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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 02.09.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-09-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070902011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907090201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907090201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-09
- Tag1907-09-02
- Monat1907-09
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Rr. 243. 1V1. Jahr«. * Der erzbischöfliche Regierungökanbibat für Posen soll der Magde burger Division-Pfarrer R. von Krzesinskr sein, wie jetzt auch die „Magded. Ztg." meldet. Stach ihrer Information steht der Division-- piarrer auch auf dem Standpunkt, er werde sich einem etwaigen Wunsch des Kaiser- fügen, also eine an ihn ergehende Berufung nicht ablehnen. * Kreisln» und Blockpolitik. Die Anträge zum Parteitag der frei sinnigen BolkSpartei werden veröffentlicht. Neben einem Antrag Müller- Meiningen, der auf- neue freuudnachbarliche Beziebuugen zwischen den liberalen Parteien empfiehlt, befindet sich eine Resolution de- Abg. Wiemer zur Blockpolitik, folgenden Wortlaut»: „Der Parteitag erklärt: Die Freisinnige BolkSpartei erstrebt, getreu dem EisenacherProgramm vonl8S4,die Befestigung der nationalen Einigung Deutschland-, den Ausbau der politischen Freiheit und die Hebung der Wohlfahrt de» gesamten Volke-. Die Partei ist bereit, wie bisher, gesetzgeberische Maßnahmen zu unterstützen, die in der Richtung ihrer Forderungen liege», und mit anderen politischen Parteien zur Bekämpfung gemeinsamer Gegner zusammen zu wirken. Für ein solches Zusammenwirken ist Voraussetzung, daß die grundsätzliche» Anschauungen der Partei gewahrt und die Forderungen ihre- Pro gramms zur Geltung gebracht werden. In einer Resolution Müller-Sagan wird zum Landtag-Wahlrecht die Einführung de- „im Programm der freisinnigen BolkSpartei ge orderten* gleichen, allgemeinen, geheimen und direkten Wahlrechts für Preußen verlangt. * Die Konservativen und der Block. Man wirft dem Linkslibera lismus, so weit er bei brr preußischen Wahlrechtsbewegung die Ein- üihrung des Neichstagswahlrechts fordert, vor, er bedrohe damit den Bestand des Blocks. Wie man aber gerade in konservativen Kreisen mit dem Blockgedanken spielt, sobald man vor die Forderung einer ernsten Wahlreform gestellt wird — offenbart ganz rückhaltlos „Die Post". Nicht nur die Forderung des Reichstagswahlrechtes geht diesen Herren zu weit, auch eine Aenderung der Wahlkreiseintcilung und und der Ver- Schiebung der Bevölkerung wird von ihnen abgelehnt, und sic erklären ganz offen, daß man durch solche Forderung mit absoluter Sicherheit den Zu sammenschluß der Konservativen mit dem Zentrum, also die Sprengung des Blocks, berbeisübren wurde. Das ist ein neuer Beweis dafür, wie man auf konservativer Seite gar nicht daran denkt, um des Blocks wil len dem Liberalismus ernsthafte Konzessionen zu machen. Sobald er mehr fordert, als die Gnade der Konservativen gütigst gestattet, so droht man mit einer Zcntrnmsfrenndschaft und Bruch der Blockpolitik. Und da gibts immer noch Politiker und Zeitungen, die gern liberal scheinen möchten und doch nur auf den Liberalismus als Störenfried in der Blockpolitik schelten! Sie wagen kein Wörtchen gegen den brutalen Egoismus der Konservativen in der Wahlrechtsfrage zu sagen, aber sie schreien, jammern und schimpfen, wenn der Liberalismus an dem Ideal des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts sesthält und es nicht ohne weiteres zurncktreten lasten will. * Der „Aufruhr" in Meiningen. Wie es zu den Ruhestörungen in dem meiningischen Ort Steinbach kam, über die wir gestern berichteten, darüber erfährt die „Frkst. Ztg." folgendes: Der 1392 Einwohner zählende Ort Steinbach hatte einen sozialdemokratischen Gemeinderat, der aus eine Eingabe aufgelöst worden war, weil er angeblich die Inter essen der Bürgerschaft stark vernachlässigt habe. Im Auslösungsdekret hieß es: „Die Beschlußfassungen des Gemeinderates haben ergeben, daß die Mehrheit desselben wiederholt in pflichtwidriger Weile das Interesse der Gemeinde geschädigt hat. Vorgekommene Unregelmäßigkeiten sind z. B. nicht einmal verfolgt worden. Es soll die Gemeinde Gelegenheit erhalten, wieder eine Vertretung zu wählen, die in uneigennütziger Weise die Interessen der Gemeinde wahrnimmt." Bei der Gemeinderats wahl siegte schließlich die bürgerliche Liste mit 254 Stimmen über die sozialdemokratische, die nur 216 Stimmen erhielt. Von dem günstigen Ausfall der Wahl ist sofort nach Bekanntwerden des Ergebnisses der Herzog telegraphisch in Kenntnis gesetzt worden. Schon am anderen Tage traf vom Herzog ein Telegramm folgenden Inhalts ein: „Herz- lichen Glückwunsch. Einigkeit macht stark. Georg." Inzwischen haben sich die Gegensätze in der Bürgerschaft Steinbachs weiter zugespitzt, wozu insbesondere die Nachricht, daß gegen einzelne ehemalige Mitglieder des Gemeinderats gerichtlich vorgegangcn werden soll, viel beitrug. Ge legentlich der Nachfeier des Vogelschießens veranstalteten einige Hitz köpfe eine Demonstration gegen die Absetzung deS sozialdemokratischen Gcmcindcrats. Ortspolizci und Schultheiß wurden tätlich angegriffen. ?cr Schultheiß mußte, von Schüssen verfolgt..inIespe WobnuHA wüch sen, wo man ibm die Fensterscheiben einwars. Zum Ueberfluß lauteten die Demonstranten noch die Feuerglocke. Gegen die Beteiligten wird jetzt ein Verfahren eingeleitet werden. Llp. Tie Mauövrrkosten. Die Kosten der diesjährigen großen Herbstübungen werden nicht unerheblich durch die sehr späte Ernte beeinflußt werden. Im Gelände des Kaisermanövers zwischen Pyrmont und Warburg, bei Höxter und Brakes, stehen noch ganze Felder auf dem Halm, und es erscheint zweifelhaft, ob zum mindesten der Hafer bis zur zweiten Septemberwoche geschnitten und eingefahre« werden kann. DaS Terrain, auf dem die Kaiserparade bei Hannover (nabe dem Dorf Bemerode) stattgefunden har, erforderte an Flurschaden allein nicht un beträchtliche Summen. So wurden einem Bauern für 25 Morgen Sommerweizen, der vorzeitig geschnitten werden mußte, 4800 Mark Entschädigung gezahlt. Einzelne Landwirte haben sich allerdings in ihren Berechnungen auf lukrative Abfindung seitens Leipziger Tageblatt. der Militärverwaltung stark getäuscht gesehen. So hatte ein oldenburgischer Gutsbesitzer seine gesamt« Ernte iu der Er wartung stehen lassen, daß ein Scharfschießen der I. Abteilung de» Ost friesische» Feldartillerie-Regiment» Nr. 62 ihm eine fette Flureutschädiguna eintragen sollte. Im letzten Moment, als sich dte Batterie» schon aus dem Marsch nach dem au-gewählte» kriegsmäßigen Schießplatz besandea, habe» dann Vorstellungen des Generalkommando» in Hannover beim Krieg-ministerium in Berlin zur Folge gehabt, daß die Schießübuag — de- voraussichtlich zu hohen Flurschadens wegen — abgesagt wurde. Der allzu schlaue Landmann aber batte mit einer überreif gewordenen Ernte da« Nachsehen und nicht unbeträchtlichen Schaden. Der späte Stand der Ernte dürfte auch auf die Vorspanngestellung für die im Kaisermanöver zahlreich formierten Proviantkolonnen nicht ohne Einfluß bleiben und der Heeresverwaltung ungewohnte Schwierigkeiten bieten. Ausland. Rußland., * Witte und Stolypin. Aus Petersburg wird uns geschrieben: Es kann nicht geleugnet werben, Stolypin hat geniale Gchachzügr gemacht. Er weiß die Angriffe von rechts sowohl wie von links geschickt zu parieren. Merk würdig ist e», daß man in Rußland immer die Politiker der Gegenwart weniger kennt, als die der Vergangenheit. In den Freiheitstagen de» Oktober gab e» ganz aufrichtiadenkende Liberale, welche mit Witte iu Verbindung treten wollten. Soweit verkannten sie Witte. Witte schwur damals dem Arbriterrat und dem Bureau der Presse, daß er ein Konstitutionalist reiusten Wassers sei. ES hat sich aber berausgestellt, daß auch er nur ein typischer russischer Beamter vom Schlage derer ist, die immer „zu Befehl" sind, und daß er, um nur seinen Ministerposten zu behalten, ein doppelte» Gesicht aussetzte und bald für und bald gegen di' Konstitution sein konnte. Noch unlängst hatte dieser „Karrieremacher" die Kühnheit, zu erklären, daß er „ein treuer Diener des selbstherrlichen Zaren sei". Dte unbarmherzige Zeit batte die MaSkr von Witte hrrabgerissen. — Stolypin hat da» Spiel seine Vorgängers nachzuahmen versucht. Hinter den Kulissen war er der Begründer der Feld- und Kriegsgerichte, und auf der Tribüne der Duma spielte er geschickt den konstitutionellen Minister. Er hat den „Verband der echten Russen" großgezogrn, und gleichzeitig schreitet er zum Schrine gegen die echt-russischen Leute ein. Stolyvin erklärt jetzt ausländischen Korrespondenten gegenüber, daß in Rußland vollkommene Ruhe herrsche. Tatsächlich aber finden in Bessarabien, wie der Telegraph (der russische!) mitteilt, Judenpogrome statt, werden in allen Gouvernements Rußlands Kriegszu'iand und verstärkter Schuß verlängert, und der weiße Terror erhebt immer kühner sein Haupt. Wie unglaub lich erschien sogar den Kadetten die Mitteilung ans bester Quelle, daß Stolypin dem Obervrokürator des Kriegsgerichts Rylcke Borwürfe gemacht bat, daß die Kriegsgerichte in der letzten Zeit zu milde («io) Urteile fällen. Und doch ist sie wahr. Wahrhaftig ein gewagtes und gefährliches Spiel treibt der Premier minister mit dem Doppelgesicht. * Bombt. Aus Odessa wird gedrahtet: Bei der Untersuchung einer kürzlich in der Scheperistraße gefundenen Bombe durch den wachhabenden Offizier des Petropawlowsky - Viertels entfiel die Bombe den Händen des O'fizier». Dieser und rin Schutzmann wurden durch die Explosion getötet, fünf Schutz leute schwer verwundet. China. Bevorstehende Hungersnot. Unser ständiger Mitarbeiter inSchanghai schreibt: Eine ernite Sorge liegt über China — siebt dem Lande eine neue Hungersnot bevor? ES ist eine alte Erfahrung in China, daß die Rei-preise während der Monate Juni und Juli in die Höhe gehen. Die Vorräte aus der Ernie de» letzten Jahres gehen zur Steige, und die neue Ernte ist noch nicht geborgen. In diesem Jahre ist der Reis jedoch in den Monaten Juni und Juli so im Preise gestiegen, wie es seit der Zeit des Taiping-Aufstandes nicht wieder beobachtet worden ist. Die Ursachen dieses Uebelstandes, unter dem die große Masse des Volkes schwer leidet, liegen mehrere Jahre zurück, sofern sie nicht in der gewissenlosen Spekulationswut gewisser chinesischer Kreise und in der Unentschlosfenbeit der Behörden überhaupt wurzeln. Die ReiSernte deS Jahres 1905 war außergrwöhnlich gut, so daß das Pikul Reis auch noch zu Beginn des JahreS 1906 für etwa 4 Dollar, also etwa 8,40 zu haben war. Um diese Zeit setzte jedoch eine Sveknlalionsmeihode ein, die sich auf die Dauer als höchst verhängnisvoll erweisen sollte. Eingeborene Spekulanten sammelten au bestimmten Orten, des Jangiselals große Massen ReiS an und kamen, leider mit Erfolg, bei dem damaligen Generalgouverneur in Nanking, Tschoufu, um die Aufhebung deS damals feit Jahren bestehenden Aus- fuhrverbvt» ffür- Reis ein. Die Folge davon war, daß-igroße-Massett ReiS zu hohen Preisen nach der Mantschuret und Japan gingen; dadurch trat Reisteueruna im Jangtsetal ein, und auch das nach einiger Zeit wieder in Kraft gesetzte Ausfuhrverbot sowie Reisankäufe der Regierung in Siam und Uün-nan durch die Gencralgouverneurr der Janglseprovinzen konnten dem Uebelstand nur zum geringsten Teil abhelfen. Ter Preis für ein Pikul Reis war im Juni 1906 auf über sieden Dollar (fünfzehn Mark) gestiegen, so daß der geringste Kuli monatlich nahezu drei Dollar zum Ankauf der notwendigsten Nahrung auf wenden mußie. In diesem Jahr liegen die Verhältnisse noch schlimmer. Zurzeit hat der Preis für Reis zehn Dollar für das Pikul erreicht; dieses not wendigste, man kann fast sagen einzige Nahrungsmittel der breiten Masten ist also 2'/,mal so teuer als vor zwei Jahren. Japan. * Ter japanisch-amerikanische Schuk'ircit in nenem Lichte. Aus Tokio, 26. Juli, schreibt man »nS: Nachdem in jüngster Zeit der amerikanisch japanische Schulstreit etwas in den Hintergrund getreten war und die Erregung Montag, 2. Sedteruver 1907. in Japan sich zu lege» begonnen hatte, hat soeben wieder «ine Veröffentlichung in dieser Angelegenheit die Anfmerksamkeit der Japaner erneut darauf gelenkt. Diese Veröffentlichung stammt von amerikanischer Seite, und zwar ist es Mr. George Krnnom, der sich dte Mühe genommen hat, die Tatsachen, di« dem ganzen Streite zugrunde liegen, einmal statistisch genau frstzustellen. Das Ergebnis ist allerdings überraschend. ES zeigte sich nämlich, daß unter den L8736 LolkSschülern in Sau Francisco sich im ganzen 03 Javaner (65 Knaben, 28 Mädchen) befinden, so daß auf jede Schule der Stadt im Durchschnitt etwa ein japanische» Schulkind kommt. Unter den 65 japanischen Schülern waren 34 unter 1k, nur L über 20 Jahr«, der Rest im Durchschnittsalter von etwa 17 Jahre«. In eigentlichen Elementar schulen saßen nur 6 ältere Japaner neben jüngere« Schulkindern. Uod diese 6 japanischen Schüler sind eS nun, auf die sich allein die Behauptung der amerikanischen Schulbehörden bezogen habe» kann, daß da» Eindringen der überreifen javanischen Jugend in die Schule zur Desorganisation de» Schul wesen» der Stadt und zu groben Unzuträglichkeiten führe. Man begreift, daß diese Feststellung, die, da sie von amerikanischer Seite stammt, ganz un verdächtig ist, hier allgemeine» Aufsehen und neue Erbitterung erregt. Zugleich aber macht sich ein ganz natürliche» Befremden darüber geltend, daß da» der ganzen Frage zugrunde liegende Tatsachenmaterial erst jetzt hinlänglich genau bekannt wird. Der hiesig« „Matly Herold" knüpft daran die dringende Mahnung, daß man im Jutrresse de» inter nationalen Friedens doch überall erst einmal di« nüchternen Tatsachen sprechen lasse und nicht RäsonementS und Sentiments an ihre Stell« setzen möge. Selbst die „Daily Mail" kommt jetzt zu der Ansicht, die Telegramme kriegshetzerischer Berichterstatter seien ebenso kritisch zu behandeln, wie Telegramme in Kriegs zeiten. Das ist zweifellos richtig, und wir freuen un» ganz besonder-, daß die „Daily Mail" zu dieser Ansicht gekommen ist. Denn ketn hiesige» Blatt hat so viel dazu getan, durch halbwahre und unwahre Telegramm« die deutsch-japanischen Beziehungen zu vergiften, wie gerade diese»; und wir dürfe» nach dieser öffent lichen Bekehrung deS Blatte- Wohl hoffen, daß eS selbst nach seiner besseren Ein sicht fortab handeln werde. Marokko. * Zur Situation. AuS Wien wird uns von unserem ^.-Korrespondenten geschrieben: Inwieweit interessiert die marokkanische Frage hier, in Wien, in Oesterreich-Ungarn? Natürlich abgesehen von der natürlichen Anteilnahme an einem geschichtlichen Ereignisse, da» sich in wechselvollen, stellenweise roman tischen Bildern abspielt. In wirtschaftlicher Beziehung bat Oesterreich-Ungarn keine schwerwiegende Veranlassung, sich mit Erwägungen über den Verlauf und da- Resultat der marokkanischen Wirren und der pöuötratiou pnaiügue den Kopf zu zerbrechen; in diplomatischer Hinsicht hat die habsburgische Monarchie in Algeciras ihre RangSklaffe zu wahren gewußt. Dir politischen Kreise in Wien und in Oester reich, vor allem die deutschen, geben auf «in» acht: Inwiefern tangiert die marokkanische Frage da» deutsche Reich, fährt Deutschland auf der einge chiagenen Trasse gut und sicher, wie beeinflußt die Durchführung der Algeciras-Akte. und die voraussichtliche Entwicklung der Zuüände an der Nordküste Afrikas die Be ziehungen Deutschlands und Frankreichs? Dem Freunde und Ver bündeten wird eS, kann es nickt übel genommen werden, wenn verzeichnet wird, daß vor der Entrevue Kaiser Wilhelms mit König Eduard in Wilhelm-Höhe einige Zweifel laut wurden, ob die Taktik Deutschland- in der marolkanitchrn Frage die richtige sei. Jetzt aber herrscht die Ueberzeugung vor, daß auf dem diplomatischen Schachbrett die Position Deutschlands eine vorteilhafte, eine aussichtsvolle sei. Deutschland hat Frankreich die Zusicherung ge geben, ihm nicht in die Arme zu fallen, Frankreich nach seinem Ermesse» die Durchführung der Algeciras-Akte exekutieren zu lasten. Das gibt Frankreich augenblicklich eine glänzende Rolle; ob die Rolle im letzten Akt Beifall finden wird, in Frankreich selbst, ist eine offene Frage. In der Politik gilt nun beute wie immer der Grundsatz äa ut «las. Wenn nun auch Deutsch land keinen Anlaß hat, Frankreich Unannehmlichkeiten zu bereiten, wenn eS auch in seiner friedlichen Haltung Wert darauf legt, daß die Detente zwischen Berlin und Paris anhäit, zu Geschenken in der internationalen Politik ist Deutschland nickt verpflichtet, zu Geschenken ist es auch nicht entschlossen. König Eduard von England wußte dies, alS er nach Wilhelmshöhe kam; er weiß dies um so bester, als auch ihn Sorgen bedrücken. Dir egyptiiche Sorge vor allem. England braucht freie Hand in Egypten, um den mächtig an wachsenden Panislamismus erfolgreich zu bekämpfen. Und da ergibt sich sofort, vom Standpunkt der Kompensations-Politik aus das Terrain, das sich für Demsch- land eröffnet. In Marokko wahrt eS seine Position; in Egypten erhält England freiere Hand, Deutschlands Interessen in der Türkei werden gefördert. Und damit ist schon gesagt, daß dte Durchführung der Bagdad-Bahn jetzt bessere Chancen hat. Von Paris aus wird schon angekündigt, daß nickt nur die französische Finanzwclt, daß nun auch die französische Regierung der Beteiligung deS französischen Marktes an der Aufbringung der Kapitalien für die Bagdad- Bahn sympathisch gegenüberstehe, daß die Verhandlungen zwischen den Finanz krollen Berlin» und Paris, die seit 1904 geruht Haben» »u» mit größerer Aus sicht auf Erfolg ausgenommen werden können. Frankreich scheint nun tatsächlich entschlossen, Deutschland den finanziellen Beistand bet Durchführung der Bagdad- Bahn zu leisten, obwohl Teuschland durch den KonzessionS-Ferman die erste Rolle in der Leitung und Verwaltung der Bagdad-Bahn zusallt. Deutschlands industrielle Entwickelung hat alle Geldträste der Heimat in Anspruch genommen; die enormen Kosten der Bagdad-Bahn erfordern den Zuschuß des internationalen Kapitals; wenn sich französisches Kapital in erster Linie, unter Zustimmung der französischen Regierung sich beteiligt, so hat dies auch einen politischen Wert vom Standpunkt einer weiteren Besserung der diplomatischen Beziehungen Deutschlands und Frankreichs. Mit dieser Kombination und dieser Konstellation ist man hier in Wien vollkommen einverstanden, da man hierdurch das Interesse deS verbündeten Nachbarstaates entsprechend gewahrt sieht. Der künftige Historiker nuferer Zeit wird registrieren, daß die Ausgleichung der Gegensätze der euro päischen Staaten zu Anfang des zwanzigsten JahreS auf fremdem Boden erfolgt, auf afrikanischem und asiatischem.) Für die Ruhe der Bewohner Europa- ist da rin angenehmer moäu«. — Aus Paris wird gemeldet: Nack den neuesten Be- rickten aus Casablanca sollen zu den das Korps Drude bekämpfenden Kabyten auch sehr starke Reitergruvven aus dem Tafilelt-Gebiete gestoßen sein, welche, ermutigt durch die ersten Berichte von der geringen Anzahl der Feuilleton. Theater un- Konzerte. Leipzig, 2. September. O. 8. Neues Theater. (Neu cinstudiert: „Der Rajazzo" und „Wiener Walzer".! Man hatte Leoncavallos „Bajazzo" dar stellerisch und musikalisch einer gründlichen Revision unterworfen. Das >>ar ganz wohlgetan im Hinblick darauf, daß bei der Aufführung einer so ort gegebenen, unter Umständen schon bis zur Rolle des Lückenbüßers gelangten Over sich ganz unvermeidlich und trotz aller eventuellen Sorg sait mancherlei weniger erfreuliche Gepflogenheiten und Mängel aus bilden. So befand man sich gestern, besonders musikalischerseits, gleich, sam einer Nsuschöpfung gegenüber. Die Ausführung nahm (unter Herrn Kapellmeister Hagels Leitung) einen ganz vorzüglichen Verlauf, das Orchester spielte si'hr schön und hielt sich oft auch sehr dezent zurück, was, der starken Instrumentation halber, viel Anerkennung verdient. Auch der Chor befand sich ans dem Niveau weitaus gesteigerter Lcistungs- whigkeit. Tie Einzelbesetzung war die bekannte: Herr Urlus gab das ungeheuer tragische Moment im Charakter des Canio mit deklamatori- ichcr Wucht und in gewaltig ergreifender Steigerung und Herr Zoomer schuf in dem Tonio einen Typus, der durch Intensität und Konicanenz der schauspielerischen Durchführung teils Mitleid, teils Ab- ichen bervorzuruten geeignet war. Herrn Marions Beppo ergänzte wie früher das Ensemble in lobenswerter Weise und Herr Käse, ein neuer Silvio, bewies, wie sehr künstlerischer Ernst und Wille auch eine kleinere Ausgabe dem lebhafteren Interesse nahebringen können. Die Leistung des Frl. Marx als Ncdda hat darstellerisch ungemein gewon nen, sie stand durch Leidenschaftlichkeit und Lebendigkeit viel Höher denn je und verdiente alles Lob, auch wenn die stimmlichen Anforderungen nicht immer gänzliche Erfüllung sanden. Tie Wymvtaische Regie alte manches Gute von früher her mit Recht beibehalten, anderseits durch gewisse realistische Uncrstreichung dem Verismus noch mehr Rech- nung getragen, daher dem vielgestaltigen und bewegten Bühnenbildc weder ?as fahrbare, grün angesiricheuc Wohnhaus der Komödianten samt Jn- ncrnar von Waschseinen, Bett- und Gardcrobestücken, noch Pferd und Eiel. sricdsam an der Abendkrippe sich stärkend, fehlen durften. — Viel ''eranügen bereiteten die den Lchluß des Abends bildenden „Wiener Walzer" mit ihrer niedlichen, von Jos. Bayer geschickt zusammen- gestellten Musik, ^ie Ballctmeisterin Frl. Streng-marin hatte die cils altväterischen, teils modernen Tänze mit Geschick und Geschmack arrangiert nnd reizende Gruppierungen und hübsche Kostüme halfen dazu, dem Zuschauer angenehme und heitere Szenen aus der Weit von Alt- nnd Neuwien vorzuiühren, darin man sich nicht langweilt. f. IV. Neues Operettentheater. l„D e r Z i g e u n e r d a r n n ") Jr. das Theater am Thomasring ist wieder die Operette eingezogen. Tcn „Iigeunerbaron". nächst der „Fledermaus" die erfolgreichste Oühnenschöpfung des Walzer.'önigs, hatte man zur Eröfsnu.iaSnor- stlllung gewählt. Straus hat in diesem Werke, ähnlich wie Millöcker im „Betielsiudenten", eine Annäherung an die Oper versucht, die En sembles sind zu größerer Form geweitet und nicht ohne Sorgfalt der Durcharbeitung, einige Soli verzichten gänzlich auf TanzrhytZmik, haben im Gegenteil einen Anflug von Pathos. Da, wo Walzertl,einen cmftouchen, erklingen sic aber mit all der schmeichelnden Süße und schwebenden Anmut, die das wertvollste Kennzeichen der Johann Straußschen Melodik ist und alle Welt zu seinen Verehrern gemacht hat — über dem „oon nkkslto", dem Streben nach dramatischer Steigerung, ward im „Zioennerbaron" das „xrnrno«»" vom Komponisten nich: ver nachlässigt. An der gestrigen Vorstellung war so ziemlich alles neu: Dekorationen, Kostüme, Beleuchtungseffekte und, was das AuSschlag- gebende ist, fast sämtliche Darsteller Sie hatten sich nicht über Mangel an Beifall zu beklagen, und namentlich nach dem zweiten Akte applou- dicrte das dichtgefülltc Haus andauernd. Wir gönnen dies allen Be teiligten. Die leitenden Faktoren werden sich deshalb nicht der Meinung hingeben, daß die Aufführung durchaus vollkommen gewesen sei. Er öffnungsvorstellungen sind kaum jemals Mustervorsiellungcn. Tas am wenigsten Erfreuliche des Abends war seine übermäßig lange, durch gar zu ausgedehnte Pausen verursachte Tauer, cs war Mitternacht, als der Schlußgesang erklang. Es müssen Mittel nnd Wege gesunden werden, das Umbauen schneller zu bewerkstelligen, bester, ein paar Eta- t'sicn weniger auf und ein paar Bühnenarbeiter mehr hinter der Bühne. Herr Direktor Haller, der neue artistische Leiter, hatte die Operette selbst in Szene gesetzt und die vielköpfige Komparserie zu guter Ordnung und Belebung gebracht. Hin und wieder drückten sogar die Massenwirkungcn etwas auf die Einzelleistungen. Die Dekorationen zeigten aparte, wennschon in sehr kräftigen Farbenkontrasten gehaltene Bühnenbilder, die Bühnenbeleuchtung dürfte, um naturwahrer zu er scheinen, für den Vordergrund etwas weniger grell, für den Hinter grund weniger dunkel eingestellt werden. Die trefflichste Leistung gab in der Rolle der Sasfi nicht ein Mitglied, sondern ein Gast, Frau Gruselli (wohl die Gattin des Tenoristen, der neulich «m Alten Theater ausgeholfen hat?). Die Künstlerin, die für die auf dem Zettel angekündigte Dame eingesprnngen war, kommt unzweifelhaft von der Oper her. Der Partie der Sasfi schadet das keineswegs, und Frau Gruselli wußte ihre Aufgabe recht geschickt, ja poetisch zu lösen, in Darstellung sowohl wie Gesang, der nur ein paar verklemmte Töne hatte, sonst aber durch schöne Leuchtkraft und »varme Empfindung bestach. Herr Braun, ebenfalls noch „als Gast" bezeichnet, ver- körperte die Titelrolle mit großer Verve, tat jedoch dabei des Guten manchmal zu viel. Sein ausgiebiger Tenor weist Spuren von Gaumen klang und Tremolieren auf, infolge von Forcierung schließt der Ton ost nmschlagend und schluchzend, so daß Mäßigung dringend anzuraten ist. Beobachtet er diese, wird man den Künstler gern sehen und hören. Ein tüchtiger Komiker dürste in Herrn K r e tz s ch m e r , der den Zsupan be- haglich-lustig zeichnete, gewonnen worden sein. Fräulein Bernauer lArsenas gefiel durch hübschen Gesang: die alte Zigeunerin wurde von Frau Meyer-Herber recht lobenswert charakterisiert, musikalisch schwach dagegen war die Mirabella von Frau Dinayaus. Ein gehendere Besprechung der verschiedenen Kräfte kann bis zur Durch führung weiterer Rollen verschoben werden, jetzt müssen, schon der vor geschrittenen Zeit wegen, knappe Bemerkungen genügen. Der Sitten kommissar Corneron war bei Herrn Becker, der bereit» dem vorigen Ensemble angchörte, sicher aufgehoben. Die Aufführung hatte an Kapellmeister Willy Wolf einen anregenden Führer, der das Orchester nicht über wichtige Detail- hinwcggleiten ließ. Beim Vortrag der Ouvertüre wurde diese Sorgfalt nicht minder bemerkbar, nur ward hier einiges zu sehr gedehnt. Wesentliche Stimmenverbesserung hat der Ehor erfahren. Mag immerhin bezüglich des Klangadels noch abzu schleifen sein, ein Fortschritt gegen früher war unverkennbar. * * Neuent-eckte Goethe-Briefe. Ein überaus wertvoller Fund ist in Nürnberg zutage gekommen. Dort entdeckte Dr. Rudolf Herold unter alten, der Familie Soldau gehörigen Schriften 17 bis jetzt unbekannte Goethe-Briese. * Tie Wahrheit über die Ouida. Man erinnert sich noch der Schauer mär, die vor kurzem über die »inst so gefeierte und noch heute nicht vergessene Schriftstellerin Ouida durch die Presse ging. Krank und verhungert sollte sie sich in einem italienischen Dör chen im äußersten Unglücke befinden; da» italienische Ministerium und König Eduard von England billigten ihr Pensionen zu. Nun kommt aber eine Nachr cht, die die ganze Geschichte in das Licht LeS Humoristischen rückt. ES erzählt nämlich ein Mitarbeiter der „Rivista di Roma", zwei Damen hätten sich nach Mastarosa begeben und dort statt einer eienden, halb verhungerten und halb schon gestorbenen Ouida vielmehr eine Frau bei guter Gesundheit gefunden, der eS weoer an Lebensmitteln, noch an Geld sihlte und die in einem netten Landhäuschen wohnte. Sie habe keinen anderen Wunsch gehabt, als in Ruhe gelassen zu werden. Der Berichterstatter der römischen Zeitschrift versichert, selbst einen Dan'brief der Ouida an eine dieser Damen vor Augen gehabt zu haben, der aus seinem englischen Briefpapier und mit der festen Handschrift einer willenSlräftigen und wohlgenährten Person geschrieben gewesen sei. Sie versichert in diesem Briefe, die ganze Hungergeschlchtt. die von ibr erzählt würde, sei die alberne Erfindung eines Journalisten, der sich an ihr habe rächen wollen, daß sie ihn nicht empfangen habe. Sie fliehe nämlich alle „Interviews". Hiernach ist es in der Tat, wie wir meinen, das Geratenste, di« gute alte Dame auch wirklich in Ruhe zu lasten. Sine wissenschaftliche Beschreibung de» größten Diamanten. de» Cullinan, von dem jetzt so viel die Red« ist, weil ibn die Regierung von Trans vaal dem König von England zu schenken beabsichtigt, ist vom Professor Molen- graaff, dem früheren Leiter der geologischen Landesuntersuchung von Transvaal geliefert wordeo. Ter ausgezeichnete Gelehrte kennzeichnet den kostbaren Stein als rin Bruchstück, doS nur die Hälfte eine» ursprünglichen Kristall- von der Form eine- etwa- verzerrten Oktaeders darstellt. Die andere Hälfte sollte sich eigentlich noch finden lasten — ein« recht schöne Aufgabe für die südafrikanischen Diamantsucher. Genauer lautet das Gutachten von Molengraaff folgendermaßen: „Der große Diamant ist ein Teil eines viel größeren Steine-, dessen ursprüngliche Form nur ungefähr erraten werden kann. Vier Stücke dieses ursprünglichen Stein» sind läng» Gpaltungsflächen abgebrochen, die in ihrer Lage oktaedrischen Flächen entsprechen. Jede» dieser Stücke muß von beträchtlicher Größe gewesen sein. Demnach zeigt der Stein selbst nur einen Teil seiner ursprünglichen natürlichen Oberfläche, die in der Svrache der Diamantschneider Nyf genannt wird, während der größere Teil durch jene vier flachen Spaltrbenen gebildet wird. Sonst zeigt die Oberfläche eine oktaed rische und ein« gekrümmte unregelmäßig« Fläche, die unaesähr einer Gruppe von sechs Fläche» des Dodekaeders entspricht. Außerdem ist eine sehr unregel mäßige Fläche de» Würfel» (Hexaeder») angedeutet. Der Stein ist ein einziger Kristall ohne Zwillingsflächrn oder sogenannte ZwillingSlamellen, vollkommen farblos und von einer Durchsichtigkeit, die am besten mit der von reinem Ei oder mit der al» Hyalit bezeichneten Abart des Kiesel» verglichen werden kann. E» sind einige Körner (Einschlüsse) und auch einige Flocken oder innere Spalt flächen Messen der Diamantschnrider) darin, aber ihre Lage ist derart, daß der Wert de» Stein« nicht beeinträchtigt wird. Der Lullinan ist sicher der reinste aoa allen sehr großen Diamanten, die bisher bekannt geworden sind."
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