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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 21.10.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-10-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071021014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907102101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907102101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-10
- Tag1907-10-21
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Morgen-Ausgabe 8. »ezugS-Prei» stk Letpjig und v-rorte durch unser« lrtger unk Spediteure in« Hau« gebracht: Lu«gabe « (nur morgen«) vierteljährlich 3 M. monatlich 1 M., Ausgabe v (morgen« und abend«) viertel, lährlich 4.50 M. monatlich 1.50 vk. Durch di« Pott be,°«tu (2 mal täglich) innerhalb Veutschland« und der deutschen Kolonien »terteljährlich 5,25 M., monatlich 1,75 W. uulickl. Post bestellgeld sür Oesterreich 8 L 66 ü, Ungarn S L vierteljährlich. Abonnement-Annabme. Augustusvlatz 8, bei unseren Trägern, Filialen. Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern und Briefträgern. Die einzelne sstummer kostet jv Pfg. Redaktion und LrpedUton: Johannirgaste 8. televbon Nr. 14682 Nr. 14688, Nr. 14684. lverltner Redaktion« Bureau! Berlin tlV. 7 Prinz Louis Ferdinand» Straße 1. Telephon I, Nr. 827L riWger T agMalt Handelszeitung. Ämlsvlatt -es Rates und des Nolizeiamles der Ltadt Leipzig. Luzeigeu-Preit fstr Inserate au« Leipzig und Umgebung di« 6 gespaltene Petitzeile 25 Ps., finanzielle Anzeigen 30 Ps., Reklamen 1 M.; von auswärts 30 Ps., Reklamen 1.20 M.; vom Ausland 50Ps., stnanz. Anzeigen75Ps.. Reklamen 1.50 M. Anseratc v. BchSrden im amtlichen Teil 40 Ps. Beilagegcbllbr 5 M. p. Tausend exkl. Post- gebühr, «eichästsanzeigen UN bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabat» nach Taris, gefterteilte Austräge können nicht zurück gezogen werden. Für da« Erscheinen an bestimmten Tagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen-Annahme: «ugustu«platz 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen» Expeditionen des In- und AuSIande«. Haupt Filiale Berlin: Earl Dunckt , Herzvgl. Bahr. Hosbuch- handlung, Lützowstraße 10. (Telephon VI, Nr. 4603). Nr. 2S2. Montag 21. Oktober 1907. M Jabrqanq. Das wichtigste vorn Tage. * Der Kaiser ist nach Berlin zurückgekehrt. * Im Befinden des Kaisers von Oesterreich ist eine Besserung eingetreten. sS. Letzte Dep.) * Das Exekutivkomitee der italienischen Eisen- bahnbeamten hat sich, wie aus Rom gemeldet wird, nach langer Diskussion gegen den Streik ausgesprochen. sS. Letzte Dep.) * Die Gerüchte von einer neuen russischen Anleihe werden, nach einer Petersburger Meldung, amtlich dementiert. lS. Letzte Dep.) * Nach einer Meldung aus Belgrad gedenkt der Könia von Serbien abzudanken. sS. Letzte Dep.) * Die bulgarische Sobranje ist auf den 28. Oktober einbe rufen. * In Berlin ist eine Internationale tropcn medi zinische Gesellschaft gegründet worden. sS. Letzte Dep.) * InKöln siegte im Preis der W i n t e r f a v o r i t e n s30 000 X) Frhrn. v. Oppenheims F.-H. „F o r Eve r". — Den Großen Preis von Karlshorst l31 000 .L) gewann v. Tepper-Laskis „Minus" unter Ltnt. v. Hohberg. — Im Wiener Austria-Preis slOOOOO Kronen) siegte Weinbergs „F abu la" leicht in einem Felde von neun Pferden. sS. Sport.) Sächsische Fveikoiiservatrve. Die „bedeutsame Kundgebung der Einigkeit" vom 27. September hat noch ein kleines Nachspiel gehabt: Die Grün dung einer freikonservativen Fraktion. Wir brauchen wohl nicht erst zu versichern, daß uns die Meldung nicht überraschend ge kommen ist, denn wir haben das nicht nur kommen sehen, wir haben es auch offen ausgesprochen. Die Herren, die vor und nach der konserva tiven Landesversammlung so eifrig die unerschütterliche Einigkeit der Partei verkündeten, werden sich auch kaum wundern, denn sie selbst wußten wohl ganz genau, wie der Hase lief, obwohl sie die Berichte über oie hinter verschlossenen Türen abgehaltene Versammlung sehr geschickt gekocht hatten. Gewundert haben sich wohl nur diejenigen Leute, die alles, was von der konservativen Parteileitung verkündet wird, für bare Münze nehmen. Vielleicht werden sie den Aeußerungen von dieser Seite gegenüber in Zukunft vorsichtiger sein. Die Spaltung mußte in dem Augenblick unausbleiblich werden, in dem man über die theoretischen Versicherungen einig bleiben zu wollen, zi: praktischen, parlamentarischen Aufgaben kam. Und dieser Augenblick trat nach Eröffnung des Landtages ein, als man sich in der konservativen Fraktion über die politische Haltung im Parlament schlüssig werden mußte. Herr Opitz mußte da erkennen, daß man ihm nicht mehr so ein mütig Folge leistete, als er vielleicht noch gehofft und erwartet hatte. So kam es zu dem Bruch, über den wir schon Freitag nachmittag und dann Sonn abend früh kurz berichteten, und den dann Herr Landrichter Wagner durch seine Erklärung, die wir gestern mitteiltcn, nur noch formell verdecken konnte. Wenn nun aber die Spaltung der Konservativen jetzt als vollzogene Tatsache betrachtet werden kann, so muß man doch gestehen, daß die Ver hältnisse in der neuen Partei — oder Parteigruppe, wie einzelne sagen, denen der Gedanke einer vollkommenen Spaltung unsympathisch ist — uock> sehr der Klarheit bedürfen. Wir haben Grund, anzunehmen, daß die in unserer Ausgabe vom Freitag nachmittag erwähnten Namen Enke, Dürr, Hübner, Kunath, Dr. Brückner, Facins und Knobloch richtig sind, daß sic aber noch der Ergänzung bedürfen. Das erscheint um so notwendiger, als mehrere gerade von diesen Herren mehr konservativ als frei zu nennen sind. Ja, es hat den An schein, als wenn hinter den Kulissen die Mittelstandsvereini gung sehr tätigen Anteil an der Aktion genommen hätte. Von drei dieser Herren wenigstens weiß man ganz genau, daß sie sich in der konservativen Partei nicht mehr recht wohl gefühlt haben, weil sie ihnen nicht genug für den Mittelstand leistete. Wie unter solchen Umständen die gerade für solche Politiker wichtigen Fragen der Umsatzsteuer, Warenhaussteuer usw. in der freikonservativen Partei behandelt werden sollen, ist vorderhand mehr als rätselhaft. Wir erinnern daran, daß der ehemalige Abgeordnete Behrens sich gegen eine solche Steuer aus gesprochen hat. Es wird nun interessant sein, zu beobachten, ob und wie sich die neue Fraktion zu einer neuen Partei auswachsen wird. Tie be deutendsten Vertreter des sogenannten freikons-rvativen Gedankens — wenn wir diese Bezeichnung anwenden wollen, bis die Partei selbst mit einem anderen Namen an die Oesfentlichkeit tritt —, sitzen zurzeit nicht in der Zweiten Kammer, und sie stehen in ihren Ansichten, wie erwähnt, den oben bezeichneten Parlamentariern nicht gerade sehr nahe. Wir denken da in erster Linie an die zwei Männer, von denen die Bewegung eigentlich ausgegangen ist: Behrens und Beutler. Der ehemalige Abgeordnete für den 2. Dresdner Wahlkreis hat in seiner jahrelangen politischen Tätigkeit die Vorarbeiten geleistet, Oberbürgermeister Beut ler hat in der bekannten Versammlung mit seinen Revisionsvorschlägen zum Parteiprogramm den ersten entscheidenden Schlag geführt. Aller dings war es nur ein einziger Schlag. Dann zog er die Hand vom Werke ab und überließ es anderen, in die Kerbe zu hauen. Man wird jetzt ab- warten müssen, ob der freikonservative Gedanke in ihm einen energischen Verfechter in der Ersten Kammer finden wird. Nach seinem bisherigen Verhalten hat man Grund, daran zu zweifeln. Behrens wird voraus sichtlich sofort den Mut der Ueberzeugung finden, ja es wird ihm wohl eine willkommene Gelegenheit sein, das Tischtuch zwischen sich und den Männern zu zerschneiden, die ihn im Wahlkampf nicht nur im Stiche ließen, sondern sogar in den Rücken fielen. Von Professor Gra ve l i u s , der einige Monate lang mit großem Geschick der revisionisti schen Gruppe einen Einfluß in der gesamten Partei verschaffte, der von der Mehrheit der Fraktion unangenehm empfunden wurde, hat man in den letzten Wochen wenig gehört. Man hat ihn auch bei den Verhand lungen der neuen Fraktion nicht gesehen, kann aber daraus nicht schließen, daß er der Sache fern steht. Und schließlich werden sich die Augen der unbeteiligten Zuschauer auf einen Mann richten, der während des Sommers so viel von sich reden machte, nachdem er es gewagt hatte, der konservativen Parteileitung das harte Wort von der Ncbenrcgierung ins Gesicht zu schleudern — Herrn v. Nostitz. Ohne ihn wäre die Partei nicht vollständig, und wenn diese Politiker im Ernste von ihren bisherigen Freunden abrücken, wird die konservative Partei einen schweren Verlust erlitten haben. Ganz anders liegt die Frage, ob durch diese sich anbahnende neue Parteibildung, die zunächst nur unter den Abgeordneten sich vollzieht, nicht aber schon unter den Wählern — für den politischen Fortschritt in unserem Lande etwas gewonnen wird. Hier wäre ein weitgehender Optimismus sehr wenig am Platze. Mag sein, daß diese neue Frak- tionsbildivig insofern bald politisch von Bedeutung wird, als durch sie die Aussichten für das Zustandekommen der Wahlreform vermehrt wer den, und zwar in dem Sinne, daß dabei der agrarisch-konservative Ein fluß vermindert wird. Allein wie weit die sreikonservativc Gruppe sich wirklich Politisch fortschrittlich zeigen wird, steht noch sehr dahin, und die Möglichkeit ist nicht zu verkennen, daß eine solche neue politische Gruppe für sehr gemäßigt liberale Mitglieder der nationalliberalen Partei eine bedenkliche Anziehungskraft ausüben könnte. Das wäre an sich kein Schaden, als dann die nationalliberale Partei, von dem Einfluß solcher Männer befreit, sich um so leichter und entschiedener auf ihren liberalen Charakter besinnen und ihm entsprechend han deln kann. Aber momentan kann dies zu einer numerischen Schwächung der Nationalliberalen führen. Auch das also wird man bei den gegenwärtig sich vollziehenden parteipolitischen Aenderungcn im Auge behalten müssen. Ein warmes Willkommen wird dem Kaiser jedenfalls nur auS deutschen Munde entgegenschallen. Tie Botschaft hat es sich wieder ein mal nehmen lassen, bei dieser glänzenden Gelegenheit ein Sammelpunkt des Deutschtums zu sein. Einzelne deutsche Vereine, namentlich die militärischen, sind aber von dem Lordmayor Elect geschickt genug zur Beteiligung an der Begrüßungsfeier in der City eingeladen worden. So kommt die erwünschte warme Note in den kalten englischen Empfang. Ob den Deutschen Londons, die Außerordentliches sür das Deutschtum in England geleistet haben, wohl bei dieser Gelegenheit ern freundliches Wort zuteil werden wird? Von anderer Seite wird allerdings aus London geschrieben: Es steht fest, daß mißmutige Stimmen über den Deutschen Kaiserbesuch ganz allein von zwei Seiten laut geworden sind, nämlich von feiten der ganz extremen britischen Sozialdemokratie und von den „Times". Man weiß bestimmt, daß der bekannte Artikel dieses Blattes hier in allen Kreisen aufs höchste verstimmt hat. Jeder Engländer spricht davon als dem anstößigsten Leitartikel, der feit vielen Jahren in einem englischen Blatte erschienen ist. Eine ganze Anzahl englischer Blätter von ganz entgegengesetzten politischen Anschauungen haben Artikel veröffentlicht, in denen sie die Haltung der „Times" aufs schärfste verurteilen. Tatsächlich hegt jedermann in Eng land den Wunsch, daß dem Deutschen Kaiser ein ausgesprochen herzlicher Empfang zuteil werde. Viel wird von dem persönlichen Eindrücke ab hängen, den der Kaiser und der Kanzler, falls ihn dieser begleitet, in den offiziellen Kreisen erwecken werden. Man rechnet auf wenigstens eine öffentliche Ansprache aus dem Munde des Kaisers; vermutlich dürfte diese bei dem Bankett in der Guild Hall in Erwiderung des Trink spruches erfolgen, den der Lord Mayor auf den Kaiser ausbringcn wird. Jeder Buchstabe dieser Rede wird natürlich von den Engländern mit der größten Sorgsamkeit geprüft werden, und der Einfluß, den die kaiser lichen Aeuherungen auf die Stimmung hierzulande ausüben werden, kann sehr groß sein. Des Ncnsers Empfang in C-n-sir. lVon unserem Londoner U.-Korrespondenten.) Wenn man die offiziösen Berichte über die Vorbereitungen zum Londoner Kaiserempfang liest, wie sie von freiwilligen und bezahlten Schönfärbern daheim verbreitet werden, so kann das gefährliche Tun einem nur e'n grimmes Lächln entlocken A!^ AuslanddeuCcher hat man seit Jahren in Neigendem Grade die Empfindung: die Sturrilität wächst noch schneller als der bramarbasierende Dünkel und in gleichem Grade, wie die Berechtigung zum politischen Stolz abnimmt. Es ist von scher für ein Volk nichts schwerer gewesen, als eine reelle Erkennt nis, wie 'eine Vertreter im Auslände ausgenommen werden, besonders wenn diese Vertreter zur Dynastie in Beziehung stehen. Aber man sollte einer reifen Nation wie der deutschen doch nicht Scheuklappen anzulegen versuchen. Die Wahrheit kommt dann nur unter noch mehr beschämen den Umständen an den Tag. Der Angriff der „Times" aus den Fürsten Bülow, als dessen Begleitung angekündigt wurde, sollte doch ausklarend genug gewirkt haben. Die „Times" sind mit diesem wütenden Ausfall, wie wir mit Bestimmtheit wissen, das Organ politisch recht einflußreicher Hofkreise gewesen. Man hat positiv den Kaiser abschreckcn wollen, den Fürsten mitzubringcn, über dessen wachsames Auge auf die Wilhelms- Höher Entrcvue sich der König Eduard schon geärgert hatte. Der mäßigende Einfluß des Fürsten auf den Kaiser, speziell in der Marokko- frage, ist hier immer unwillig empfunden worden. Vor der Reichstags auslösung ist von englischen .Hofkreisen in Berlin mit dem größten Nach druck auf Fürst Bülows Sturz hingearbcitet worden. Es ist selbstver ständlich, daß der Fürst nun nach Windsor mitgehen muß. Ebenso selbst- verständlich wird aber seine Anwesenheit die Atmosphäre nicht sonniger und wärmer machen, als sic ist. Was bisher zum Empfange unseres Kaisers geschehen ist, sieht jeden falls so aus, als ob man die Eiseskälte, die unsympathische Haltung, wo mit die Mehrheit der Bevölkerung diesem Besuche cntgcgcnsieht, auch demonstrativ zum Ausdruck bringen wolle. Es ist von deutscher Seite viel Wesens daraus gemacht worden, daß die City dem Kaiser das Ehrenbürgerrecht verleihen wird. Die City hat dies Recht aber noch keinem Fürsten verweigert, der mehr als einmal zur Staatsvisite nach London gekommen ist: nicht einmal dem König von Portugal. Es wäre auf eine grobe Taktverletzung hinausgelaufen, unterbliebe diese Ver leihung. Man hat dann allerhand Märchen erzählt, daß 13 Firmen zu einem künstlerischen Wettbewerb für die Herstellung des „goldenen" Kästchens für den Bürgerbrief eingeladen, und daß 30 000 .E dafür aus gesetzt worden seien. Die Wahrheit ist, daß für den üblichen Kasten Offerten von 13 Firmen eingcholt worden sind, und zwar in einer billi geren und rascher hcrzustcllendcn Form als gewöhnlich. Der Spaß lostet die Korporation der City auch so noch 21000 .<l; nur ein Teil des Kästchens ist goldplattiert. Die Zeiten sind schlecht, die City muß sparen: der Besuch des Deutschen Kaisers scheint ihr eine passende Ge legenheit, damit zu beginnen. Dann haben deutsche Berichte von den „Konferenzen" zu melden gewußt, welche über die Ausschmückung der Straßen beraten haben sollen. Man hat auch schon von Spalier bildungen des Publikums, einer in England überhaupt nicht üblichen Ovation, gesprochen. Die Wahrheit ist folgende: Marylebone ist der reichste der Flecken, in deren Zug die Anfahrtsstraßen des kaiserlichen Wagens liegen. Marylebone hat bei Anwesenheit des Königs von Italien 15000 .E für die Straßendekoration hergegeben. Für den Be such des Deutschen Kaisers ist beantragt, „nicht über 150 L" 13000 „kl) zu bewilligen. Tic Wahrheit ist eben, daß aus bekannten Gründen Kaiser Wilhelm II. in England seit dem Burenkrieg nicht nur „un- populär" geblieben ist, sondern daß seine Unpopularität in demselben Grade gewachsen, wie die Popularität König Edwards gestiegen ist und noch steigt. Die volkstümliche Auffassung sieht in den beiden Monarchen die beiden großen Antagonisten der Zeitgeschichte und gibt dem fremden Neffen gegen den eigenen Onkel mit schöner britischer Parteilichkeit ohne weiteres unrecht. Unrecht geben heißt beim Engländer aber aucy hassen. Das ist ein recht naiver Zustand der Volksseele. Indessen die britische Volksseele ist immer naiv gewesen, und es wäre Torheit, die Stimmung ihrer Naivität wegen zu ignorieren. Je tiefer man in die ungebildeten Klassen hinuntersteigt, desto heftiger wird diese Stimmung. Die Anarcho-Sozialisten in den Dockvierteln z. B. — um die unterste Schicht als die bezeichnendste zu nehmen — haben offen erklärt, daß sic die An wesenheit Wilhelms II. zu einer Demonstration gegen das Deutschtum und seinen Kaiser benützen wollen. Die Polizei wird sicherlich mit iedem derartigen Versuch prompt fertig werden. Aber auch von viel besseren Klassen sind unfreundliche Gefühlsäußerungen, die sich nicht unterdrücken lassen, keineswegs ausgeschlossen. Ob man den Monarchen darüber unterrichtete? Die Caae -er Christen in -er Tnrkei. Auf dem Pariser Kongreß im Jahre 1856 forderte Ali Pascha die Aufhebung der Kapitulationen, weil alle Reformen in der Türkei durch geführt seien und das ottomanische Reich sich fernerhin in nichts Wesent lichem mehr von den andern europäischen Ländern unterscheide. Seitdem hat es zur Taktik aller ottomanischen Staatsmänner gehört, zu be haupten und durch die ihnen zu Gebote stehende Presse immer wieder beteuern zu lassen, daß Europa in Sachen des Liberalismus vor der Türkei nichts mehr voraushabe und vor allem die Religionen unter der Acgide des Sultan-Kalifen sich alle eines gleichen Schutzes und weit gehendster Duldsamkeit erfreuen. Unabhängige Schriftsteller haben sich rann durch eine übertriebene Würdigung des Voltaireschen „Ecrasez 'infame" aus Haß gegen das Christentum verleiten lassen, solche Ver- icberungen für bare Münze zu nehmen und den Glauben zu verbreiten, daß die Türken in der vollkommensten Weise den Grundsatz der Ge wissensfreiheit zur Geltung brächten. Man braucht aber nur eindring lich die Geschichte zu befragen, um vom Gegenteil überzeugt zu werden. Ucberall wo die Muselmanen die Oberhand gewannen, wurden die unterworfenen Völkerschaften vor die Alternative gestellt, den Turban entgegenzunehmen und dann an der Beute der Sieger Anteil zu haben, oder dem Kreuze treu zu bleiben und zu dem Zustand von Heloten herab gewürdigt zu werden. Auf diese Weise ist der Islam bei der Bekehrung der ganzen feudalen Kaste in Bosnien, der Herzegowina, in Kreta und Albanien vorgcgangen. Solange die Türken erobernd vordrangen oder solange sie auch nur in der Lage waren, die Offensive gegen das Christen tum wieder aufzunehmen, erhielten sie Zuzug in einer beträchtlichen Zahl von Renegaten, die sich teils aus Abenteurern aus aller Herren Länder, teils aus Sklaven zusammensetzten, die das Schicksal der Waffen in die Hände der Osmanli gebracht hatte. Die Kriege Ungarns, Deutschlands und Polens, wie die Erpressungen der berberischen Piraten verschafften den Sklavenmärkten reichlichen Zufluß. Von solchen Gefangenen traten sehr viele schließlich zum Islam über, um ihrem unglücklichen Lose ein Ende zu bereiten und ihre Freiheit wieder zu gewinnen. Eine Liste aller Paschas, Sandschak-Beys, Beglerbegs, und selbst Großwcsire, die christliche Renegaten oder Söhne von Renegaten gewesen sind, würde wohl die Hälfte der Namen derjenigen Männer umfassen, die die Annalen der Türkei mit Anerkennung verzeichnen. Als aber die Türken, anstatt daran denken zu können, in christliche Staaten einzufallen, vor allem darauf bedacht sein mußten, ihre eigenen Besitzungen zu ver teidigen, sahen sic sich genötigt, auf die ausgedehnten Menschcnjagden im Tal der Donau und in der Ukraine zu verzichten, die vorher ihre Expeditionen kennzeichneten: und als die Berber, infolge der Treib jagden europäischer Flotten ihre Seeräuberei aufgeben mußten und die französische Flagge über Alaier wehte, verschwand die christliche Ware von den Sklavenmärkten. Seitdem muß sich der gewalttätige Bc- kchrungseiser der Türken damit bescheiden, Knaben und besonders Mäd chen nach entlegenen Orten des Reiches zu entführen. Die Folge solcher Entführungen ist immer die gewaltsame oder freiwillige Bekehuung des Opfers zum Islam: denn das ist für den Räuber ein sicheres Mittel, um sich vor jeder gerichtlichen Verfolgung zu schützen und sich im Besin seiner Beute zu erhalten. Nach dem „Heiligen Gesetz", dem auch der Sultan unterworfen ist, darf ein selbst mit Gewalt zum Islam bekehrter Giaur bei Strafe des Todes dem mohammedanischen Glauben nicht wieder untreu werden. Jemand, der im Zustande des Irrsinns die ge heiligten Worte spricht, die genügen, um sich zum Islam zu bekennen, ist ein echter Mustlman geworden. Schließlich bestimmt das Gesetz des Scherifen, daß minderjährige Kinder eines zum Islam Bekehrten ohne tvciteres Anhänger des Propheten werden und des Todes schuldig sind, wenn sie im mündigen Älter zu ihrem ursprünglichen Glauben zurück kehren wollen. Seitdem die in der Türkei lebenden Christen im letzten Jahrhundert sich ihrer Rasse und Nationalität bewußt wurden, haben sie nicht auf gehört, sich zu vermehren, während die Muselmanen zurückgingen. In den Dörfern mit gemischter Bevölkerung kann man sich durch einen Vergleich des gegenwärtigen Verhältnisses mit dem vor dreißig oder fünfzig Jahren herrschenden über die Fortschritte Rechenschaft geben, die die christliche Bewohnerschaft auf Kosten der muselmaniichcn erzielt hat In Orten, wo die Christen früher nur durch einige Familien ver treten waren, sind sie jetzt in der überwiegenden Mehrheit. In Konstan tinopel selbst kann man solches Zurückweichen der Muselmanen vor den Christen beobachten. Diese sind eben fruchtbarer, arbeitsamer, wirt schaftlicher, unternehmender als die Muselmanen und erlangen dadurch ganz von selbst das Uebergewicht. Die türkische Regierung hat oft durch Metzeleien das Gleichgewicht wieder herzuftellcn gesucht, aber solche sind immer gefährlich, da sie leicht zu europäischen Einmischungen führen können. Deshalb bleibt nichts übrig, als zu gewaltsamen Bekehrungen seine Zuflucht zu nehmen. Gegenwärtig hat es die islamitische Pro paganda vor ollem auf eine Schwächung der griechisch Orthodoxen ab gesehen. Das hat das ökumenische Patriarchat veranlaßt, in einer Denk schrift gegen bezügliche Handlungen türkischer Behörden zu protestieren. Eine ganze Reihe haarsträubender Fälle wird ausgeführt, wo Entfüh rungen und gewaltsame Bekehrungen stattfanden, ohne daß behördlicher seits auf Verlangen der Angehörigen solcher Opfer irgend etwas da-
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