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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 03.10.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-10-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071003022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907100302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907100302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-10
- Tag1907-10-03
- Monat1907-10
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Bezug-- Johamtilgasi« 8. rrlwho» Nr. I4SW. Nr. Nr. I4SS4. M Srch»ia und Vorort» durch «B»r« Lr»^r «id Sprdttrur« tu» Han« ^b«chtr >»«qabr t»«r »ora««I) vtertrHihrvch Z «„ «onaSch 1 ».i Ludaad« U (»ov»s «u> abrnd«) dirrtet» jährlich 4.b0 M., «oaallich I.SO M. Durch dl» <2 mol tüglich) chuuchald D»ot und der deütjchen kolonten viertel Ungar» S L viertrltLhrlich. Ldonneinent-Vnnabm«: UnguftttlPlotz bet uujerrn rrtgern, SpedLkre» und Unnahmeftrüe», joevte Popciiuttku mch Briefträgern. Dt« et»gel»e Nuuuurr koftet Ui Dich Berlin« Nedaktt«r» - vnrrant Berlin ksW. '/. Prinz Lmn« Aerdtvoud- Strahr 1. Telephon l, Nr. X27Ü. Abend-Ausgabe 8. Kip.;WrTagMM Handelszettung. Ämtsölalt -es Rates und des Ralizeiamles der Ltadl Leipzig. Anzeige«-Preis Nr Inserate au» Leipzia und Umgebung dx «gesvallene PetitMe W Pi., finanziell- Anzeigen 30 Pf., «ellamen l M.; von -„«wärt« 3» Pf, Reklamen l.20 M. vamAusland5/fPf., finanl. Anzeigen75Pf. Reklamen t.5O M. Inserate v. B-HLrden im amtlicheu Teil 40 Pi. Beilagtgcüüdr 5 M. p. Tausend exkl. Voll- geiühr. «eichaslsanzeigrn an bernrzuslkt Stelle im Preise crhSht. Rabatt nach Tarif. Hesicrteilte AuftrLge können nicht zurülk- gezogen werden. Für da» Erscheinen an bestimmte» Lagen und Plahen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen. Annahme: AngnftuSplatz ii. brr sämtlichen Filialen u. allen Annouces- Sxpedttionen de» In- und Auslände«. Haupt Filiale Verlin Sari Dunck: , Herzog!. Bahr. Hosbuch- hundlung, Lützowstratze 10. (Telephon VI. Nr. 4603). Nr. 274. Donnerstag 3. Oktober 1907. 101. Jabrqanq. Das wichtigste vorn Tage. * Das Unwohlsein Kaiser Franz Josefs besteht nur in einer leichten Reizung des HalseS und gibt zn Bedenken keinen Anlatz. iS. Ausl.) * Der Papst hielt eine neue Rede gegen den Modernis mus. iS. AlUÄ.) * Mr. Taft wurde vom Mikado in Audienz empfangen. (S. Ausl.) * Ju der Grube .Viktoria" in Texas wurden durch einen Bergrutsch 150 Bergleute verschüttet. (S. Neues a. a. W.) Tagesschau. Der Kampf gegen den Schmutz. Wegen einer unsagbar widerwärtigen Verdächtigung hat der Reichs kanzler den Schutz des Strafrichters anrufen müssen. Das lätzt (iin Verein mit verschledenen ähnlich gelagerten Vorkommnissen) denn doch den Gedanken aufkeimeu, ob wir mit unserer bisherigen Methode, uns mit den in geschlechtlichen Dingen Anormalen abznfinden, noch auf den, rechten Wege sind. Es gab eine Zeit — sie liegt gar nicht weit zurück — wo man geneigt war in den Homosexuellen nur Unglückliche und Bejammernswerte zu setzen. Damals entstand eine sehr lebhafte Agitation, der um des Mitleids und der Menschenliebe willen hervor ragende Männer aus den verschiedensten Lagern ihre Unterstützung liehen. Die Menschenfreundlichkeit ist schlecht genug belohnt worden. Wer die Verhältnisse in gewissen deutschen Großstädten und vor allein das einschlägige Schrifttum verfolgt, hat geradezu den Eindruck einer verkehrten Welt. In den Augen dieser Herrschaften wird das Normale zum Anormalen; jede irgendwie prominente Persönlichkeit in Ver gangenheit und Gegenwart wird von ihnen einfach als Zeitgenosse ihrer Kaste und Lüste reklamiert: für uns andere haben sie nur noch ein ge ringschätziges Lächeln. Aber schlimmer als diese Ausschreitungen in Wort und Schrift ist die unheimliche Ausdehnung des Ucbels in allen Kreisen. Wer die Dinge ein wenig näher kennt, weitz auch, datz Maximilian Harden, mochte er in Einzelheiten irren, in Wahrheit den Finger an eine schwärende Wunde im Volkskörpcr gelegt hat. Gegen diesen Schmutz, der leicht unserem ganzen Volksbestand gefährlich wer den kann, scheint uns, wird es allgemach Zeit, sich zu wappnen. Man mag die Unglücklichen, die wirklich kranken, mit schonender Milde be handeln. Das eine wird man immerhin von ihnen verlangen dürfen, datz sie sich ihrer Gebrechen nicht brüsten. Auch dem eklen, volksvergiftenden Schrifttum dieser Kreise wird doch wohl noch beizukommen sein. Und datz die Stratzen unserer Großstädtö nicht schon längst von der männ lichen Prostitution gesäubert wurden, ist eigentlich schlechthin ein Skandal. Wir stimmen nicht mit allem überein, was unter dem Schlag wort „Kampf gegen den Schmutz" propagiert wird. Hier aber ist e,n Gebiet, auf dem sich alle ohne Unterschied der Partcirichtung zusammen tun könnten. Im Dienste der Volksgesundheit, im Dienste der öffent lichen Reinlichkeit und — nicht zum letzten — auch der Zukunft der Nation. England, Rußland und Deutschland. (Don unserem Londoner L. - Korrespondenten.) In der „Fortnightly Review" hat „Calchas", ein Pseudonym, unter dem sich offenbar ein Mitglied des engeren Balfourschen Kreises ver birgt, „eine Kritik des anglo-russischen Abkommens und zugleich der ganzen russischen Politik Großbritanniens" vorgenommen. Dabei fehlt es nicht an herben Worten und an treffenden Ausfällen gegen das liberale Kabinett. Calchas nennt die Geschichte der anglo-russischen Be ziehungen eine „traurige Historie geistiger Anarchie, Inkompetenz und Wankelmuts, der Unaufrichtigkeit und des Pharisäismus". Geht dies mehr auf das Gladstonesche Regime, so wird die radikale Liebedienerei des gegenwärtigen Kabinetts getroffen, wenn von volitischcn An schauungen die Rede ist, welche von gänzlich belanglosen Argumenten ausgehen, die sich auf wirkliche oder eingebildete Tatsachen hinsichtlich der inneren Lage des Zarenreiches gründen. Das Regierungsorgan „Tribüne" mutz nun das Kabinett gegen den Vorwurf verteidigen, datz es aus solchen Gründen die Gelegenheit zu einer Entente mit Rußland vorübergehen laste. Sie unternimmt diese Aufgabe mit einer bei ihr des öfteren zu bemerkenden verblüffenden Offenherzigkeit, deren Resul tate gerade vor dem Besuch des deutschen Käfters in Windsor besonders beachtenswert sind. Sie bestätigen die alte Erfahrung, datz das Ausland von Konservativen und Liberalen Englands gleich wenig Liebe zu er warten hat. „Rußland", heißt cs da, „ist nicht die absolute Autokratie des zweiten Alexander; und deutsche Politik unter dem Fürsten von Bülow ist nicht dasselbe wie unter dem Fürsten Bismarck. Unsere eigene Politik hat ihr Zentrum nicht mehr hauptsächlich in Europa (?). Vor allem ist sie fundamental ver ändert durch die Entente mit Frankreich und die damit verbundenen Abmachungen. (Das ist das erste offiziöse Zugeständnis der Tragweite der „Entente".) Innere Verhältnisse und Ziele bestimmen mehr und mehr die äußere Politik. (In den Demokratien.) So große Fortschritte wir seit Disraelis Tagen gemacht haben, eine noch größere Kluft trennt das Rußland, in dem eine unbeschränkte Bureaukratie ihrer Er niedrigung im Japanischen Krieg entgegeneilte, von dem anderen Ruß land, wo jene Autokratie, in ihren imperialistischen Plänen zum Krüppel geschlagen, jetzt ihren endgültigen Untergang daheim heraufbeschwört. Die Umformung Europas wird erst vollständig sein, wenn dieses letzte und schmerzhafte Stadium zu- rückgelegt ist. Je mehr wir uns der Erfüllung nähern, desto mehr wird die Zwiespältigkeit der britischen auswärtigen Politik verschwinden, die für eine Periode, in der ihr gesamtes Material in Fluß war s!), so bezeichnend wurde. Wir werden die Ersten sein, eine wirkliche Entente mit einem freien Rußland zu begrüßen . . . Noch wird dieser Abschluß weniger befriedigend sein, weil nach seiner Erreichung der böse Traum eines Krieges mit Deutschland sogar aus den Blättern unserer Monatsschriften verschwinden mutz." Es wird zum ersten Mole von einem offiziösen englischen Organ als Ziel der liberalen Politik die Revolutionierung Rußlands und die Mobilmachung des Panslavismus gegen Deutschland, das anderseits von der anglo- französischen Militärkonventivn „gedeckt" ist, hingestellt. Das ist ein passendes Geleitwort zur Entsendung desselben General French, der die Militärkonvention mit Frankreich vorbereitet hat, nach Petersburg. Pater Thrrel und Rom. (Von unserem römischen?.-Korrespondenten.) Im Vatikan hat man wieder etwas „Unerhörtes" erlebt. Der Pater Tyrrel, mit dem uns zu beschäftigen wir wiederholt Anlaß gehabt haben, insofern seine bescheidenen Aspirationen einer katholischen Geistesfreiheit durch seine Bestrafung mit Enthebung von den priesterlichen Funktionen markiert worden sind, und weoer durch cnc vatikanische Zumutung an Thrrel, außer allen literarischen Arbeiten auch seine private Korrespon denz der bischöflichen Zensur zu unterwerfen, noch durch die neueste päpst liche Enzyklika lnsivrem jftorinm erlangt haben, — dieser Pater Tyrrel hat sich erlaubt, im „Giornalc d'Jtalia" die päpstliche Enzyklika öffentlich und von oben heratz zu kritisieren. Im Vatikan hat man freilich recht, das Gebaren des Tyrrel, der weder ein Docllinger, noch ein Schell, noch ein Loisy, noch sonst einer ist, der eine Spur einer originalen Idee ge habt oder vertreten hätte, arg ungeziemend zu finden, sintemalen er noch am 30. August einen weitreichenden Unterwerfungsbrief an den Papst, den er also damit als seinen intellektuell und disziplinär Oberen an erkannte, geschrieben hat. Zudem ist Tyrrel Protestant gewesen, ehe er Katholik geworden ist, und hat sicherlich, indem er Jesuit und Geistlicher zu werden sich angcschickt hat, zu kritischer Besinnung über die Wesenheit des Katholizismus und der klerikalen Hierarchie reichlich Zeit gesunden. Heute nun, und eingestandenermaßen, weil er „noch" nicht die Wieder- clnfetznng in die priesterliche Pfründe erlangt hat, macht er sich zum öffent lichen und rücksichtslosen scharfen Richter der Erlasse und der Person des Papstes, an denen beiden er wenig Gutes und noch weniger Würdiges und Aufrichtiges beläßt, um endlich die Wurzel alles Ucbels in der an geblichen Identifikation des Katholizismus mit seiner scholastischen Interpretation auszuzcigen. Er spricht auch mit begreiflicher ironischer Absicht aus, daß der Papst wohl wenig Vertrauen zu der Kraft und Lebensdauer feiner angeblichen Wahrheit haben müsse, weil er das Schwergewicht auf ganz äußere und sehr kleinliche Repressions- und Zwangsmaßregeln zu ihrer Verteidigung lege. Wir haben gewiß für die Enzyklika und gewisse Denk- und Handlungsweisen von Papst Pius X. wenig übrig, unterschreiben vielmehr vieles von der kritischen Auslassung des Pater Tyrrel. Immerhin ist diese Auslassung im Ver ein mit den Präzcdentien kein Zeugnis dafür, datz der Pater Tyrrel irgendwie das Zeug in sich habe, ein Schisma oder eine religiöse Reform von nennenswertem Belang herbeizuführen. Der Pater Thrrel wird seinen Prozetz vor der Jnguisitionskongregation haben und aller Wahr- scheinlichkeit nach ohne viele Umstände exkommuniziert werden. Das wäre vom römischen Standpunkte und im Grunde für jeden konsequent objektiven Beobachter durchaus logisch und könnte nicht wundernehmen. Der Pater Tyrrel wird sich natürlich dann als Märtyrer gebärden, noch einige Protestartikel mehr veröffentlichen und — binnen kurzem in weitesten Kreisen vergessen sein. Dentsches Reich. Leipzig, 3. Oki ober. * Bon der Münchener Nnnlialor. Tie „Germania" glaubt bc- stätigen zu lönaen, daß die Nuntiatur in München noch eine Zeitlang unbesetzt bleiben wird. Als endgültiger Kandidat gilt in Rom mehr als jemals der jetzige Delegat für Kuba, Titularerzbft'chos Apersa. Er begibt sich in den nächsten Tagen nach Kuba zur Abwickelung einer Reihe von Geschäften, welche seine periönliche Anwesenheit erfordern. Der ehemalige Münchener Nuntius, Erzbischof Capuio weilt feit einiger Zeil in Palestrina. Sein Befinden ist befriedigend. Man nimmt nicht an, daß Erzbischof Caputo anderweitig Verwendung im diplomatischen Dienste des apostolischen Stuhles finden werde. * Sine Wirlnng der Enzyklika scheint sich bei dem vom Volks verein für das katholische Deulichland in M.-Gladbach veranstalteten sozialen Ferienkursus, an dem Geistliche, Lehier, Arbeiter usw. teilzu- nebmen pflegen, gezeigt zu haben. Die „Germania" spricht von der auffälligen Zurückhaltung der Referenten aus der Erzdiözese Köln, deren Vorträge den Eindruck des Gezwungenen gemacht batten. „Man sprach hier von einer Spannung zwischen Köln und M.-Gladbach, von einer Aufsicht durch einen Vertreter Sr. Eminenz und dergl. mehr." Das erweckt ja beinahe den Anschein, als fei der in der Enzyllika PiuS' X. für jede Diözese bestimmte „Uebcrwachuugsrat" in Tätigkeit getreten, der „allen Anzeichen und Spuren deS Modernismus in den Büchern wie im Unterricht" genau nachgehen soll, „um den Klerus und die Jugend zu behüten!" Da wäre eS allerdings nicht schwer, eine Satire zu schreiben, wenn des Papstrd lirchenpolizeilicher UebelwachungS- dienst sich ans diese Weise gerade zuerst an den „treuen Söhnen «einer Kirche" fühlbar machte, die im VolkSoerein für das katholische Deutsch land organisiert sind. * Bennigsen-Drukmal und Wclfentum. Die Enthüllung deS Bennigsen-Denkmals in Hannover verleitet das hannoversche Welsenblatt zu einem Erguß, dessen Gehässigkeit durch seine Unklugheit noch Über boten wird. Anstatt nämlich auf di« Betonung des potttifchen Gegen satzes zwischen Nationalliberalismus und Welfentum sich zu beschränken, schreibt di« „Deutsche Volksztg.": „Wollten die hannoverschen Preußen und die preußische« Hannoveraner (!) ihren Helden ehren, so stand ihnen stet, eine Sieqekallee nationalliberalec Politiker zu Füßen des Bi'SmarckgötzenturmS aufzurichten, als Wall- sahrtsstatlon für die, welche es angcht. Bor dem Museum aber erregt daS Standbild R. von Bennigsens, weil es austwinglich und nicht zu um gehen ist, ein AergerniS für alle treuen Hannoveraner. Die Aussicht von der Freitreppe auf die Maschparkanlagen und die herrliche RoseMerrafse Trips und der Blick über dieselben zur hehreu WaieiloosLule ist durch das renommislische Bauwerk des Tcnkmals verunziert. So geht hier Geschmacklosigleit mit poli- bischer Taktlosigkeit Hand in Hand." Mit dieser Kritik hat daS hannoversche Welfenblatt nicht dem Feuilleton. Varrernkunst. Von Julie Jolowicz (Berlin). Das Kleid, das sich die Natnr in feiner Heimat anzieht, ist dem bäuerlichen Künstler der Impuls für fein Schaffen. Als geistiger Einfluß macht sich in der Hauptsache das reli giöse Bekenntnis geltend. In evangelischen Gegenden beschränkt accj die Bauervkunst fast ausschließlich auf Pflanzen und Lier- eorstcllungen, in katholischen dagegen legt der kirchliche Kult die Fiaurcndarstellung nahe, und ein Bruchteil der künstlerischen Begabung findet Ausdruck und Betätigung im Hervorbringen von Weibe- gcftchenken, Heiligenbildern, Kruzifixen und Marterln. Aber mag nun der kunstbegabte Bauer schaffen, was immer es sein mag, er hält sich an die konkrete Form, die abstrakte Linie ist ihm fremd und unbegreif lich, und wo allzu sorglos zufafsende Hände, allzu heißblütige bilfs- bereite Kövfe bäuerlichen Kunstbcstrebungen gewaltsam eine Neigung zur abstrakten Linie aufzwingen wollten, hat der Mißerfolg stets den Helfern Vorsicht gepredigt. Denn das unverstandene Neue wucherte wie ein krankhafter Fremdkörper im gesunden Blute und brachte miß gestaltete Verzerrungen hervor, wo es an die Oberfläche trat. Was mit dem Intellekt erfaßt werden muß, dafür ist der Bauer schwer, meist gar nicht §u haben, was er an Eindrücken in sich aufuimmt, geht ihm durch Gefühl oder Instinkt ein. Es muß unmerklich, ohne Anstrengung geschehen, sonst geht der Träge daran vorüber, stemmt sich wohl gar dagegen, denn alles Abstrakte erscheint ihm unnütz. Darum gibt er seinen Kunsterzeugnissen auch gern einen Zweck, sie müssen irgendeiner Bestimmung dienlich sein und durch ihre Nutzbar keit, die sie seinen Genoßen, auch Wohl Fremden, begehrbar machen, auch ihm einen greifbaren Nutzen bringen. So ist reine Knnstausübung, nur um der Kunst willen, in ländlichen Bezirken kaum zu finden, da» gegen oft eine große manuelle Kunstfertigkeit, die richtig Erschautes und Gefühltes wahr und überzeugend zum Ausdruck bringen kann. Die cnqc Zusammengehörigkeit aus dem Lande hat es dabei wohl so gefügt, daß an Orten, wo einmal der Kunstsinn in einem Kopse oder Hetzen ansflackerte, die Flamme, stetig sich ausbceitend, weiter züngelte und noch. l^nn die Bevölkerung aus ihren Aeckcrn und Wiesen nur kärg- sicher Ertrag erzielte, durch die Aussicht auf Gewinn genährt wurde. So entstanden wohl die meisten kunstgewerblichen bäuerlichen Jn- d'.ft'rlen. Ans dem Keime emporwachsend wie tue Frucht ihres A^-rs, wie der Baum auf ihrem Felde, wuchsen sie und breiteten sich über die einzelnen Orte und Bezirke aus, wurden gepflegt und langsam ent wickelt. Sr^ar d,e äußere Form der Erzeugnisse wurde meist Tra- ditwn; das Material schrieb die Bodenbeschasfenhcit vor. In erzreichen Gegenden fertigte man Zinngefätze, Tonerde legte die Herstellung den Va,en. Urnen und Topfen nahe, wo beides mangelte, erblühte in kvnst- begabten Landstrichen meist die Holzschneidekunst. In solchen Orten kann man am Fachwerk de^ Häuser, an Gerätschaften, Betten und allem bäuerlichen Hausrat den Spuren der Entwicklung ihrer Kleinindustrie ncichgehcn. Auch weiteren Kreisen, die nicht aus eigener Beovachlung schöpften, ist durch Berichte manche Kunde über solche ländliche Knr.st- pi'lcgc gekommen. Tie Herrgottsschnitzer der Tiroler Berge haben Oesterreichs volkstümliche Dichter zn poetischen Ehren gebracht; die kleinen Schnitzereien, die in der Schweiz, in der Gegend um Luzern herum, entstehen, sind recht bekannt, aber von anderen Gebieten deutscher Sprache, die abseits vom Tonristenstrom eine gleiche Kunst industrie Pflegen, weiß man wenig. Und zu diesen stiefmütterlich be handelten gehören auch die Bezirke im Nhöngebirge, in denen die Holz schneidekunst gepflegt wird und denen man erst neuestens einiges Inter esse zuwendet. ... Die Rhön bat weder Reichtum an Erzen noch Ton aufzuweisen, der Boden ist mager und trägt nur kärgliche Frucht. Die Bauern ernten wenig und ihren Gehöften ist der Stempel der Dürftigkeit ouf- gcdrückt, mühselig erraffen sie ihren Unterhalt, sie sind verschlossen und trotzig und gegen Fremde wenig zugänglich. Schlecht gepflegte Straßen verbinden die kleinen Weiler, in denen sie sich zu fünf bis sechs Fa milien angesiedelt haben, selbst die größeren Dörfer, die meilenweit voneinander entfernt liegen, werden nicht vom Eisenbahnnetz berührt und man muß Stunden lang wandern oder im holprigen Postwagen über die Berge fahren, bis man ein Wirtshaus trifft, in dem man den einfachsten Imbiß haben kann. Vom nahen Fulda aus streuten die Geistlichen hen Samen übertriebener Frömmigkeit über dieses arme Land, und die Bauern gaben federzeit bereitwilligst ihren letzten Heller für den Schmuck ihrer bunten Kirchlein und die Marterln nnd Heillaenbilder am Wege. Ueber der Tür ihrer kleinen Häuser lächelt von Blumen umdustet die Jungfrau mit dem Jesusknaben im Arm, und in manchem der dürftigen Gärtchen steht, im Grün halb versteckt, die farbig leuchtende Figur des Schutzheiligen. Nnd das ft't wohl dos einzia farbenfrohe in ihrer Umgebung, und darum hängen sie so fest daran, an dem einzig Hellen, das sie mit der Lebensfreude verbindet. Die armen Bauern im Rhöngebirge sind sehr fromm. . . . Viel leicht hätte sich ihr Kunstsinn auch damit begnügt, ihren lieben Heiligen Bildsäulen zu errichten, wenn ihnen nicht Einflüsse von außen andere Wegt gewiesen hätten. Und sie folgten dieser Weisung um so ' eber, da sie ihnen keine Opfer auferlegte, sondern ihre schmalen Einkünfte ver- größerte. Diese Einwirkungen, die von Würzburg ausgingen, konzrn- trieren sich in der Hvlzschnikschule zu Bischofsheim, einem kleinen Städtchen jenseits der bavcrischcn Grenze, in der die begabten Bauern- sindei in der Kunst des tzolzschneidens unterrichtet werden Bischofsheim hat nur von der bayrischen Seite her Bahnverbin dung, von der anderen Seite geht die Eisenbahnlinie bis Gersfeld, etwa eine Stunde hinter Fulda, von dort aus muß man fick der wackligen Postkutsche onvcrtrcruen, wenn man die zweistündige Wanderung zu Fuß durchs Gebirge scheut. Einmal werden an einer Hilssvoststelle Briefschaften mitgenommen, dann hält die Kutsche mitten in einem Dorfe vor einer besorgniserregenden Schenke, der Rosse lenker klettert vom Bock und verkündet eine halbe Stunde Aufenthalt. Und er verschwindet in der niederen Tür des Wirtshauses, aus dem allerhand wenig verlockende Düfte herausdringcn auf die Dorfstraße. Ta hineinzugehen schaudert's mich, eine halbe Stunde in dem still stehen den Wagen zu verbringen, ist auch keine angenehme Aussicht. Wenig erfreut, fast mit einem leisen Anflug von Verstimmung über diese neue Beschwerlichkeit halte ich Umschau nach irgend etwas, dos mich über die unerfreuliche halbe Stunde fortbringen könnte. Und mit aufleuchtendcr Freude sehe ich an einem Häuschen auf der gegenüberliegenden Seite der Straße mit unbeholfenen Buchstaben anacmalt: Heinrich Mack, Bäcker, und darunter, ein wenig formvoller: Stefan Mack, Holzschneiderei. Und ich klettere erfrischten Mutes über das hohe Trittbrett auf den schmutzigen Weg hinunter, drüben die ausgetretenen Stufen hinauf, die zuerst in die Bäckerei führen. Durch den Einkauf von zwei Butterwecken er- werbe ich mir das Vertrauen des backkundigen Bauern und er geleitet mich auf meinen Wunsch in die Werkstatt des Bruders, denn Stefan selbst ist durch kein Rufen herbcizulockcn. So beschaue ich mir denn die Sächel chen, die sauber, mit einem Tuche überdeckt, auf den Tisch gebreitet sind. Alles mit viel Wirklichkeitssinn und Formocfühl gebildete Kleinigkeiten: Tiere, Pflanzen, sogar die Holzschube der Bauern sind nachgebildet, zur Zierlichkeit des Spielerischen verkleinert. Aber es ist nichts da, was nicht zuerst mit körperlichen Augen gesehen wurde, keine Linie, kein Ornament. Und als ich wieder im Wagen sitze, der auf der Landstraße weiterkriecht, sinne ich kopfschüttelnd darüber nach, wie eS einem in den Sinn kommen könne, der Kunstfertigkeit dieser bodenständigsten Bauern durch Aufpfropfung moderner Linearkunst neue Schwungkraft geben zu wollen. In der Holzschneideschule zn Bischofsheim teilt man dieses ver wundernde Befremden. Da ist gar nichts, weder innen noch außen, was abstrakten Einflüsterungen geneigt schiene. Ein wenig abseits vom Städtchen liegt das Schulgebäude fr«»i und weithin sichtbar zwischen Wiesen und Aeckern, von bcr Sonne prall beschienen oder vom Winde umsaust, unabhängig und selbstgenügsam. Ein Würzburger Architekt leitet den Unterricht, indes der eigentliche, in Bischofsheim ansässige Lebrer auf Urlaubsreifen ist. Und er lächelt und schüttelt den Kopf, da ich ihn um seine Meinung wegen der Pläne frage, die van de Velde mit den Holzschnitzschulen der Rhön hege. „Nein", sagte er, „diese Modelle würden nur Unheil anrichten. Die abstrakte Linie, bas geht unseren Baucrnkindern nicht ein, waS wir brauchen, das ist ein Zeichen- nnterricht, der die Jungen lehrt, daS in der Natur erfchaute im Orna ment oder in anderen Formen zu nutzen. Das Lebendige, das sie draußen sehen, das können sie erfassen, den Geist nicht." Nnd mit dieser einzig möglichen künstlerischen Belebung der Holzschnitzerei wurde auch schon begonnen. Unter den geschickten Fingern der Jungen formen sich die Blätter und Blüten, die Beeren und Trauben, die sie natürlichem Lande und natürlichen Früchten nachschufen.
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