Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 21.08.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-08-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070821029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907082102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907082102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-08
- Tag1907-08-21
- Monat1907-08
- Jahr1907
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Noerrd-Nuskabe S. r. joenan. te ra,. .1. edecker. >roth. n». Lüttem, k. on. n. . Uhr. »rssi ms".) Bonn. Argyll: ! Grell; ckwank. vcn 1 »cnau/ rraro schstruth . MtS.: Velburg. ts Surzen, »3380 »II. n »Stv« L. rer. lsll! rille, ter^? von »01»«, lvkil., 2SS8. rrL«I«r. Bezug»-Prei» für Leivtt» und Vororte durch «nlere Träger und Spediteure tn» Haut gedracht: Lutgabe t (nur morgen») vierteljährlich 3 M., monatlich r M: Ausgabe 0 (morgen« und abend«) viertel» jährlich 4.50 M., monatlich 1.50 M. Durch Li» Post be,oaen (2 mal täglich) innerhalb Deutschland« und der deutschen Kolonien vierteljährlich 5,25 M., monatlich 1,75 M. autschl. Poft, bestellgeld iür Oesterreich S L 66 d, Ungarn 8 L vierteljährlich. Abonnement-Annahme: Auguftusplatz 8, bei unseren Trägern, gilialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern und Briefträgern. Die einzelne Stummer kostet 1v Pfg. «edaktton und Expedition: Johannirgassc 8. Telephon Nr. 14692, Nr. 14699, Nr. 14694. lverltner Redaktion« Bureau: Berlin KW. 7 Prinz Loui« Ferdinand- Straße 1. Telephon I, Nr. 9275. MpMerTaMM Handelszeitung. Nnttsvlatt -es Nates und des Volizeiamtes der Ltadl Leipzig. Anzelgeu-Prei» fstr Inserate au« Leipzig und Umgebung dm 6 gespaltene Petitzeile 25 Pi , finanziell« Anzeigen 30 Pf., NeNamen 1 M.; von -u«w»rt« 30 Pf., Reklamen 1.29 M.: vom «u«l-nd 50 Ps., stnanz. An zeigen 75 Pf.. Reklamen 1.50 M. Inserate ». Behörden im amtlichen Teil 40 PI. Beilagegcbübr 5 M. p. Tausend cxkl. Post, gebühr. Geichästtanzeigen an bcuorzugtcr Stelle im Preise erhSht. Rabatt nach Taris. Festerteilte Austräge kännen nicht zurück gezogen werben. Für da» Erscheinen an bestimmten Tagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. «neigen-Annahme: Augustu«platz 8 bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Expeditioncn de« In- und Aii«landc«. Haupt - Filiale Berlin Earl Dunck: , Herzog!. Bahr. Hosbuch- handlung, Lützowstraße 10. (Telephon VI, Nr. 4603). Nr. 231. Mittwoch 2l. August 1907. M. Zahrflanq. Das wichtigste vorn Tage. * Die „N. Fr. Pr." meldet aus Paris, daß man in dortigen Poli» tischen Kreisen behauptet, die bevorstehende Zusammenkunft Cambons mir Fürst Bülow in Norderney bezwecke die Her» beiführung eines deutsch-französischen Entgegenkommens bezüglich Marokkos und der Bagdadbahn. * In Antwerpen streikten am gestrigen Dienstag 16000 Ar beiter; nur 100 Mann arbeiteten. * Der Pariser „Figaro" meldet, General Drude ersuchte gestern in einem Telegramm die Negierung uni Zusendung von Verstärkungen. sS. Ausl.) * Die Berufung Weingartners an die Wiener Hofopcr ist vollzogene Tatsache geworden. sS. Feuill.) Die russischen „Höheren Sphären^. Von unserem Petersburger **-Korrespondenten. Petersburg, 3./16. August. Noch kein halbes Jahr ist ins Land gegangen, seit dem Tage, da vor dem grauen Hause am Liteinij-Prospekt der Totenwagen hielt, der den Größten des Landes, Pobjcdonoszew, den letzten Weg führte. Drei Kaiser hatte dieser Mann seinen Ideen zu gewinnen gewußt. Drei Generationen hoher und höchster Würdenträger waren durch seine po litische Schule gegangen. Viele hatten sich der überlegenen Geisteskraft gebeugt und waren mit Anstand und Würde in die „höheren Sphären" eingegangen. Wenige hatten ein Widerstreben gewagt und waren von einer unsichtbaren Jaust getroffen zu Boden gesunken. Keiner durste sich vor ihm Sieger nennen. Ein Witte wurde zweimal durch ihn ge stürzt. Noch als er sich bereits vollständig von den Staatsgeschäften zurückgezogen hatte und in krankhafter Furcht vor der rächenden Hand der Revolutionäre kaum mehr die düsteren Räume seines Hauses ver ließ, suchte ihn das kaiserliche Vertrauen. Mehr als einmal sah man den Pobjedonoszew, den das weite Rußland längst zu den Toten ge worfen hatte, in Zarskoje Sselo ober Pcterhof. Und wenn die hagere, schwarze Gestalt auflauckte, so zog sich alles scheu zurück. Minister wie Lakaien. Denn sein Blick brachte Verderben. Sein Tod bedeutete den Anfang einer neuen Aera. Männer, die das Beste des Reiches wollten, brauchten nicht mehr besorgt zu sein, daß eine böse Stunde die Arbeit langer Monate zerstöre. Man kann sagen, daß seit diesem Tage Stolypin seinen eigenen Kurs gings Schwanebachs Abschied ward von ihm beschlossen. Und ob sich der Dunkelmann auch sträubte und wehrte, ob er sich auch auf jene starken Helfer berief, die einst des „Schwarzen Mannes" Famuli gewesen waren, er mußte weichen. Es tat allen, die sich politisch frei fühlten, wohl, daß endlich einmal ein Mann am Ruder des Staatsschiffes stand, der nicht befürchten mußte, am Felsen der Intrige zu zerschellen und eines unrühmlichen Todes zu sterben. Durch Stolypins politische Tätigkeit geht ein frischer Zug. Seine Arbeit macht ihm Freude. Man sage nicht, daß er nie irrte. Im Gegenteil. Er hat sich ost genug ver griffen, wie jede Persönlichkeit, die nicht erwarten kann, daß dem Gut gewollten das Gelingen folge. Er ist kein Philosoph, aber ein praktisch denkender Mann. Das ist für Rußland ein großes Glück, daß es einen solchen Mann zum Lenker seiner Politik hat. Nur langsam, viel zu langsam für sein Wollen, gelingt Stolypin die Liquidation der Pobjedonoszewschen Erbschaft. Diener, die ihre Arbeitspflicht schlecht erfüllen, jagt man zum Teufel. Minister, die dem Programm des Regierungschefs nicht entsprechen, veranlaßt man schonend, ihren Abschied einzureichen. Beides ist für die entscheidende Persönlichkeit weit, weit leichter, als Leuten, die auf der zweiten Stufe der „höheren Sphärenleiter" stehen, begreiflich zu machen, daß sie in den Orkus der Bedeutungslosigkeit hinabstcigcn ..lüssen. Tiefer Art Menschen sind zudem in Rußland ganz besonders zähe. Wir haben eine Legion von solchen „Subs" und „Vizes". Sie kosten dem Staate ein immenses Geld. Tas ist das eine, das weniger Bedeutende. Was aber mehr ist und ihre Existenz geradezu unverantwortlich macht, das ist ihre Anspruchskühnheit. Sie wollen sämtlich nicht nur heißen, sie wollen auch sein. Kurz und gut: Stolypin und die seinen Intentionen folgen, haben mit diesen Kreaturen in höheren Sphären schon kräftig aufgeräumt. Allein die Arbeit, die hier noch zu geschehen hat, ist groß. Sie ist auch verantwortungsreich und von größter Bedeutung, denn an ihr hängt das Schicksal Rußlands. Auch sind manche darunter, deren Abkunft vor dem Fall bewahrt. An ihnen wird man nicht mit abgewandtem Blicke vorübcrgehcn dürfen. Sonst könnten der Sphärenhydra bald neue Köpfe wachsen. ZeZLuirgsschcru. Wie ein Pole über die Polen urteilt, zeitigte eine Zuschrift, die der „Frankfurter General-Anzeiaer" veröffentlich!. Der Ver fasser, der unter der Chiffre B. M. de P. schreibt, gibt seinen Lands leuten allein die Schuld daran, daß das Polenreich zugrunde ging und fährt dann fort: „Wenn die Polen die Russen bassen, so kann man dies zwar nickt billigen, aber begreifen, wenn man der blutigen Verfolgungen gedenkt, die sie erlisten, wenn man die Gräber zählt, die von den Steppen der Ukraine bis in die Einüdrn Sibiriens der Zarismus dem Polentum gegraben. Wenn die Polen das HauS Habsburg hassen würden, so wär« dies auch noch begreif lich, denn zwischen den Habsburger», der Wiener Regierung und der galizischen Scklachta sicht da? Gespenst des blutigen Jahres 1840, und die Schatten der damals Gemordeten sind noch nicht zur Ruhe gekommen. Warum die Polen aber die Preus,en, die Deutschen hassen, auf diese Frage gibt es keine Antwort. Sie ist pinchologisch und politisch unerklärbar und kann höchstens durch eine Idiosynkrasie erklärt werden, also durch einen pathologischen Defekt, der in der Politik keine Rolle spielen soll. Die Preußen haben nie ihren Namen mit blutigen Letter» in die Geschichte des „geteilten Polens" ein geschrieben, und was die Teilung selbst anbelangl, jo hat Preußen nur gegenüber einem von Rußland und Oesterreich geschaffenen kalt noeompli seinen Vorteil gewählt, nicht aber die Initiative zur Tei lung ergriffen. Preußen übernahm die heute ihm gehSiendcn Ge ¬ bietsteile im Zustande der größten Verlotterung und Verwahrlosung. Man braucht nur Poieu und Wcstpreußen zu bereisen und den heutigen kul turellen Stand dieser Peomnzeu mit dem vor der Einverleibung zu vergleichen, um, fall» man nicht „ein Blinder aus Passion" ist, feststellen zu können, daß die preußische Herrschaft eine Wohltat, alur lein Fluch für jene Landesteile gewesen ist. Diese Erkenntnis wird um so nachdrücklicher und prägnanter, wenn man die Zustände im „unterdrückten" Po en und Wesipceußen mit denen im „sreien autonomen" Galizien vergleicht. Viele Polen erkennen dies auch selbst an, aber nur im Geheimen, denn es fehlt ihnen der zivile Mut, dies aftgesichts der Chauvins öffentlich zu tun. Dieser Mangel an zivilem Mut ist ein pol nisch, r Ratioualsehlrr und ein Notionatunglück. Vieles, was geschehen und noch geutürht, wäre ungeschehen geblieben, wenn der Pole neben dem physischen Mut auch ,,l« eourage <Iv son opiaion" hätte." Höchst interessant ist dann noch folgende Stelle des Briefes: „Im April 1905 hatte Lee Träger einer alten hisloiischen polnischen Namens, dessen Familienverbindungen in ollen Teilen des alten Polens wie auch in der deutschen Aristokratie ihn zur Rolle eines ehrlichen Maklers prudeüiniertcn, mit einer von maßgebender Stelle beanjtraaten Persönlichleit der Wtlhrlmslraßc eine lange Unterredung. . . . Als taS Gespräch aus die AnsiedelungSlommissioii kam erllärle der polnische Arisiokrat daß, abgesehen davon, daß Liese Jnstitulion ter preußischen und deutschen Verfassung wider spreche und mithin eine gesetzlose Einrichtung sei, sie auch ihren Zwcck in keinerlei Weiie erfülle. Ter in Paris bestehende „Konntet Narodowy" verfüge über genügende Mittel, die teilweise auch aus den Kassen einer fremden Regierung fließen, um der Tätigkeit der Ansiedelungskonnnission ein Paroli zu bieten." Zum Deutsche» Tag in Blomberg und Lcn dort gefaßten Beschlüssen bemerken die „Berl. Polit. Nachr.": Ter Deutsche Tag in Bromberg hat wieder ein erfreuliches Zeugnis dafür abgelegt, daß die deutsche Bevölkerung dec Ostmarkcu nach wie vor bereit ist, den Veitlebunacn cntgegenzutretcn, die daraus abzielcu das Deutschtum auS den frühere» polnischen Lanoesicitcn zu verdrängen Sie lau» sich versichert batten, daß die preußische Regie«ung, wie Lies ja auch wieder ganz deutlich aus dem in Bromberg eingelaufenen Antworttelegramm des Reichskanzlers und Minister präsidenten hervorging, dieser nationalen Regung besondere Förderung wird zuteil werden laßen und daß sie alles tun wird, um die Deutschen im Kampfe gegen die gioßvolnischen Bestrebungen zu stützen Wenn der Deutsche Tag in seinen Resolutionen die Regierung aufgesortcrt hat, dem Landtage zu seiner nächsten Sitzung einen Gesetzentwurf vorzulegen, der für Posen und Westpreußen das Enteignungsrecht anders gestaltet, jo sind die Vor bereitungen für eine solche Vorlage seit langem im Gange. ES darf auch jetzt schon als ziemlich sicher angesehen werden, daß ein derartiger Gesetzentwurf ten preußischen Landtag in seiner nächsten Tagung beschäftigen wird. Wenn aber weiter von dem Deutschen Tage in Bromberg für Westvreußen, Posen. Schlesien und Ostpreußen sowie die Regierungsbezirke Frankfurt, Stettin und Köslin die Einführung eines Einspruchsrechts deS Staates gegen Guts übergänge in polnische Hand gewünscht wird, so darf zunächst darauf ver wiesen werden, daß ein solcher Wunsch von den zuständigen Regierungsstellen eingehend geprüft ist. Er ist schon früher aus dem Abgeordnetenhnuje bervor- gegangen. Bei der Prüfung haben sich jedoch sehr große Schwierigkeiten heraus gestellt, ja jo große, daß sie unüberwindlich erscheinen. Sie sind juristischer Natur. Es sind kompetente juristiiche Stellen um die Abgabe gutachtlicher Aeußerungen zu dem Wunsche aufgefordert worden. Die Gutachten haben ergeben, Laß ein Einspruchsrecht des Staates bei Bovenverkau'en in der Ostmark mit Rücksicht auf die Reicksgeseygebung unzulässig sein würde. Nun ist es zwar möglich, daß Lurch ein Reicksgesetz ein Landesgesetz oder eine lanvesgesetzliche Bestimmung aufgehoben wird, denn Reichsgesetz geht vor Landes- gejey, aber umgekehrt kann durch ein Landesgesetz keine reichsgesetzltcke Vor schrift beseitigt iverden. Diesen Weg im Interesse des Deutschtums in den Ostmarken zu betreten, verbietet sich somit auf Grund der gegenwärtigen reichs gesetzlichen Bestimmungen. Man darf aber hoffen, daß es durch die Verstärkung L<s Entergnungsrechts der AnsiedrlungSlommijsion gelingen wird, dem immer mehr um sich greifenden Uebergange deutschen Bodenbesitzes in polnische Hände ein Ziel zu setzen. Auch damit wäre ja schon manches erreicht. Deutsches Reich. Leipzig, 21. August. td. Tie Lage in Teutsch-Südwcst. Eine Berliner Korrespondenz ist in der Lage, aus Grund eines an sie auS Südwestafrika gerichteten Telegramms anzugeben, wie man dort die durch MorengaS Ausbruch geschaffene Situation ansieht. Das betreffende Telegramm hat folgenden Wortlaut: Zuständige Instanzen sind hier wegen Morengaaffäre nicht sonder lich beunruhigt, bisher liegt kein Grund vor. Schlimmes zu befürchten. Estorfs ist nach KeetmanShoop unterwegs, Truppen werden bei Keet- manShoop, Warmbad konzentriert. Schlupfwinkel MorengaS ungesähr bekannt. Estorfs wird Morenga umstellen lassen, vorläufig aus Offensiv» verzichtet, Verhandlungen mit Morenga möglich, dem Ernst der Lage klar gemacht werden soll. Da Kappolizei mit uvS Hand in Hand arbeitet, BondelzwartS entwaffnet sind, ist Wiederausflackern des Aus standes unwahrscheinlich. Farmer erhielte» aber Befehl, unter Militärschutz sich zu begeben, alles Erforderliche sonst veranlaßt." Es scheint danach, daß man an maßgebender Stelle der Meinung ist, daß das Auftreten MorengaS einen neuen Aufstand nicht Hervorrufen wird, Wohl aber lokale Unruhen sich ereignen können. Dieselbe Korrespondenz schreibt bann, nachdem sie auf das entgegen kommende Verhalten ver Kapregiecung hingewiesen, die einen Rückzug MorengaS auf englisches Gebiet nicht wieder dulden wird: Die Lage für Morenga ist ernst, da er sich zwischen zwei Feuern befindet und das Kapland kein schützenves Asyl mehr bietet. Es wäre übrigens interessant zu erfahren, was Morenga veranlaßt hat, die Kapkolonie zu verlassen. Unmöglich ist nicht, daß man beabsichtigte, ihn englischerseitS dingfest zu mache», nackdem seit WilhelmShöhe ein anderer Wind weht. England hätte I sich selbst Unannehmlichkeiten ersparen können, wenn eS Morenga schon längst unschädlich gemacht hätte. Es scheint, daß man hofft, durch I Unterhändler Morenga zur Ueberzabe veranlassen zu wollen, der schlaue Feuilleton. Proselyten zu machen ist der natürlichste Wunsch eines jeden Menschen. Goethe. * Berliner Bilder. Tas freie Bad im Wannsee. Alle halben Stunden geht ein Stadtbahnzug von Berlin an den Wannsee. Diese Züge sind seit Wochen, nämlich seit der Freigabe des östliche Wannseestrandes für Badezwecke, regelmäßig überfüllt. Jotum, denkt die Eisenbahnverwaltung. Und das gut trainierte Publikum läßt sich quetschen. Diese Fahrtverhältnissc haben auch ihr Gutes. Man kommt in die richtige Stimmung, die Bismarck mit den Worten zu kenn zeichnen pflegte: Äiiki knrcimcntum est. Wer, wie ich, seit Jahr und Tag mitgekämpft hat gegen Prüderie und Muckertum im Leben wie in der Kunst, mußte die Fahrt an den Wannsee mit einer leisen Bangig keit unternehmen. Ist die Probe auf das Erempel gelungen? Tritt das sexuelle Moment in den Hintergrund? Und wie nimmt sich die Sache ästhetisch aus? Von der Bahnstation Niklassee hat man kaum sieben oder acht Mi nuten bis an den Strand zu gehen. Wer die umsäumenden Höhen ver meidet, hat durch den allzufeinen märkischen Sand zu waten, steht sich dafür aber einige Minuten früher mitten im Badcleben. Etwa einen Kilometer lang dehnt sich die Erlaubnisstrecke aus, deren Endpunkte durch Fahnen kenntlich gemacht sind. Zwanzig, dreißig Meter dem Ufer vorgelagert, begrenzen Schilfstreifen das seichte Badewasser nach dem offenen See zu. In der Tat eine ausgesucht günstige Oertlichkcit. Aber nun zu dem Badepublikum. Nach recht sorgfältiger Beobachtung ist kein Zweifel darüber möglich, daß man es hier mit dem echten kleinen Bürgertum zu tun hat. Arbeitertypen sind sehr selten. Dafür sind die unverkennbaren Gestalten der kleinen Handwerker oder anderer Ge werbetreibenden, die sich leicht einmal einen freien Nachmittag leisten können, in überwältigender Zahl vertreten. Mit Weib und Kind und Hund und Schwiegermutter sind sie hergekommen. Die Schwieger- mutter ist sehr wichtig bei dem Unternehmen. Sie hat auf die Sachen aufzupaffen und verzichtet, wahrscheinlich im Jntereffe der Zuschauer, auf weitere Aktivität. Couragiert, wie es Vatern zukommt, entledigt er sich zuerst der Hüllen und präsentiert sich bald in strammer Nacktheit mit der leichten Ueberernährung des deutschen Mannes in den besten Jahren. Die kitzlige Frage: Wie zieht man vor zehntausend Menschen dezent eine Badehose an? hat er überaus klug gelöst. Er hat sie zu Hause schon untergezogen. Und nun steht er da, mit herausfordernd gestrammtem Biceps und einem leuchtenden Moncgramm genau in der Mitte der Hose, dort, wo cS bingehört. Stolz betrachtet die Gattin die Glieder des Mannes, das Produkt ihrer nahrhaften Kochkunst, stolz auf das Monogramm, das sie in Plattstich genäht. Inzwischen lockert sie allmählich und unauffällig ihre Gewänder. Bei der Lösung der in timen Teile tut das von der praktischen Mutter geschickt vorgehaltene Badelaken gute Dienste, bis endlich auch sie in der Tracht der etwas stark geratenen Wannseenixen dasteht. Auch Emil und Anna, der Eltern Ltclz, sind, mit erheblich weniger Vorsicht, der Kleidung ledig gewor- den und umhüpfen bereits mit Geheul die Gruppe. Nebenan hat sich ein Pärchen gelagert, dessen Verhältnis vielleicht weniger legitim ist, und das deshalb auch schlankere Formen zeigt. In endlosen Reihen, bis hoch in die Waldböschung hinan, türmen sich die Kleiderhaufen, daß dem Manne, der stets die höchsten Preise für alte Kleider zu zahlen ver- spricht, das Herz ausgehen müßte. Junge, leichtsinnige Leute ohne hohe Barbestände lassen ihre Sachen ganz ohne Aussicht. Die Oessent- keit ist übrigens kein übler Schutz. Es soll wenig gestohlen werden. Beim Wciterschreiten durch das Gewimmel und Uebersteigen der sich sonnenden Mcnschenleiber stößt man auf belästigende, auch auf viele posierende Gruppen. Da gleich vor uns spielen zwei Herren und eine Dame, alle lang ausgestreckt die starken Formen ihrer Rückseiten zeigend, in der glühenden Sonne Skat. Muß das ein Vergnügen sein! Arme Opfer ihrer Sensationslust! Nebenan ein netteres Bild. Der gut- mütige patsr larnilias läßt sich von seinen Sprötzlingen bis an den Hals cinbuddeln in den sogenannten Strandsand von fragwürdiger Be schaffenheit. Und zwischen den primitiven Entkleidungsplätzen tauchen nun auch niedliche Zelte auf, mit lustigen flatternden Fähnchen und drolligen Namen. „Villa Nackedei" prangt an dem einen. „Zur roten Olga" lautet die verfänglichere Inschrift eines anderen. Die Knipser sind in eifriger Tätigkeit. Und die hübscheren kleinen Mädchen schützen sich mit Schläue durch Nückenposen vor den listigen Photographen. Im Wasser ist ein Leben, das den Neid jeder Badeverwaltung er wecken muß. Den meisten Lärm machen natürlich die Kinder, deren Ge kreische die höchsten Töne erklettert. Ganz am Rande führt eine junge Mutter in hochgesteckten Röcken ihr nacktes Baby plätschern. Sie selbst ist wohl nicht recht aufs Baden eingerichtet. Aber der Junge will absolut ins Wasser. Was bleibt ihr also übrig, als Schuhe und Strümpfe auszuzichen und ihm den Willen zu tun? Dicke und dünne Leiber quirlen durcheinander. Alles ist eitel Lust den ganzen Strand entlang, der bis zum Sinken der Sonne nicht leer wird. Wir sind am Ende der Freibadestrecke, erklimmen die steile Höhe, wo Bäume stehen, und überblicken das Gekrabbel da unten, das sich aus dieser Perspektive malerisch, bildmäßig, präsentiert. Und hier oben klären sich endlich auch die Eindrücke der Wanderung: Sexuelle Bedenken — so aut wie ausgeschlossen. Aber der Aesthct kommt in zu großer Nähe, bei der aufdringlichen Wirkung der Details, nicht aus seine Rech nung. Woran mag das liegen? Sollte unsere^auf das Verdecken zu geschnitten«' Gewandung dem öffentlichen Uebcrgang zur Nacktheit wider streben? Ich kann mir denken, daß auch die Details hübscher würden, wenn der Berliner, Mann wie Weib, im einfachen griechischen Ueber- wnrf zur Badeslätte eilte, dort mit einer Bewegung die Hülle ablegte, und nun in natürlicher Anmut ohne Schamhaftigkeit sich zeigte. Aber so wirken die Eindrücke leider nicht. Indessen bekenne ich offen, daß ich ähnliche Ausfassungen bei der überwältigenden Masse des Publikums nicht beobachtet habe. Vielleicht sind das nur Gefühle eines zu hoch geschraubten, zu anspruchsvollen Empfindens. Und bei der Subjektivität dieses Urteils fühle ich mich um so mehr verpflichtet, noch einmal die absolute Unanstößigkeit des ganzen Bildes zu betonen. Und wenn ich erwähne, daß dabei doch aua> große hygienische Werte gezeitigt werden, daß Zehntausende in Licht und Wasser zu baden verführt werden, die vielleicht sonst außer an der Nasenspitze und den Händen kein Wasser zu spüren bekommen, so wollen mir meine ästhetischen Bedenken beinahe kleinlich erscheinen. Nicht zu vergessen der erzieherischen und abkühlen den Wirkung des Anblicks der Nacktheit für beide Geschlechter. 8aü. VerkehrSverhältnisse. Der Kleinstädter, der zum ersten Male daS Berliner Pflaster bc- tritt, kann sich nicht genug wundern über den immensen Wagen- und Menschenverkehr. Er kann sich kaum vorstellen, daß diese Ricsenzahl von Elektrischen und Omnibussen wirklich notwendig sein soll zur Bc- wältiaung des Verkehrsbediirsnisses. Und wenn er gar die Stadtbahn und die Untergrundbahn sieht, dann ist sein Staunen aut dem Gipfel- punkt. Es imponiert ihm gan; gewaltig, daß auf allen Bahnhöfen der Stadtbahn der Zug nur eine Minute anhält und daß die Untergrnno- bahn mit einer gefährlich scheinenden Geschwindigkeit unter der Stadt vder über den Köpfen der Straßengänger hinwegeilt. Hört er dann gar einen Berliner über die Mangelhaftigkeit des Betriebs sich ent rüsten, dann ist er geneigt, den Berliner für nörglerisch, unzufrieden und anmaßend zu halten. Er vergißt ganz, daß er schließlich doch nur Zuschauer ist, daß ihm die Verkehrsbedürfnisse der Weltstadt eigentlich ein Ruch niit sieben Siegeln sind und daß die Zeitersparnis im täglichen Leben in Berlin eine größere Noll« spielt als irgendwo sonst in Dmtschland. Nein. Der Berliner selbst ist durchaus nicht zufrieden mit den Ver- kchrsvcrhältnissen. Und er k a n n es gar nicht sein. Die Klagen über die Rückständigkeit der Stadtbahn reißen gar nicht ab. Jede Woche er neuert sie irgend ein Berliner Blatt. Die Verbindung der Vororte untereinander läßt noch viele Wünsche offen. Aber auch im Zentrum der Reichshauptstadt sind Reformen dringend vonnöten. Nehmen wir ein Beispiel. Und zwar eines, das jede Minute ins praktische Verkehrs leben Berlins eingreift: die Verbindung zwischen dem Anhalter Bahn hof und dem Norden Berlins, also z. B. mit dem Alexanderplatz ES gibt eine ganze Anzahl Elektrische, es gibt auch Omnibusse, die diese Verbindung Herstellen, aber man braucht eine Ewigkeit, um die Strecke mrückzulegen, da innerhalb der Stadt die Fahrgeschwindigkeit wegen Set Masseiwerkelns von Fuhrwerken und, Passanten nur mäßig sein kann. Und doch ist man auf diese Verbindung angewiesen, wenn man wat
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite