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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 02.08.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-08-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070802013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907080201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907080201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-08
- Tag1907-08-02
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Reich.) * Der Zar begibt sich auf der Jacht „Standart* nach Swine münde, wo er drei Tage verweilen wird. (S. Art. u. Ausl.) * Der Reichspostdampfer „Feldmarschall" mitStaatSsekretär Dernburg an Bord ist gestern in Kilindini eingetroffen. An Bord ist alles wohl. * Der Madrider „Heraldo" meldet, der Finanzminister O «ma werde Mitte August nach Karlsbad reisen, wo gleichzeitig Fürst Bülow, Clemenceau und König Eduard sich aufhalten würden. Osma wolle diese Gelegenheit zu einem Versuch benutzen, mit Deutschland und Frankreich einen definitiven Handels vertrag abzuschließen. * Bei der Parlamentsersatzwahl für den verstorbenen Libe ralen Billston in Nordwest-Staffordshire wurde der Liberale Stanley mit 7396 Stimmt« gewählt; der Gegenkandidat Twyford (Unionist) erhielt 5047 Stimmen. * Ein gestern erschienener Erlaß ordnet, wie aus Söul gemeldet wird, die Auflösung der koreanischen Truppenverbände an. Vor Stvineinünde. Auf dem Schlachtfelde von Pultawa wurde eine Großmc Ht-Lüge aufgedeckt. Die Machthöhe Gustav Adolfs und der Wittelsbachschen Dynastie auf die Dauer zu behaupten, war unmöglich für ein Land, dessen Bewohnerschaft auch heute kaum die fünfte Million überschritten hat, besten Boden vielleicht alle Kriegsheere des Planetensystems mit Eisen waffen ansrüsten könnte, aber im frostigen Sommer 1907 vielleicht wie der einmal nicht für ein einziges Regiment den Bedarf an Brotkorn decken wird. Für den ausgestrichenen Namen „Schweden" schrieb die Göttin der Geschichte daS Land der Moskowiter in die Tafel der großen Mächte ein. War auch daS eine Lüge? An der BolkSvermehrung läge es nicht: Fürst Bülow soll ja unlängst zur Kennzeichnung der slawischen Frucht barkeit einen zoologischen Vergleich angewandt haben. Rußland- Bodenschätze sind, was man etwas ungenau unerschöpflich nennt. Die unverwüstliche Ergiebigkeit der „schwarzen Erde" wird höchstens einmal durch Regenmangel der heißen Sommer eingeschränkt. Freilich ist der Notstand des Hungerjahres 1891 seitdem in ein chronisches Stadium übergegangen: allein dafür klage man nicht die unschuldigen Götter an! Wo nicht mehr gesät wird, kann natürlich auch nicht geerntet werden! Solange das von Menschenfreunden zusammengebrachte Saatgut nicht an seinen Bestimmungsort gelangt, solange die russischen Galgen nur für terroristische Verschwörer da sind und nicht auch für hunderttausend- fach schuldbarere, unsäglich schurkische Ministergehilfen: solange ist des Elends Ende nicht abzusehen. In diesen Zuständen wurzelt die Berechtigung des Fragezeichens, daS wir hinter den Großmachtnamen Rußlands gesetzt haben. Nicht in dem Unglück von Tsuschima. Die Zahl derer, die auf dem Grunde der Korcastraße den ewigen Schlummer schlafen, reicht kaum an die Ziffer einer kriegsstarken Division heran. Tas schwedische Eliteheer von 20 000 Mann, welches bei Pultawa seinen Untergang fand, stellte nicht das Doppelte der Einbuße von Tsuschima dar, sondern eine unmeßbare Ver vielfachung. Aber Rußlands Soldaten sind verhungerte Bauern, seine Offiziere die Bestehler der Aermsten! Da sind ernstliche Zweifel laut geworden, ob nicht auch Rußlands Großmachtstellung eine „Lebens- lüge" gewesen ist, als sie zwei Jahrhunderte hindurch trotz aller Auster litze die Nationen geblendet hat. Es gab eine Zeit — und sie begann nicht etwa erst 1888 oder 1890 —, in der Zarenbesuche auf deutschem Boden mit einem Mangel nationalen Kraftbewußtseins ausgenommen wurden, das den Siegern von Sedan herzlich schlecht anstand. Man empfindet förmlich ein Wohlbehagen, diesesmal von solchen herabwürdigenden Uebcrschwänglichkeiten verschont zu werden. Die Erörterungen unserer Presse erscheinen heute auf pianissimo gestimmt. Von allen Seiten wird der rein private Charakter des Besuches hervorgehoben. Das ist die einzig berechtigte, einzig wür- dige Tonart! Es würde ja auch der Gipfel der Geschmacklosigkeit sein, eine neue Epoche der deutschen Politik von der Visite eines Monarchen zu datieren, der vielleicht einzig aus einem gewissen Schicklichkeitsgefühl heraus bis gestern noch nicht seinen Namen unter das seit Monaten vorbereitete Abkommen mit England gesetzt hat, das — mögen wir das Einkreisungs- gerede so nüchtern beurteilen wie möglich — auf keinen Fall eine positive Förderung deutscher Interessen bedeuten wird! Wenn wir den Zaren in Swinemünde bewillkommnen, so entbieten wir einfach dem Gaste unseres Kaisers unfern Gruß! Das ist eine ein fache Pflicht des internationalen Anstandes nicht minder als der Ehr erbietung gegen den Träger der Reichshoheit. An einem solchen Tage wäre es formwidrig, die Jahrbücher der säkularen preußisch-russischen „Entente" aufzurollen und an den unerfreulichen Kapiteln von Tilsit, Olmütz, Reichstadt und zu guter Letzt — Algeciras zu haften. Ruht ja auch Graf Lambsdorff im Grabe! Herr v. Iswolski aber ist ein fast noch unbeschriebenes Blatt — seine Reiserouten im Zickzack: Wien- Pa r i s — Berlin—London wollen wir der Unübersichtlichkeit seines Kursbuches zugute halten. Wir freuen uns, daß Kaiser Nikolaus II. als persönlicher Freund unseres Kaisers zu uns kommt. Diese Tatsache kennzeichnet unsere Beziehungen zu dem trotz aller Schicksalsschläge noch immer mach- tigen Nachbarreiche als einfach korrektem der absoluten Bedeutung dieses Wortes. Eine Verzögerung des Gegenbesuches für Bjorkö um einen weiteren Sommer hätte leicht eine ebenso bedenkliche Auslegung im Jnlande und im Auslande erfahren können, wie die auffällige Deutsch landscheu deS englischen Königs während deS ganzen JahreS 1905 bi tief in 1906 hinein. Wir freuen uns auch aufrichtig über das negative Moment der dies maligen Zarenreise, daS so geflissentlich von allen Offiziösen hervor gehoben wird. An die kmHe Begegnung von Bjorkö hatten sich recht be denkliche Kombinationen geknüpft. Man erzählte, Kaiser Wilhelm habe dem Zaren für den Fall einer gefährlichen Ausbreitung der revolutio nären Bewegung in Polen die Herstellung der Ruhe im westlichen Grenz- lande Rußlands durch deutsche Armeekorps versprochen! Es hätte ja freilich dahin kommen können, daß wir ins brennende Nachbarhaus eindringen mußten, um die Gefährdung unseres eigenen Besitztums abzuwenden — wie Oesterreich in einem ähnlichen Falle die Grenzprovinzen der Türkei besetzt hat. Aber für eine nicht aus eigenem realpolitischem Interesse, sondern bloß aus freundnachbarlicher Gesinnung hervorgewachsene opfer reiche Kriegsfahrt sind uns die Knochen unseres letzten pommerschen Grenadiers viel zu kostbar! Damit der gute Freund uns schließlich die Besatzungskosten — schuldig bliebe! Von alledem ist nicht mehr die Rede, und darf nie die Rede sein. Zar Nikolaus kommt als P r i v a t m a n n: das ist die amtliche Lesart. Man rühmt dem Träger der russischen Krone Gutherzigkeit und andere für den M e n s ch e n sympathische Charaktereigenschaften nach. Sei uns der gutherzige Kaiser, der edelgesinnte Parteigänger eines gesicherten Friedens vor Swinemünde willkommen! O Wir schließen an diese Ausführungen folgende Mitteilungen an: Ein namhafter, mit Rußlands heutigen Stimmungen vertrauter Staatsmann hat sich geäußert: Die Gerüchte und Erörterungen über eine ernste Lockerung des russisch-französischen Bündnisses und einen engeren Anschluß Rußlands an Deutschland seien willkürliche Mut maßungen ohne Berechtigung. Rußland werde das Bündnis mit Frank reich noch lange als Grundlage seiner Politik beibehallen; vabei seien vorübergehende Mißverständnisse und Verstimmungen immerhin zu gegeben. Die russische Regierung habe dem bekannten Artikel des „Nowoje Wremja" wirklich fern gestanden; der Verfasser des Artikels sei in Pariser nationalistischen Kreisen zu suchen. Sein Name sei auch in Berlin bekannt. Auch Anlehcnsschmerzen Rußlands hätten die Entrevue nicht veranlaßt. Rußland habe erst jüngst seine innere An leihe von 50 Millionen Rubel eingestrichen, und noch mehrere hundert Millionen Rubel seien der Regierung auch von russischen Bankiers und Banken angeboten worden, so daß sie für einige Zeit jedenfalls vor Ver legenheiten gesichert sei. Der einzige Zweck der Entrevue sei der, die freundschaftlichen Gesinnungen der Monarchen und die vertrauensvolle Politik der leitenden Staatsmänner, die sich schon während des japa nischen Krieges betätigt habe, von neuem zu bekunden. Das sei ja genug, und man brauche nach neuartigen großen Plänen und Gestaltungen nicht zu suchen. Althoff. Als am Mittwoch der große Kliniker Ernst v. Leyden seine Ab- schiedsvvrlcsung hielt, vergaß er nicht, den Namen Althoff zu nennen. Er pries ibn als seinen Helfer bei der Errichtung von Lungenheilstätten. Und noch manche andere Gelehrte haben Grund, ihm als einsichtigen För derer ihrer Bestrebungen dankbar zu sein./Wir erwähnen diese Tat sachen absichtlich gleich zu Anfang, weil es uns scheint, als werde das Bild dieses überaus fähigen und fleißigen Mannes denn doch allzu sehr in der Tagesgeschichte verzerrt. Er ist ein Konservativer, für unsere Be griffe auch ein Erzreaktionär, der besonders auf theologischem Gebiete die Entwicklung und Verbreitung liberaler Auffassungen mit allen Machtmitteln des preußischen Staates bekämpfte und seinen eigenen Ansichten auf den Lehrstühlen der preußischen Universitäten den Boden bereitete. Aber wenn wir tbm deshalb auch gram sind, so soll uns das doch nicht hindern, bei dieser Gelegenheit anzuerkennen, daß dieser Ministerialdirektor ein außergewöhnlich tüchtiger, kluger und gewandter Bamter war. Man kommt der Psyche dieses Mannes vielleicht am nächsten, wenn man sich der Vorgänge erinnert, die zu den Studentendemonstrattonen wegen der Ansprüche der katholischen Verbindungen führten, und der Art erinnert, wie Herr Althoff schließlich die ganze Bewegung zu dämpfen ver stand. Er beschick die Vorsitzenden der Studentenausschüsse zu sich, führte sie in eine Weinstube und erledigte die Angelegenheit inter poouln so, daß die Studenten beinahe glauben konnten, gesiegt zu haben, während Herr Althoff sie einfach eingewickelt hatte und die Angelegen- heit nach seinem Ermessen entschied. Wenn nicht die Schülerszene im Faust schon der Literatur angehörte, hier wäre ein mephistophelischer Vorwurf für einen modernen Dichter. Das war der echte Althoff. Diesem Manne mit seiner überragenden, nie versagenden Gewandtheit kam eS stets auf das Ziel an, und nie ließ er es außer acht. Seine reaktionäre Gesinnung war geboren aus geistiger Ueberlegenheit und ganz gewiß nicht aus Torheit. Er hielt an der Bevormunvungspolitik fest, weil er sich mehr zutraute als den meisten anderen. Vielleicht ist er innerlich eine Art Nitzscheaner Ein solcher Mann hätte unter einem hervorragenden Minister sehr wertvoll werden können, wenn seine selbständige Natur das Subordi nieren überhaupt vertragen hätte. Aber in einen solchen Konflikt ist er nie geraten. Ob das Ministerium zufällig Zedtlitz-Trützschler oder Bosse oder Studt hieß, war für sein Ressort ganz gleichgültig. Er blieb in ihm souverän bis an sein amtliches Ende. Immerhin ist deutlich zu er kennen, daß seine- Wirkens Schädlichkeiten erst in der Aera Studt zur Peinlichkeit emporgediehen. Diesem amtlichen Hüter deS preußischen geistlichen Lebens war er absolut überlegen und unentbehrlich. Das ging so weit, daß der Minister vor dem preußischen Parlament nur mehr der Vorleser der Althoffschen Manuskripte schien. Es ist also leicht er klärlich, daß die preußischen (und sogar di» reichsländischen) Universitäten in Herrn Althoff ihren alleinigen Herrn und Gebieter erblickten, und daß der regierende Ministerialsekretär, seiner ganzen positiv gerichteten Veranlagung entsprechend, die gegebene Situation voll auSnützte. Er kümmerte sich nicht viel um die Fakultäten, versetzte ihnen Professoren zur Strafe für bedenkliche liberale Neigungen und behielt sie immer in der Hand durch seine Vorschläge für den Etat. Sentimental war er nicht, Seufzen rührte ihn nicht, und wer nicht parierte, hatte sich die Folgen selbst zuzuschreiben. So stellt sich unS dieser Mann dar als rin spezifischer Exponent der in der preußischen Kultusverwaltung traditionell geworbenen Gc- fchäftsführung. Und man darf wohl sagen, daß dem Mann nicht sein Recht geworden ist. Er war nach den im amtlichen Preußen geltenden Anschauungen der gegebene Kultusminister. Biel schlimmer als so hätte cS übrigens dann auch nicht kommen können. Er hat mit seinem dik tatorischen Wohlwollen die preußischen Universitäten, insbesondere Ber lin, so in Mißkredit gebracht, daß die Sterne am Gelehrtenhimmel bei einem Berliner Ruse drei Kreuze zu machen pflegen. Das ist das Re sultat der jahrzehntelangen Arbeit dieses tüchtigen Mannes. Es ist der Schiffbruch des ganzen Systems. Alle nützlichen Förderungen wissen- schaftticher Bestrebungen, die reiche positiv- Arbeit Althoffs kann den Schaden nicht aufwiegen, der durch systematische Unterdrückung der Frische und Freiheit auf den preußischen Hochschulen gestiftet worden ist. Und diese Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit empfanden zuletzt so gar die Kreise Peinlich, die im übrigen von Althoffs politischem Geiste waren. Man erzählt von Friktionen aller Art. Auch der verstorbene Ernst von Bergmann, dieser Herrenmensch, soll sie gehabt und sogar ge siegt haben, was nicht viele von sich werden fügen können. Nun will Herr Althoff gehen, und die Frage nach der politischen Bedeutung des Ereignisses steht auf der Tagesordnung. Um darauf antworten zu können, müßte man erst wissen, ob der Rücktrittsentschluß der eigenen Initiative des Herrn Althoff oder der eines anderen ent sprungen ist. Und selbst dann fiele die Antwort noch recht schwer. Denn man ist in Preußen wie im Reiche daran gewöhnt worden, die Personen wechseln, das System aber beharren zu sehen. Ter jüngste Ministcrschub ist dafür ja ein klassisches Beispiel. Auch bleibt dem preußischen Kultus ministerium noch immer Herr Schwarzkopf, der Beherrscher der preußi schen Volksschule, erhalten. Alfo weshalb sollte gerade auf Herrn Alt- hoff eines anderen Geistes Kind folgen, da doch auf Herrn v. Studt Herr Holle gefolgt ist? Vielleicht wird einiges gemildert werden, Vie! besser aber wird es nicht werden. Man hat den Eindruck, daß so getan werden soll, als ob etwas geschehe. Und bleibt doch alles beim Alten. Um Herrn Althoff aber ist es schade. Ein Mann, an dem auch der politische Geg ner wenigstens seine ästhetische Freude haben konnte, und das will schon etwas heißen. Lin französischer rNarinefachniann über die letzten Seekriege rrnd -re SteUnng Deutschlands zu den Weltmächten. Ma>. schreibt uns: Kapitän zur See Darriens, vermöge seiner Stellung als Professor der Strategie und Taktik an der französischen Marineakademie eine Autorität auf sachwissenschaftlichem Gebiete, hat jüngst unter dem Titel „I-n x-uvri-s sur rner" ein Werk erscheinen lassen, dessen Bedeutung im Augustheft der „Marine-Rundschau" eingehend gewürdigt wird. In den grundsätzlichen Anschauungen stimmt da deutsche Fachblatt dem französischen Autor fast durchweg zu, und ferne beredt vorgetragene Mahnung zu einer unablässigen zielbewußten Kriegsvorbereitung auf materiellem, geistigem und sittlichem Gebiet legt es auch unserem Seeoffizierkorps Wort für Wort ans Herz. Unter den geschichtlichen Ausführungen Darriens sind seine Urteil« über die letzten Seekriege besonders bemerkenswert. Den spanischen Admiral Cervera mit dem von Nelson besiegten Villeneuve ver gleichend, tadelt es Darriens, daß jene zwei Führer, beide persönlich tapfer, aber beide fruchtbarer Tätigkeit abgeneigt, in der Sorge vor dem vielleicht zu scharfen Urteil der Nachwelt aufgingen. Entlastet aber sei Cervera durch das gänzliche Versagen der Kriegsleitung, von der er nie einen allgemeinen Operationsvlan erhielt. Da wenige Jahre später Rußland das Schauspiel derselben Unterlassungen gab, meint Darriens, „daß gewisse Wahrheiten bis zur Uebersättigung wiederholt werden müssen, um von den Nationen verstanden zu werden, die noch nicht die Prüfung des Krieges durchgemacht oder seine Lehren vergessen haben. — Im einzelnen hält er die Wahl von Port Arthur zur Operationsbasis nicht für glücklich; Wladiwostok wäre besser gewesen. Aufs schärfste verurteilt er die Aktivnsunlust der Russen, insbesondere beim Ausbruch Witthösts aus Port Arthur: „Man findet hier", schreibt er, „wieder diesen instinktiven Widerwillen gegen den Kampf, der zu aller Zeit den blöden Nationen anhaftet und der heute ein unleugbares Kennzeichen der russischen Marine ist." In Uebereinstimmung mit einer früher bereits in der „Marine-Nundschan" vertretenen Ansicht, ist Darriens überzeugt, daß das strategische Ziel der Kreuzfahrt Rostfest- wenskis der Kampf mit der japanischen Seemacht und nicht das Er- reichen Wladiwostoks sein mußte. Der augenblicklichen Weltlage sich zuwcndcnd, bekundet Darriens wenig Vertrauen zu der „ontonte aorckials" der beiden Westmächte. Gr beruft sich dabei aus geschichtliche Erfahrungen, die Frankreich seit 1657 hat machen können, und faßt sich schließlich dahin zusammen: „Wer in dieser „ontanto avrckialo" etwas anderes sieht als ein momentanes Mittel, um anderen Gefahren zu begegnen, kennt nicht die Ursachen und die Bedürfnisse der englischen Machtstellung." Die deutsch-englischen Beziehungen werden sodann unter der Ueberschrift: „Das moderne Karthago" wie folgt besprochen: „England bleibt stets logisch in den unveränderlichen Grundsätzen seiner Politik . . . Die Augen fest auf daS Endziel, die wirtschaftliche Größe, gerichtet, handelt es nach der alten Parole „Onrthsxinoin ckelonckam". Und Karthago hieß für England nacheinander Spanien, Holland, Frankreich. Heute heißt es Deutschland, morgen vielleicht wieder Frankreich oder die Vereinigten Staaten oder Japan. Verhäng- niövoll ergebender Gewalt, um seine maritime Machtstellung zu wahren, die es zum Leben braucht, wird England ein neues Karthago in jeder Nation erblicken, die ein Teilchen der Herrschaft des Meeres zn erwerben sucht . . . Die strategische Vorbereitung des Krieges gegen England ist eine heilige Pflicht sür jedes Land, das den berechtigten Wunsch nach überseeischer Expansion hat. Sie ist also eine unbedingte Notwendig- keit für uns . . . Allerdings haben bedentenke Publizisten . . . erklärt, daß in der Form des Seekrieges ein Kampf gegen England unmöglich sei. Ich will über diese Behauptung nicht streiten. Sie trifft nicht zu und ist im übrigen entwürdigend für eine große Nation." Den deutsch-französischen Gegensatz führt Darriens nicht aus unabänderliche wirtschaftliche Streitfragen, sondern auf eiren vorwiegend politischen Antagonismus zurück, der nach beiderseitigen Siegen und Niederlagen durch eine endgültige Aussöhnung aus der Welt geschafft werden könnte. Die Bedingung dazu erblickt er in der Rückgabe Elsaß-LothringenS: „Wenn diese Elsaß-Frage mit ihrer steten Spannung nicht vorhanden wäre, würde man zum ersten Male seit vier Jahr- Hunderten die Möglichkeit sehen können, die maritime Tyrannei Eng- lands abzuschütteln. Deutschland will nicht, und daher muß unsere Strategie sich auch mit der Kriegführung gegen dieses Land bcschäsligen." Wenn Darriens in zugespitzter Form Deutschland als das Karthago bezeichnet, nach dessen Vernichtung daS britische Nom trachte, so hängt dies wohl mit seiner politischen Strategie zusammen; ein Deutsches Reich, das sich von England aufs äußerste bedroht glaubt, wäre nach seiner Rechnung geneigt, den politischen Gegensatz zu Frankreich durch die Rückgabe Elsaß-LothringenS aus der Welt zu sihaffen. Daß hier der ausgesprochen französische Standpunkt DarrirnS' zum Ausdruck gelangt, liegt auf der Haüd. Davon abgesehen aber bl-ibj die Schärfe bemerken-- wert, mit der ein französischer Seeoffizier, unbeirrt durch die französisch- englische Entete, sich gegen die „maritime Tyrannei" Englands wendet und deren „Abschüttclung" erörtert.
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