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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 20.08.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-08-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070820027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907082002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907082002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-08
- Tag1907-08-20
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Abend-Ausgabe 8. Bezug»-Preit für Leipzig und Bördle durch unser« LrLger und Spediteur« in« Hau» gebracht: Ausgabe 4 (nur morgen») vierteljährlich 3 DI, monatlich 1 M.; Autgabe S (morgen» und abend») viertel» jährlich 4.50 M., monatlich 1.50 M. Durch die Voft bezogen: (2 mal täglich) innerhalb Deutschland» und der deutschen Kolonien vierteljädrlich 5,25 M., monatlich 1,75 M. au»schl. Post, bestellgeld sür Oesterreich S L 66 st, Ungarn 8 L vierteljährlich. Abonnement-Annahme: Uuguftusvlatz 8, bei unseren Trägern, Filialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern und Briesträgern. Die einzelne Stummer kostet 1v Psg. kstebaktton und Lrpedtttou: Johanni»gasse 8. Telephon Nr. 146S2, Nr. 14698, Nr. I46S4. MpMerTaMalt Handelszeitung. Berliner Redaktion»-vurea«: Berlin K1V. 7 Prinz Loui» Ferdinand- Straße 1. Telephon I, Str. 9275. Ämtsötatt -es Rates und -es Nolizeiamtes -er Lta-t Leipzig. Nr. 230. Dienstag 20. August 1907. Anzeige«-Preis sstr Inserate au» Leipzig und Umgebung die 6 gespaltene Letstzeile 25 Ps., finanzielle Anzeigen 36 Ps., Reklamen 1 M.; von auswärt» 36 Ps., Reklamen 1.20 M vomAu»land50Ps., finanz. Anzeigen75Ps. Reklamen 1.50 M. Inserate ». Behörden im amtlichen Teil 40 Pf. Beilagegebübr 5 M. p. Tausend «xN. Post, gebühr, gieichäftianzeigen an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Taris. Festertetlte Aufträge können nicht zurück- gezogen werben. Für das Erscheinen an bestimmten Lagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. «neigen-Annahme: Augustu-platz 8 bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Expeditionen de» In- und Auilande». Haupt Filiale Berlin: Earl Dunck: , Herzog!. Bayr. Hosbuch- Handlung, Lützowstraße 10. (Telephon VI, Nr. 4603). IN. Jahrgang. Das wichtigste vorn Tage. * Der Kaiser begab sich heute gleich nach der Ankunfr in Mainz in das Manövergetände. sS. Dischs. R.) * Tas „Echo de Paris" berichtet aus Rom, es bestätige sich, daß König Eduard eine Kreuzfahrt im Mittelmeer plant und dabei Sizilien und die Ausstellung inEataniazu besuchen gedenkt. * Wie „Daily Mail" aus Tanger meldet, ist Maclean gestern in der Nahe von Alkassar dem Onkel des Sultans El Meranr ausgeliefert worden. (S. Ausl.j * Das Oberhaus hat die zweite Lesung der e n g l i s ch e n L a n d- bill einstimmig angenommen. sS. Ausl.) Der Ausreißer. Die Schwarzseher haben recht behalten: Morcnga ist wieder los! Wird man sie wieder verbannen dürfen? In einer recht ungeschickten stunde ist das Unglück geschehen: Noch ist die Tinte nicht trocken aller der offiziösen Artikel, welche den Tag von Wilhclmshöhe mit ge sättigten Farben zu feiern beauftragt sind. Wir wollen die Tatsache der Wiederannäherung Deutschlands und Englands nicht bestreiten und noch weniger ihren Wert herabsetzend aber unangenehm, heftig unangenehm ist es aus jeden Fall, daß Morengas Entweichung gerade jetzt passieren mußte. Ohne den unglücklichen Zwischenfall hätte gewiß die Suppe auf dem Schloß des Habichtswaldes noch einmal so gut geschmeckt. Oder irren wir uns? Haben sich die Dinge programmäßig abgespielt? Man will ja jetzt nach bewährter Methode den Brunnen zudecken, nach, dem das Kind hineingefallen ist. Wollte man es loswerden, suchte man eme (Gelegenheit, um seine Abschwenkung von den bisher festgehaltenen Grundsätzen zu vollziehen und diese Absicht gerade in diesem Augenblicke recht augenfällig kuudzutun? Ter Gouverneur des Kaps hat dem Aus- reißer das Asyl gekündigt und läßt die Grenze gegen ibn absperren, um seine Rückkehr an den verlassenen Zufluchtsort zu verhindern. Ja, es scheint fast, als sollten englische Truppen sich an dem Kesseltreiben beteiligen: vielleicht gibt es sogar ein bißchen neue Waffenbrüderschaft, nachdem das Gedächtnis der alten von Bellc-Alliance allmählich stark eingerostet war. Ein deutsch-englisches Bündnis gegen die Hottentotten — nein, gegen einen Mann — es kostet herzlich wenig und verpflichtet doch! Im Grunde ist es ein Nurecht — wenn nämlich die frühere Ve- schützung Morengas ein Recht war! Grundsatz bleibt Grundsatz! Ist Morenga eine „kriegführende Macht", dann kann er diesen Charakter auch nicht „verwirken". Man sieht, wie England mit seinen Grund sätzen „Kuhhandel" treibt. Mögen die Wracks der russischen Revolution, welche an Englands Küsten getrieben sind, sich auf englischem Boden nicht zu sicher dünken! Man spricht schon von einer nabe bevorstehenden Begegnung zwischen dem King und dem Zaren. Wird in einem russisch- englischen „Wilhclmshöhe" auch ein Opferlamm geschlachtet werden? Wir glauben freilich im Ernste nicht, daß es dazu kommen wird. Wir wollen auch mit England wegen seiner Inkonsequenz, die diesmal zu unscrn Gunsten geschieht, nicht weiter rechten. Wir wollen ihm auch das Vergangene nicht mehr nachtragen. Aber feftnageln müssen wir doch, daß die Bewachung Morengas nicht so zuverlässig gewesen ist, wie uns immer gesagt wurde, trotz aller Warnungen der „Schwarzseher". Und sie hätte sehr streng sein müssen, wenn sie in treu-nachbar lichem Geiste geschehen sollte. England hat doch auch alle Ursache, seinen Basutos und seinen an- deren Koffern scharf auf die Finger zu sehen. Es kann sehr bald einmal eine Gelegenheit kommen, da auch England die deutsche .Hilfe schätzen lernt. Sind doch erst wenige Monate verstrichen, seit cs einen Feuilleton. Man hat allerdings Stimmungen: aber wehe dem. den die Stimmungen haben. Ernst Freiherr von Fcuchterslebcn. La-y Godiva. tVon unserem Londoner X.-Korrespondenten.f Lenken Sie sich, bitte, einen Augenblick in die Seele des Senators Verenger! Jawohl, desselben Dörenger, den die Studenten des Montparnasse den Pere Pudeur getauft haben, weil er einen lebhaften Kreuzzug geführt hat gegen so vieles, was keusche Herzen nicht entbehren können. Wenn sie sich also hineingcdacht haben, was aar nicht so so schwer sein kann, denn so ein alter französischer Senator pflegt eine gar weite Seele zu haben: Dann kommt Nr. 2. Tann müssen Sic sich vorstellen, daß Herr Böreuger den „Standard" zur Morgcnmilch genießt. Sich eine derartige englische Lektüre bei einem der Pensionäre des Luxembourg vorzustcllcn, ist schon bedeutend schwerer. Aber es ist Tatsache. Mr. Börenger hat mir einst selbst erzählt, daß er den „Standard" mit seiner frommen Morgen milch „einzunehmen" Pflege. Und zwar wandte sich sein Augenmerk be sonders der reichen Spalte religiöser Berichterstattung zu, die damals einen Charakterzug des Blattes ausmachtc. Mr. Börenger hat es zwar öffentlich nie gern Wort haben wollen. Aber er muhte die Keuschheits- wäre aus dem prüdesten Großbritannien, aus den Konventikeln von Exeter Hall importieren. Ter Sieg seiner Bestrebungen war denn auch echt englisch. Ter „Cri de Paris und die ,,Assiette au beurre" wur den nach wie vor verkauft, und nach wie vor illustriert. Der Verkäufer heftete nur sein säuberlich einen Dogen Briefpapier über das Titelblatt. Und unter dem Briefbogen — konnte sich der Flaneur der Boulevards denken, was er wollte! Was für einen »koalc muß der Pere Pudeur heute morgen bei der Lektüre des „Standard" bekommen haben! Tie Morgenmilch muß ihm im Magen sauer geworden sein. Gleich hinter der „Königlichen Aka- demie der Künste" und vor der brennenden Frage „IVRnt in rvsiigk^?" veröffentlicht das konservative Jnspirationsorgan des Sittlichkeits apostels unter der Ueberschrift: „Öbaritv anck ebivnlrv" einen „Appell La Milos an das Publikum von Conventrv". Schon die Placierung dieses Appells sagt Ihnen, daß es sich um eine der wichtigsten TageS- sragen handelt. Die Adressierung dieses Appells an den „Standard" klärt Sie darüber auf, daß die kirchlichen Tugendwächter eine Nolle in dieser Frage spielen. Der Name La Milo mühte Ihnen geläufig sein, wenn Sie leibst weniger tugendhaft wären. Einem Äuslandskorrespon- denten wird von vornherein weniger Tugend zugetraut und so bediene ich mich des Privilegs, um Sie darüber auszuklären, daß „La Milo" die berühmteste, die kühnste, die umstrittenste, vielleicht die künstlerischste, aber zweifellos die schönste Vertretung des „Living Statuary"-Schau- spielS ist. So nennt die englische „Music Hall" die mebr oder minder un kleinen Vorschmack genossen hat: als der Transvaalier Ferreira mit seinen 12 Paladinen seinen Raid in die Kapkolonie unternahm! Ferreira war auch aus deutschem Gebiet gekommen. Die Engländer werden selber nicht glauben, daß er von Deutschland angestiftet gewesen sei: das Ware doch eine große Schurkerei — gegen Ferreira gewesen, und zugleich eine ungeheure Albernheit, denn ein wahnsinnigerer Streich war nicht gut auszudenken. Ten überspannten Mann aber in Präventivhaft zu bringen, hatten unsere Behörden keinen Anlaß, solange er nichts ver brochen hatte. Morenga hingegen war ein fluchtiger Rebell, und ein höchst gefährlicher, den man alle Ursache, alles Recht und allen Fug hatte, stramm an die Kandare zu nehmen. Wir müssen aber gestehen, daß eine veränderte Eingedorenenpolitik der englischen Regierung uns ein bißchen wenig dünken würde, wenn sie die einzige Frucht der „Detente" Ware. England wird sich doch in zwischen damit abgesunden haben, daß Südwcstafrika dauernd in deut schem Besitz bleiben wird. So gewiß es ist, daß wir niemals die Hand aus das Land gelegt hätten, wenn die Schwierigkeiten seiner Behaup tung vorher richtig eingeschötzt wären — sogar Bamberger hat an solche Millionenzisfern niemals gedacht —, so sicher ist es, daß heute kein national fühlender Deutscher an einen Rückzug denkt, und wenn ein zweites Halbmilliardenopser gefordert würde: vergißt doch niemand, daß der südwestasrikanische Boden heute unsere teuersten Erinnerungen in seinem Schoße birgt. Hat aber England sich ehrlich mit der Tatsache ab gesunden, daß seine Gelegenheiten, das vorschnell aus den Land karten rotumränderte Gebiet effektiv zu besetzen, unwiederbring lich verpaßt sind, dann hat doch auch sein „Trutz-Germania" an der Wal- fisch-Bai jeden Wert eingebüßt. Ist diese Frage — für uns keine Lebens frage, seit wir uns mit Swakopmund so notdürftig behelfen, aber immer hin noch von erheblicher Wichtigkeit — ist sie in Wilhclmshöhe angeregt? Oder hat man sich gescheut, sie anzuschneiden, um dem königlichen Gaste nicht üble Laune zu schaffen? Ueber das militärische Vorgehen gegen Morenga von deutscher Seite liegen jetzt folgende Angaben vor: Oberstleutnant von Estorfs wird sich, wie wir bereits meldeten, von Windhuk mit seinem Stabe nach dem süd lichen Kriegsschauplatz , der von den Oranjebergen bis zu den Karras bergen reicht, begeben, um die Operationen gegen Morenga selbst zu leiten. Die gegen diesen zur Verwendung gelangenden Streitkräfte werden folgendermaßen zusammengesetzt sein: Aus dem Norden im Hcrcrolandc werden drei Kompagnien und zwei Batterien mobil gemacht und nach KeetmanShoop in Marsch gesetzt. Sie werden abgelöst durch Mannschaften, die jetzt eigentlich zur Heimsendung gelangen sollten und zurückgehalten werden. Oberstleutnant v. Estorfs zieht ferner alles, was sich im mittleren und südlichen Teil des Schutzgebietes befindet, auf dem Kriegsschauplatz im äußersten Südosten zusammen, so daß dort Ende September 12 Kompagnien, 3 Feldbatterien, 4 Züge Gebirgsartillerie und 4 Züge Maschinengewehre für die Operationen zur Verfügung stehen werden. Im ganzen also etwa d'e gleiche Trupvenmacht, die Oberst leutnant von Estorf im Frühjahr Ik'aß in d-r ale'chen Linie unter seinem Befehle vereinigt hatte. Deutsches Reich. Leipzig, 20. August. * Ter Kaiser ist mit Gefolge um 8 Uhr bei der Wärterbude 39 bei Mainz ciugetroffen. Zum Empfange waren anwesend der Großherzog und die Großherzogin von Hessen, Prinz und Prinzessin Friedrich Karl von Hesisn, Krcisdirektor Frhr. v. Gagern, der kommandierende General v. Eichhorn, der Gouverneur und der Kommandant von Metz. Der Kaiser, der die Uniform seines 116. Regiments trug, begrüßte die An- wesenden auf das herzlichste und ritt in das Gefcchtsgelände. An der Gefechtsübung nahmen teil die Regimenter 115 und 116 der 49. Jnfan- teriebriyndc, die gegen das 117. Regiment manövrierten. Den beiden Parteien waren Artillerie und Kavallerie beigegeben. * Der Kaiser und der Deutsche Tag. In einem von Lucanus ab gesandten Tanktelcgramm des Kaisers an den Landesökonomierat Kenne mann für die Huldigungsdevesche des Deutschen Ostmarkenvereins heißt cs: Der Kaiser freue sich über die treue Mitarbeit an der Erhaltung bekleidete Darstellung antiker Plastik zur Begleitung von Schein- werserlicht und ähnlichem melodramatischen Hokuspokus auf der „ly rischen Bühne". La Milo ist eine Landsmännin des Herrn Börenger, der sie — freilich erst nach über IM Vorstellungen von den Brettern des Casino de Paris Vertrieben bat, da cs ihr in Frankreich nicht, wie hier im Lande der Rede- und Druckfrcihcit und vor allem des Scusationshungcrs selbst bei der kirchlichen Pressck, gelang, zwischen der „Akademie der Künste" und „Was ist Absinth?" an die französische Ritterlichkeit appellieren zu dürfen. „La Milo" kam dann im vorigen Sommer nach dem englischen Seebad Brighton und gab im Casino auf dem dortigen Pier einige Vor stellungen, welche trotz der „dreijährigen rein künstlerischen Vorstudien" der Dame die allerdings sehr Frommen des dortigen Gemeinderats in Konvulsionen versetzte. Der Gemcinderat ist Besitzer des Kasinos und die Liberalen hatten mit der Zulassung der Milo den Konservativen einen Streich gespielt. Es kam zu einer schweren bürgerlichen Krise, die aber mit dem Siege der Aufgeklärten endete, als diese den Kassen rapport des Kasinos vorlegten. Freilich war La Milo dann bereits ins Londoner Palace Theater geholt, feierte dort beispiellose Triumphe, hatte schon den Heiralsantrag eines australischen Millionärs abgelchut, um nur der Kunst zu leben, gerichtlichen Schutz ihres Konterfeis nach suchen müssen und was dergleichen Mätzchen der Reklame meyr sind. Tie beste Reklame machten aber auch hier die Exeterleute für sie. Ter protestantische Klerus ist sonst in diesen Dingen recht liberal. Aber schließlich, nach langem Zögern, machte doch der Bischof von London mobil. Ter sonst sehr prüde Lordkämmerer, dem die Londoner Theater unterstehen, blieb allerdings harthörig: in Hoskreiseu soll man die Milo doch sehr „natürlich" gefunden haben. Aus diesen Kreisen wurde auch darauf hingewiesen, daß die Bibel derartige Schaustellungen nicht ver biete. Mehr Glück hatte man bei dem puritanischen Sozialistenslügel im Londoner Grasschaftsrat. Richtig setzte der eine spezielle Kom mission zur Augenscheinnahme ujw. ein. Nach erschöpfender Be augenscheinigung kam aber glücklimcrweise ein Sozialist auf ven ganz richtigen Gedanken, daß die von niemandem anstößig befundenen Schau- steÜungen männlicher Nacktheit eiger tlich heikler seien. Da niemand die nackten Männer von der Bühne haben wolle, so könne man auch die Milo nicht verbieten. Inzwischen war auch der Bischof von London «ns Seebad gereist, der Tingeltangelstreik ausgebrochen, Milo „tourte" schon in der Provinz, und die gut mit Inseraten bedachte Halspenny-Presse hatte sich anderen Sensationen zuqcwandt. In der Provinz lausen selbst die Puritaner, wenn La Milo aus dem Zettel steht, ins Theater, um sich sittlich zu entrüsten. Kurz, es ging alles seinen normalen Gang in dieser englischen, der besten aller Welten. Ta, plötzlich: Blitz aus heiterem Himmel. Und noch dazu aus dem Himmel von Coventry! Die guten Leute von Coventry haben La Milo ausersehen, bei ihrem diesjährigen „Pageant" die Rolle der Lady Godiva zu spielen! Pikant klang die Sache ja sehr — oder -»lroelcinxc, wie man es nimmt! Tic genannte Lady ist vielleicht die am wenigsten prüde Figur der ganzen englischen Sagenwelt. Die Geschichte ist um so un erhörter, als zum mindesten die Dame wirklich existiert bat, wahrend es von Coventry nach gelehrter Meinung recht zweifelhaft ist, ob die Stadt schon bestand, als die Lady Godiva sich ,ru ihren Gunsten — na sagen wir, öffentlich dekolletiert haben soll. Tie Dame war die Schwester Tyorolds os Bucknall, des Sheriffs von Lincvlnshire: sie heiratete Leofric, den Earl of Chester. Ihre Hauptblüte soll in den Jahren 1040—1080 und Stärkung des Deutschtums in den Ostmarken des Reiches und ver traue, daß den patriotischen Bestrebungen der Erfolg nicht fehlen werde. * Des Prinzen Ohnmachtsansall. Ter Lhnmachtsanfall des Prin- zen Friedrich Wilhelm snicht Friedrich Heinrichs bei der Trauerfeier Joachims war ganz unbedeutend, vermutlich lediglich der großen Hitze zuzuschreiben. Der Prinz erholte sich im Freien vollkommen. * Redakteur und Staatsanwalt. Der Redakteur Markwald von der sozialdemokratischen „Volkszeitung" hatte bekanntlich gegen den Staatsanwalt Mix einen Strafantrag wegen Beleidigung gestellt, weil Mix in einem Prcßprozeß gegen Markwald den Ausdruck Preßfrechheit gebraucht hatte. Der Erste Staatsanwalt hat nunmehr ein Einschreiten gegen Mix mit der Begründung zurückgewiesen, daß diesem eine be. leidigende Absicht fern gelegen habe. Anzuerkennen fei aber, daß der Ausdruck jedenfalls hätte vermieden werden können. Daraus sei auch Mix im Aufsichtswege hingewiesen worden. * Der Kamps nm den sozialdemokratischen Gemeindevorsteher. In dem reußischen Torfe Hohenölsen wurde der zum dritten Male mit großer Mehrheit gewählte Gemeindevorsteher Herzog abermals von der Greizer Regierung nicht bestätigt. Die Nlchtbestätigung erfolgte wegen der ausgesprochenen sozialdemokratischen Gesinnung des Genannten. Wahrscheinlich wird nunmehr die Regierung von ihrem Rechte Gebrauch machen und von Amts wegen einen Gemeindevorsteher ernennen. t Allgemeiner Deutscher Jnnungs- und Handwerkertag. Nach den üblichen Begrüßungen erstattete gestern Tr. Westphal Bericht über die Tätigkeit des Zentralausschusses. Ueber „Das Genossenschaftswesen und seine Bedeutung sür das Handwerk" sprach hierauf der Direktor des Hauptverbandes Deutscher gewerblicher Genossenschaften C. I. Korthaus. Seine Ausführungen führten nach längerer Debatte zur Annahme fol gender Resolution: „Das Genossenschaftswesen im Handwerk bietet ein erprobtes Mittel, um durch Betätigung der Selbsthilfe für die Erhaltung und Förderung eines selbständigen Handwerks wirken zu können. Die Aus breitung und der weitere Ausbau der genossenschaftlichen Organisation im Handwerk ist mit allen geeigneten Mitteln anzustreben, und zwar wie bisher, ausschließlich unter dem Gesichtspunkte der Selbsthilfe. Es haben demnach die Vertretungen des Handwerks besonderes Gewicht zu legen: 1j auf die Verbreitung genossenschaftlicher Kenntnisse und ge- schäftlicher Tüchtigkeit im Handwerk: 2> auf die Erweckung und Belebung genossenschaftlicher Gesinnung, die in der Förderung der Gesamtwohl- sahrt auch einen Vorteil für den einzelnen erblickt; 3j auf eine fort- schreitende organische und geschäftliche Entwicklung in der Verwaltung der Einzelgcnossenschaften und den weiteren genossenschaftlichen Ver einigungen: 4j auf eine Vermehrung der Einzelgenossenschaften im Hand werk jeder Art, sofern sich auf dem besonderen, in Betracht kommenden Gebiet für die genossenschaftliche Tätigkeit ein Bedürfnis geltend macht. Syndikus Tr. Westpbal sprach hieraus über „Die Schädigungen durch die Loynkämpfe und Maßnahmen hiergegen". Er faßte seine sehr beifällig aufgenommenen Ausführungen in nachfolgender Resolution zu sammen: „Der Allgemeine Deutsche Jnnungs- und Handwerkertag erklärt unter voller Anerkennung des Grundsatzes der Koalitionsfreiheit, daß gegenüber den zahlreichen Auswüchsen, wie sie in immer steigendem Maße bei den Lohnbewegungen durch Bedrohung und Mißhandlung Arbeitswilliger, durch Verrufscrklärung und Boykottierung der Ge werbetreibenden zutage treten, eine Verschärfung der gesetzlichen Be- stimmungen erforderlich ist. Ferner erklärt der Allgemeine Jnnungs- und Handwerkertag, daß die wachsende Macht der Gewerkschaften den engen Zusammenschluß sämtlicher Arbeitgeber unbedingt notwendig macht. Er empfiehlt deswegen dringend, auch im Handwerk die Gründung von Arbeitgeberverbänden, von Streik- und Bopkotteut- scbädigungskassen nachdrücklichst zu betreiben nnd durch das Zujammen- gehen mit den industriellen Arbeitgeberverbänden, wie es bereits im Verein Deutscher Arbeitgeberverbände verwirklicht ist, die Stellung der selbständigen Handwerker gegen das Andrängen der Gewerkschaften zu befestigen." Gegen den Vortrag und die Resolution wurden keine grundsätzlichen Ausstellungen in der sehr umfangreichen Debatte gemacht, so daß die gelegen haben, etwas weit zurück also für den heiligen Zorn von Exeter Hall. Damals waren die Sitten in England noch rauh, wohingegen daS Klima wesentlich milder gewesen sein muß, als zur Zeit Ihres gehor samen Dieners. Tenn folgendermaßen berichtet die populäre Legende: Ter tapfere Leofric schätzte die Bürger von Coventry mit wucherischen Mautabgaben, denen der Handel der Stadt zu erliegen drohte. Sic san- den an der Gräfin einen warmen Fürsprech. Ter grimme Earl, dessen Glaubensbekenntnis sich unter den symbolischen Zeichen L. ,->lr. ck. zusam- menfasscn läßt, erwiderte höhnisch: „Gut, ich gewähre Coventry Zins freiheit, wenn du nackend dein Pferd besteigst und quer über den Markt platz, von einem Ende zum andern, reitest." Es gibt ja heute in Eng land auch sehr stark aufgeklärte adelige Damen, aber . . . Mit einem Worte: Lady Godiva ritt! Nnd die braven Bürger von Coventry — sie sind heute gauz sicher weniger brav — schlossen Türen und Läden. Kein Mäuslcin guckte durch den kleinsten Spalt. Nur Tom, selbstverständlich das magere Schneidcrlein, konnte sich nicht helfen. Er tat einen tüch tigen Blick. Freilich den letzten. Denn der in jenen wilden Zeiten nicht allzu sehr in Anspruch genommene Himmel stand auf der Lauer und schlug „Peeping Tom" lden Guckertbomasj mit Blindheit. Eine erbau liche Geschichte. Eine schöne Geschichte. Unter Richard II. gab cs aber schon Ungläubige. Denen zum Trotz setzten die Bürger von Coventry ein buntes Fenster in ihre Trinitvkircbe, mit einer gründlich unbefange nen Darstellung der guten Lady. Tie Puritaner haben im Bürgerkriege dann nichts davon übcrgclasscn. Aber kaum war das Puritanerregimc zu Ende, da setzten die Leute von Coventry am 31. Mai 1678 ihre „Sommerschau und große Messe" wieder ein, die ihnen 1217 durch könig liches Patent verliehen war, als „Fest großer Lust". Und von dem Tage an bildete der Ritt der Lady Godiva, noch mehr aber „Peeping Tom", die Mittelsiguren ihvrs Pageant. Ursprünglich war Peeping Tom noch eine Holzsigur in der Rüstung des Ritter Georg. Spater wurde ein „lustiger Andrees" daraus, den man in einem hölzernen Häuschen herumfuhr. Er guckte aus einem kleinen Fenster heraus und riß von Jahr zu Jahr eindeutigere Späße. Nun sind diese Pageants in den letzten Jahren aus den „Geleits umzügen", wie wir sie in den deutschen Mcßstädten bis Anfang der acht ziger Jahre ebenfalls kannten, immer mehr große Meiningereien ge worden, die den Frcmdenzuzug herbeilocken sollen, indem sic ein StüL Mittelalter in einer häufig put erhaltenen mittelalterlichen Umgcbvng vorspiegeln. Tas winklige Coventry mit seinen vielen alten Kirchen, mit seinem Rathaus aus dem 15. Jahrhundert, seiner Tuchballe auS dem 14. und seinen bis ins 13. Jahrhundert zurückdatierenden Bürgerhäusern hat aber jüngst doch eine Abnahme der Attraktionskraft seiner Pageants verspürt. Die klugen Trikot- und Patronenbändler im Komitee von Coventry verfielen daher aus eine kleine Spekulation mit den mancherlei Peeping Toms, die es unter dem Neisepublikum der Pageants gibt. Aber mit Baumwolle und Pulver haust in England überall auch die Bigotterie. Von allen Kanzeln, in den Kirchen und Tabernakeln setzte ein gewaltiger Sturm ein. La Milo wurde tatsächlich als Abgesandte des Teufels hingestellt! Ter Mob wurde aufgesordcrl, sie zu steinigen, wenn sie nackend über die Straße reite! Das Komitee erklärte freilich: „Trikots!" Wer konnte in Coventry überhaupt etwa- anderes als Trikots erwarten! Tas hals aber nichts! Tas Komitee be rief einen Künstler von der Kgl. Akademie, der sür Lady Godiva ein Kostüm l!> zeichnen mußte. Der Mann löste, seine Ausgabe gar nicht übel. Die legendarische Godiva soll sich in ihre wunderbaren Haare ge-
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