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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 14.10.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-10-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071014025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907101402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907101402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-10
- Tag1907-10-14
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Abend-Ausgabe L. »ezugS-Prett Nr Leipzig «d Borortt d«rch imft« Träger uns Spediteur« m« Hao» gebracht: Ausgabe L (nur morgen«) viertrljLhrltch 3 M-, monariich I M-, AuSgade it (morgrul und abend») viertel» jährlich 4.50 W., momulich 4.50 M. Durch di« Polt bezoarn (2 mal täglich) innerhalb Txutfthland« :nd der deutjchen Kolonien vierteljährlich 5,25 M„ monatlich 4,75 M. auSjchl. Polt» besiellgrld iür Oesterreich 9 L 66 k, Ungarn 8 L vierteljährlich. Abonnement-Annahme: Augustu-Platz 8, bei unjcrrn Trägern, Filialeu, Spediteuren und Annahmestellen, jowie Poftämiern uud Briefträgern. Die einzelne Nummer kostet 10 Dfg. «edaUton und LxpeLtltvu: JohaoniSgasse 8. Telephon Nr. 44892, Nr. 44890, Nr. 14694. Berliner Redaktion« Bureuu: Berlin 4TW 7, Prinz Louis gerdinaud- Etraße 4. Telephon 4, Nr. 9275» KiMgerTagMaN Handelszeitung. NmlsvsM des Rates und -es Nolizeiamtes -er Lta-t Leipzig. 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Das wichtigste vom Tage. * Staatssekretär Dernburg hat gestern früh, wie geplant war, und -war an Bord des Dampfers „Prinz-Regent , von Daressalam aus sie Heimreise angetreten. * Für morgen hat der preußische Landwirtschafts minister nach Berlin eine Konferenz preußischer Land schaften einberufen, die sich mit der Frage der Entschädigung des ländlichen Grundbesitzes beschäftigen soll. * Die Begegnung -wischen König Eduard und Zar Nikolaus soll in Kopenhagen stattfinden. * Nachdem der Mailänder Generalausstand beendigt ist, fin den noch in einigen kleineren Städten Italiens Arbeitseinstellun gen statt. (S. Ausl.) Tagesschau. Eine sozialdemokratische Extratour. Rb. Man schreibt uns.aus Baden: Nicht einer Herzens regung, sondern kühlen Verstandescrwägungen folgend, haben die sozialdemokratischen Abgeordneten Dr. Frank und Kolb an der Bei setzung des Großherzogs teilgenommen. Das ist in ihren öffentlichen Erklärungen unschwer zwischen den Zeilen zu lesen. Herr Geck, der zweite Vizepräsident in der letzten Kammerscssion, hatte zwar seine Nichtbeteiligung an der Beileidskundgebung des Landtagspräsidiums mit staatsrechtlichen Bedenken zu rechtfertigen gesucht; allein, daß diese :o den breiten Volksmassen nicht verstanden wurden, war den Führern der Partei klar geworden, sie besorgten davon eine Einbuße an Sympa thien und Anhängern, und waren deshalb auf einen wirksamen Gegen- zua bedacht. Nach Ansicht des Herrn Dr. Frank sollte er darin bestellen, daß Herr Geck persönlich der Beerdigung des Großberzvgs beiwohnte. Tas war ein ganz gescheiter Vorschlag: aber Geck setzte wieder einmal seinen harten Kops auf und berief nickt einmal die beantragte Frak- tionssitzung ein. Da entschlossen sich Dr. Frank und Kolb in letzter Stunde, selbst an der Leichenfeier teilzunehmen. Der „Vorwärts" und Franz Mehring umgürtcn sich natürlich mit dem ganzen Stolze ihres republikanischen Zielbewußtseins. Sogar die Herrn Dr. Frank nahestehende „Volksstimme" billigt sein Verhalten nicht, nnd kündigt an, daß die Angelegenheit „in Bälde die zuständigen Instanzen der Partei beschäftigen" wird. Allein, was wird dabei erauskommen? — Ein bißchen antimonarchischer Theaterdonner in der h'resse i nd einigen Versammlungen! Mag Onkel Nebel auch grollen: «Lar und Moritz, diese beide, machen mir gar wenig Freude! In Baden si-lbst werden die Esenosscn doch einsehen, daß dieser zweite Streich ihnen mehr Gewinn bringt, als der erste des Herrn Geck, und trotzdem nach Ansickr der „Volksstimme" durch jene „Extratour" Tausende von Sozial demokraten „in ihren Empfindungen gekränkt" sind, wird man über die Schuldigen nicht den Stab brechen. Ein Antrag auf Ausschluß aus der Partei ist noch nicht gestellt, und wenn er gestellt werden sollte, würden ibn die zuständigen Partciinstanzen abweisen. Die Situation bei Beginn der nächsten Landtagssession ist aber geändert. Bei der Neuwahl des Kammerpräsidiums können die Nationalliberalen nicht mehr dafür stimmen, daß .Herrn Geck das Amt des zweiten Vizepräsidenten über tragen wird. Nachdem jedoch die Herren Dr. Frank nnd Kolb an der Beerdigung des Großherzogs tcilgenommen, ist es ziemlich wahrschein lich, daß Herr Geck im Präsidium durch einen anderen Sozialdemo kraten ersetzt und so ein Konflikt zwischen dem liberalen Block und den Genossen vermieden wird. Tas Zentrum hätte sich dann über Herrn stecks Prinzipienfestigkeit und staatsrechtliche Bedenken zu frühe gefreut. Der Kongreß der französischen Radikalen. Der Kongreß der Radikalen in Nancy wurde von der großen Frage beherrscht: Darf eine bürgerliche Partei mit den Sozialisten, den Vaterlandsfeinden, zusammenarbeiten? Solange die Sozialisten mit Jean Jaurös sich als „Evolutionisten" und nicht als „Revolutionäre" h'.nstellten, war es erklärlich, daß die Radikalen sich von Waldeck- Rousseau und Eombes mit ihnen zu einem „Bloc" der antiklerikalen und sozialen Reformen zusammenschweißen ließen; sie haben denn auch in dieser Zeit merkliche Arbeit geleistet, und man konnte in Deutsch land Jaures den Sozialdemokraten als das Muster eines praktischen Politikers hinstellen. Eine totale Wandlung ist inzwischen im fran zösischen Sozialismus eingetrcten, eine so starke, daß er sich auf dem internationalen Kongresse in Stuttgart eine Abfuhr holen mußte; das anarchistische Element hat die Oberhand bekommen, Hervä versprach, auf die „galonnierten Apachen", die Offiziere, beim Mobilisationsbefehl schießen zu lassen. Die gemäßigteren Sozialisten entfernten sich, man nannte sie „Dissidenten"; aber Jaurös hielt es für klug, bei dem Gros auszuhalten, und nahm die Hervö-Theovie, wenn auch mit einigen Ab schwächungen, als sein neues Glaubensbekenntnis an. Man hat sehen können, daß die antimilitavistische Kampagne unter den jungen Leuten immer mehr Anhänger fand und im Heer die Ursache wahrer Meutereien wurde. Das hat zu einer Art Reaktion geführt; es ging wie eine nativ- nalistische Woge durch die republikanische Presse; der „Matin" veröffcnt- lichte wochenlang Aeußerungen von namhaften Radikalen, die sich ent schlossen zeigten, den Bund mit den Sozialisten zu brechen und lieber, wenn es sein müßte, nach rechts Fühlung zu suchen. Es entstand daraus eine Gefahr für den Radikalismus selbst) er ist am Ende mit der alten Kriegstrompete des Antiklerikalismus; jetzt heißt es, die sozialen Re formen, Einkommensteuer, Arbeiterversicherung, Bahnverstaatlichung usw., durchznführen. Bei den letzten Wahlen zog die Partei so stark in die neue Kammer ein, daß sie schon allein, weil sie die Majorität der Stimmen ausmacht, das alte Reformprogramm verwirklichen könnte; leider hat es sich herausgestellt, daß sich unter den neuen radikalen Ab geordneten, welche die Reaktionären verdrängten, sehr viele Wölfe im Schafpelz befinden, denen es mit den fortschrittlichen Prinzipien nicht ernst ist. Diese ehemaligen Boulangistcn usw. müssen erst abgesägt werden; was nach dieser schmerzlichen Operation von der großen, zu großen radikalen Partei übrig bleiben wird, ist die Frage. Ihre alten Führer, wie Pelletan, die mit Leib und Seele die Verwirklichung des Parteiprogramms wünschen, sahen die Gefahr, die in einem vollstänoigen Bruch mit der äußersten Linken lag. Bei zukünftigen Wahlen würde der Bruch ein Doppelsclbstmord werden. Und das hat bewirkt, daß man in letzter Stunde in Nancy einsah, man dürfe nickt alle Brücken abbrechen. Aber ein patriotisches Opfer wurde doch gebracht, wie die Tagesordnung knndgibt: „Der radikale und radikalsozialistische Kongreß, der das Vaterland nicht von der Republik scheidet, legt allen Parteianhängern die Pflicht auf, jedem Kandidaten ihre Stimme zu verweigern, der die Ordnung im Heere der Republik zu vernichten anrät, sei es durch Desertion in Friedcnszeit, sei es durch Insurrektion nnd Generalstreik vor dem Feind. Unter diesem Vorbehalt und unter Verwerfung eines jeden Komvromisses mit den reaktionären und konservativen Par teien, erklärt der Kongreß, daß die Partei weiter entschlossen ist, mit allen Elementen des Blocks der Linken am Werke der sozialen, fiska lischen und politischen Reformen zusammenzuarbeiten, die sie dem Lande versprochen hat." Die Resolution wird von der reaktionären Presse als zweideutig und von Furcht diktiert bezeichnet; Herve triumphiere. Trotz dem hat man den Eindruck, daß ein erster Schritt zur Schei dung getan ist. Bemerkenswert war die mit Begeisterung aufge- nommcne Rede des Kongrehpräsidenten Pelletan, der sagte, in Nancy werde man an das schreckliche Jahr (1870) erinnert, und wegen dieser Lehre werde man nie, nie an die Kräfte des Heeres rühren lassen. Die Stimmung auf Kuba. Die Vereinigten Staaten haben bisher mit ihren, infolge deS Krieges mit Spanien erworbenen überseeischen Besitzungen noch nicht viel Glück geerntet. Denn ebensowenig wie die Filippinos, zeigen sich auch die Einwohner der von der spanischen Herrschaft „befreiten" Insel Kuba für die ihnen zuteil gewordene Befreiung und ihren Folge erscheinungen erkenntlich. Bei der Bevölkerung Kubas macht sich an- dauernd ein Widerwillen gegen die amerikanische Bevormundung bemerk- bar. So hatte sich kürzlich der Generalgouverncur der Insel mit einer gegen die Vereinigten Staaten gerichteten Verschwörung zu befassen, deren Leiter Masso Parra nebst einigen seiner Anhänger verhaftet wurde. Dieser Parra wurde zur Zeit der spanischen Herrschaft wegen ähnlicher Umtriebe aus Kuba ausgewiesen. Während der Amtsführung des Präsidenten Palma war es dem Verschwörer nicht erlaubt, nach der Insel zurückzukehren; nachdem die Vereinigten Staaten die Verwaltung übernommen hatten, kam er wieder nach seiner Heimat zurück, wo er den Mittelpunkt der antiamerikanischen Umtriebe bildete. Seltsam klingt die auf Tatsachen begründete Nachricht, daß in New York ansässige Ameri kaner dem Verschwörer die für die Vorbereitung eines Aufstandes er forderlichen Geldmittel beschafft hätten. Daß der amerikanische Gouver- neur gegen alle Unruhestiftnngen genügend gewaffnet ist, geht daraus hervor, daß er jetzt znr Aufrechterhaltung der Ordnung über 5000 ameri- konische Soldaten und eine gleich große Anzahl Gendarmen verfügt. Demgegenüber ist zu betonen, daß für den Fall eines neuen Aufstandes die Eingeborenen jetzt besser denn je bewaffnet sind. Eine von den Offizieren einer amerikanischen Reiterabteilung eingeleitete Unter suchung hat zu dem Ergebnis geführt, daß die Bevölkerung mindestens über 3000 moderne Gewehre verfügt, und daß noch mehr Gewehre, wie auch große Vorräte an Munition an heimlichen Stellen verborgen ge halten werden, von wo sie im Notfälle bequem zutage gefördert werden können. Es steht zweifellos fest, daß unter den Kubanern ein ernster Groll gegen die amerikanische Verwaltung herrscht. Und die herrschende Unzufriedenheit hat dadurch noch zugenommen, daß viele von den Einge borenen, die sich um einflußreiche Stellungen in der Verwaltung be worben haben, von den amerikanischen Machthabern daraufhin einen ab lehnenden Bescheid erhalten haben. Deutsches Reich. Leipzig, 14. Oktober. * Reform der bayerischen Ersten Kammer. Der Abgeordnete Müller-Meiningen brachte im Landtag einen Antrag auf zeit gemäße Reform der Kammer der Reichdräte ein; es wird eine Reform in dem Sinne gewünscht, daß die einzelnen Haupterwerbsgruppen — Landwirtschaft, Industrie, Handel, Handwerk und Arbeiterschaft — sowie die Landeshochschulen und die großen Städte durch gewählte Vertreter Sitz und Stimme im Reichsrat erhalten. 8lc. Der Nachfolger v. Wurmbs. Wie uns aus Weimar unterm 13. Oktober geschrieben wird, ist für den Posten des verstorbenen Departe- mentschesS des Innern und Aeußern v. Wurmb nun doch der bisherige stellvertretende BundeöratSbevollmächtigte für das Großherzvgtum Sachsen- Weimar, Geh. Legationsrat Dr. Paulßen, bestimmt worden Zu Pautßens Nachfolger als stellvertretender BurrdeSratsbevollmachligter ist Ministerialdirektor Dr. Nebe ausersehen. * Bergarbeiter und KnappschaflSverein. In den gestern im Ruhr revier abgehaltenen Bergarbeiterversammlungeu wurde der Ausgang der Generalversammlung deS Allgemeinen KnappschaftSvereins besprochen und eine Resolution angenommen, welche die Haltung der KnappfchaftS- Aellesten in der Statutsrage billigt. In der Resolution wird inner zur entschiedenen Abwehr etwaiger weiterer Bersch lechterungsbestrebungen der Zechenbesitzer aufgefordert uud den Unorganisierten der Beitritt zu den Verbänden nahegelegt. * Ter Verband mittlerer Reichs-Post- und Telegrapheubeamten batte infolge der Gründung von Soudervereinigungen der Sekretäre und Postverwalter mit einem Abgang von 1000 Mitgliedern gerechnet. Diese Voraussetzung hat sich jedoch als übertrieben herauSgestellt, renn nach einer soeben veröffentlichten Zusammenstellung haben nur 326 Sekre täre uns 15 Postverwalter ihren Austritt erklärt. Dem außerordent lichen Anwachsen der Mitqliederzahl gegenüber — 1897 verzeichnet bis Ende September rund 4500 Neuanmelvungen — erscheint der Abgang von 341 Sonderbündlern völlig bedeutungslos. —o. Nach der Beschlagnahme die Verhaftung. Aus Jena meldet uns ein Privattelegramm: Dr. Wernsdorf, der Verfasser einer jüngst beschlagnahmten Broschüre, in welcher die Justizverwaltung des Feuilleton. Erziehung ist das größte Problem und das schwerste, was dem Menschen kann aufgegeben werden. Denn Einsicht hängt von der Erziehung, und Erziehung hängt wieder von der Einsicht ab. Kant. * Aus -em Rokoko. Von Walter Behrend (Leipzig). Wir wollen bei der zierlichen Kultur des achtzehnten Jahrhunderts verweilen, beim Rokoko. Wie ein schönes Theater erscheint es uns, wie eine Phantasmaqorie in Silberwölkchen, in der mit parfümierten Perücken, bepuderten Mienen, in Reisröcken und brillantenvejetzten Kostümen bezaubernde Figuren nicken, die mit lachenden Sinnen in den Extremen aller Anmut und reizenden Laster schwebten. Eine berückende Kultur, eine kichernde Komödie . . . Arkadische Spiele um plätschernde Latonafontänen, der zarte Pas des Menuetts, das Flöten und Violinen :m verträumten Abendlicht sangen, diskrete Boudoire amvureujer Damen: es ist das Säkulum der Wollust, das Jahrhundert des Weibes. An seinen Wundern haben sich die seinen Goncourts berauscht: Lust! Tas ist das Wort für das achtzehnte Jahrhundert; sein Geheimnis, sein Zauber, seine Seele. Es atmet die Wollust, es macht sie frei. Tie Lust ist die Stimmung, von der sic sich nährt und die sie beseligt. Sie ist ihre Atmosphäre und ihr Atem. Sie ist ihr Element, ihre Inspi ration, ibr Leben und ihr Genie. Sie kreist in ihrem Herzen in ihren Adern, ihrem Kopf. Sie legt einen Zauber über ihren Geschmack, ihre Gewohnheiten, ihre Sitten und ihre Werke. — Und noch macht uns das zierliche Pathos der Gestalten ans Watteaus Gemälden, ihr Charme im lichten Raum selig. Unsere Neugier verliert sich in ein Reich, wie cs die Energie, die Phantasie der Nachgeborenen nicht wieder realisierte. Alles schien in jene süße Erschlaffung gesunken zu sein, die reifer Geistigkeit, olympischer Lust folgt; um die Augen der Herren lag jener bläuliche Schatten, der Wollüste und ihre Befriedigung verrät, und die Damen halten das zarte, hochmütige Doppelkinn, das Grausamkeit und den Trug der Liebe an deutet. Ihre Gelüste, ihre Heuchelei verbarg jener kostbare Air, der keine Illusionen stört. Man verstand es, sich mit wunderbarem Takt in Anspielungen zu bewegen, hinter seidenen Draperien zu kosen und zu necken, in denen galante Geheimnisse Wehlen. Es waren die entzückenden Schauspiele der Variier Salons, die ihr Jahrhundert erfüllten. Alles war ohne Sentimentalität; man spielte die Komödie der Leidenschaften. Tie Liebe war nickt mehr Instinkt, sie war nur noch Konstruktion, welche die Geschlechter ergötzte. Wie ein fremdes Bild im Sviegel dieser Welt berührt die Neigung der taubenhaften Made moiselle A'ssv zum Chevalier d'Aydie. Wie ein Schluchzer ertönt iE >m lachenden und spottenden Theater des Jahrhunderts. Man liebte nicht mit dem HerZeu, mon liekL- mit dem Kopf. Es war de* Loaour- kroüt, den Beyle erklärt hat: O'sst. un tadloau oü, juLgu'aux omdres, tout äoit etro eoutour äv ross, oft il no äoit ontrar rion äe clÜMxrSadle saus »neun prStoxts, et 8vu8 peine äs m mquer ä'usuqe, äs bon ton, äo äSlioutesss, ete. Iln komme Kien uö eait ä'Lvsueo tous les proeSäSs qu'il äoit avoir et rencontrer äans les äiverseg pKäses äe cet amour; rien n'z) Staut pussiou et imprSvu, il » scmveut plus äe äSlioutesse gus I'knnour vöritukle, cur il a ioujours beuueoup ä'esprit; e'cst uue kroiäo et solle miniaturs eomxsrSv » uu tukleuu äes Ourraekes; et taoäis qus l'smour-pasi-ioo uous empörte »u travers äv tous aas iutörsts, l'amour-xoüt sait toujours ooukormer. II est vrai gue, 8i l'ou öle la vauitö L es pauvre amour, il en resto dien peu äe ekv8e; uns koi« privS äe vauitS, v'e8t na convalescent allaikli qui pent L neiue 8e trainer. Der Materialismus der Zeit, die Ideen entzückender Jmmvralisten, die an der Herrschaft waren, haben dem Esprit des Weibes seine Grazie nicht geraubt, haben ihm vielmehr die Möglichkeiten zur denkbar größten Verfeinerung eingcräumt. Die Damen besaßen soviel Geist und Ge- chmack, daß sie in der Liebe keine Tragik duldeten: sic wurde gegckenen- alls nur zum Malheur. Zu ihnen selbst aber hat jene göttliche Ekerudim- 'iebe gesicht, die Mozarts schmelzende Klarinetten anbeten. Allein das erotische Leben der Zeit bleibt nicht zart. Seine Reife führt zum Ver derben. Die Phantasie überspringt alle Möglichkeiten, hastet nach der Verwirklichung infernalischer Wonnen. Man wird hart in der Ucder- sättigung: wir sind vor den blutrünstigen Dokumenten des Erotomanen Sade, der „Juliette" und „Justine", vor den raffinierten „Oiaisons ckauksi-eusos des Laclos, den schauerlichen Kronzeugen der stählernen Energie, des furchtbaren Lebenswillens der Epoche, die in die Phase der Dämmerung rückt, des Spätrokoko. Man stand in der weitesten Distanz zur Natur, d. h. man hatte absolute Kultur gewonnen: ein und derselbe Stil offenbarte sich in allen Lebensäußerunacn. Ter gewaltigste Lebenswille mußte gewirkt haben, um diesen (vollkommenen) Zustand eintreten zu lassen, denn Stil ist nichts weiter als Energie. Die Energie aber bat ein solches Maximum erreicht, daß sie nur noch — besonders ist dies im Lieoesleben, das dem anaien röMmo sein Gepräge gibt, der Fall — in Grausamkeit und Maß losigkeit zutage tritt. Daß man den äußersten Grad der Reife erlangt hat, meldet das Symptom, daß man völlig unlvrijch geworden ist; man ist so vollkommen geworden, daß man die Sebniucht nach neuen Entfal tungen verloren hat. Innerhalb der festen Schranken aber, welche die Kultur auf allen Seiten gesunden hat, steigert sich wieder das Tempo der Lebensgier, der Leidenschaften unaufhörlich, dis die kühle Maske zerbricht. Tie Energie hat in allen Sphären gerast; sie kann sich nicht mehr in wirklich nene Ergebnisse umsetzen. Tas alte Regime ist träum- los geworden, da alle Entwicklungsmöglichkeiten erschöpft sind. Man spürt nur noch Resultate, nicht aber mehr die Bewegung zu Re sultaten, ein Stadium, in dem man sich ohne Unterbrechung interessiert fühlt. Und hier setzt das Martyrium der Langeweile ein. das keine Opiate mehr stillen. Das aristokratische Jahrhundert hat sein Endziel erreicht; das Temperament der Epoche kulminiert . . . Die elvsische Abendröte des Rokoko schwinat über in den blut- roten Glanz der Revolutionsslammen ... das Adieu der galanten Welt. Auf dem Schasott winselt die Trianonkönigin, schreit das grelle Fatum des sechzehnten Ludwig. Wollust und Energie werden von der Form ge trennt und in das Chaos getrieben, von diesem aber löst sich das küble Empire ab, in dessen Majestät Lebenswille uud Bewußtheit in neuer Ge staltung gerettet sind. Ein typischer Rokokomensch ist der Abbe Galiani, besten reizende Korrespondenz in zwei Bänden vor kurzem bei Georg Müller in München erschienen ist. Wilhelm Weigand ckat eine feine Studie dazu geschrieben; die Uebcrtragung hat Heinrich Conrad besorgt. Im Juni des Jahres 1759 erscheint der bucklige Neapolitaner zum erstenmal in den Pariser Salons. Der Harlekin, den der Geist berührt hat, plaudert zynisch in der erlauchten Gesellschaft, daß die zarte Madame Necker herausplatzt, er werde bei Hofe nicht reüssieren, da er zu hoch denke und zu niedrig spreche. Im ,Mrand Cafe de IXZuropc" wird er sentimental, stützt den runzeligen Machiavellkopf und schwärmt vom funkelnden Neapel, von der Heimat. Unter geschmeidigen Kavalieren im Oeil de boeuf kommt er sich vor wie ein plumper Lazzarom; mit einem Witz aus den Lippen dienert der vermißquemte Sekretär vor dem lachenden Ludwig. Bald jedoch wird er heimisch im Zirkel der Literaten, der Diderot, Holbach, Hclvetius, d'Alembcrt, Marmontel. Der gött lichen Epinan küßt er die Hand. Eine unglückliche Depesche macht den Pariser Freuden jäh ein Ende. Der bucklige Abbe muß zurück nach Italien. Ihm ist zumute, als sei er aus dem Olymp gejagt. Oh, die Rancune ... In einem Brief an Fran von Epinav wimmert er: „On m'a sri-aesie <jv IN eis, ot cm m'a ari-Lalls 1s ooeur." Der Hof von Neapel bereitete ihm einen pompösen Empfang. Seine Seele aber ist verstimmt. Das brutale Milieu macht ihn krank. Er zetert über die animalische Sinnlichkeit, die unverhüut zur Schau ge tragen wird. Die Brunst der braunen neapolitanischen Frauenzimmer, die lockend im Fenster liegen, widert den noblen Abbate an, den die ele ganten Pariserinnen verhätschelten. Es sind Weiber, keine Dame». Nicht einmal Maitresscn bat der Bucklige. Er bat nur Sarkasmus und Sehnsucht nach Paris. Die Hoffnung verläßt ihn nicht, das lasterhafte Neapel als wüsten Traum hinter sich zu sehen, noch einmal nach der Stadt des Lichtes zu gelangen. Da ihm die barbarische Umgebung nur Ekel einflößt, widmet er sich ganz seinen literarischen Arbeiten. Mit den Pariser Schöngeistern un terhält er jenen eifrigen Briefwechsel, aus dem wir einen vollkommenen Begriff von seiner Persönlichkeit und seiner Zeit gewinnen. Seine Briese sind an die Damen Epinay, Necker, Geofsrin, Belfunce gerichtet, ferner an die Herren Trudaine de Mvntigny, Tannuci, Pellerin, Hol- bach, Baudouin, Sartine, Morellet, Suard, d'Alembcrt, Mayeul, Dide rot, von Gleichen, Grimm u. a. Eine erlauchte Galerie . . . Nietzsche hat über den Abbö Galiani geurteilt, er gehöre zu den scharfsinnigsten, aber auch sännutzigsten Menschen seines Jahrhunderts, hat er doch gewitzelt, als man ihn nach den Urjachen seines ewige» Geld mangels fragte: „Weil ich alle Laster habe". Im Sakulum, in dem das Herz bricht oder zu Bronze wird, hat er, wie aus mancher Stelle in seinen Briefen hervorgeht. den Philosophen von Basel antizipiert. Der kalte Grimm, der Frau von Epinay gehabt hat, kommt ihm nahe. Wie jener bat er das faule Pathos gehaßt, die lügnerische Metaphysik von Freiheit, Gerechtigkeit, von den Prinzipien, die nichts anderes sind, als Residuen der Scholastik. Aber er war Rationalist, ein Träger deS kind lichen, dünkelhaften Materialismus der Zeit.
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