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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 06.09.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-09-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070906013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907090601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907090601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-09
- Tag1907-09-06
- Monat1907-09
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Morgen-Ausgabe 8. Bezug-*Prr» Lut-ab« t Autgab« I» (mor«e»1 (2 mal rLglüd) t»»eLhald und drr deutsche« Kolouie» 3,23 M., I.7S «. brftellgeld für Ungar» S L vtertrl Di« eoq-l-e St»M»-r d>»«t M Siedaklton «d Exp«-M»»« Johao»t«gaße 8. Ltl-ndm- «r. 14ÜS2, «r. 14«^ «L vrrltuer Urda«»»« >NM«««: Verlin diV 7. Vrt», Amt» FiiSt««» S trabe 1. L^irpho« l, Str. SW. MWgcrTagMM Handelszeitnug. ÄMtsvratk des Rates und des Roüzeiamtes der Ltadt Leipzig. Auzeigen-PreU Wr A»>erate <u>« Lrivdtg >»d Umgebung B»8a»<»aU»»« PrtUgeil« D «., »nauzieüe >»^g«» »Pf., SieUameu l«.; »o» au«wür1» 30 Pf., StrNaiuen 1.20 M W»n I»IIb>nd I>OPs., ftnan,. Iln,eigen 73 Pf. SieUamr» t.LO M A»feiiUr». Ve-S«d«r»ill amLuhc n Teil M Pi veUogrgrdübr 3«. p. Lausend exkl. Post «dühr. «eschästdan^igeu an bevorzugter Stell« t» Preise crhSht Rabatt nach Lar i. AeOertrllt« Lusträge kbuneu nicht zurück- aerogru werden. Mr da« Erscheinen an Nchtimmte» Lagen nud PILgen wirb keiuc Garantie übernommen. «neigen.Slnnahme: Ang»«««platz 6 bet sämtlichen Filialen it. allen Annoncen» »Wetntunnm de« In- und An-lanüc« »a»»« SUtat« vertt». G«1 Lnnck: , Hergogl. «atzr. Hostuch- Hand wag, Lützowftrnhe 10. (Lelcphon VI. Str. 4600). Nr. 247. Freitag 6. September 1907. 10t Jahrgang. Da» wichtigste vorn Tage. ' Das Befinde« des Großherzogs von Luxemburg, der zurzeit ru St. Blasie« im Schwarzwald zsr Kur weilt, soll s«hr »L-aLustig fei«. * Die formelle Verabschiedung Alkhoffs wird im Laufe des Oktobers erfolge». » Der Antwerpener R« ed er Verb and hat de« gestrigen neuen vermittelnde« Vorschlag deS Bürgermeisters abgelehnt. Der Brand im Holzhafen dauert an; der bisherige Schaden wird auf 8 Millionen Francs geschätzt. jsS. Ausl. u. Letzte Dep^ * Im Eisenbahnznge von Thorn nach Hohensalza ist gestern plötzlich während der Fahrt ein russischer Aus wanderer gestorben. Man vermutet, daß er der Cholera er legen ist. (S. Neues a. a. 8L) * Wie «ns aus Petersburg mitgeteilt wird, hat aus Anlaß der Unterzeichnung des englisch-russischen Vertrages zwischen dem Zaren nud dem König Eduard ein Depeschenwechsel statt gefunden. Es siud Verhandlungen zum Zwecke «irrer Begegnung der beiden Souverän« eingeleitet worden. sS. Ausl.) * In der vergangenen Nacht ist ei» Personen; ng zwischen St an islau «nd Lemberg entgleist. Drei Personen wurden getötet. sS. Neues a. a. W.) * Infolge der Ueberschwemm«ng, die am Sonntag in der Stadt Utiel (Provinz Valencia) eiutrat, drohen zahlreiche Häuser ein zustürzen; 16 mußten bereits abgetragen werden. Mehr als hundert Familien sind obdachlos. Finanz- und Sterrerfragen. Die ReickSregienrng laßt durch offiziöse Organ« verlauten, daß sie keine Veranlassung habe, die Frage der Schaffung «euer Steuern in diesem Winter anzuschueiden. Sie identifiziert sich also durchaus nicht mit jenem vielbesprochenen Artikel eines freiwillig offiziösen Organs, das 250 Millionen Mark neuer Steuern für unumgänglich not wendig erklärte. Es begründete das damit, daß 1406 40 Millionen Mart weniger bewilligt als gefordert worden seien, daß seitdem eine ganre Reibe neuer Ausgaben böber geworden seien: Erhöhung der Beamtengebalte, Leistungen für de« Reichslnvalidensonds. MebrauSgaben für Heer und Flotte. Als Deckung batte eS ein wabres Leporello-Register neuer und erhöbter alter Steuern zusammengesügt: Reichserbschafls- steuer auf den diretten Erbgang (auf welche die Konservativen und daS Zentrum und auch die eturelstaatlichen Finanzmiuister niemals ein- geheul, Reichswehrsteuer, Erhöbang der Bier- und Tabakbesteuerung. Damit dürsten wir für diesen Winter Ruhe haben. Aber natürlich schlaft die Finanzsrage uicht. Der Abg. Gothein bat recht, indem er sagt: Deutschland lebt, was StaatsauSgaben anbelangt, an dauernd über seine Kräfte. Bei der Bewilligung von Ausgaben wird nicht Rücksicht darauf genommen, ob Mittel zu ihrer Bestreitung vor handen sind oder nicht. Gewisse Behörden, die mit ihren AuSgabeetatS das Gesamtbudget beherrschen, verfolgen sogar ganz ausgesprochen die Tendern, nur di« Notwendigkeit ihrer Forderung rnS hellste Licht zu setzen, jedoch zu verhindern, daß die DeckungSfrage überhaupt berührt wird. Deshalb gibt eS Zeiten, wo nur von den Gründen für Mehr ausgaben die Rede ist. Und nur zu bald kommen jeue andere« Zeiten, wo die Schulden, die man leichten Herzens eingegaagen ist, fällig werden. Dann siebt man vor eiuer mrerläßlicheu Ausgabe. Den« mit Recht wird gesagt: Mit dem Schulderimachen kan» eS «icht so weiter geben. Daher ist eS sehr ratsam, wenn sich der Reichstag, di« Parteien, da« Publikum stets vor Augen halten, daß trotz aller Bewilligungen die Finanzmisere «och uovermi«dert fortdauert und wir statt Mehrausgaben zu machen »ach Ersvaruugeu trachte« müßte«. Und doch werde« jetzt neue Ausgaben a« uns herantrete», deren Dringlichkeit der Mehrbeit des Reichstages einleuchtet und auf deren Deckung mau darum auch baldigst bedacht sein muß. Wir erinnern an den Hinweis auf die 40 Millionen für die Flotte in der Spahnscheu Rede. Wie die de« Verhältnisse« des TabakhaudelS und der Tabak industrie besonders »ahestebend« „Weser-Ztg.* hört, sollen nach wie vor einflußreiche Kreise geneigt fern, die Zigarren- Banderolesteuer z» machen. Sie finde« dabei starke Unterstützung vurck die Agrarier, des« e« handelt sich darum, bei dieser Gelegenheit die Besteueruag »ach dem Werte durchzuseyeu, des deutschen Tabak also frei zu laste», den fremde« nach dem Werte zu besteuern. Es siege« schwere finanzielle und soziale Bedenke« gegen diese Stcuerart vor, doch wollen wir hierauf nicht entgehen. Aus dem Zentrum ist i« dea allerletzte» Tage» der Vorschlag gekommen, zur Heilung deS Elends der ReichSfinauzen eine Reform der Branntweinvesteuerung durchsetzen. Ob da« zur Einlösung des Spahnsche» Anerbieten« seiu sollte oder ohne Rücksicht auf diese«, war dabei nicht ersichtlich. Sollte die Sach« erust gemeint sei», so wäre da« ei» Gedauke, zu deffeu Ausführung mau mit dem Zentrum zu sammenwirke« konnte. I« den letzten Jahren hat sich diese Partei freilich stark gegen die Antastung der Branntweinsteuer gesträubt. Dena sie erachtet die Pflege süddeutscher Interessen als eine ihrer besonderen Ausgaben. Nu« bat Süddeutschland bei der Regeluug der Brannt weinsteuer em kolossale« Geschäft gemacht, e« ist daher sehr für Vesten Fortdauer and daher kau« man dem ZentrumSvorschlag so recht nicht traue». Materiell liegt die Sache so, daß die allgemeine Branntwein verbrauchssteuer 70 --e für da« Hektoliter reine« Alkohols beträgt, daß jedoch em „Koutmgart" vor» 2»/, Millionen Hektoliter nur 50 zu bezahlen braucht. Da uu« der Kvns«m mehr beträgt, so verkaufen die Brenner, die obeudreiu aoch im Spiritus-Syndikat organisiert sind, den KontiageutSbranutwem uicht billiger al« den übrigen. Sie macheu als« au jedem Hektoliter eine« Steuergewinn von 20 ^e: die berühmte Liebesgabe vo« zusammen 45 Millionen Mark jährlich. Außerdem haben die landwirtschaftliche« Brennereien noch an der ziemlich in Verfall geratenen Maisckraumüeuer einen jäbr- licheu Gewirm dem 20 Willis«« Mark. Znr Aufrechterhaltung dieser beiden Formen der Unterstützung siegt seit der jüngsten Erhöhung der Agrarzölle auch nicht der kleinste Grund mehr vor. DaS Gesetz bat freilich die jetzigen Steuer» bi« 1012 vorgesehen, allein e« kanu geändert werden. Wenn rmn daS Zentrum be. it ist, 70—80 Millionen Mark durch Reform der Branntweinsteuer zu beschaffen — so heißt eS näm lich — so können all« liberale» Parteien mit ibm zusammenwirkeu. Vorsicht ist geboten gegen einen andern finanzpolitischen Gedanken, nämlich die Herabsetzung der Zuckersteuer. Mit der Herab setzung der Steuer von vorher 20 auf 14 seit dem 1. Septbr. 1903 ist freilich ein Erfolg erzielt. Der Verbrauch betrug vorher 12^ Icg pro Kopf uud stieg nachher auf >6,1 kg. Allein schwerlich einzig aus diesem Grunde. Die günstige geschäftliche Konjunktur trug daS Ihrige dazu bei. Trotz Ermäßigung deS Steuersatzes stieg der Reinertrag der Steuer von ca. 120 Millionen auf 141 Millionen. Nun verlangt man die weitere Herabsetzung der Steuer auf 10 Der Mehrverbrauch werde den Ausfall vollkommen eiubringen. Das ist aber sehr zweifelhaft. Selbst wenn die günstige Konjunktur andauert, hat die Verbrauchs zunahme eine natürliche Grenze. Man kann nicht ohne weiteres sagen, daß der Konsum in geradem Verhältnis zur Verringerung dec Steuer wächst. Wie hoch würde er denn seiu, wenn Zucker steuerfrei wäre? Leicht kann ein wlches Experiment von einem empfindlichen Steuer ausfall begleitet sein. Dazu haben wir aber jetzt kein Geld! Die Zuckersteuer ist einer der wichtigsten Ecksteine unseres ganzen Finanz wesens. Frankreich nnö der Aiatholizistnus im Orient. Der ehemalige französische Minister des Auswärtigen Emile Flourcns sucht in einer Schrift, die vor nicht langer Zeit erschienen ist und die sich mit Entschiedenheit gegen die Lntento ovrckials und die Diktatur Clemenceaus richtet, den Nachweis zu führen, daß im legten Grunde die diplomatische Kunst Eduards VII. zu dem vollständigen Bruche der französischen Regierung mit dem Vatikan geführt hat. Der Verfasser spricht von zwei Hauptstädten der christlichen Welt, London und Rom. Was die zweite an Kraft und Prestige verliere, das ge winne die erstere. London nähere sich dem Zenit, während Rom sich im Niedergang befinde. „Für den Triumph der Geschicke Britanniens ist «8 unbedingt notwendig, daß die katholischen Missionen verschwinde». Um das zu erreiche», können nur zwei Wege beschritte« werden: «nt- weder muß Frankreich aufhören zu existieren oder es muß aufhören, katholisch zu sein. Seitdem unsere Nachbarn sich entschlossen haben, aus «nS ihre Verbündeten gegen Deutschland zu machen, ist es die letztere Lösung, die sie bezwecken. Wenn Frankreich aufhört, durch Menschen und durch Geld die katholischen Missionen zu nähren, wenn es ihnen seine politische Unterstützung entzieht, können sie die britische Konkurrenz nicht mehr aushalten. Dann ist England von einer fortdauernden Nebenbuhlerschaft befreit, gegen die es seit Jahrhunderten ankämpft, gegen die es bald Gewalt, bald List anwandte, ohne sie überwinden zu können." Das Urteil dieses Franzosen ist gewiß einseitig übertrieben, aber in gewisser Hinsicht doch richtig. Als Gambetta die berühmte Parole ausgab: „Os elericulisme, e'est 1'ennoini!" hatte er doch sein« guten Gründe, wenn er hinzufügte: „I-'nntielerieaUsius n'est pas uu Lrtiols ck'erxortLtioL." Die französischen Staatsmänner, die bei fortwährenden parlamentarischen Schwankungen in der Führung der auswärtigen Angelegenheiten rasch einander ablösten, stimmten trotz aller Verschiedenheit ihrer politischen Programme doch bis zuletzt in zwei Punkten miteinander überein, die auch von beiden Kammern immer fast einstimmig vertreten wurden; sie erstrebten: im Innern eine ent schieden konkordatsmäßige Politik, nach außen die Entwickelung des französischen Einflusses mit allen Mitteln, vornehmlich durch die Auf rechterhaltung traditioneller Einflüsse im nahen und fernen Osten, durch die Begünstigung konfessioneller katholischer Schulen, durch die den Missionen gewährte Protektion. Für den nahen Orient vor allem unterliegt es keinem Aveifel, tzgß der französische Einfluß dort zunächst und auf absehbare Zeit — ob auf immer, ist eine andere Frage — durch den Bruch zwischen dem Vatikan und der „ältesten Tochter der Kirche" erhebliche Einbuße erfahren bat und weiter fährt. Priesterherrschaft gedeiht nirgends so vorzüg lich wie im Orient, das ist eine Tatsache, die bei allen Dingen, die orientalische Länder und Völker betreffen, nicht aus den Augen verloren werden darf. Die Religion ist hier immer mit der Politik verquickt, ja die Politik ist da oft nur das Korollarium der Religion. Der Orient hat zwischen Zivilrecht und Kirchenrecht noch nicht unterscheiden gelernt; seine ganze Gedankenwelt widerstrebt dieser Auffassung, und sein Ideal ist immer die Theokratie. Es ist die Religion, die die Nationalität be stimmt, sowohl für die Christen wie für die Muselmanen. Für di« Türken gilt jeder Muselmann als ottomanischer Untertan; für die Griechen haben nur Orthodoxe ein Recht, sich Griechen zu nennen; ebenso widerstrebt es Armeniern und Bulgaren, Landsleute in Anhängern der römisch-katholischen Kirche zu sehen. Das braucht nicht zu überraschen; denn di« Geistlichkeit spielt im Orient noch die Rolle, die sie im Okzident im 4. und 5. Jahrhundert sich anmaßen durfte, zur Zeit des Barbaren einbruches und bes Sturzes des römischen Reiches. Die türkische Er oberung Hot wohl di« politischen Einrichtungen der Besiegten zerstört, doch ihre religiösen Organisationen bestehen lasten, wenigstens in den Gegenden, wo Abfall vom Glauben für schimpflicher erachtet wurde wie Knechtschaft. Mehr noch —, um di« christlichen Völkerschaften bester in Abhängigkeit erhalten zu können und Aufständen vorzubeugen, wußten die Türken die Gunst der hohen Geistlichkeit für ihre Herrschaft zu gewinne», indem sie deren Prärogativen bestätigten, ihre Privilegien vermehrten, de« Patriarchen und Bischöfen das Recht bürgerlicher Gerichtsbarkeit über ihre Pfarrkinder zuerkannteu. Daher kommt es, daß im Orient der nationale Gttumke in di« engeu Schranken de« Sonderinterestes der Sekte oder des Ritus eingeschlossen ist und ohne den religiösen Gedanken einer festen Grundlage entbehrt. Die europäischen Regierungen hoben der großen Bedeutung reli giöser Fragen für die Politik im Orient stets Rechnung getragen. Das Ueberwiegen der Theokrati« ist den Zwecken Rußlands hier von jeher dienlich gewesen, so besonders in Bulgarien. Rußland arbeitete und arbeitet daraufhin die verschiedenen orthodoxen Kirchen, die in der Türkei bestehen ober von dem ottomanischeu Reiche abhängen, unter seinen Einfluß zu bringen Es begann mit der Krrche von Antiochia, die ihm seit 1899 botmäßig ist; dann kam im Jahre 1900 daS Patriarchat von Alexandrien an die Reihe «nd nun macht es sich an das Patriarchat von Jerusalem und die Klöster von Athos Heron. Die Amerikaner be treiben durch die Vermittelung von Missionen, die ihre pietistischen Ge sellschaften in Anatolien unterhalten, unter den Armeniern die eifrigste Propaganda, um sie zum Protestantismus zu bekehren. Die Religion ist es schließlich, die katholische albanesische Stämme zu Klienten Oester reichs macht. Unter solchen Umständen läßt sich nicht leugnen, daß das französische Protektorat über die Katholiken im Orient bisher einen gewichtigen poli. tischen Faktor vorstellte, mit dem di« französisch« Diplomatie auch wohl zu rechne« verstand. Dieses Protektorat besteht in der Form noch, hat aber seinen Inhalt fast völlig verloren und wird bald nur noch für aus schließlich französische Institut« und Unteruehmungen Geltung besitzen. Wenn die päpstliche Delegation offiziell immer noch die französische Pro tektion anerkennt, so tut sie doch im geheimen alles, um dem franzö sischen Einfluß entgegenzuwirken, und sie sucht, damit sie schneller zum Ziele kommt, die Stellung der französischen religiösen Orden und französischer Priester zu unterminieren. Schon als der Vatikan in Konstantinopel durch Bonetti vertreten war, wollte man auf der päpst lichen Delegation von Frankreich uicht mehr viel wissen. Aber Bonetti, der einem hauptsächlich französischen Orden, dem der Lazaristen, angehört, konnte sich nicht mit diesem Überwerfen, mußte also bei allem, was den fran zösischen Einfluß betraf, recht behutsam Vorgehen Mit dem gegenwärtigen päpstlichen Delegierten, Tacci, verhält es sich anders. Der sucht mit allen Mitteln das französische religiöse Element zugunsten von Ita lienern aus Konstantinopel zu verdrängen. Seine Umgebung ist so franzosenfeindlich wie möglich. Der General-Vikar Bergamanero hört nicht auf, die französischen Priester und Mönche mit seinen Denunzia- tionen zu verfolgen. Broggiotti beschimpft fortwährend Frankreich, französische Werke und die Franzosen. Und dabei gibt die „?rc>paxrut,ioL ckc» la koi", deren Sitz in Lyon ist, 110 000 Francs jährlich aus, da mit die päpstliche Delegation, die das Geld »ach Gutdünken verwenden darf, französische Priester und Einrichtungen in solcher Weise behandelt. Schon haben eine ganze Anzahl französischer geistlicher Würdenträger im Orient das Feld räumen müssen, um Italienern Platz zu machen. Und bei der Erbitterung, die in Rom über Frankreich herrscht, kann es damit nur weiter seinen Fortgang nehmen. Möglich, daß die französische Politik im Orient in späterer Zeit einmal ohne religiöse Hilfe besser vorwärts kommt, wie früher mit kirchlicher Unterstützung. Verschiedene Balkanvölker haben in neuester Zeit angefangen, ihre Nationalität und Raste gegenüber kirchlichen Ein flüssen wieder zu betonen, und Frankreich könnte diese Tendenz unter stützen, um sich neue Sympathien zu erwerben, und es könnte ferner durch eine entschiedene weltliche Kulturpolitik den Missionen viel Wind aus den Segeln nehmen. In der Nutzbarmachung weltlicher Kultur bestrebungen für politische Zwecke, kann überhaupt auf diplomatischem Gebiete noch viel geschehen. Die Amerikaner gehen wie in so vielem anderen auch darin den Europäern mit gutem Beispiele voran, indem sie die Ausbreitung amerikanischer Bildung und Wohltätigkeit im Aus lande nicht ausschließlich den Missionen überlasten. Für di« französische Politik im Orient bedeuten solche Erwägungen allerdings nur Zukunfts musik, vorläufig befindet sie sich is der Lage eines Lahmen, der der Krücke beraubt wurde. O. 6. Deutsches Reich. Leipzig, 6. Septeniber. * Lum Landtagswahlkampf tu Dresden wird uns geschrieben: Am Mittwoch abend fanden hier nicht weniger als drei Wählerver'ämm- lungeu gleichzeitig statt, an deren Verlaut man einigermaßen die Ckanceu für den Sieg ermessen könnte. Am lebhaftesten ging eS selbstverständ lich im Dreikaiseihos in Löbtau zu, wo unter dem Vorsitz des Reicbs- tagöabgeordueten Landgerichisvirektor Heinze, der bisherige Ver- trcter des 3. städtischen LandtagSwablkreiieS, Dr. Vogel, sprach. Obwohl die Arbeiterzeitung ihre Anhänger mit einem be sonderen Hinweise auf diese Versammlung mobil gemacht batte, so daß zwei Drittel der Aoweienden Sozialdemokraten waren, schnitt der nationalliberale Veteran iu der Debatte sehr gnt ab. Jeden falls trat eS hier dcurlich zutage, daß die Sozialdemokraten in d,m Nationallibcralen ihren gefährlichen Gegner sehen, während sie die konservativ-antisemitischen Versammlungen einfach ignorieren. Im zweiten Dresdner Wahlkreise fand eine nationalliberale Versammlung statt, die, von eiwa 150 Perionen .besucht, einen lehr an regenden Verlauf nahm uud die Andänger de« Herrn RecbnungSrat Anders vollkommen befriedigte. Dagegen war Herr Behrens, der „sreikonservative Ein'pänner", nach dem Vororte Gruna geiahren. Dort batte vor einigen Tagen der nationalliberale Kandidat vor etwa 100 Personen gesprochen und di« Reformer hatten das auf der Außen seite ihrer kopflose» Zeuuug einen recht schwachen Besuch genannt. Hnr Behrens fand am Mittwoch abend etwa 50 Mann, iokl. Kellnerin, vor. Vielleicht nennt man das jetzt „verhältnismäßig gut betucht". Be merkenswert ist, daß Herr Behrens kein Wort von dem einige Stunden vorher erfolgten Rücktritt des Herrn Professor GravelmS von seiner politischen Tätigkeit für die konservative Partei erwähnte. * Der Liberalismus «ab die preußisch« Wahlrechtsreform. Die neue Kundgebung Naumanns in der „Hilfe, die auch im „Ä. T." erschien, wird vom „Vorwärts" und auch von einigen anderen Blättern (z. B. der „Tägl. Nundsch.") als ein Rückzug bezeichnet, den er angetreten habe, weil die Parole „Alles oder nichts" auch bei Ken Freisinnigen nur wenig Gegenliebe gefunden habe. Hiergegen wendet sich in bemerkenswerter Weise die „Kölnische Zeitung", indem sie n. a. schreibt: „Nau mann hatte in seinem ersten Briefe bie Forderung aufgestellt, daß der fortschrittliche Liberalismus mit vollstem Nachdruck für das Reichstags- Wahlrecht eintrete, wie das ja auch dem Programm seiner Partei entspricht. In den Aeußerunge« der Parteipreste war dies Programm auch durchaus anerkauut, wohl aber ben tempera mentvollen Ausführungen Naumanns gegenüber festgestellt worden, d:ß man bei aller Wahrnehmung des grundsätzlichen Standpunktes doch nicht das Kind mit dem Bade ausschütteu und, weil man nicht alles erreichen könne, unverkennbare Vorteile zurückweiseu müsse, die sonst der libe- ralen Sache erwachsen könnten. Ohne Eindruck sind diese Darlegungen auf Naumann nicht geblieben, er stellt mit Recht fest, daß seine Partei- freunde einhellig für das Reichstagswahlrecht eintreten, er wehrt sich aber nicht mehr dagegen, daß man sich auch mit weniger begnüge. Das ist alles, was man verftäudigerweise verlangen kann. Wer nun einmal glaubt, daß daS Reichstagswaylrecht für Preußen an gebracht sei, dem kann mau auch nicht verbieten, diese Mei nung zu vertreten nnd alles zu versuchen, um ihr zum Siege zu ver helfen; bekämpfen muß man lediglich eine Agitation, die sich auf den Standpunkt sestlegt, daß man, wenn man daS für das Beste Erachtete nicht erreichen kanu, deshalb eigerrsinnig auch daS Gute »urückweifen und dadurch das Fortbestehen des Schlechten ermöglichen und gewissermaßen erzwingen soll. Daß das nicht klug «nd weise ist, scheut auch Nau- mann erkannt zu haben, nud z* dieser Erkeuut « is konnte er sehr wohl kommen, ohne dadurch seine politische ueberzeugung opfern zu müssen." Wir möchte» noch hinzu fügen: Naumanns Verdienst ist eS zweifellos, daß er die Wahlrechts- trage wieder in Fluß gebracht hat. Ob daS in dem Maße, wie es letzt der Fall ist. geschehen wäre, wenn er sofort erklärt hätte, wir werden unS auch mit wenigem begnügen — ist mehr als zweifelhaft. Er mußte temperamentvoll Vorgehen. Nun mögen aber auch die, die ihm im Ziel nicht beistimmtcn, und denen er zu „agitatorisch" war, dafür sorgen, daß die Frage im Fluß bleibt. Sonst wird man an die Ehrlich keit ihrer wahlreformerischeu Absichten nicht glauben. Waren sie wirklich nur Gegner der sofortigen Forderung des Reichstags wahlrechts, dann lastet jetzt auf ihueu die Verantwortung
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