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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 11.09.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-09-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070911026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907091102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907091102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-09
- Tag1907-09-11
- Monat1907-09
- Jahr1907
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Abend-Ausgabe 8. Bezugö-Prei» Mr Leipzig und Borortt durch »Mr« Träger imb Spediteure ün Hao» gebracht: Ausgabe L (nur our-eo») viertrljikhrtich 3 M., monatlich I M.. Ausgabe 8 imorgenS und abend») viertel« iLhrUch 4.50 M., monatlich 1.50 M. Durch die ipvli bezoae» (2 mal täglich) innerhalb Deutschland« und der deutichcn Kolonien vierteljährlich 5,25 M., monatlich 1,75 M. auSjchl. Poft- deslellgcld Mr Oesterreich 9 L 66 d. Ungarn 8 L vierteljährlich. Abonnement-Annahme: Augustusplatz 8, bei unieren Trägern, Filialen, Spediteuren und Annahmcstellen^jowie Poftäotlern und Die einzelne Nummer kostet 10 Redaktion uud Sxpedtttrur JohanniSgasse 8. Telephon Nr. 14692, Nr. 14698, Nr. 14694. lverliner Redaktion» voreau: Berlin d!W. 7 Prinz Louis Ferdinand- Straße 1. Telephon I, Nr. 9275. ripWrrTagMM Handelszeitung. Ämtsölalt -es Mates und des Volizeiamtes der Ltadl Leipzig. SMeigea-Prei» Mr Inierate au« Leipzig und Umgebung tn« 6gespaltene Petitzeile 25 Pi., ftnanzielle Anzeigeu 30 Pf., ReNamcn 1 M.; von au «wärt« 30 Pl., Reklamen 1.20 M vom Ausland 50 Pj., fiuanz. Anzcigen75Ps. Reklamen 1.5i M. Jnjevate v. Behörden im amtlichen Teil 40 Pl. Beiftlgegebübr 5 M. p. Taujend exll. Post gebühr. «eichäftSanzcigeu an bevorzugler Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Tomi. Festerteiltc Aufträge können nicht zurück gezogen werden. Für das Erscheinen an bestimmten Tagen uad Platzen wird keine Sarantie übernommen. Anzeigen - Annahme. Uogustutplatz 8 bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- ibxpeditioncn des Jo- und Auslände«. Haupt Filiale Berlin Earl Luuck: , Herzog!. Bahr. Hofbuch- handlung, Lützowstraße 10. Kielephon VI, Nr. 4606) Nr. 252. Mittwoch 11. September 1907. 101. Jahrgang. Das wichtigste vorn Tage. * Der Staatsanwalt hat gegen das den Oberst a. D. Gaedke sreisprechende Urteil Berufung eingelegt. * In der Hau-Affäre wird aus New Jork gemeldet, daß bei dem Gericht in Washington gegen Hau ein Verfahren wogen Unterschlagung und Betrug in der Höhe von M 000 Dollars eingeleitet worden ist. * Die asiaten-feindlichen Unruhen in Vancouver ver schlimmern sich. lS. Ausl.s * Die österreichische Negierung ist mit den Vorarbeiten für die Einrichtung eines Landtages für Bosnien und die Herzegowina beschäftigt. * Der Oberbefehlshaber aller bulgarischen Banden in Makedonien, der frühere bulgarische Offizier Podoroff, ist bei Kirtschewo im Kampfe mit den türkischen Truppen gefallen. * Eine amerikanische Börsendepesche besagt, daß China sich ent. schlossen habe, die Goldwährung einzuführen. Tagesschau. Die Novelle zum Börsengesetz. Wie eine Berliner Korrespondenz mitzuteilen weiß, hat die Novelle zum Börsengesetz nunmehr die Vorstädten der Beratung durchlaufen und dürfte schon in der nächsten Zeit dem Bundesrat zugehen. Es verlautet, daß die Novelle in manchen Punkten den sehr engen Nahmen über schreiten wird, der in den beiden früheren, vom vorigen Reichstag uner ledigt gelassenen Vorlagen gezogen worden war, ohne daß freilich alle Wünsche der Börsenkreste auf Berücksichtigung zu rechnen haben dürften. Wenn auch bis weit in die Reihen der konservativen Parteien und des Zentrums die Erkenntnis gedrungen ist, daß die deutschen Börsen im .Hinblick auf ihre volkswirtschaftliche und finanz-politische Bedeutung von den schlimmsten Fesseln des Börsengcsetzes wieder befreit werden müssen so haben doch anderseits aus der Rechten des gegenwärtigen Reichstags auch die grundsätzlich börsenfeindlichcn Elemente gegen früher eine er hebliche Verstärkungen erfahren. Damit müssen die verbündeten Regie rungen natürlich rechnen, wenn sie die geplante Reform nicht von vorn- herein der Gcfghr des Scheiterns aussetzcn wollen. So weit als irgend tunlich sind sie aber bereit, den Wünschen der deutschen Börsenkreise entgegenzukommen. Allzuviel Neues wird mit dieser Meldung nicht gesagt. Man merkt den offiziösen Inspirator, der schon jetzt Vorbeugen möchte, daß die Börsenkreise und die liberalen Parteien fick' zu weitgehenden Hoffnungen hingcben. Wo aber bleibt denn die Blockpolitik? Soll es auch hier wieder so werden, daß die „börsenfeindlichen Elemente" in den Reihen der Konservativen denselben Ausschlag geben, wie die Gegner der preußi schen Wahlreform, daß man einfach zum Prinzip der Blockpolitik macht — die Konservativen haben immer die Entscheidung? Posadowsky über Arbeiterversicherung. In einer Unterredung, die er dem in Berlin lebenden englischen Publizisten I. C. Bashford gewährte sprach sich der frühere deutsche Staatssekretär des Innern, Graf Posadowsky, über das die politisch«! Kreise Englands jetzt bewegende Problem der Altersversicherung der Arbeiter eingehend aus. Wir heben daraus einige Stellen hervor, die auch für uns Deutsche bemerkenswert sind: „Als unsere ersten Arbeiterversicherungsgesetze entworfen wurden, konnten wir nicht ahnen, daß die allgemeine Lage der deutschen Arbeiter schaft sich so rasch heben würde, wie es wirklich der Fall gewesen ist. Des halb sind zweifellos die Altersrenten auf einen niedrigeren Betrag fest gesetzt worden, als sonst geschehen wäre. Wir paßten uns den damals in Deutschland herrschenden Verhältnissen an. Aber ich glaube nicht, daß wir selbst jetzt höhere Renten gewähren könnten, außer, wenn die zu dem Altersversichcrungsfonds in der Form von Marken ge leisteten Beiträge erheblich erhöht werden. In England können Sie vielleicht ein System auf andern Grundlinien entwerfen, da, soviel ich weiß, keine Arbeiterschaft in großem Umfange das für sich selber tut, was bei uns für sie vom Staate getan werden muß." Unser indirektes Ziel ist nach dem Grasen Posadowsky außerdem das, die Gefahr physischer Arbeitsunfähigkeit zu verhüten. Wir be ginnen daher mit Maßnahmen in dieser Richtung schon ganz im An fänge der Krankheit. Die Versicherungsanstalten senden die Kranken im ersten Stadium des Leidens in ihre Krankenhäuser, um dessen Fort schreiten zu verhindern und die Arbeiter zur Erhaltung ihrer selbst und ihrer Familien weiter arbeitsfähig zu machen, indem sie geheilt werden, ehe sie die Krankheit, an der sie leiden, erwerbsunfähig macht. Generalleutnant von Liebert. Der Vorsikendc des Neichsverbandes zur Bekämpfung der Sozialdemokratie und Reichstagsabgeordnete Generalleutnant von Liebert hat bekanntlich schon beim Münchner Peters-Prozeß durch eine in solcher Schärfe selbst bei der von ihm sonst so bekämpften Sozialdemokratie nicht üblichen Kritik an einer deutschen Rechtsprechung berechtigten Anstoß erregt und ist bei dieser Gelegenheit in einer dem Gerechtigkeitsgefühl weiter Vvlkskreise nicht entsprechen den glimpflichen Weise um eine Bestrafung herumgekommen. Jetzt macht er von neuem von sich reden durch einen Ausspruch, den er auf dem Alldeutschen Tag in Wiesbaden getan haben soll. Wie wir schon kurz meldeten, gebt der Anstoß an dieser Aeußernng so weit, daß die „Nctionalliberaft Parteikorrespondenz" sich veranlaßt sieht, gegen das Auftreten Lieberis zu protestieren. Die Auslassungen des offiziösen nationalliberalen Parteiblattes lauten wörtlich: „Nach einem Bericht der „Deutschen Tageszeitung" hat General leutnant v. Liebert auf dem Alldeutschen Verbandstage in Wiesbaden zur Begründung energischer Maßregeln in der Polenpolitik erklärt: „In der Politik müsse Macht vor Recht gehen." Angenommen, daß der Bericht getreu ist, so muß als sehr zweifelhaft hingestellt werden, ob Herr v. Liebert mit diesem Aussprüche der von ihm vertretenen Sache gedient hat. Wer soll durch ein solches Kraftwort denn eigentlich ge- Wonnen werden? Man kann sich kaum einen Politiker denken, der da durch hinübcrgezogcn wird, wohl aber viele, die vor den Kopf gestoßen werden oder eine solche Waffe für die Gegenagitation sich wünschen. Der Ausspruch in seiner Allgemeinheit erscheint in sich als vollkommen unsinnig. Man kann doch nicht grundsätzlich das Gegen, teil des Rechts dem innere,! politischen Leben eines Volkes zugrunde legen! Auch nicht des äußeren! Wer es gut mir dem preußischen Volke meint, kann doch nicht grundsätzlich den Sinn für Recht in politischen Dingen untergraben und statt dessen den Sinn für Gewalt setzen wollen. Der Staat und eine reiche Schar von freiwilligen Dienern der Staats- und Rechtsidee bemüht sich an gestrengt, das Rechtsbcwußtsein im Volke zu stärken und das Gefühl dafür zu kräftigen, daß auch oppositionelle politische Bestrebungen auf dem Boden des durch die Verfassung gegebenen Rechts ausgetragen werden müssen. Man kann sich kaum etwas Unpäda» gogischeres denken, als das Wort' „M acht geht vor Rechr wie eine politische Maxime aufzu st eilen und in d'e Oeffentlichkeit hinauszu schleudern. Ob Herr v. Lieber! das Wort wirklich gesprochen hat. wissen wir nicht aus eigener Kennt nis: der genannten agrarischen Zeitung bzw. ihrem Berichterstatter muß einstweilen die Verantwortung überlassen werden. Sollte sich aber der Bericht bewahrbeiten, so würde sich der Eindruck vertiefen, daß Herrn v. Liebert die nötige Besonnenheit und Umsicht fehlt, um schwierige politische Aktionen zu fördern. Wenn Herr v. Liebert sich ost solche Entgleisungen leistet, so würde unseres Erachtens die Mitarbeit gerade ihm Partei- politisch nahestehender Gruppen en den bevorstehenden politischen Aufgaben nicht unerheblich erschwert werde n." Feuilleton. Jedermann besitzt gerade soviel Eitelkeit wie ihm Ver stand fehlt. Swift. * Etwa» vom Witz. Es gibt eine Wissenschaft vom Witz. Aber, gottlob, sind nur wenige in ihr bewandert. Denn einen Witz zergliedern, ihn auf seine Bestandteile und die Ursache seiner Wirkung hin untersuchen heißt nicht, ihn genießen. Den Witz muß man mit dem Verstände Haschen wie einen Schmetterling mit den Augen. Und wie der Schmetterling außer dem Flügelstaub einen wesentlichen Teil seines Wesens einbüßt, wenn wir ihn in den Fingern gefangen halten, die freie Beweglichkeit nämlich, so verliert auch der Witz Dust und Farbe, wenn wir ihn allzu fest zu greifen suchen. Er verlangt eine gewisse Distanz. Schopenhauer meint zwar, der Witz sei ein falscher Priester. Aber indem er das sagt, verkennt er die Bedeutung des Humors. Ihm floß der Witz ja nicht aus dem Herzen, sondern eher aus der Galle, und er gehört nicht zu den Philosophen, die an die Wunderkraft des Witzes glauben. Im übrigen aber haben gerade die Philosophen eS sich an gelegen sein lassen, über das Wesen des Witzes nachzubenken. Ja, vor zwei Jahren hat der bekannte Wiener Professor der Neuropathologie Dr. Siegmund Freud eine sehr gelehrte, über 200 Seiten starke Ab handlung über den „Witz und seine Beziehung zum Unbewußten" er- icheinen lasten. Man kann tiefsinnig werden, wenn man sie liest. In dieser Anatomie des Witzes werden die Gesetze festgestellt, die unsere Lachmuskeln in Tätigkeit versetzen. Die Technik des Witzes wird bis ins Kleinste analysiert und rubriziert. Es ist dem Leser wenig damit gedient, wenn er härt, daß bei der Witzbildung die Zerteilung, die Ver dichtung mit Modifikation oder Ersahbildung, die Tendenz zur Er sparung, die Verschiebung, die sophistischen und automatischen Denk- fehler, die Unifizierung, die Anspielung durch Auslastung und die Attri- buierungen eine Rolle spielen. Nm einen Witz aufsasten und beurteilen zu können, dazu bedarf es gemeiniglich keiner Vorbildung, und nur so viel ist gewiß, daß mit der Vergrößerung des Wissensbereichs auch der Witzbereich wächst. Die Witze Der das klaisische Altertum werden nur den klassisch Gebildeten erfreuen Dnuen, ein Witz «>er, der sich auf das tägliche Leben bezieht, wird von jedermann mit dem gleichen Erfolge gerissen. Nichts «st bedenklicher, als einen Wiß erklären oder ihn de- iinieren und mit Recht sagt Rudolf Presber einmal: „Humor ist, was man niemals hat, sobaL man's definieret." . . Nach Horaz entscheidet ein Scherz, ein lachend Wort oft die größten Dinge treffender und bester als Ernst und Schärfe. Das gilt natürlich nicht von jedem banalen Wortspiel, das ein Geistloser prägt, aber es gilt heute wie im Altertum von allen Witzen, die in irgend einer Beziehung charakteristisch sind. Nur wer Persönlichkeit hat. macht gute Witze, denn Witz ist fragmentarisches Genie. Viele Witze, sie mögen noch fo geistvoll und bezeichnend sein, sind an die Minute ge bunden, sie verlieren ihre Existenzberechtigung in dem Moment bereits, da sie geboren werden. Ihr Wesen kann sogar im Tonfall liegen. Aber es gibt auch Witze, die über Zeit und Ort einigermaßen erhaben sind, die keine Alterssymptome zeigen. Und wenn auch der Witz an kosmijcyer Bedeutung sich nie und nirgends mit dem Hu mor messen kann, wenn er zu diesem sich verhält, wie der einzelne Stein zum kunstvollen Bau werk, so verdient er doch Beachtung. Es gibt eben doch Steine von Qualität, es gibt Edelsteine, auch unter den Witzen, und zum Bau eines Tempels verwendet man sie nicht einmal, weil sie zu selten und zu kost bar sind. Eine Sammlung von Witzen gleicht also einer Steinsammlung, welche besonders schöne und wertvolle Exemplare vereinigt. Zwei solche Sammlungen sind neuerdings veranstaltet worden, die eine von einem Liebhaber, dessen erfahrener Blick durch Minderwertiges nicht zu täuschen ist, die andere von einem Dilettanten, der unter einem be stimmten Gesichtspunkt Gutes und Schlechtes zusammcnrafft und offen bar nicht weiß, daß ein Edelstein erst durch eine geschmackvolle Fassung zur rechten Wirkung gelangt. Alerander Moszkowski, der be kannte Redakteur der „Lustigen Blätter", ein routinierter Humorist, gibt eine Sammlung von 3M Witzen der Weltliteratur heraus unter dem Titel „Die unsterbliche Kiste" lVerlag der „Lustigen Blätter" in Berlins. Gleich nach seinem Erscheinen hat das Buch einen starken Absatz gefunden, und auf den Berliner Bahnhöfen lagen ganze Stöße von Exemplaren zum Verkauf. Die „unsterbliche Kiste" kann man getrost als die Hässliche Witzsammlung bezeichnen, denn sie enthält wirklich nur das Beste und bietet nur solche Witze, die nicht an die Zeit gebunden sind, die man vielmehr in zehn Jahren ebenso genießen kann, wie beute. Ein Beispiel für viele: Eine nicht sehr verlockende Bade dame macht sich vor ihrem Gatten mit den Worten niedlich: „Hast du gesehen, Adolf, wie die Welle mich geküßt hat?" „Jawohl", erwidert der Gatte, „ich hab auch gesehen, wie sie sich gebrochen hat." Ein solcher Wik ist über Zeit und Ort erhaben. Und es ist der Routine Mosz- kowskis gelungen, 333 solcher Witze zusammenzubringen. Gegenüber dem Plunder, der so ost als Witzsammlung angepriescn wird, empfindet auch der literarisch Gebildete die „Unsterbliche Kiste" sschon der Titel ist ein Witz, da das Wort „unsterblich" vom Inhalt der Kiste schlank- weg auf die Kiste selber übertragen isst als eine Wohltat. Sehr wesentlich ist nun aber die knappe, präzise Fassung, die Mosz kowski jedem Witz gibt. Kürze ist bekanntlich des WitzcS Seele. Und auf die geschickte Präparierung der Pointe kommt alles an. Da ist cs nun lehrreich, zu sehen, wie ein geistloser Laie denselben Stoff Handhabt. Gleichzeitig mit der „Unsterblichen Kiste" ist nämlich in dem noch jungen Gustav Ricckejcben Verlage in Berlin, von M. Nuel herausgegeben, das „Buch der jüdischen Witze" erschienen Nuel bemüht sich, das aus der Witzliteratur zusammcnzustellen, was für das jüdische Denken charakteristisch ist. Es ist also fast ein kulturelles Problem, das er sich stellt. Er bat wohl selbst empfunden, wie unzulänglich er seine Aufgabe gelöst hat. denn er schreibt im Vorwort zu seiner Sammlung: „Ein anderes ist es, bei guter Gelegenheit in angeregter und anregender Ge Jeitlrngsftiinmen. Das Thema Byzantinismus wird in den letzten Tagen wieder stark erörtert. Anlaß gibt dazu die Veröffentlichung eines Briefes, den ein Backfisch von den Kaiiertagen in Münster in seine pommeriche Heimat geschrieben batte, hoch beglückt darüber, daß Kaiser und Kronp-in' ibm und den andern Mädchen freundlich zuaelächelt und der Kronprinz ibr sogar die Hand gedrückt hat. Zur Charakteristik dec Briefschreiberin seien hier die letzten Zeilen des Brieses wiedergegeben: Wir beschlossen, dem Kronprinzen ein Ständchen zu bringen, das Seminar und die erste und zweite Klasse. Das wurde leider durch einen Lehrer vereitelt, der uns wütend auseinandertrieb. Dock) liefen wir weg, und ich mit drei andern Mädchen machten einen Umweg im Trab, und ich trat gerade an einer Ecke mit dem Kronprinzen zusammen unv brüllte Hurra und winkte, uns er nickte mir ganz allein zu. Ich war selig! Ich raunte hinter seinem Auto, das zum Glück langsam fuhr her und mit in den Adelsboi, wo er ausstieg. Während er sich da mit einigen Damen unterhielt, stand ich ihm direkt gegenüber und sah ihn immerzu an. etwa zehn Minuten — denkt bloß wie himmlisch I Und dann, wie die Damen weg waren, streckte ich ihm meine Hand hin, und er gab mir seine Hand und hat mich angesehen. Was war ich glücklich!!! Ich konnte mich kaum ent schließen, meine Hand zu waschen, aber es mußte ja sein. Als er weg- fubr, bin ich ibm noch nachgerannt; aber bald war er weg. Erst um 6 Uhr kam ich zum Mittag nach Haus. Die „Tägl. Rundschau" glaubte den Brief als „lebendiges Bild" der in Münster herrschenden Stimmung einschätzen und ihn abdrucken zu müßen, und fügte sogar hinzu: Für die hohen Herrschaften wird es ja auch nützlich fein, aus diesen Er güssen eines unbeiongen beobachtenden Kindergemütes zu ersehen, mit wie ein- fachen Mitteln sie sich Volkstümlichkeit erwerben können. Weiter bestätigen diese Darstellungen, mit welcher schwärmerischen Begeisterung der Kronprinz von der deutschen Jugend, Männlein wie Weibleiu, verehrt wird. Das veranlaßt das „B. T." zu folgender Kritik: Ja wirklich, mit wie „einfachen Mitteln" können sich „hohe Herrschaften' Volkstümlichkeit erwerben! Sie fahren durch bunte Straßen, sind srenndlim, grüßen wohl gar lachend wie der Kronprinz, und „alle sind entflammt". Die „Volkstümlichkeit" ist sabelhast billig zn haben. Wenn gar der Kronprinz ein. m jungen Mädchen die Hand drückt, so ist sie derart beglückt, daß sie sich kaum ent'chließen kann, ihre Hand zu wwchen. So wird au, die einfachste Weise das Glück des Volkes begründet, und man spart noch an der teuren Seile. In dasselbe Kapitel gehört die Bekanntmachung eines westfälischen Amtmanns anläßlich der Begeisterung, die die Einwohnerschaft des Amtes X bei der Durchfahrt. des Kaisers gezeigt hatte. Es heißt in der Bekanntmachung: Im Auftrag unteres Herrn Laudrates sowie im eigenen Antriebe nehme ich für mich die Freu d« in Anspruch, der Ge'amteinwohnrrschaft des Amtes L Anerkennung und vielen Dank zu sagen für diese so herrliche Gesinnungen be tätigende Leistungen, .D hat gezeigt, taß eS die hohe Ehre der Durchfahrt voll und ganz zu würdigen wußte ein Ereignis, welches niemals vordem noch nach menschlichem Ermessen späterhin jemals eintreten dürste. Man kann sich nicht wundern, wenn angesichts solcher Ausbrüche eines widerlichen Byzantinismus die sozialdemokratische Presse über das Bürgerlum spottet. Wahre Königstreue und ehrliche Begeisterung bähen aber mil diejcn lächerlichen Auswüchsen eines byzantinischen Sii.ncs nichts gemein und sie sind denn doch der überwiegenden Mehcheft des Bürgertums eigen, nicht dieser krankhafte Hurrapatriotismus, der auch dem Monarchen selbst nur widerlich fern kann. Deutsches Reich. Leipzig, 1/. September. * Entschädigung für deutschen Schaden in Easablanca. Wie dec „Frkf. Ztg." aus Berlin gemeldet wird, wird der durch das Bombarde ment in Casablanca den geschädigten Deutschen seitens der deuttcbcn Regierung zu leistende Entschädigungsvorschuß von 2L0 000 au die Reichskaffe zurückgezablt. Sollte diele Angelegenheit bis zum Zusammen tritt des Reichstags nicht erledigt sein, so würde der Reichskanzler vom sellschaft einen Witz zu erzählen, ein anderes, ibn schriftlich aufzuzeichnen." Während Moszkowski auf dem Standpunkt steht, der Leser soll und muß lachen und von diesem Standpunkt aus seine Ausgaoe vortrefflich löst, rechnet Nuvl nur mit der Möglichkeit der Witzwirkung. Wäh rend Moszkowski nur solche Witze bringt, die unabhängig von Zeit, Or: und Ton und durch sich selbst zu wirken berufen sind, laßt es Nuöl an jeder kritischen Unterschcidungsgabc fehlen. Und nun das Charakteristischste: da auch Moszkowski den jüdischen Witz in seiner „Unsterblichen Kiste" nicht überseh«! hat, so erklärt cs sich leicht, daß eine Anzahl Stücke, es sind im ganzen n e u n, bei beiden Sammlern identisch sind. Wie gewaltig aber ist der Unterschied der Fassung bei beiden! Ter Routinier bedarf nur einiger trcffenoer Worte, wo sich der Laie mit langen Sätzen abguält, um eine Situanon zu schildern. Wenn Kürze wirklich des Witzes Seele ist — und wer wollte daran zweifeln? —, wie witzlos erscheint dann die Darstellung Nuels, bei welchem der Vortrag durchaus nicht des Redners Glück macht. Für die Erzählung eines und desselben Witzes braucht an Zeilen: Nusl Dkoszkowski 18 4 48 8 42 17 48 10 2V 3 3S 1b 46 17 26 9 21 7 Es ist allgemein bekannt, daß man durch allzu breitspuriges Er- zählen eines Witzes besten Pointe ..tottreten" kann. Wieviel Morde magNuLl unter diesem Gesichtspunkt auf dem Gewissen haben, er, der 26 Zeilen braucht, wo Moszkowski mit 3 auskommt! Das „Buch der jüdischen Witze" könnte eine Fundgrube charakteristischer und ori gineller Bonmots und Sentenzen aus jüdischen .Kreisen sein, leider aber erhebt es sich nicht über das Niveau jener sorglos und kritiklos zu sammengestellten Sammlungen, wie sie unter andern Gesichtspunkten jo oft auf den literarischen Markt gebracht werden. Späßchcnmacher sind nicht immer Humoristen, und ein guter Witz, besonders ein allgemein gültiger, läßt sich nicht von jedermann aus dem Acrmel schütteln. Witz und Geist sind nahe verwandt und ein Witz ohne Geist ist eine Plattheit. Es ist in hohem Grade dankenswert, daß uns Alerander Moszkowski endlich einmal ein wirkliches Witzduch ge schenkt hat. Die „unsterbliche Kiste" ist unter allen Sammlungen, Vic ich kenne, die einzige, auf die sich Julius Wolffs Worte aus dem „Eulen- spiegel reckivivrm anwenden lasten: Was auch der Doktor euch verschreibe. Daß ihr gut schlaft und aut verdaut Und daß sich euch das Blut nicht staut. Hilft alles nichts und ist nicht nötig, Nur der Humor ist wundertätig. I'
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