gedacht! Offenbar scheint man in Negierungskreisen diese Kläglichkeit als genügende Sühne betrachten und weitere Konsequenzen nicht ziehen zu wollen. Nach der persönlichen Seite Feuilleton. Ein Spiegel Ist besser als eine ganze Reihe Ahnen bilder. 28. Menzel Englische Glossen zum Hamprozetz. lVon unserem Londoner L-Korrespondenten.j Der Hauprozeß hat auch in Großbritannien ungewöhnliches Inter esse erregt, und das Urteil wird lebhaft kritisiert. Mehr aber noch die Beweisaufnahme und das PiDeßverfahren. Die „Times" z. B. widmen der Prozeßkritik fast eine Spalte telegraphisch übermittelten Textes. Neben dem allgemein menschlichen Interesse ist diese Anteilnahme einmal dadurch veranlaßt, daß man hier den Angeklagten Hau als ein typisches Beispiel anglo-amerikanischer Psychologie natürlich besser zu verstehen weiß, als es sie Geschworenenbank von Schwarzwälder Bauern, aber auch der Karlsruher Vorsitzende, vermochte. Zum anderen stellt der Hauprozeß ein lehrreiches Studien- und Vergleichsobjekt in einem Augenblicke dar, wo hier die Reform der Strafrechtspflege durch die Einführung des bisher dem englischen Strafrechte unbekannten Bc- rufungsverfahrens in Angriff genommen wird. Gerade zur psychologischen Erklärung des Haurätsels hat man hier allerlei anzumerken, dessen Beachtung offenbar den Karlsruher Ver handlungen eine andere Färbung gegeben hätte. Offenbar, denn selbst der Vorsitzende und nun erst der Staatsanwalt, hat sich ganz und gar nicht in den Gedanken hineinzuleben vermocht, daß ein Deutsch-A m e r i- kaner vor den Schranken stand. Dieses Unvermögen erstreckte sich bis auf kleine, aber bezeichnende Details des sprachlichen Ausdrucks. Hau bemerkte zu der inkriminierenden Pariser Depesche, sie sei der „ein- zige Gedanke gewesen, der sich ihm suggeriert e". Der Vorsitzende fuhr darauf den Angeklagten an, was das nun wieder für ein ncbcl- Hafter phantastischer Ausdruck sei? Es war ein englifch-deutscher Aus druck ganz nüchterner Art, der unter den englischsprechenden Deutschen sehr beliebt ist, weil er die Nuance des halbbewußten Denkens ausgezeich net trifft: „It sriskcc«teU lts«1k tc» rnzc rniucl." Wie mußte auf einen dekadent nervösen Mann, der zur Verschlossenheit neigt, die noch häu figer wiederkchrende Unfähigkeit, schon nur sprachlich dem doch doch- gebildeten Vorsitzenden, geschweige denn den Geschworenen, die Nüancen feines exotisch gewordenen Gefühlslebens verständlich zu machen, zurück wirken! Wir kennen in England das Wort von der „clementia ^morivnnn", dem „Amerikanerwahn". Dieser besteht in dem grenzenlosen Selbst vertrauen, das außer dem bürgerlichen Takt allmählich auch die mora lische Delikatesse zu verlieren beginnt. Diese ävwontia ist eine so ge läufige Erscheinung gerade bei den Typen des amerikanischen Citylebens, daß ein gut Teil anglo-amcrikauischer Ge'chäftsbeziehungen aufhören müßte, wenn man sich — wir gebrauchen des Verteidigers Wendung — oor „abscheulichen" Menschen vom Schlage Haus mit derselben Intoleranz abwenden wollte, wie sie in der gesunden Schwarzwälder Luft gedeiht. Lakonisch, wie alle tüchtigen amerikanischen Geschäftsleute, bemerkte Hau nur ein einziges Mal, aber sehr treffend, die ihm als hochstaplerisch angerechneten Geschäfte würde er in Deutschland nie versucht haben. Wem ein paar Jahre die Atmosphäre Wall Streets oder der City of London um die Nase geweht hat, weiß, daß der Geschäftsmann Hau nach anglo-amerikanischen Begriffen innerhalb der erfolgreichsten Ge schäftsschicht keine abnorme oder gar perverse Figur auSmacht. Selbst die Affäre mit dem Wiener Kreditbrief würde Hau in diesen Zirkeln höchstens als ein gar „smarter" Trick, nie als Betrug, sondern als Schie- bung, um über eine momentane Verlegenheit Hinwegzukommen, ausgelegt worden sein. Es vergeht keine Woche, ohne daß in englischen oder ameri- konischen Blättern der Empfang von „Ooi^eienes Aouezc" quittiert wird, das heißt die Einsendung solcher temporär „entliehenen" Gelder. Aus solchen Dingen würde kein englisches oder amerikanisches Gericht zu folgern wagen, daß man es mit einem prädestinierten, mit einem zur Mordtat reifen Verbrecher zu tun habe. Hau war obendrein ein internationaler Agent. Auf bei den englischsprechenden Seiten des Ozeans gibt cs von dieser Klasse Bei spiele, die noch viel tollere Münchhausiaden erzählen, viel ärger mit dem Gelde, namentlich mit fremdem, um sich werfen, viel wildere Weiber geschichten auf ihrem Konto haben, nicht bloß einen unklar erworbenen Orden, fondern ganze Ketten tragen, und die dennoch niemand hier oder in New Bork nach dem deutschen Sprichwort beurteilen möchte: „Wer lügt, der stiehlt. Und wer stiehlt, der kommt an den Galgen." Es wäre gar kein übler Gedanke vom Verteidiger gewesen, hätte z. B. einen ber amerikanischen Vertreter für Kriegsmaterial, die 1904/05 in Peters burg Geschäfte s la Hau betrieben, zur sachverständigen Begutachtung von Haus Auftreten oorgeschlagen. Es gibt hier viele Leute, denen der Verkehr mit solchen Kreisen ebenfalls den Appetit verdirbt, die aber doch um keinen Preis Schlüsse, wie der Karlsruher Staatsanwalt, aus ihren üblen Manieren ziehen würden, selbst, obwohl sie glauben, daß die kleine Herde dieser Agenten auS lauter schwarzen Schafen besteht. Und nun gar die alles beherrschende Frage nach dem Motiv! Kein englischer Citymann oder amerikanischer man abnut, tnrvn hält es für möglich, daß ein „Finanzier" von Haus Schlage um 15 000 Toll. Erbe oder 150 Toll. Zinsen zur Mordwaffe greift. Hau war ferner Standard Oil-Agent. Wer je auch nur des absolut ,uverlässig dokumentierte Buch der Ida Tarbell über die Standard Oil gelesen hat — er braucht den Trust gar nicht selbst an der Arbeit gesehen zu haben —, der wird HauS geheimnisvolle Rci'cn, seine Verkleidungen, die Furcht seiner Frau vor Spionen, am allerwenigsten aber Haus hartnäckiges Schweigen darüber oder seine erdichteten Erklärungen dazu ohne weiteres für Ausgeburten der Verbrecherromantik zu halten geneigt sein. Die Tarbell berichtet und beweist noch viel romantischere Geschichten und illustriert noch ganz andere Beispiele von der Furcht der Standard Oil-Ägcnten vor dem Trust, iw-Falle sie dessen Geheimnisse preisgeben. In einem Lande, wo der Steunenberg-Prozeß sich eben erst abspielte, hat das Haupt- Problem nur das Normalmaß des Mysteriösen, in Wirklichkeit viel leicht aber sehr faktischen an sich. Wie weit ab liegen diese Dinge vom Karlsruher Horizont! Wie absolut hoffnungslos mußte sich dem Angeklagten der Versuch darstellen, für solche Verhältnisse Verständnis zu finden, wenn man schon seinen deut ch-enqlischen Jargon für verdächtig hält! Wieviel von seinem „obstinaten" Schweigen erklärt sich aus dieser Hoffnungslosigkeit des degenerierten Neurasthenikers, der bereits alles eingebüßl hat, was ihn ans Leben fesselt, und gar obendrein, wie alle amerikanischen Avcn- turicrs. wohl entschiedener Fatalist ist. Wie wenig können ihm bei dieser Verschiedenheit der Wetten die rühmenden Aussagen seiner ame rikanischen Freunde über seinen „amerikanischen Charakter" vor dem Forum nützen, vor daS er einmal geraten ist. Gerade hier aber liegt ein Punkt, wo der englisch-amerikanische Be obachter einen Vorzug seines Strafprozesses geltend macht. Ti-ier Vor zug ist die „okLruxs oi venu«". Assisen in Deoonshire oder Ohio würden den sozial-psychologischen Vorbedingungen für eine richtige Urteils findung auch nicht mit mehr Verständnis cntaegengekommen sei>: In einem solchen Falle beantragt die Verteidigung, stets mit Erfolg, unter englischem Recht die Verweisung des Prozesses in ein passenderes Milieu, z. B. nach London, oder in der Union vor ein Bundesgcricht. In Berlin würde man die Welt HauZ bei der Urteilsfindung wohl auch anders zu würdigen gewußt haben als in Karlsruhe. Man hat in Karlsruhe auch aanz^ übersehen, daß Hau amerika nischer Jurist ist. So oft der Vorsitzende Hau mißverstand, so wenig onnte anderseits der Washingtoner Advokat des Präsidenten Appelle au eine Juristenqualität würdigen, wenn damit seine Schweigsamkeit durcy- -rochen werden sollte. Ter englische Strafprozeß ist absolut durch- »rungen von der Auffassung, daß die Beweislast völlig bei der An klage liegt, der Angeklagte hingegen zur Beweisaufnahme auch nicht das geringste beizutragen hat. Klageanwalt und Verteidigung habenvölliggleicheKompctenzen. Im englischen Kreuz- verhör kommen die Anschauungen beider Parteien zur erschöpfenden Sachdarstellung. Ein englisches Kreuzverhör würde das Zeugnis der Molitorschen Familie unerbittlich haben zerpflücken können. Aus reinen Indizienbeweis spricht kein englisches oder amerikanisches G> richt ein Todesurteil aus. Und im englischen wie amerikanischen Pro-cß ist die Stimmeneinheit der Geschworenen zum Schuldiaspruch er forderlich. Haus in Deutschland für ihn so schädliche Taktik, nur von einwandsfreien Zeugen gemachte Feststellungen zuzugcben, war unter diesen Umständen für den bewußt oder unbewußt amerikanisch denkenden Juristen die einzig natürliche und obendrein die normale Taktik. Nicht für „obstinat", sondern für „kair" würde vor dem Gericht seiner neuen Heimat die Taktik des Angeklagten angesehen worden sein. Der eng lische und der amerikanische Richter fragen nur einmal, ob der An-
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