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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 05.10.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-10-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071005010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907100501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907100501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-10
- Tag1907-10-05
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Ämtsvlatt -es Males und -es Votizeiamles -er Lla-l Leipzig. »uzeigen-Preit »r Inserate au» Leipzig und Umgebung di, «gespaltene Petitzeilr 25 Ps., finanzielle Anzeigen 30 Ps., NeNamen 1 M : von au»«Lrt« 30 Ps., Reklamen 1.20 M. «omvu»land50Ps., finanz. Anzeigen75Pf., Reklamen 1.50 M. Inserat« v. Behörden im amtlichen Teil 40 Ps. Beilage,ebühr 5 M p. Lausend exkl. Post- gedühr. «eschäst-anzeigen an bevorzugter Stelle im Preise erbSht. Rabatt nach Laris. Festerteilte Austrtgc können nicht zurück- gezogen werden. Für da« Erscheinen an bestimmten Lagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen-Annahme: Augustusplatz 8 bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen. Expeditionen de« Jo- und «nilande«. Haupt-Filiale Bern» Carl Lu tickt , Herzogl. Bayr. Hofduch- handlung, Lützowstraße 10. (Lelephon VI, Nr. 4603). 1V1. Jahrgang Nr. 276 Sonnabend 5. Oktober 1907. Das wichtigste vom Tage. * Der Kaiserbesuch im Haag findet am 20. November statt. lS. Dtschs. R.s . * Die Rücktransporte aus Deutsch-Südwestafrika haben nunmehr begonnen. Mit dem am 1. Oktober von Swakopmund abgefahrenen Dampfer kehren 5 Offiziere, ein Sanitätsoffizier, ein Oberbeamter, 71 Unteroffiziere und 349 Mann schaften in die Heimat zurück. * Die Entscheidung in der ö st e r r e i ch i s ch - u n g a r i s ch e n Ausgleichkrisis wird heute erwartet. sS. Ausl.) * Im persischen Ministerium des Auswärtigen hat ein Wechsel stattgefunden. lS. Ausl.) Vom Versm für Sozialpolitik. Die dreitägige Versammlung des Vereins für Sozialpolitik in Magde burg bat sich mit zwei Hauptfragen beschäftigt, mit der berufsmäßigen Vorbildung der volkswirtschaftlichen Beamten und mit der Verfassung und der Verwaltungsorganisation der Städte. Das größere Interesse nimmt die zweite Materie in Anspruch. Nm zuvor das Wesentlichste aus den Referaten und Debatten zur Ausbildungsfrage der Volkswirtschaft- liehen Beamten zu erwähnen, so handelte es sich dabei hauptsächlich um die Bedeutung der akademischen Bildung für diesen Beamtenstand und speziell um den Wert des juristischen Studiums. Als Ergebnis der Aussprache (Resolutionen werden nicht gefaßt! kann man die Ansicht be trachten: In der Regel muß akademische Bildung gefordert werden. (Gründliche juristische Kenntnisse sind (schon zur Schulung der Logiks wertvoll, ebenso praktische Schulung. Doch soll man befähigten Leuten auch ohne Erfüllung dieser Bedingungen den Eintritt in den Beruf nicht verwehren. Das Hanptreferat zu dem Thema dielt Professor Dr. Karl Bücher (Leipzig!, der den beherzigenswerten Satz anssprach: „Es er scheint ebensowenig angezeigt, den ausgesprochenen Talenten pedantische Regeln vorzuschreiben, als den in Betracht kommenden Körperschaften verbieten »u wollen, einen tüchtigen Mann zu nedmcn, wo sie ibn finden." Das erscheint uns das Wichtigste an der ganzen Aussprache, in Erkenntnis des unendlichen Schadens, den daS schreckliche Berechtigungs wesen schon jetzt in unserem Volke anstiftet. Beim zweiten Punkte der Verhandlungen, der Verfassung und der Vcrwaltungsorganisation der Städte, ging der Kampf der Meinungen zuletzt nur noch um die Frage des Kommunalwahlrechts. Professor Dr. Löning-Halle hielt das Hauptreferat und sprach sich mit Entschieden heit gegen die Nebertragung des Reichstagswahlrcchts auf die Kommunen aus. Was für den Reichstag passe, brauche noch nicht für die Stadt parlamente richtig zu sein. Dem Reichstag ständen Bundesrat und Kaiser gegenüber, den Stadtverordneten nur der von ihnen gewählte und von ihnen vielfach abhängige Bürgermeister und der Magistrat. Das ist bis zu einem gewissen Grade richtig. Doch gibt eS ja auch noch ein Aufsichtsrccht der Negierung. Aber man kann noch andere Gründe da gegen anführen. Zunächst ist im Reich für einen Interessenausgleich gesorgt, in den Kommunen vielfach nicht. Dazu kommt, daß bei dem ausgesprochenen Klassencharakter der Sozialdemokratie das Experiment für die großen Städte doch zu gewagt erscheint. Die schönste Zuversicht in die revisionistische Entwicklung der Sozialdemokratie wie in das praktische Einarbeiten der sozialdemokratischen Stadtverordneten kann doch keine Garantien für das Unterlassen von Torheiten bieten. Auch der Einwand, die Utopisten würden sich nur blamieren und den Schaden davon haben, will uns gar nicht einlenchten. Inzwischen kann schon ge waltiger Schaden angerichtet, können zahllose Existenzen vernichtet sein. Es ist genau wie bei dem Landtagswahlrecht. Ehe die Sozialdemokratie nicht vaterländische Garantien bietet, ehe sie nicht ihre Klasseninteressen mit den Lebensbedingungen der anderen Stände, des ganzen Volkes, in Einklang zu bringen sucht, eher ist eine Nebertragung wichtiger obrigkeit licher Machtbefugnisse ciuk sozialdemokratische Majoritäten nicht ratsam. Dagegen sind wir durchaus damit einverstanden, wie übrigens auch Löning, der sozialdemokratischen Arbeiterschaft eine ihrer Bedeutung an- gemessene Vertretung in den Kommunalverwaltungen cinzuräumen. Gc- Heime Abstimmung nnd Revision des Hausbesiherprivilegs sind weitere Forderungen Lönings, die von der Versammlung mit allgemeiner Zu stimmung ausgenommen wurden. Das Dreiklassenwahlrecht müsse ver schwinden, was übrigens sogar die Ansicht von Professor Dr. Adolf Wagner war. Es war interessant, die Argumente der Anhänger des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts für die Kommunen zu hören und abzuwägen. Da verspottete Privatdozent Dr. Sinzheimer-München das sozialdemokratische Schreckgespenst. Stadtverordneter Vosbcrg. Schöneberg will durch das Wahlrecht den Patriotismus in die Massen tragen. Professor Dr. Max Weber-Heidelberg findet nichts Revolutio näres an der Sozialdemokratie. Die nächste Folge des allgemeinen Wahlrechts werde wohl eine Klassenherrschaft der Sozialdemokratie in einzelnen Städten sein. Aber die bürgerliche Gesellschaft habe eine solche Entwicklung weniger zu fürchten als die Sozialdemokratie. Der Staat werde dann die Partei überwinden. Alle Achtung vor dem Wcber- schen Optimismus. Aber wir sind leider so skeptisch, daß wir auf Weis sagungen nichts geben. Das mit der Klassenherrschaft allein ist unbedingt zutreffend. Das ergibt die Bevölkerungsstatistik und der Klassen charakter der Sozialdemokratie. Alles andere aber steht auf unsicheren Füßen. Die ärgsten Konflikte und Schädigungen oller übrigen Stände wären zum mindesten wahrscheinlich. Eine Ab wanderung der wohlhabenden Elemente sogar absolut sicher. Uebrigens scheint es, als ob auch Professor Dr. Bücher (Leipzig! für die Ueber- tragung des Reichstagswahlrechts auf di« Städte eingetreten sei, obwohl aus den Berichten nur zu sehen ist, er habe sich als prinzipieller An hänger des „allgemeinen" Wahlrechts für die Kommunen bekannt. Herr Bücher führte an, er habe in Leipzig mit den sozialdemokratischen Stadt verordneten gute Erfahrungen gemacht. Unseres Erachtens beweist das aber nicht das, waS eS soll. Wir zum Beispiel setzen durchaus auch bei sozialdemokratischen Gemeindevertretern bis zum Beweis des Gegenteils den guten, ehrlichen Willen voraus. Aber bei Sozialdemokraten kommt eS viel weniger auf die Persönlichkeiten als auf die Gebundenheit au ihr Dogma an. Darin liegt die Gefahr. Und der muß begegnet werden. Wo in der Struktur der Bevölkerung eines Gemeinwesens eine Garantie dafür liegt, daß durch die Gewährung des Reichstagswahl- rcchts keine Klassenherrschaft der Sozialdemokratie stabiliert werden kann, da mag man es ruhig einführen. Nur vor Experimenten mit sozialdemokratischen Majoritäten warnen wir. Es ist unmöglich, auf alle Einzelheiten der Besprechung einzugehcn. Nur ein Punkt sei noch hcrausgegriffen. Professor Dr. Löning meinte, gerade die akademisch Gebildeten seien geneigt, sich städtischen Ehren ämtern zu entziehen, die eine aufopfernde Tätigkeit beanspruchen, ohne politischen Einfluß zu bringen. Der Mittelstand, die kleinen Kaufleute und Handwerker zeigten darin weit größeren Opfersinn. Die Tatsache ist richtig. Nur hat Herr Löning vergessen, die Motive anzuführen und den Dingen auf den Grund zu gehen. Zunächst sind die Stadtverwal tungen vielerorts die besondere Domäne der von Löning gelobten Kreise. Und aus den Rechten ergeben sich eben auch Pflichten. Ferner, und das ist nicht außer acht zu lassen, erscheinen diese städtischen Ehrenämter den kleinen Gewerbetreibenden vielfach wertvoll, gewissermaßen als Rang erhöhungen, deren die Akademiker entraten zu können glauben. Und schließlich ist auch die Jntcressenzersplitterung bei den Akademikern meistens größer. Die Tatsache bleibt gleichwohl beklagenswert. Aber Abhilfe sehen wir, außer in einer schwer künstlich zu fördernden Er starkung des Gemeiusinns der Akademiker, nur in einem liberalen Wahl recht auf möglichst breiter Grundlage und unter Ausschluß jeder Klassen- Herrschaft. Mit Klagen über Interesselosigkeit ist wenig getan. Tie Magdeburger Tagung war zweifellos von Bedeutung und voller Anregung, die Sozialdemokratie, wie üblich, nicht vertreten. Herr Bern hard kann nicht für voll gelten. Und es entsprach der Wichtigkeit der Debatten, daß die Negierung namhafte und einflußreiche Männer in die Versammlungen geschickt hatte. Hoffentlich wurde in Magdeburg nicht tauben Ohren gepredigt. Vsrrnigsen nirö -er Libsralisinus. Gelegentlich der Einweihung des Bennigsen-Denkmals in Hannover hat Geh. Rat Witting eine bemerkenswerte Rede gehalten, die wir in ihren wichtigsten Hauptgedanken hier wiedergeben. Sie behandelte die Frage: Was kann, wasmußder deutscheLiberalis- musvon Bennigsen lernen? Er führte auS: Man hat Liberalismus als Weltanschauung bezeichnet, wohl auch als Eharaltcr nnd Tcmyeramcntsanlage. Diese Erklärung ist an sich richtig, befriedigt aber nicht völlig; ich möchte vielmehr Liberalismus diejenige politische Grundstimmung nennen, die überall dem Neuen, Werdenden, zum Licht Emporstcigcnden zunächst ihre Aufmerksamkeit nnd gegebenen Falls ihren Schutz und Hilfe zuwcndet. — Hier ist der Gegensatz zum Konservatismus sofort klar: Während dieser in erster Linie das historisch Gewordene schützen, vorhandene Kräfte erhalten, die Kontinuität geschichtlicher Entwickelung sichern will, späht der Liberalis mus nach neuen Kräften, nach neuem Leben, nach neuen Entwickelungs möglichkeiten aus. Wo immer im Geistes- und Wirtschaftsleben der Nation etwas Anderes, Junges keimen und werden will, wo in Religion, in Kunst und Wissenschaft, wo in der sozialen und ökonomischen Struktur des Volkes Aendcrungen sich vorberciten — da ist derLiberalis- mus auf dem Plan, da bahnt er die Wege, da öffnet er die Pforten. Wo cs czitt, Uebcrlebtcs zu beseitigen, alte — vielleicht treu gehütete und dann liebgewordene — Vorurteile zu entwurzeln, anti- quierte Privilegien abzuichaffen, Schranken fortzuraumen, freie Bahn zu schaffen — da wird liberale Weltanschauung sich betätigen können. So wird der Liberalismus, um nur einiges hervorzuheben, das Ringen der durch ungeheure wirtschaftliche Umwälzungen zu ungeahnter Bedeutung gelangten Massen des Volks nach Licht und nach Luft mit seinen Sym- vathien begleiten, weil er die in diesen Massen jetzt noch gebundenen starken ethischen und intellektuellen Kräfte als wertvoll für die Gesamt entwickelung auslösen will — so ab wehr end er sich dabei gewiß der galvanisierten Ekstase des sogenannten Klassenkampfs gegeuübcr- itellt. So wird er den Neubildungen innerhalb unseres Mittelstandes ernste Aufmerksamkeit schenken, so wird er den Fragen der Neuver teilung von Grund und Boden, dem Problem der inneren Koloni sation, seine Blicke zuwenden, so wird er endlich mit gespanntem Eifer die tiefgreifenden und einschneidenden politischen Veränderungen und Verschiebungen verfolgen, die ein völlig revolutioniertes Ver kehrswesen auf dem gesamten Erdball anzubahnen im Begriff ist. Kräfte erhalten will der Konservatismus: sie entfalten, sie — wenn sie gebunden — auslöseu, der Liberalismus; jenem ist die geschichtliche Gliederung die Hauptsache, dem Liberalismus das Recht der freien Per sönlichkeit. Kann noch irgend jemand zweifeln, daß gerade in diesem Sinne gesprochen Rudolf von Bennigsen der markanteste Vertreter des deutschen Liberalismus geworden und gewesen ist? Wie ein Sang aus verklungener Zeit Witt uns das Geschick dieses Mannes in mancher Hin sicht anmuten, der ein Menschenalter hindurch Beamter war und iiE dennoch die künstlerische Färbung seiner Individualität treu bewahrt, der Hobe und höchste Aemtcr ausschlug, so lange er fürchten mußte, durch deren Uebernahmc sich selbst untreu zu werden. In unserer stark neurasthenischen Zeit, wo unter der Intelligenz des Landes und in den besitzenden Klassen so häufig politische Farblosigkeit und Jndisscrcntis- mus modern ist und als besonders distinguiert gilt, wo universellere Köpfe und starke Temperamente in der offiziellen Welt nicht gerade be sonders heiß und schwärmerisch geliebt zu werden pflegen — in mner wichen Zeit erscheint die Gestalt unseres Heimgegangenen Führers von Hellem Lichtschein umflossen, als schönes, freundliches Bild auf dunklem Grund. Und nun zum zweiten, was wir von dem Heimgegangenen lernen sollen, lernen wollen: Das Streben nach hohen, großen Zielen — denn das gab seinem Auftreten den großen staatsmännischen Zug, ließ in seinen Reden auch bei Einzelfragen das Band weltgeschichtlicher Zusammenhänge stets erkennen. Weder mit dem Vereinsgesetz noch mit dem Börsengesetz, weder mit der fachmän nischen Schulaufsicht noch mit Eisenbahn-Tarifreformen — so verdienst lich wichtig und bedeutungsvoll alle diese Dinge an sich sind — kann man dem politischen Sehnen eines aufstrebenden Volkes genügen. Die Zeichen der Zeit und ihres innersten Wesens erkennen, ihre Bedürfnisse befriedigen — das ist wahrer Liberalismus! Ibn hat Bennigsen betätigt, als er 1859 den Nationalverein errichtete und dur ihn, in einer Periode quietistischer Selbstzufriedenheit, die stark an unsere Zeit erinnert, den Kristallisationspunkt für Deutschlands Wieder erneuerung schuf. So hat er 1866 bei der Lösung der deutschen Frage, so 1870 gewirkt und sich jedesmal als Wegweiser und Berater (einer Nation bewährt. Dann aber hat er mit Recht der genialen Führung unseres Altmeisters in den Geschäften vertraut und dessen durch die Verhältnisse gebotene Politik der Mäßigung und Zurückhaltung im letzten Viertel des verflossenen Jahrhunderts bedingungslos unter stützt. Aber heute: gibt es wirklich keine großen, hohen Ziele für Deutschland mehr, nach außen nicht, und nicht im Innern? Ich weiß mich, meine Herren, von chauvinistischen Regungen wirklich frei, ober ich meine doch, ein reifes Volk muß über die Probleme 'einer Zukunft klar zu werden bemüht sein; cs muß sich Rechenschaft darüber geben, daß cs uns, um nur dieses zu erwähnen, im Falle bestimmter euro päischer Verwickelungen recht schwer fallen dürfte, auch nur unsere über seeischen Kolonien zu schützen, von unserem überseeischen Handel ganz zu schweigen. Und ich glaube, daß es im Zeitalter der Weltpolitik, in das wir unabweisbar eingetrcten, nicht das letzte Ziel eines aufstreben den geeinten Volkes sein kann, ohne jegliche eigene Aspirationen ledig lich den Zuschauer zu spielen. Gewiß, die auswärtige Politik eines Landes läßt sich nicht auf offenem Markte führen; der leitende Staats mann nur kann die Basis für die politische Operation wählen, ist im stande, den Zeitpunkt der Aktion zu bestimmen. Aber die Ziele anzu deuten und zu bezeichnen — das ist Aufgabe des Volkes und seiner Führer. Darum sollen auch wir für unsere ganze Stellung in der Welt uns weite Ziele stecken, nicht mit lärmendem täppischem Geschrei, scndern in zielbewusster, idealistischer Energie, und diesem Streben sind wir verpflichtet, die Grundlagen zu sichern durch gute geordnete Finanzen, durch ein starkes Heer, durch eine mächtige Flotte. Und im Innern? Ja, wir haben den monarchischen Rechtsstaat, aber einen ziemlich unentwickelten, in vieler Hinsicht der Vervollkommnung noch bedürftigen, und von den Geboten so zialer Gleichberechtigung, wie sie andere Kulturstaaten längst kennen, sind wir noch recht w e i t e nt f e r n t, in K a st e n nnd Klassen, in Cliquen und Klüngel sind wir noch heut gar arg zerspalten. Auch den tiefen Riß, der zwischen Ost und West, zwilchen Nord und Süd in Deutschland klafft, und der sich immer mehr und in gefährlicher Weise zu erweitern droht, wir müssen ihn zu beseitigen «uchen durch eine einschneidende Modernisierung unserer Institutionen, speziell unseres Vcrwaltungs- und Rechtslebens, unseres Unterrichts- und Erziehungssystems. Gegenüber der Uebermacht der Exekutive müssen wir, wie schon Bismarck riet, die Rechte des Parlaments stärken und erweitern; nicht im Interesse einer Partei, sondern in dem des Vaterlandes: wir müssen suchen, zu wenigen, großen und starken Par- teien zu kommen, weil sonst jede tatkräftige Mitwirkung des Parla ments unmöglich ist, weshalb auch jeder Patriot zu Kompromissen ge neigt sein muß, um zuvörderst die Nächststehenden zu gewinnen; wir müssen Politik treiben, nicht nach Formular und Schema — was jeder Schulknabe kann — sondern in Beherrschung und Gruppierung aller verwendbaren Faktoren — wiederum nach dem Vorbilde Bennigsens. Mir dürfen uns nicht dauernd damit begnügen, Reden zu halten, — denn ein Jahrzehnte langes bloßes Reden erträgt im besten Falle nur eine Partei striktester Opposition —, sondern wir müssen durchzusetzen suchen, daß auch die im Bürgertum und im Liberalismus vertretenen Schichten als solche und in dieser ihrer Eigenschaft zur politischen Regierung des Staates mit hcrangezogen werden, weil sie nur so zur vollen politischen Reife gelangen können, und für diese großen Ziele, müssen wir arbeiten, wirken und kämpfen. Nnd nun das Dritte und letzte: Folgen wir bei aller energischen Betätigung unseres Liberalismus unseren: Bennigsen auch in der Be kundung dcs historischen Sinnes, in dem Verständnis für das gest'st lich Gewordene, in dem starken Gefühl persönlicher politischer Ver antwortlichkeit. Rudolf von Bennigsen war gewiß ein durch und durch freiheitlich empfindender Mann, der diese seine Gesinnung bis in die letzten Zeiten seines Lebens freudig bekannte, aber die wahrhaft staatsmännische Führerfähigkeit hat er doch erst bekundet durch semen Sinn für die Realitäten des Lebens, durch sein tiefes Eindringen in den Werdegang und die Geschichte unseres Vaterlandes, durch seine Ab lehnung endlich aller und jeder Künste der Demagogie. Denn hier, droht uns in der Zeit des Masseneinflusses und der Massen instinkte die höchste größte Gefahr. Nichts ist leichter, nichts billiger als die Massen zu entflammen; es gehört dazu neben starker Lungenkraft eigentlich nur ausreichende Skrupellosigkeit Ter wahre Liberalismus reißt nicht ein, zerstört nicht, sondern baut auf, bildet, iormt, wandelt, bereitet Neues vor mit schützender, sorglicher Hand. Teutschland ist ein eigenartiges Produkt der Geschichte und will geschichtlich ersaßt sein. Die tiefen Verschiedenheiten regionaler und territorialer Natur, die Scheidung durch Elbe und Main — lassen sich durch radikale Schlagworte nicht beseitigen, sie wollen liebend und ver ständnisvoll begriffen werden. Es war die Größe Bennigsens, daß er für diese Imponderabilien Blick und Verständnis hatte, daß er in diesem Wirrwarr der Stammes- und Klassen gegensätze immer wieder die großen Richtlinien nationaler Einigung zu ziehen wußte. „Wohlan, es eifre jeder seiner unbestoche nen, von Vorurteilen freien Liebe nach!" Uns aber, lassen Sie erneut am heutigen Tage das Versprechen ablegen, zu wirken im Geiste unseres unvergeßlichen Führers, an dieser Aufgabe zu arbeiten im Dienste unserer Partei, die ja in allen Gauen Deutschlands, in allen Klassen und Ständen ihre Anhänger hat; au ihr zu arbeiten zu Nutz und Frommen unseres stolzen, schönen, heißgeliebten Vaterlandes. Deutsches Reich. I'eipjig, 5 Oktober. * Ter Kaiserbrsuch im Haag wird am 20. November statlfinden. Morgens früh wiiv raö Kaiserpaar aus England über Vlissingen im Haar eintrcsfen. Tie Königin und der Prinzgemahl, die beabsichtigen, im Monat November auf Sä'eß Loo ru wecken, weroen sich tags zuvor nach dem Haag begeben. Wie dem Korrespondenten dcS ,B. T." auf der deutschen Gesandtschaft mitgeteilt wurde, wird die Abreise noch am selbigen Abend nach dem Diner erfolgen. — Ob der Kaiser und die Kaiserin auch in Brüssel einen Besuch machen werden, wie sranrösische Blätter melden, steht noch nicht fest. * Ter Kronprinz als spanischer Ebrenmafor. Eine span'che Zeitung meldet aus Barcelona, der deutsch: Kronprinz sei zum Ehr.nmajor des dortige» Drago..er - Regiments „Numancia* ernannt worden. König Alfons hätte dem Kaiser seine Glückwünsche telegraphiert, worauf dieser wie auch der Kronprinz ihm ihre» Dank auSspracben. * Eine Ergänzung der Gcwerbeordnungsnovelle. Dem Vernehmen nach soll, wie auch früher schon angedeutet wurde, jetzt aber bestätigt zu werden scheint, in der Novelle zur Gewerbeordnung, die gegenwärtig dem Bundesrate zur Beratung vorlicgt. auch die Gleichstellung der Ar- bcitsverhältnisse der Betriebsbeamten, Werkmeister und Techniker mit den Handlungsgehilfen angestrebt werden. Die Regierung hat sich schon früher mit einer solchen Regelung einverstanden erklärt, nur wollte sic die Bestimmungen über die Konkurrenzklauscl davon ausgenommen wissen. Bekanntlich ist durch die Novelle vom Jahre 1891 in die Ge werbeordnung ein besonderer Abschnitt hineingekommen, der das Dienst verhältnis der von Gewerbeunternehmern gegen feste Bezüge bc- schäftigtcn Personen, die nicht lediglich vorübergehend mit der Leitung . oder Beaussichtiguna des Betriebes oder einer Abteilung desselben be auftragt oder mit höheren technischen Dienstleistungen betraut sind, regelt. Nm eine Ergänzung dieses Abschnittes würde es sich deshalb bei der jetzt in Ausarbeitung befindlichen Gewerbeordnungsnovclle handeln. * Vom bayrischen Liberalismus. Die liberale Fraktion der bay rischen Abgeordnetenkammer hat gestern folgenden Antrag eingcbrachl. Die Kammer wolle beschließen, die königliche Staatsregierung zu er- suchen, dem gegenwärtig versammelten Landtag einen Gesetzentwurf vor- zulegcn, inhaltlich dessen der Artikel 35 des Landtagswahlgesetzes dahin abgcändert wird, daß auch den Gewählten, die in einem Staatsbetriebe als Beamte angcstcllt sind, der Urlaub zur Teilnahme an den Verhand«
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