Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 15.08.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-08-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070815024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907081502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907081502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-08
- Tag1907-08-15
- Monat1907-08
- Jahr1907
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
für «d vor««» tmrch »s« TiLger uab Gp«dtt»u« t»I Ha»» Ebrach», Aulgab« L <»»r uwra«ut) »tertÄlLhrU«- 3 M , monalNch 1 Nl.; Au«„ab« » (morakn» »nb ab«nd«) dtrrttl» jLhrltch <5U M., momttltch 1.50 M. L«rch dl« H>«A b«,«ani: (2 mal täglich) innerhalb Deutichland» und der deutlchen Kolonien vierteljädriich 5,25 M., monatlich 1,7b vt. -udlchl. Post- destellgcld. iür Oesterreich S L SS jl, Ungarn 8 L otertellährlich. Abonnement-Annahme: Uugnftnstvlatz bei unseren TrLgirn, giltalen, Lpeoitenre» und ünnatzmesi-Ilen sowie Voftürßttr» and Brieiträg«rn. Die einzelne Nummer lostet 10 stifg, Nedaktton und «rpedttio»! Johannidgasse S. Lele-Hon Nr. 14692, Nr. 146S3, »r. 146S4. iverliner Redaktion--vureaur Berlin 1>5V. 7, Prinz LvuiS gerdiuaad- Straße 1. Telephon I, Nr. 9275. Abend-Ausgabe 8. cipMerTagMM und Handelszettung. tlpeditionen de» In» und «nrlande«. NmLsvsatt des Nates und des Nolizeiamkes der Ltadt Leipzig Haupt-Silial« verltu r L«rl Dnuck»., Herzogs. Vahr. Hosbuch- haudlung, Lützowstraße 10. (Telephon VI. «r. 4003). und Umgebung . Pf., stnan,teste «lngeig«» SO Pf., NeUamen l M.; von autwärM 30 Ps., Reklamen l.20 M. vomSulland SOPf., stnanz. Anzeigen 75 Pf. Neklameu 1.50 M. Inserat» ». BedSrtxn tm amtlichen Teil 40 Ps. Beilag»g«dstvr Svl. p. Tausend epN. Post gebühr. »eich<lst«an,eigen an bevorzugter Stell« im Preise erhöht. Rabatt nach Taris, ksesterteilt« Aufträge können nicht zurück- gezogni eoerbeu. Mr da« Erscheinen an «itwuut«! Tag«» und Plätzen wird leine «Saraatt« tbrruommer.. ««zeige»-Preis rat» «» Nr. 225. Das wichtigste voin Lage. * König Eduard von England trifft heute in Ischl ein. lS. Art.) * Der Herzog von Pleh ist gestern gestorben. lS. Dischs. R.) * Der österreichische Minister des Auswärtigen Frhr. v. Aehren- thal ist in Begleitung des Gesandten Frhrn. v. Gagern gestern nach mittag von Wien nach Ischl abgereist. lS. Ausl.) * Der römischen „Vita" zufolge sind beim Hofe in Athen offizielle Mitteilungen eingegangen, daß König Viktor Emanuel und die K ö n i g i n v o n I t a l i e n im nächsten Frühjahr „inkognito" Griechen land und die griechischen Inseln besuchen wollen. * In Dömitz an der Elbe hat sich heute morgen, wie uns ein Privattelegramm meldet, in den Spreng st off werkeu von Dr. Nahnsen L Co. eine größere Explosion ereignet. Etwa 8 0 Personensindverletzt und einige getötet. lS. Neues a. a. W.) Tagesschau. Von Wilhelmshöhe nach Ischl. „Es geht etwas vor — man weiß aber nicht was." Dieses ge flügelte Worte könnte man wieder einmal als Motto über die aller neuesten Fürsten-Begegnungen schreiben. Nicht als ob die Besuche König Eduards beim deutschen und beim österreichischen Kaiser an sich überraschten. Ta der König ein österreichisches Bad aufsucht und seinen Weg durch Deutschland nimmt, so waren Visiten bei den Beherrschern beider Länder etwas so Selbstverständliches, daß die Unterlassung eines Besuches bei unserem Kaiser — ganz abgesehen von ibren Begleit umständen — vor 2 Jahren geradezu eine Brüskierung bedeutete. Tas Bemerkenswerte ist vielmehr, daß die Begegnung von Ischl unmittelbar an die Wilhelmshöher anschließt. Es hätte den natürlichen Bedürfnissen des bejahrten Reisenden weit eher entsprochen, nach der immerhin anstrengenden Reise erst eine Woche oder zwei in Marienbad auszuruhen und dann von dort aus die Fahrt zum Sommer- austnthalc Kaiser Franz Josefs in aller Muße auszuführen. Nein: .König Eduard forderte auf dem Bahnhof Wilhelmshöhe eine durch, gehende Fahrkarte, als fürchte er, durch eine Verschiebung seiner zweiten Visite den frischen Eindruck der ersten cinzndüßen! Tie Rater sind eifrig an der Arbeit, den Zweck dieser Rührigkeit der Könige und Staatsmänner zu ergründen. Denn auch Herr v. Achrcn- tha! weilt in Ischl, so wie gestern Fürst Bülow in Wilhelmshöhe. Und der Engländer hat, wenn auch nicht seinen „Verantwortlichen", den alten Earl of Grey, so doch den Unterstaatssekretär Hardinge mit gebracht. Um welche Dinge es sich vorzugsweise bei den Besprechungen han delt, man weiß es nicht. Die einen denken an die Friedenskonferenz, deren friedlicher Fortbestand gerade von englischen Zeitungen vor einigen Tagen für gefährdet erklärt wurde. Näher liegen dis marokka nischen Wirren. Aber die allerncuesten Nachrichten stimmen darin über ein, daß eine Neuorientierung in den Balkanfragen bevorstehc! * Ucber die Begegnung auf Wilhelmshöhe schreibt der Bericht erstatter des „Berl. Lok.-Anz.": Der Eindruck, den man von der Begegnung der Herrscher empfing, war vorzüglich Ich habe die Entrevue von Cronberg gesehen, konnte damals auch die beiden hohen Herren im Verkehr miteinander beobachten. Beide Begegnungen haben viel miteinander gemein, fast alles sogar; den noch fehlte eins oamals: der offene, freundschaftliche Charakter, mit dem 1V1. Jahrgang. Donnerstag 15. August 1907. Kaiser und König, Oheim und Neffe, heute einander begegneten. Damals dieselbe Courtoiste wie heute, vollendet die Form, wie selbstverständlich; heute dasselbe, aber dazu der Ausdruck herzlicher Freundschaft. Der König war von gewinnender Freundlichkeit, die man an ihm bei aller weltmännischen Form dock vermißt, wenn er im Innersten anders denkt. Kaiser Wilhelm zeigte alle die feine Courtoisie, die sein eigenstes Wesen ausmacht, die aber doch nicht voll hervortritt, wenn sein Herz nicht ganz dabei ist. Heute sah man es deutlich: ehrlich in Handschlag und Geste! Beiden Herren liegt diese Tonart besser, sie entspricht ihrem Wesen. Lange Zeit liegt zwischen Cronberg und Wilhelmshöhe. Politisch ist vieles verändert, mancher diplomatische Erfolg wurde gegen Deutschland ausgelegt, war aber nichts weiter als ein gut gemachtes Geschäft zu eigenem Vorteil, aber nicht zum Schaden Deutschlands. Das sollte man auseinanderhalten. — Von berufener Seite wird mir bestätigt, daß es sich heute nicht um die Erledigung akuter Probleme gehandelt hat. Die Aussprache der Herrscher har aber die unzweifelhafte Gewißheit gebracht, daß die Erhaltung des Friedens gewährleistet ist, soweit die Kraft und der Wille der beiden Monarchen reicht. Es wird mir bekräftigt, daß die Begegnung einen ungemein herzlichen Charakter trug. Vor Tisch hatte Fürst von Bülow eine eingehende Unterhaltung mit Mr Hardinge. Während der Ausfahrt, bei der der Kanzler allein mit den Souveränen im Automobil saß, ist alles Wesentliche, was Staatsmänner und Poli tiker beschäftigt, besprochen worden, beide Teile sind, wie ich höre, sehr zufrieden. Bei Tisch sind herzliche Trinksprüche zwischen dem Kaiser und König Eduard gewechselt worden, die ungefähr das Verhältnis wider spiegeln, in dem wir uns zurzeit dem politischen England gegenüber befinden. . Herr Professor Schiemann von der „Kreuzzeitung" mochte so etwas wie einen gesamt-europäischen Kulturbund aus der jetzigen Fülle von Bündnissen, Enteinen, Dotenten, Freundschaftsverhältnissen usw. her- vorgehcn lassen, der seine Spitze gegen Asien kehren sollte. Herr Schie mann zitiert die russische Zeitung „Golos Moskwy", die von den bc- unrubiacnden Gerüchten ausgeht, die in betreff der Haltung Japans und Chinas durch Rußland ziehen. Japan bereite sich mit fieberischem Eifer für einen neuen Krieg vor. Die Gefahr wächst, und nickt nur wir Russen, sondern alle euro päischen Nationen werden ernstlich damit zu rechnen haben. Die letz ten Wochen haben die lange ersehnte Wandlung in den diplomatischen Beziehungen der europäischen Mächte zu einander gebracht. Die frühere Politik, da Zweibund, Dreibund und alle Bündnisse gegen einander gerichtet waren, da es sich darum handelte, eine Gruppierung gegen die andere zu verwenden, diese Politik, welche die Atmosphäre des Militarismus schuf und immer aufs neue das Gespenst des bevor- stehenden Kontinentalkrieges erzeugte, diese Politik gehört nunmehr der Vergangenheit an. Die Zusammenkunft in Swinemünde, die Be gegnung Kaiser Wilhelms mit König Eduard, die englisch-russische Ver ständigung — das sind die ersten Schritte auf einer Bahn, die alle Völker Europas zuiammenführcn wird, der erste Anfang zu einer .d... Politik. Ob diese scharfe Zuspitzung nach Osten aber nicht gerade zu einem Kriege führen würde? Wir hatten gehofft, die Zeiten seien vorüber, in denen Europas Völker ihre heiligsten Güter wahren sollten. Die Trinksprüche. Bei der Abendtafel brachte Seine Majestät Kaiser Wilhelm folgenden Trinkspruch aus: „Ich bitte Eure Majestät, der Kaiserin und Meinen wärmsten Dank entgegennehmen zu wollen für den freundlichen Besuch, den Euere Majestät uns beiden gemacht haben. Ich erblicke in diesem Besuch den Ausdruck, der verwandtschaftlichen und freundschaft lichen Gefühle, die Eure Majestät hegen für die Kaiserin, für Mich und Mein Haus, Gefühle, die begründet sind in den alten Beziehungen zwischen unseren Häusern von langer Zeit her, und die in uniercr Zeit idren^ Ausdruck gefunden haben, als wir gemeinsames Leid trugen an den Särgen Meiner lieben Eltern und an der Bahre der großen Königin, Meiner Großmutter. Zu gleicher Zeit aber erblicke Ich in Eurer Majestät den Vertreter des großen englischen Volkes und in Euerer Majestät Besuch den Ausdruck guter Beziehungen zwischen unseren Völ kern. Auf der Fahrt zum Schlosse konnte Eure Majestät In den Augen der Bürger von Kassel und ihrer Kinder, und später bei unserer Rund fahrt durch die schönen Fluren und stillen Wälder in den Gesichtern allcrchcrer, welche die Ehre und die Freude gehabt haben, Eure Majestät zu sehen, das Gefühl dankbarer Ehrerbietung für diesen Besuch lesen. Ich bitte Eure Majestät um die Erlaubnis, Mein Glas zu erheben auf das Wohl Eurer Majestät, Eurer Majestät erhabenen Gemahlin, der Königin, des gesamten großbritannischen Königshauses und Euerer Majestät Volkes." Seine Majestät König Eduard erwiderte auf den Trinkspruw des Kaisers mit folgendem Toast in deutscher Sprache: „Ich bitte Eure Majestät, von ganzem Herzen Meinen besten Tank aus. sprechen zu dürfen für die so gütigen und freundlichen Worte. Eure Majestät können versichert sein, daß es Mir eine große Freude bereitet hat, zu diesem leider nur so sehr kurzen Besuch hierher zu kommen. Euerer Majestät und Ihrer Majestät der Kaiserin kann ich nicht ge nügend danken für den herzlichen Empfang, der Mir geworden ist, für den Empfang von feiten der Armee Euerer Majestät und von dem Volke, wie es uns in den Straßen begegnet ist. Euere Majestät wissen, daß es Mein größter W" "sch ist, daß zwischen unseren beiden Ländern nur die besten und anger. asten Beziehungen bestehen. Ich freue Mich sehr, daß Eure Majestäten mich bald in England besuchen werden. Ich bin fest davon überzeugt, nicht nur Meine Familie, sondern das ganze englische Volk werden Euere Majestäten mit der größten Freude empfangen. Ich erhebe mein Glas auf das Wohl Euerer Majestäten." Zwischenspiel im Sommcrnachtstraum. Der prasavptor Laxoriiorw, Herr Opitz, hat wieder einmal gesprochen. Die Präzeptorwürde stebt Herrn Opitz aus gezeichnet. Wenigstens glaubt er das selber und wirü nicht müde, das Wort „lehren" mit allen Kompositis durchzukonjuaieren. Vor allem möchte er gern ein Lehrer der sächsischen Liocralen sein; das konservative Makedonien ist Herrn Opitz viel zu klein. Wie lange Jahre hat er sich bemüht, die Liberalen mit allen Künsten seines vratorischen Ethos beim Kartell festzuhalten: bald sirencnhaft einschmeichelnd, bald in der Nolle des lebcnserfahrenen Freundes mahnend, dann wieder sanft väterlich strafend — und immer wieder trifft man auf das Wort: „ich lehre." Herrn Opitz' pädagogische Talente waren — leider — nicht ganz gering. Unsere Nationalliberalen, die viel zu viel Autoritätsgefühl in sich tragen, lauschten seinen Offenbarungen wie den Verkündungen des delphischen Gottes. Sie saßen wie andächtige Schüler zu seinen Füßen, hörten auf die Worte des Meisters und — taten nach ihnen. Herr Opitz beredete sie zu allem, was er wollte, wie seine konservativen Vor- gesetzten, denen er seine politische Professur verdankte. Sogar zum Bruche des Wahlrechts. Und das war doch für Liberale ein Ver drecken wider die Natur! Die Zeiten haben sich gewandelt. Tie sächsischen Liberalen sind der Schulbank des Herrn Opitz entwachsen und wollen jetzt ihre akademische Freiheit genießen, die von einem blinden Autoritätsglauben nichts mehr wissen will. Sic empfinden sogar mit ganz gehörigem Verdruß, daß sie ein furchtbar teures Honorar an den Herrn Magister weggeworfen baden: den Verlust ihrer Machtstellung im sächsischen Lande! Sie sind Herrn Opitz bitter gram geworden. Aber Herr Opitz doziert weiter. Nur in einem kleineren Audi torium: vor den konservativen Füchslein, die noch nicht die Reife für die aivitag aoackemiea erlangt haben. Es mag ihm hart ans Herz rübrcn, daß seine älteren Schüler sich aller Pietät entschlagen haben und über den alten Lehrer ihre Witze reißen. Aber Herr Opitz trägt's mit wehmütiger Resignation: ein süßer Trost ist ihm geblieben: die Eliteschar seiner Gläubigen dangt noch an seinem Munde und dreht und deutelt nicht an seinen Worten: Die mögen sein, wie sie wollen: Herr Opitz darf sich alles leisten, selbst das Gewagteste. Er hat von dieser Freiheit jüngst zu Plauen den allerausgiebigstcn Gebrauch gemacht. Er bat es fertig gebracht, die sächsische konservative Partei als eine fortschrittliche zu bezeichnen! Wem wird nicht warm bei dem schönen Namen, den einst, in verklungenen Zeiten, als daS Reich wurde, dessen wir uns heute erfreuen, die liberale Partei Sachsens trug! Aber Herr Opitz täuscht sich Wohl kaum darüber, daß auf der Linken niemand mebr mit hübschen Parteinamen zu berücken ist, wie Kinder mit falschen Würfeln. Aber die konservativen Kindlcin: dcncn mag ihr Herz höher schwellen, wenn sie zum ersten Male von ihrem Lehrer als Erwachsene behandelt werden, wenn sie sich als „Fort schrittler" fühlen dürfen! Jst's denn unwahr? Ja freilick sind die Konservativen auch fort geschritten. Viel ist's allerdings nicht, und langsam ging's — etwa so, Feuilleton. Die Natur denkt lauter große Gedanken, und die des Menschen, indem er ihnen nachsinnt, lernen sich ausdehnen und werden den ihrigen ähnlich. Ernst von Fcuchtcrsleben. * Wilhelm wnn-t. Von Tr. Paul Fechter (Dresden).*) Es ist noch nicht gar jo lange Her, daß das Wort Philosoph oder gar Philosopyieprofessor ziemlich allgemein das war, was es für Schopen hauer immer bedeutet hatte: ein Schimpfwort. In dem Menschenalter seil dem Zusammenbruch der Hegelschen Schule und dem Heraufkommen de>.' Materialismus hatte das Ansehen der Philosophie einen Diefstand erreicht, den man etwa im Todesjahr Goethes niemals für möglich ge halten hätte. Erst in den letzten Jahrzehnten hat sie langsam be- gvnnen, das Verlorene zurückzuerobern; und das beste Zeichen für das n^uc Interesse, das die heutige Generation wieder den alten Fragen rntgcgenbringt, ist die Tatsache, daß der Philosophieprofessor definitiv aufeehört hat, die ihm von dem Verfasser der „Welt als Wille und Vor stellung" zudiktiertc Rolle zu spielen — daß cs im Gegenteil wieder allerorten populäre Dozenten gibt, und daß ein Ereignis, wie der Tod . Kuno Fischers z. B., der doch im letzten Grunde auch „nur" Philosophie- Professor war, wieder überall als wirkliches Ereignis empfunden wird. Einer der populärsten unter denen, die ihr lebelang daran ge arbeitet haben, der Philosophie wieder den ihr gebührenden Rang zu verschaffen, ist der Mann, dessen Geburtstag an diesem 16. August zum 75. Male wicderkchrt. — Der ordentliche Professor der Philosophie an der Universität Leipzig und Begründer des ersten psychologischen Instituts — Wilhelm Wundt. „Es gibt nur zwei Philosophen in Deutschland; — der andere ist in Leipzig", soll Kuno Fischer einmal in bezug auf ihn gesagt haben: sicher ist, daß außer Friedrich Paulsen heute kaum ein zweiter Universitätslehrer eine gleiche Bekanntheit genießt, wie Wundt — selbst noch in Kreisen, die sich gemeinhin mit philosophischen Problemen kaum befassen. Er verdankt diese Popularität nicht eigentlich seiner philosophischen Wirksamkeit. Unter denen, die seinen Namen kennen, wird der größte Prozentsatz über den Philosophen Wundt und sein System nur wenig Auskunft geben können. Es ist auch nicht, wie bei Paulsen, der Reiz einer eigenwilligen Persönlichkeit, die auch da noch wirkt, wo das Inter esse aus dem Vorgetragenen versagt. Was Wilhelm Wundt in der *) Zum 75. Geburtstag des Philosophen am 16. August 1907. ganzen Welt einen Namen gemacht hat, ist nicht die Art, wie seine Seele auf dieses Weltganze reagiert, auch nicht das Einzigartige der Mensch- lichkcir, die hinter diesem Weltbild steht, — es ist vielmehr eine Tat, die scheinbar am meisten dem naturwissenschaftlichen Geist dieses Jahr hunderts entgegenkam: nämlich die Begründung des ersten Instituts für experimentelle Psychologie. Erst als Wundt Ende der siebziger Jahre in Leipzig zuerst auf eigene Faust aus privaten Mitteln cs unternahm, ein psnckologisches Laboratorium zu gründen, legte c'- den Grund zu seinem Weltruf, nachdem er bereits anderthalb Menschen alter an der Rehabilitierung der Philosophie und zugleich der Ver einigung naturwissenschaftlicher und denkender Wcltbetrachtung ge arbeitet hatte. Wie fast olle Denker seiner Generation kam auch Wundt von den exakten Wissenschaften her. Geboren am 16. August 1882 zu Neckarau bei Mannheim, hatte er sich in Heidelberg, Tübingen und Berlin dem Studium der Medizin gewidmet, unter Johannes Müller in dessen ana tomischem Laboratorium gearbeitet und sich schließlich 1857 als Physio- löge habilitiert. Arbeiten zur Theorie der Sinneswahrnchmung führten ihn zuerst auf die Grenzgebiete zwischen Physiologie und Psychologie, brachten ihn dazu, sich zunächst „ziemlich ziel- und planlos" mit Kant, Herbart, Leibniz zu beschäftigen. 1860 erschienen JcchnerS „Elemente der Psychophysik", m denen zum ersten Male die experimentelle Methode aus das Gebiet der Seelenlehre ausgedehnt wurde; bereits ein Jahr später publizierte Wundt seine Untersuchungen über die Zeitverhältnisse der Vorstellungen — die „erste Probe eines rein psychologischen Experi mentes". Zwei Jahre darauf folgten die „Vorlesungen über die Men schen- und Tierseele"» die vorläufige Grundlage des ganzen Baues. In rastloser Arbeit wirkte er weiter; endlich 1874 wurde er im Herbst nach Zürich berufen — aus den Lehrstuhl für „induktive Philosophie", den bis dahin der Geschichtsschreiber des Materialismus, Friedrich Albert Lange, inne gehabt hatte. Er leistete ihm Folge; bereits im Jahre darauf aber berief ihn Leipzig — dessen Hochschule er seitdem ununter, brachen angehört hat. Diesem äußeren Entwickclungsprozeß entspricht der innere. Wundt begann auch innerlich als Mediziner, d. h. als exakter Naturwissen schaftler — um zuletzt bei dem nachkantischen Idealismus zu landen. Er fing bei der Physiologie an — kam über sie zu psychologischen Problemen und erkannte schließlich, daß die Naturwissenschaften allein niemals imstande sind, der allerorts sich ausdrängendcn Schwierigkeiten Herr zu werden — daß vielmehr die philosophische Besinnung zuletzt dock das letzte Wort behält. Damit griff auch er, ebenso wie Fcckncr, Hartmann und Loße, die große Aufgabe der Versöhnung von Philo sophie und Naturwissenschaft auf, das Hauptproblem der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. — in dem Sinne, daß ihm die Philosophie „die allgemeine Wissenschaft wird, welche die durch die Einzelwissenschaften vermittelten Erkenntnisse zu einem widerspruchslosen System zu ver einigen und die von der Wissenschaft benützten allgemeinen Methoden und Voraussetzungen deS Erkennens aus ihre Prinzipien zurückzuführcn bat." Die Einzelwissenschaften geben die notwendige Grundlage, ohne die jede Spekulation in der Luft schwebt; das Endergebnis aber bleibt Sache der Philosophie, für die alles übrige nur Material, Vor- bercilung ist. Man sieht daraus, wie irrig es ist, Wundt als den Vertreter einer spezifisch naturwissenschaftlichen Weltanschauung zu bezeichnen. Gewiß ging seine ausgesprochene Absicht dahin, die Psychologie von der eigent lichen Philosovbie abzulösen, zum Rang einer selbständigen Wissenschaft mic eigener Methode zu erheben; keineswegs aber beabsichtigte er sic zu einem Zweig der reinen Naturwissenschaften auszugestalten — im Gegenteil. Anfangs mag vielleicht das naturwissenschaftliche Interesse dominiert haben; im Verlauf der Entwicklung tritt es immer mehr gegenüber dem philosophischen zurück, und der Zorn Häckels in den „Welträscln", so ungerechtfertigt er an sich ist, beruht doch auf dem völlig richtigen Gefühl, daß der spätere Wundt mit dem Monismus und den Sehnsüchten Häckels nicht allzu viel mehr gemeinsam hat. Ebenso einseitig aber ist es, in ihm lediglich den Exverimcmal- psychologen zu erblicken, der mit seinen philosophischen Studien bereits über sein eigentliches Arbeitsfeld hinausging. Die Psychologie ist frei lich für Wundt Ausgang und Ursprung alles weiteren Denkens — und mau findet in seiner Metaphysik z. B. ganz deutlich die Kategorien des Seelischen wieder; „das geistige Sein und Geschehen dient als Vorbild für den Begriff des Geschehens überhaupt" — wie man am klarsten an der Verwertung der „reinen Aktualität" einmal im psychischen, das andere Mal im metaphysischen Sinne erkennen kann. Er weiß aber ganz genau, daß selbst der Naturforscher jeden Augenblick über die Er- fcchrung hinausgeht, sobald er zu einer erklärenden Hypothese greift — weiß, daß die Grenze zwischen den Einzelwissenschaften und der Meta physik scder der Philosophie) überhaupt keine feste ist. Und man braucht nur einmal die stattliche Reihe seiner Schriften durchzugeben, um ein- zuiehen, wie die speziell philosophischen den speziell psychologischen Ar beiten vollauf die Wage halten — wie nehen der „Philosophischen Psychologie" die „Logik", neben der „Völkerpsychologie" und den „Vor lesungen über die Menschen- und Tierseele" die „Ethik" das „Svstcm der Philosophie", die „Einleitung" und zahlreiche andere stehen. Wundt ist nicht Spezialist — weder als Psycholog noch sonstwie, schon weil seine Definition der Philosophie eine so weite ist, daß sie fast nur als Ziel, als Idee im Sinne Kants in Frage kommt. Gerade lyrrin, daß diese „allgemeine Wissenschaft" immer nur eine Sehnsucht, nie ein Besitz sein kann, liegt ihre Bedeutung — indem sie immer wieder über das Ein- zclne hinausfübrl — den Blick immer von neuem auf das Ganze, das schließlich doch die Hauptsache bleibt, hinauslenkt. Und hierin liegt vielleicht — kulturell — auch die stärkste Bedeu tung WundtS überhaupt. Es gab eine Zeit, da das Ueberhandnchmcn wissenschaftlicher Einzelarbkit fast eine Gefahr zu werden drohte. Das Beispiel Wundts bewies, daß beides möglich war — daß man subtilste Kleinarbeit treiben, und doch niemals den freien Blick auf das Ganze verlieren, Spezialist und zugleich Synthetiker, Philosoph im wirklichen
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite