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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 13.08.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-08-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070813021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907081302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907081302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-08
- Tag1907-08-13
- Monat1907-08
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Abend-Ausgabe 8. Bezug--Preis für Vtwi'g und Vorort« durch unser« Lrägcr und Lpedtteure in» Hau» gebracht! Auigade t (nur morgen») vlerteljthrlich 3 M, monatlich 1 M., Lu«gabe li (morgen» und abend«» viertel jährlich 4.50 M., monatlich 1.50 M. Durch die Pog bezogen. <2 mal tägltch) innerhalb Deutschland» und der deutschen Kolonien vierteliShrlich 5,25 M., monatlich 1,75 M. au»!chl. Post bestellgeld, sür Oesterreich 8 sd 68 u, Ungarn 8 ft vierteljährlich. lllbonnement-Annabme: Auguftusplatz 8, bei unseren Trägern, Filialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern und Briefträgern. Die einzelne Stummer kostet Ist Pfg. Redaktion und Expedition: Johannisgasse 8. Televkwn Nr. 14692, Nr. 14SSV, Nr. 14SS4. Berliner Redaktion» Bureau: Berlin nzv. 7 Prinz Louis Ferdinand- Straße l. Telephon I, Nr. 9275. KipMtrTagMM Handelszeitung. Hmlsvlatt -es Rates und -es Volizeiamtes -er Lta-t Leipzig. 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Das wichtigst- vorn Tage. * F ü r st B ü I o w ist von Norderney nach Wilhelmshöhe obgereist. * Durch den Ausstand der T e l e g r a p h i st e n der Associated Preß, deren Zahl 830 beträgt, ist der Nachrichtendienst in Nord amerika sowie nach dem Auslande lahmgelegt. tS. Ausl.) * Raubmörder Naumann ist heute morgen hlngerlchtet worden. lS. Lpzg. Ang.) * Olga Molitor wird infolge der neuen Wendungen im Hau- Prozeß heute von Celerinain der Schweiz, wo sie sich seit vier Tagen aushielt, wieder nach Deutschland zurückkehren. Tagesschau. Klerikale Beklemmungen. Süddeutsche Zentrumsblätter, die anläßlich der Schellfrage versucht haben die tonangebende Zentrumspresse Norddeutschlands als mit den süddeutschen Reformern sympathisierend auszugeben, werden von der „Köln. VolksM." zur Ordnung gerufen. Das rheinische Zentrumsblatt verrät dabei die Beklemmung, mit der auf klerikaler Seite dem nahe be vorstehenden Katholikentage entaegengesehen wird. Denn die „Köln. Volksztg." empfiehlt jenen süddeutschen Zentrumsblättern die Einstellung ihrer Tätigkeit in der Schellfrage in folgender Weise: „Sie könnten der Sache gar keinen größeren Dienst erweisen, namentlich am Vorabende der Würzburger Generalversammlung der Katholiken Deutschlands, welche doch, wie alle früheren Generalversammlungen, ein Bild der Einigkeit unter den deutschen Katholiken bieten soll. Wenn das jemals notwendig war, so ist es heute der Fall, wo auch in Deutsch land die Lage des Katholizismus angesichts des immer engeren Zu sammenschlusses seiner Gegner sehr ernst zu werden droht, und wo in einer Reihe anderer Länder die folgen der Zwietracht und Zerfahren heit im katholischen Lager so abschreckend zutage treten." Daß die poli tischen Gegner des Zentrums, über deren innere Spaltung gerade die „Köln Volksztg." oft genug höhnt, den deutschen Katholizismus bedrohen sollen, ist nichts weiter als ein Schreckgespenst, welches an die Wand armalt wird, um dem Würzburger Katholikentage den Stempel der Einigkeit zu sichern. Ungleich realer als die Gefahr, die für den deut schen Katholizismus von der Seite der politischen Gegner des Zentrums drohen soll, ist die veruneinigende Wirksamkeit der vatikanischen Partei gänger im katholischen Klerus selbst. Die Veröffentlichung des Papst- oriefes vu Professor Commer im Würzburger Diöze^anblett hat drei akademisch gebildete Mitglieder des Würzburger Lokalkvmiiees für den Katholikentag zum Austritt aus diesem Komitee veranlaßt. Nach der öffentlichen Erklärung, durch welche jene drei Männer ihren Austritt begründen, ist es wahrscheinlich, daß sie auf dem Katholikentage selbst ihre Stimm: zur Schellfrage nicht erheben werden. Ob aber auch alle anderen Teilnehmer solcher Zurückhaltung fähig sind, bleibt abzuwarten. Und selbst wenn in Würzburg alles in ungetrübter Einigkeit ver läuft, wird ein gewisser Teil des katholischen Klerus durch seine „un verständige" oder „böswillige" Kritik, wie der Würzburger Regierungs rat Matt sich ausdrückt, für dis Fortsetzung des Streites sorgen. Die Werft in Tsingtau. Der bisherigen Gouvernementswerkstatt in Tsingtau ist jetzt die amtliche Bezeichnung „Werft" beigelegt worden. Aus kleinen Anfängen hat sich diese für den Schisfahrtsverkehr so bedeutungsvolle Anlage ent wickelt. Sie liegt auf aufgeschüttetem Terrain am sog. großen Hafen im Freihafengebiete und beschäftigt rund 1000 Arbeiter, meistens Chine sen, die von deutschen Technikern und Handwerkern unterwiesen worden sind und jetzt unter ihrer Leitung mit recht befriedigendem Erfolge arbeiten. Von großem Werte hat sich das mächtige Schwimmdock erwiesen, das bekanntlich eine Tragfähigkeit von 16000 Tonnen besitzt. Dienstag 13. August 1907. Im Jahre 1905/06 wurde das Dock von 24 Schiffen 216 Tage bean- svrucht, gewiß ein Beweis für die Notwendigkeit dieser Anlage. Ein Uferkran von 150 Tonnen Tragfähigkeit ermöglicht bequemes Löschen und Laden großer Lasten. In erster Linie dient di? Werf natürlich den Ansprüchen der Marine, die in der Ausrüstung, Instandsetzung und Dockung der in Ostasien und Australien stationierten Schiffe aller Art und Größe schon seit geraumer Zeit von den englischen und japa nischen Werften unabhängig geworden ist. Daneben kommt die Werft aber auch der Handelsschiffahrt in wachsendem Umfange zugute. Zahlreiche deutsche und ausländische Schiffe haben schon die Gelegenheit wahrgenommen, in Tsingtau Reparaturen ausführen zu lasten. Die Ausgaben der Tsingtauer Werft sind eben ganz anderer Art als die jenigen der Marinewerften in Kiel, Wilhelmshaven und Danzig, die lediglich für Kriegsschiffe bestimmt sind. Dem Bau von Schiffen wird die Tsingtauer Werft natürlich nur im beschränkten Umfange dienen können. Ihre Hauptaufgabe bleibt die Reparatur und Instandsetzung von Kriegs- und Handelsschiffen, und in dieser Beziehung wird es ihr an Aufträgen nicht fehlen, da die wachsende Bedeutung Tsingtaus als Einfuhr- und Aussuhrplatz den Schiffsverkehr von Jahr zu Jahr steigern läßt. Die Werft ist zugleich ein bedeutungsvolles Hilfsmittel, den Schiffsverkehr mit unserem ostasiatischen Pachtgebiet zu erleichtern und zu beleben. Die antiklerikale Bewegung. fVon unserem römischen ^.-Korrespondenten.) Es ist reichlich viel auf einmal geworden, was die Chronik der letzten vierzehn Tage zu Lasten von Priestern, Mönchen, Nonnen und geistlichen Erziehungsanstalten zusammengetragcn hat. Zwar ist nicht alles wahr, was gedruckt worden ist oder was einer polizeilichen oder gerichtlichen Maßnahme zur Voraussetzung gedient hat, aber man durfte cs immerhin für wahr halten in Anbetracht mancyer früheren Vor kommnisse ähnlicher Art und der notorischen Leichtfertigkeit, mit der die geistlichen und weltlichen Behörden ihren Aufsichtspflichten zu ge nügen pflegen. Und so kann es auch nicht wundernehmen, daß die Sünden der einzelnen Priester und Klosterleute mit unberechtigter Verallgemeinerung allen Priestern und Klosterleuten, sowie der Kirche und dem Ordenswesen überhaupt angerechnet werden und daß die jenigen, die ohnehin auf diese Einrichtungen und Klassen nicht gut zu sprechen sind oder die auf irgendeinen Funken zur Entladung ihrer re volutionären Stimmung lauern, daraus Kapital schlagen. Die anti klerikale Bewegung ist wlchermaßen in ein Fahrwasser gelangt, in dem sie verflachen und entarten muß; dies um so eher, als die italienische Negierung in diesem Augenblicke nicht Farbe bekennen will, weil sie nach der einen Seite ihre vor kurzem in den Ehrungen des Kardinals Lorenzelli, in der Beförderung des Heiligcnkultus u'w. zum Ausdruck gekommene Klerusfreundlichkeit durch eine weitgehende Passivität gegen über der Klerushetze bilanzieren möchte und weil sie nach der anderen Seite mit keiner ge etzgcbcris Heu vl.-r administrativen Maßnahme gegen das Ordens- und geistliche Unterrichtswesen den Vatikan und die Ka tholiken zu chokieren wagt. Und in der Tat sieht man bereits heute, wie die stärkste antiklerikale Aktivität beim — niedrigsten Plebs und bei jenen revolutionären und anarchistischen Elementen anzutreffen ist, die ihr Werk ebenso gern beginnen mit dem Papst und der Kirche wie mit dem König und dem Staat wie mit der bürgerlichen Gesellschaft und der gesetzlichen Ordnung. Die Ungezogenheit des italienischen Plebs kennt aber keine Grenzen. Er pfeift den greisen Kardinal Cassetta aus, der in geschlossenem Wagen bescheiden über die Straße fährt; er speit dem verdienten und allbcliebten geistlichen Musikkomponisten Don Lorenzo Perosi ins Gesicht, als er sich auf dem Bahnhofsplatz einen Wagen nach dem Vatikan nehmen will: er verhöhnt eben eingesegnete kleine Mädchen, die sich den Segen des Papstes erbitten wollen, und be legt sie mit ehrabschneidenden Schimpfworten; er bewirft Priester und Nonnen, die sich irgend auf der Straße seben lassen, lebensgefährdend mit Steinen; er geht mit Feuer und Axt rücksichtslos gegen Kirchen unb Klöster los. la pftiorrs aomins ä la y-uorra", wird der Leser sagen; das wäre auch recht, wenn nur die unterschiedlichen Gewalttaten wirk lich irgendeinen Zweck hätten, der über die Befriedigung der mehr oder minder antisozialen Bedürfnisse der einzelnen Urheber hinausgeht. M. Jahrgang. I-itungsfchnrß. Graf Neventlow geißelt in einem Artikel der „Täglichen Rundschau die völlig zerfahrene, ziel- und planlose deutsche Politik, welche die Festsetzung der Franzosen in Casablanca geschehen lasse. Wir geben einige Sätze veS lesenswerten Artikels wieder: Nach einer Anzahl deutscher Blätter müßte ein Unbefangener glauben, daß ein marokkanisches Geschwader vor den französischen Küsten liegt und Marseille in Trümmer geschossen hat. Jetzt, so beißt es, sitzen die Franzosen ordentlich drin und sind nahe daran, an dec Suppe zu ersticken, die sie sich eingebrockt haben. Deshalb ist auch jetzt der Moment, von ihnen b-cheulenbe Kompensationen zu erlangen, als Preis dafür, daß wir ihre Verlegen- keit nicht benutzen. Grundsätzlich sehr schön wäre ja, wenn man es mit einer solchen Lage Frankreichs zu tun hätte, aber die Herren, die das behaupten, lassen außer acht, daß erstens die jetzige Lage kaum eingetreteu wäre ohne das Bestreben aller Mächte, auch Deutschlands, den französischen Plänen für Marokko Vorschub zu leisten, und daß zweitens von einer Verlegenheit Frankreichs oder einem unerwünschten Ergebnis seiner Unternehmungen nicht gesprochen werden kann. — Die deutsche Regierung siebt zum Bedauern vieler Deutscher dem französischen Unternehmen durchaus wohlwollend gegenüber, und dies Wohlwollen, jedenfalls im politischen Sinne, ist unseres Erachtens herzlich wenig angebracht, aber, und daraus kommt es hier an,ausgesprochener politischer Kurs der deutschen Regierung geworden. Wäre dem nicht so, so könnte man sich von der Entsendung eines deutschen Geschwaders nach der marokkanischen Küste nicht nur guten Erfolg versprechen, sondern müßte sie sogar als durchaus notwendig und selbstverständlich betrachten. Die Akte von Algeciras reicht nicht an die marokkanischen Vorgänge der letzten Zeit heran; aus der in ihr vorgesehenen Polizeiorganisotion ist nichts Wirksames gewoiden, und jetzt, wo Casablanca in Asche liegt, können die Franzosen schwerlich behaupten, als Exekutoren der „scherifischen Polizei" oder, wir einige französische Zeitungen sage», als Mandanten der Signatarmächte zu handeln. Nein, die Sache ist einfach die, wenn man sie beim Namen nennen will: man will Frankreich freie Hand lassen. Dies Verhalten Deutschlands ist seit einiger Zeit programmatisch und deshalb, aber auch nur deshalb, hätte es keinen Zweck, deutsche Schiffe nach Marokko zu schicken. Sie winden eine klägliche Rolle dort spielen, und eS würde nichts als Beschämung aus ihrer dekorativen Anwesenheit erwachsen. Jedenfalls ist Casablanca ein ganz anderer Bissen als Udjba; Casablanca ist die grgebeue Lperationsbasis jur ein Vordringen ins Innere von der atlan tischen Seite, cs sichert den Franzosen die rückwärtigen Verbindungen, ist überhaupt unschätzbar. Aber wir wolle» ja Kompensationen haben. Frankreich soll die anatolischeu und mesopotamischen Pläne deutschen Privatkapitals von Staatswegen unterstützen, joll seinen Geld markt öffnen und trotzdem treulich die deutsche Führung in den betreffenden Unternehmungen anerkennen. ES soll überhaupt aufhören, die Türkei als sein Interessengebiet zu betrachten. — Wie man in jungen Jahren lernt, ist es nicht angängig, Stühle mit Tischen zu multiplizieren, und ähnlich dürfte es wohl mit dieier Art von „Komvensationen" stehen. Die deutschen Unter nehmungen in der Türkei sind durchaus privater Natur und können deswegen auch nicht zu.nGegenstandeinesBertragesmttder französischen Regierung gemacht werden. Uelervauvt eröffnet die Idee, man könne Frankreich veranlassen im Orient mik uns polili'ch zutammcnzugeden und quasi unter deutscher Führung zu bleiben, jetzt ganz unmögliche Perspektiven. Weder würde der Islam sehr davon erbaut lein, »och England oder Rußland, beides Staaten, deren Verhältnis mit Frank reich, soweit wir unterrichtet sind, Loch enger ist alS das nusrigr. Nein, diese Dinge hätten unter anderer Voraussetzung vielleicht anders werden können. Ist es aber wcht viel bequemer und angenehmer, wenn wir still in diesen schönen Sammeltagen hier si§en und lesen, wie weit hinten in Marokko die Franzosen Casablanca in Trümmer schießen und den deutschen Konsul beschützen? Friedrich 'Naumann bespricht i» einem zweiten Artikel des „Berl. Tazebl." die Ausnahme, welche sein erster in der Oeffentlichkeit gesunden hat. Im Eingang heißt eS, unserer Auffassung seinem augenblicklichen Zwecke entsprechend: Schon das ist ein sachlicher Gewinn, daß die preußische Wablrechlssrage auf dieie Weise stärker in Len Vordergrund der öffentlichen Ausiprache gerückt ist, und es muß nach Krästen dafür gesorgt werden, daß sich Lie vreußische Bevölkerung im ganzen mehr als bisher mit ihren Staats bürgerrechten beschäftigt. TaS erfreulichste aber ist die volle Harmonie aller Linksliberalen in dieser Frage. — Weiterhin sagt Naumann: Ein poli tisches System, wie es jetzt in Preußen herrscht, muß die Menge Les Volkes dem Staat entfremden. Es ist unpatriotijch, ein solches System er- Feuilleton. Können wir nicht alle Lichten, so wollen wir doch alle richten, Alter Spruch. * Theobald Kerner. Gestorben 11. August 1907. Bon Th. Ebner jUlm). Die Nachricht von dem Tode Theobald Kerners in Weinsberg hat kein Aufsehen erregt. Wie viele wußten denn überhaupt, daß er noch lebe? Dichter und Künstler, Fürsten und Gelehrte waren einst, da Justinus Kerner und sein getreues „Rickele" noch lebten, ins Kernerhaus zu Gust gewesen, in dem Haus«, wo die Poesie zur Wirklichkeit und die Wirk- lichkeit zur Poesie geworden, und sogar den Geistern eine behagliche Heimstätte bereitet war. Aber immer stiller und stiller wurde es am Fuße der Weibertreu, dann und wann noch ein traulicher Gast und Freund aus älterer Zeit, einige neugierige Fremde, dl« den alten Herrn uni) seine liebenswürdige Gattin wie eine Rarität anstarrten, — die Tage und Monate und Jahre gingen dahin — noch sah man dann und wann den Theobald Kerner, aber auch die mit ihm lebten im Bannkreis des alten Städtchens, dachten seiner kaum mehr, bis die Kunde seines Todes sie traf. Theobald Kerners Name wurde noch einmal des öfteren genannt, als er vor etlichen Jahren durch Freundeshand den Entschluß kund- gab, das KernerhauS mit all seinen künstlerischen und literarischen Schätzen zu veräußern. In einer Verstimmung des Alters tat er das; und es mochte ihn wohl auch kränken, daß diese Kunde so wenig Auf sehen machte und so kurze Erörterung fand. Die Zeit verstand eben den alten Herrn und seine kindliche Pietät für die ihm so eng begrenzte Vergangenheit nicht mehr; und der Herr Hofrat selbst war für die Oeffentlichkeit nicht der Dichter und nicht der waschechte Volksmann, der mit zähem schwäbischen Eigensinn an den Tradition«» deS Sturm- labres 1848 festhielt bis an s«in sanftseligeS Ende, «r war nur ein Neber- bleibiel mit Vermächtnis an die Nachwelt, er war der Sohn, der sich am Ruhme deS VaterS freute, und sich durch ibn sogar verpflichtet fühlte, selbst auch Verse zu schmieden. Wir dürfen über den Wert seiner Dichtungen, die er zuletzt noch in einem Band gesammelt herausgab, mit wohlwollendem Urteil hinweagehen; es sind Sachen und Sächelchen, die sich ganz hübsch reimen, die so eine Art gutgemeinter, altväterlicher Hauspocsie sind, eS sind Scherze und Märchen und Skizzen, etwa? zopfig-phantastisch, mit leidlichem Humor manchmal, aber ost auch eine gereimte Prosa, mit der man kaum etwas anzufangen weiß. Indessen der alte Herr hatte selbst seine Freude daran, und eS war gottlob nre- mand so grausam, ihm den Glauben an seinen Dichterberuf nehmen zu wollen. Ludwig Uhland hat den einzigen Sohn seines Freundes Justinus, der am 14. Juni 1817 in Gaildorf geboren war, aus der Taufe gehoben. Schon wenige Jahre darauf siedelte die Familie Kerner nach Weinsberg über, und hier verlebte Theobald mit seiner einzigen Schwester eine glück liche Kindheit. „Meine Jugend", so erzählte mir der Achtzigjährige, „war eine sonnige, goldene. Ich lebte in meinem Weinsberg uno dem Kerner- Haus wie auf einem glücklichen Eiland, voll Poesie und phantastischen Ueberraschungen. Jeder Tag brachte etwas Neues, Besuch« von nah und fern, oft der seltensten Art, Dichter, Philosophen, Diplomaten, Naturforscher, Weltreisende, Aerzte, Missionare, Geistliche Leute ver schiedenster Ansicht und Glaubens, flüchtige Polen, Könige, Prinzen und Bischöfe, Kranke und Gesunde, Somnambule und Besessene, Nerven kranke icden Alters, alles in so buntem, interessantem Gemengset, und ich mitten in diesem Treiben als kleines Faktotum, Famulus meines Vaters, tüchtiger Kobold, Kellermeister und Fremdenführer, Kranken- Wärter, Heilgehilfe, Briefbote und Erzähler: ich hatte viel zu tun, mußte an den Haselnußhecken Wünschelruten schneiden, im Walde Arznei pflanzen suchen, Amulette schreiben. Mein Vater in seiner unbegrenzten Gastfreundschaft und Herzensgute gegen Fremde zerteilte auch mich, seinen einzigen Sohn, sozusagen portionenweise an Fremde, wo eS not tat; daS Lernen in der Schule litt freilich darunter, mein Vater hielt wenig darauf, ich hatte immer von meinem Vater geschriebene Entschul- dmunqszettel in der Tasche, die mich vom Besuch der Kirche und Schule absolvierten. Mein Vater meinte, das frisch pulsierende Leben, der Um gang mit den verschiedenartigen, oft geistig so hochgebildeten Besuchern sei für mich die beste Schule. Ich lebte wie ein in Freiheit dressiertes Füllen, lustig und unbändig, machte groteske Seitensprunge, aber ich kehrte auch immer wieder fromm zum Stalle zurück, mein Gehirn und Denken und Fühlen wuchs gesund normal heran, mein Herz blieb immer gut; arm oder reich, ich machte ni? darin einen Unterschied, lernte alle Menschen jeden Standes achten und lieben, ich hatte ja daS herrliche Vorbild meiner über alles lieben Eltern. Nach dem Tode meines VaterS siedelte ich seinem letzten Wunsche gemäß nach Weinsberg über ins KernerhauS, wohin mich mein Herz immer gezogen hat, und hier lebe ich, umgeben von alten Erinnerungen und im Bestreben, die alte Gastfreundschaft zu üben und das Haus meiner Eltern und die Gärten und die alte Burg Weibertreu, alles waS meinem Vater lieb war, zu er- halten und zu verschönern. Fragen mich fremde Besucher: War alle« so schön zu Ihres Vaters Lebzeiten? so sage ich: Ja freilich! und lüge da bei nicht: denn mein Vater lebt ja noch in meinem Herzen, und alles was ich ordne und ändere, tue ich nur im Gedanken an ihn und in seinem Sinn." Im Jahre 1835 bezog Theobald Kerner die Universität Tübingen zum Studium der Medizin und setzte dieses Studium in München, wo er den schwerkranken Clemens Brentano behandelte, sowie tn Würzburg und Dien fort. Als Assistent seines Vaters arbeitete er dann eine Zeit lang in Weinsberg, mußte aber im Jahre 1848 wegen politischer Um triebe nach Straßburg fliehen, kehrte im Jahre 1850 wegen schwerer Er krankung seiner Schwester zurück und wurde nun vor Gericht zu einer zehnmonatigen Festungshaft auf dem Asperg verurteilt. Im Jahre 1852 gründete er in Stuttgart eine galvano-magnetische Heilanstalt, die er später nach dem nahen Cannstatt verlegte, und kam dann 1863 nach Weinsberg, wo nun auch er, wie seine Eltern, zur ewigen Ruhe bc- stattet ist. Es ist mir eine wehmütige Erinnerung, wenn ich des alten freund lichen Herrn und der mit ihm im Kernerhaus verbrachten Stunden ge denke. Inmitten so vieler Erinnerungszeichen an vergangene Zeiten, erzählte er gerne von allen denen, die gier ein- und ausgingen. In seinem Buche „Das Kernerhaus und seine Gäste" und dem von ihm herausgegebenen Briefwechsel seines Vaters findet man sie ja alle mit Namen genannt, und man sieht daraus auch, wie treu Theobald Kerner das Erbe seines Vaters verwaltete. Der hatte einst auf dem Sterbebett ^u ihm gesagt: „Das Haus soll auch nach meinem Abscheiden noch mein Haus sein. Ich will darin wohnen bleiben, die Fremden, die es besuchen, sollst du in meinem Namen empfangen, und sie sollen sich heimisch darin fühlen; und du sollst ihnen von mir erzählen, und sollst Haus und Gar ten und jeden Baum, den ich gepflanzt, ehren und lieb haben. Gelt, das versprichst du mir, Theobald? Gewissenhaft hat Theobald Kerner auch in der rasch lebenden und rasch vergessenden Gegenwart das Versprechen gehalten, das er dem Vater gegeben. Die kamen, das Kernerhaus in Weinsberg zu besuchen, die fühlten sich zurückversetzt in eine vergangene schönere Zeit, die tausch- ten mit Andacht dem, was der alte Herr da erzählte, von Uhland und Lenau, von dem ritterlichen Grafen Alexander von Württemberg und von Gustav Schwab, und wenn sie dann emporstiegcn zu der vielgepriese nen Weibertreu mit ihrem steinernen Album, dann schweifte ihr Blick über Höhen und Täler im lachenden Sonnenschein, weit in die Ferne bis zu den Löwensteiner Bergen, bis zu dem Dörfchen Prevorst, auf dessen Friedhof unter leuchtendem Kreuze die Frau begraben liegt, die einst Justinus Kerner nicht mehr aus dem Bannkreis ihrer „erschauten Ge- sichte" ließ, die Seherin von Prevorst. Nun ist auch einer der letzten von denen, die dieses merkwürdige Weib kannten, dabingegangen: Theobald Kerner. Wie leises Klagen geht es durch die Wipfel des alten Nuß baums, unter dem er so oft gesessen, vergangener Zeiten gedenkend und geschiedener Freunde, und in dem verwitterten Geisterturm raunen sich leise Stimmen die Trauerkunde zu von seinem Tode: Har« »nlma pk» et oaiulicka! * * Ungedruckte Briefe Nutz de MaupafinntS. In einigen Mocken wird in PoiiS eine von Louis Conard besorgte vollständige Ausgabe der Werke LeS unglücklichen Guy de Maupassant erscheinen. Die Verehrer LrS zu trüb verstorbenen Meister-! werden in vieler Ausgabe eine ungedruckie Korrespondenz finden, die sich von der Jugendzeit bis zu den letzten Lebensjahren deS berüdm-en SchiiitstellerS erstreckt. In der literarischen Beilage de» „Fiqaro" wird ein großer Teil dieser Briefe schon jetzt veröffentlicht. Den Reigen eröffnen Briefe aus der Schulzeit LeS DickftrrS; sie sind alle an die überaus geliebte Mutter gerichtet uns erzählen von den Leiden und Freuden oeS Gymnasiasten Maupassant, der ein fleißiger Schuler war und als Lobn für feinen Fleiß von der Mutter ein kleine- Boot geschenkt haben möchte. ES folge» Brief« ans dem Krieg».
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