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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 24.10.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-10-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071024011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907102401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907102401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-10
- Tag1907-10-24
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Bezug»-Prei» Hr L«t»»ta und vor»«, durch »»ter« Lr»,«r und Sprdttrur» tu« Hau« -rbrachtr Lu«,ab« t^nur mar^rn»^ dkrtrljährltch Sutaab« » (morgen« uL abend«) »tertil- tthrltch 4.« M.. monatlich t.üv «. Durch di« Post b«,oar» (2 mal täglich) innerhalb Deutichland« und d«r deutichen Kolonien »trrteljlhrlich 5,25 «., mon-tlich 1,75 M. -ullchl' «ost. bestell,eld iür Oesterreich 9 L «6 k. Ungar» S L vierteljShrltch. Lbonnemenl-Annabme: Uugustutvlatz 8, bet unseren Lrtgeru, Atltalen, Spediteuren uad Snnntztnestellen, sowie Pofttmtrrn und BrieftrLger». Die einzelne Nummer kostet ist Pfg. Redaktion und Expedition: JohanniHgasse 8. relevhon «r. I4S92, Nr. I4S88, Nr. I4SS4. Berliner Nedakttond Bnrean: Berlin 7 Prinz Laut« Ferdinand- Straße l. Telephon l, Nr. 927b. Morgen-Ausgabe 8. Handelszeitung. Nmlsvratt des Rates im- -es Rolizeiamles -er Lla-t Leipzig. Nr. 295 Donnerstag 24. Oktober 1907. Anzeige« Preis sdr Inserat« au« Leipzig und Umgebung di« Sgelpaltene Pettlzeile 25 Pt., ftnanzielle «nzeigen SO Pt., NeNamen I M.; von au«wLrt« gl) Ps., Neklamen 1.20 M vomAutlandbOPs., ftnanz. Anzeigen75Ps. Reklamen 1.50 M. Inserate». vebSrden im amtlichen Teil «0 Ps. Beilagegebübr 5 M. p. Lausend exN. Post gebühr. cheschüsitanzeigen an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt noch Laris, gesterteilt« Aufträge können nicht zurück gezogen werden. Für da» Erscheinen an bestimmten Lagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. «neigen-Annahme: Augustutzplatz 8 bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Expeditionen de« In- und «uriande». Haupt -Filiale verltn i Sarl Dunck: , Herzog!. Bahr. Hofbuch handlung. Lützowstratze IO. crelephon VI. «r. «803). 1ÜI. Jahrgang. Das wichtigste vom Tage. * In der sächsischen Zweiten Kammer wurde gestern die Interpel l ation über die Leipziger Eingemeindungs frage behandelt. fS. Ber.) * Der Prozeß Moltke-Harden begann gestern, wurde aber im Laufe der Verhandlungen auf heute vertagt. lS. Art. und Ber.) * Es verlautet aus Wien, der Papst habe den ehemaligen Provinzial der österreichischen Dominikaner Peter Andreas Fruhwirth als Nuntius für München in Aussicht ge nommen. * Im bayerischen Landtage wurde von neuem die Schwierigkeit der im neuen Zolltarif vorgesehenen Differenzierung des Zollsatzes für Malzgerste und andere Gerste behandelt. (S. Dischs. R.f * Dr. Lueger hielt im Reichsrat eine Rede gegen die Ob struktion der Ausgleichsvorlagen. sS. Ausl.) * Der Schah hat die Entlassung des Ministeriums ange nommen. lS. Ausl.) Vorn zweiten deutschen Arbeiter kongvesz. Das bekannte Glück der Sozialdemokratie besteht zum großen Teil auch darin, daß die auf dem Boden der heutigen Gesellschaftsordnung stehenden Arbeiter nicht einheitlich organisiert sind. Es gibt, von ganz unwesentlichen Organisationen abgesehen, drei nichtjozialdemokratische Arbeitervereinigungen in Deutschland: die christlichen, die Hirsch- Dunckerjchen und die vaterländischen, sogenannten gelben Gewerkschaften. Die ersten und zahlreichsten von ihnen, die christlichen, halten zurzeit in Berlin ihre Generalversammlung ab, die sie Deutschen Arbeiterkongrcß nennen. Wir machen kein Hehl daraus, daß wir bei aller Freundschaft für die nichtsozialdemokratischen Arbeitervcrbände, doch gerade die Be tonung des christlichen Moments in den Satzungen des stärksten Ber. bandes für einen Mißgriff halten. Nebenbei ist es ganz sicher, daß dieser Mißgriff nur ein historisches Uebel ist. Würden diese Gewerkschaften heute gegründet, so könnte man an nehmen, daß es vermieden werden würde. Aber dieser Gewerkschastsverband ist im wesentlichen aus kon fessionellen Arbeitervereinigungcn hervorgegangen. Und heute dürste es ungemein schwer halten, das völlig überflüssige Moment zu eliminieren. Die Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften lassen zwar die Konfessionen gebührendermaßen aus dem Spiele. Dafür aber gelten sie nicht ohne Grund, auch eine Folge ihrer Geschichte, als ausschließliche Gefolgschaft der freisinnigen Parteien. Die vaterländischen oder gelben Gewerk schaften leiden tatsächlich unter dem Mißtrauen der übrigen Arbeiter schaft, nur eine ergebene Schar unbedingt Arbeitswilliger und von dem Wohlwollen ihrer Arbeitgeber abhängig zu sein. Das wird nicht der allen diesen Gewerkschaften zntreffen und ganz gewiß nicht bei allen ihren Mitgliedern. Aber der böse Ruf ist leider vorhanden und wird schwerlich zu bessern sein. Also schleppen alle drei nichtsozialdemokra tischen Äewerkschaftsarten ihren Ballast mit sich herum, zum Vorteil und zur Freude der Sozialdemokratie, die demgegenüber ihre völlig un belastete Arbeiterinteressenvertretung preisend hervorhebt. Auf dem Deutschen Arbeiterkongreß zu Berlin ist das Wort der Hirsch-Dunckerschen zitiert und mit Gelächter ausgenommen worden, der Kongreß stehe auf antisemitisch - konservativ - klerikal - ultramontanem Standpunkt. Das Gelächter war berechtigt, soweit die Charakterisierung die Intensität der wirtschaftlichen Jnteresfenvcrtretung in den christlichen Gewerkschaften diskreditieren sollte. ES war aber nicht berechtigt in bezug auf die politische Wablhilfe. Und naturgemäß muß es den liberalen Parteien angesichts dieser gar nicht zu bestreitenden Tatsache sehr schwer fallen, die Entwicklung der christlichen Gewerkschaften zu fördern oder auch nur mit Ruhe zu beobachten, auch wenn ihre Bedeutung als heil sames und schwerstes gewerkschaftliches Gegengewicht gegen die sozial- demokratischen Verbände voll gewürdigt wird. Es wäre schon viel ge- Wonnen, wenn die christlichen und die Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften sich verbinden und zu einem gemeinsamen Verbände zusammentreten wollten. Man dürfte von einer solchen Fusion hoffen, daß sie beide Teile zu größerer Toleranz führen und vielleicht doch einmal zur Grün- düng einer rein nationalen Arbeiterorganisation bringen könnte. Daher kann man dem weiten Blick des Frhrn. v. Berlepsch, des ehrlich sozialen früheren Handelsministers, gar nicht genug dankbar sein. Dieser tapfere Mann bemüht sich seit langer Zeit nm die Fusion. Er ist auch einer der wenigen, die kraft ihrer Autorität und ihres hingehenden sozialen Wirkens ein solches Unternehmen anfassen könnten, ohne auf Mißtrauen von beiden Seiten zu stoßen. Bisher sind seine Anstrengungen vergeblich gewesen. Es kam sogar am Montag auf dem Kongreß zu ganz unzwei- heutigen Ausbrüchen heftigster Abneigung gegen die Hirsch-Dunckerschen. Aber um so mehr ist es anznerkennen, daß Frhr. v. Berlepsch nicht ver. zagte und noch am selben Tage dem Kongreß ins Gewissen redete. Er vermied es zwar, den christlichen Gewerkschaftsvertretern ihre eigene unsachgemäße Unduldsamkeit vorzuwerfen, aber er sagte, daß er auch weiter die Rolle des ehrlichen Maklers spielen wolle. „Ich werde nicht ablassen, auch an Ihr Ohr und Gewissen zu appellieren. Die Schuld frage will ich nicht erörtern: denn wenn man zu einer Versöhnung kommen will, muß man zuerst vergessen lernen." Und diesen Worten folgte „lebhafter Beifall". Also hoffen wir mit Freiherrn v. Berlepsch. Aussichtslos mußte dagegen jeder Versuch erscheinen, auch eine Ver ständigung mit den „gelben Gewerkschaften anzubahnen. Und eS ist bezeichnend, daß ein solcher Versuch auf dem Kongreß auch von keiner Seite unternommen worden ist. Ein« dem Kongreß vor- geschlagene Resolution svricht sich mit größter Scharfe über die „Gelben" auS, bezeichnet sie als Zwittergründungen, welche die ideellen und materiellen Interessen der Gewerk schaften nur schädigen könnten, beschuldigt sie reaktionärer Tendenzen und bezeichnet sie als den nationalen Interessen direkt schädlich. Und warum daS alles? Weil die „Gelben' größtenteils von Vorgesetzten begründet worden sind und beeinflußt werden. Hier zeigt sich der Kardinalfehler dieser Gebilde. Der moderne Arbeiter will keine Wohl taten, sondern Rechte, und er hat ein erklärliche« Mißtrauen gegen Organisationen, die abhängig sind oder auch nur abhängig scheinen von anderen als Arbeiteriitteressen. Es ist deshalb nicht schwer zu sagen, daß diese Organisationen niemals ein gewichtiger Faktor im poli tischen oder gewerkschaftlichen Leben werden können, solange sie nicht einen Strich unter ihre Vergangenheit , machen und sich zn völlig selbständigen Gebilden umgestalten. Schon ihre Gründung war ein Fehler, ein Versuch mit untaug- lichen Mitteln. Doch sei wiederholt, daß dies Urteil nicht auf jede einzelne der kritisierten Organisationen ausgedehnt werden soll. In der Beurteilung der christlichen Gewerkschaften ist eine mehrfache Wandlung zu beobachten gewesen. Und auch je nach dem Stand punkte ist natürlich die Beurteilung verschieden. Die Regierung hat sich erst recht allmählich mit dem Gedanken vertraut gemacht, daß es not wendig ist, diesen Organisationen vieles zu konzedieren, um der Sozial demokratie einen Damm entgegensetzen zu können, den polizeiliche Ver ordnungen und gesetzgeberische Maßnahmen nie allein bilden können. Heute endlich hat man sich zur Anerkennung der christlichen Arbeiterorga nisationen entschlossen, denn dasErscheinen des neuen Staatssekretärs des Innern auf dem Kongreß bedeutet die volle Sanktion. Und man muß anerkennen, daß die politische Lage zu einem solchen Schritt zwingt, auch wenn man die oben geäußerten Bedenken nicht vergißt. Solange diese christlichen Organisationen mit ihrer Zusammenfassung von einer Million Arbeiter die stärkste Arbeitervereinigung auf bürgerlichem Boden sind, muß man sich an sie halten, wenn man etwas gegen die Sozialdemokratie ausrichten will. Im Unternehmertum genießen die christlichen Gewerkschaften mancherorts heute noch einen Ruf, der sie den sozialdemokratischen gleichstellt. Tas ist bedauerlich und kurzsichtig, selbst wenn man zugeben kann, daß die nächsten wirtschaftlichen Forde rungen der „Christlichen" sich wenig von denen der Sozialdemokraten unterscheiden. Denn es ist auch zu beachten, daß die sozialdemokra tischen Organisationen nur deshalb ihre weitergehenden, ruinösen Forde rungen zurückstellen, um die Arbeiter nickt in die Arme der christlichen Gewerkschaften zu treiben. Sie verhüllen ihre Endziele. Von den Parteien ist schon gesprochen worden. Aber es mag das Bedauern wiederholt sein, daß es heute noch keine nationale Arbeiterorganisation gibt, deren Zielen man im vaterländischen wie sozialen Interesse gleichermaßen freudig und uneingeschränkt zustimmen könnte. Ttaröinnl rind Kvofessov. Wie wir schon unter den letzten Telegrammen unserer gestrigen Abcndnummer meldeten, hat der Kölner Erzbischof Kardinal Fischer vorläufig den katholischen Theologen den Besuch der Vorlesungen des Professors der Kirchengeschichte an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Bonn, I). Heinrich Sckröers, untersagt. Der Grund für die Maßregelung liegt darin, daß Schröcrs eine Denkschrift ,,Kirche und Wissenickaft" veröffentlicht hat, in der er die Zustände in der Bonner katholisch-theoloaischen Fakultät schildert. Durch dieses Vorgehen des Erzbischofs, der sich nicht auf eine Diskussion über die Angriffe Sckröers' einläßt, sondern kurzerhand in ihm den untergebenen „Priester sicht, der gegen seine rechtmäßig kirch lichen Oberen eine derartige Stellung einzunehmen unternimmt" — wird die Denkschrift erst zu ihrer vollen Bedeutung gebracht. Was enthält sie? Es geht aus ihr hervor, daß der Kölner Erzstuhl mit alleiniger Ausnahme der kurzen Zeit von 1896—1892, da D. Simar Erzbischof war, einen konsequenten, mehr oder weniger heimlichen Kampf gegen die Bonner Fakultät gcfnh-t hat um ihren wissen schaftlichen Einfluß au» ve„ yerauwachjenden K.crus möglichst lahmzulegen und ihren Betrieb auf einer gewissen subalternen Stufe fcstzuhalten. Was heute überall durchaus anerkannter Grundsatz ge deihlichen Univcrsitätsstudiums ist, die Vertiefung und Verselbständi gung wissenschaftlicher Arbeit in den verschiedenen Seminarien, daran nahm der Kötner Erzstuhl seit den Tagen des Erzbischofs Kre mend mit verdächtigem Euer Anstoß. Letztgenannter Kardinal erklärte geradezu, daß „es seinen Wünschen durchaus entspreche, wenn die künf tigen Seelsorger mit einer eigenen wissenschaftlichen Ausbildung ihre Zeit nicht verlören." Dieser Gesinnung entsprach dann unter ihm die Lahmlegung der bestehenden kirchcnhistorischen, dogmatischen und anderen Seminarien durch eine veränderte Hausordnung des Kon vikts, wodurch schließlich den Studierenden einfach untersagt wurde, nach 6 Uhr noch außerhalb des Konvikts zu weilen, v. Simar stellte die Seminare zwar wieder her, aber, wenn es Erzbischof Fischer dabei beließ, so geschah es nur, weil er einen anderen Weg ge funden hatte, um die „Gefährdung" des Seelsorgeklcrus durch eine allzu gründliche Beschäftigung mit deutscher Wissenschaft zu verhindern. Jede Fakultät, wenn anders sie innerhalb der höchsten wissenschaftlichen Orga nisation des Staates existcnzberechtigt sein will, legt bekanntlich Wert darauf, sich einen wissenschaftlich arbeitenden Nachwuchs heranzuzieben. Da das übliche Triennium dazu nickt ausreicht, so bat die Bonner Fa kultät schon im Jahre 1908 den Erzbischof, zwei Studenten, die sich als geeignet erwiesen batten und Lust zur wissenschaftlichen Laufbahn zeigten, ein längeres Studium zu erlauben. Die Genehmigung wurde auch erteilt, die Fakultät verschaffte daraufhin dem einen Studenten ein Stipendium, dem anderen den besoldeten Posten eines Bncherwarts, als aber das neue Semester begann, blieben die Studenten aus. Auf weiten privaten Umwegen erfuhr die Fakultät, daß den Stu denten die Fortsetzung des Studiums dann doch unterlagt worden war: sie hatten ins Kölner Seminar eintreten müssen. Zugleich wurde der Fakultät durch einen anderen Fall zu Bewußtsein gebracht, daß Erzbischof Fischer strikt am Triennium festhielt. Als mehrere Studenten, unter ihnen drei, die aus rein wissenschaftlichem Eifer noch auf der Universität zu bleiben wünschten, sich am Abschluß des drei jährigen Studiums nicht zum Examen meldeten, wurde ihnen bekannt gegeben, daß sie sich unbedingt zum Jntroituseramcn zu stellen hätten. Einigen anderen in gleicher Lage wurde befohlen, wissenschaft liche Arbeiten für das kirchenhistorische Seminar sofort einzustellen. Da bei blieb es. Professor Sckröers konstatiert dazu: „daß das Fischersche System eine Einschränkung der persönlichen Freiheit, einen unnatürlichen Zwang bedeute, der schon deshalb ver mieden werden müsse, weil der Sckritt von der Universität zu dem geistlichen Beruf von nur wirklich Vorbereiteten und Würdigen ge tan werden dürfe, und weil man nickt das Reckt habe, einen jüngeren Menschen, der aus irgend welchen Gründen sich noch für unwürdig halte, zu diesem Schritt zu drängen." Im übrigen wird der tiefere Grund, warum der Kölner Erz stuhl die Bonner Fakultät an der Heranziehung eines eigenen Nach wuchses hindert, durch die Mitteilungen deutlich, die Prof. Schröers über das B«nner Konvikt selbst macht. Dies Konvikt ist unter Kardinal Fischers oberhirtlichem Regiment über seine ausdrückliche Be stimmung, lediglich als E r z i e h u n g s i n st i t u t zu dienen, völlig hinausgewacksen. Entgegen den Erzbischöflichen Statuten ist es mehr und mehr ein Unterrichtsinstitut geworden. Unter dem Namen von „Repetitionen" werden regelrechte Vorlesungen gehalten, neben und wohl auch gegen die Vorlesungen der Professoren an der Universität. Dabei wird dem Studium im Konvikt nickt immer die ein wandfreieste Literatur zugrunde gelegt. Z. B. wird für die philosophi schen Studien ein lateinisches Lehrbuch des italienischen Dominikaners Lott in: verwendet, von dessen Rückständigkeit und jesuitischer Färbung Schröers mehrere Proben gibt. So wird in ihm u. a. dem Staate schlechthin die Befugnis des Schulzwanges abgesprochen- als die beste Form der bürgerlichen Verfassung gilt dem Dominikaner und Lehrer deutscher Geistlicher der fürstliche Absolutismus, mit etwas ständiger Vertretung bocharistokratischer Art verbrämt, als die schlechteste Form der konstitutionelle Staat und Parlamentarismus. Nach einer weiteren Kritik der Ferienarbeiten lm Konvikt und der Abschlußprüfungen kommt Schröers schließlich zu dem Schluß, daß „im Konvikt sich eine förmliche Nebenfakultät ge bildet habe. Es kann kein Zweifel darüber sein, daß Prof. Schröers nur seiner Gewissenspslicht als Professor einer deutschen Universität nachkam, wenn er diese gegen eine staatliche Fakultät gerichteten erzbischöflichen Quer treibereien an das Lickt der Oesfentlickkcit brachte, und er verdient des- wegen die Anerkennung aller Kreise, die Freiheit der Wissenschaft von priesterlicher Beeinflussung wünschen. Der ganze Vorgang aber zeigt nur allzu deutlich, daß der Bonner Fakultät gegenüber durch Vermittlung des Kölner Erzbistums der famose Ueoerwachungsdienst kirchlichen Mißtrauens, den die Paszendi- Enzyklika amtlich bestätigte, längst bestens und „ausgezeichnet" funk tioniert hat. Unwillkürlich aber wirft man da die Frage aur, ob die^e Ueberwachung, wie sie Köln gegen eine moderne deutsche Universität ausübt, nicht vielleicht gar den Ideen der Enzyklika vorangeeilt ist und für sie vorbildlich war? Dann wäre wieder einmal ein deutscher Erz bischof päpstlicher als der Papst gewesen) v. Moltke gegen Harden. (Telegraphischer Bericht.) Die Vormittagssitzung. Berlin, 23. Oktober. Das Schöff.ngericht mit seinem bescheidenen Apparat bildet einen merkwürdigen Rahmen für einen Prozeß, ver alle Augenblicke von den höchsten Personen des Reiches, dem Kaiser, dem Kanzler, von Fürsten, Grasen, Generalen, von Krieg und Frieden handelt. Der Vorsitzende, Amtsrichter Dr. Kern, ist ein noch junger Mann von verbindlichen UmgangSsormen und einer etwas nüchternen GeschäktSgewandtheit. Die Schöffen sind Typen biederer Bürger. Vor dem Richtertische sitzen die Parteien einander gegenüber. Kaum zwei Schritte trennen die Tische. Linker Hand, vom Auditorium aus, sitzen General Kuno Graf v. Moltke, der frühere Kommandant von Berlin und Genercttakjutant, und sein Verteidiger, der bekannte Rechtsanwalt v. Gordon, der Sur besserer Jurist als Sprecher zu sein scheint, rechts Harden und Dr. Bernstein, sein Münchener Anwalt. Graf Moltke sieht auf den ersten Blick reckt stattlich aus. Die schlanke Figur trägt einen wohlgesormten Kopf m>t einer Hakennaie über kleinem Schnurrbart. Doch ist die nervöse Er regung des Mannes zu deutlich, um durch die erzwungene Ruhe verdeckt werden zu können. Harden mit seinem kleinen Gesicht, dem iusammen- gekniffenen Munde, der hohen Stirn, sieht wie immer fphinxartig aus, manchmal hockerregt, in der nächsten Sekunde kalt wie Eis. Man kann nickt einmal saien, ob er alt oder jung ist, was ja bei bartlosen Ge- sichtern häufig der Fall ist. In dem übertüllteu Raume ist eine fürchterliche Hitze. Die Presse ist vertreten wie lben bei einem Prozeß von internationaler Bedeutung. Die Korrespondenten Wiener, Pariser, Londoner Blätter machen stehend Notizen, denn nur wenige können im Sitzen schreiben wegen des Platz mangels. Adelige Zeugen füllen die Korridore. Auch Unteroffiziere d n den GarveSvulorps sind geladen. DaS Vorles-n der vom Grasen Moltke als beleidigend empfundenen Artikel und Stellen aus der „Zukunft" ist peinlich langweilig. Ader endl'ch geht es doch los, und sehr bald wird es auch interessant. Nach einiger Zeir kann man sich ein Bild von ver Taktik der Parteien machen. Harven besteht darauf, in bezug auf ven Klager nur von normwivriger. wenn auch ideeller Männer» Freunvsckafk und von anormalem Empfindungslcben gesprochen zu haben unv ist bereit, das unter Beweis zu stellen. Gsiichzeitig läßt er aber deutlich genug erkennen, daß er seinen Beweis eventuell weiter auszu- dehnen bereit ist. Das soll auf den Kläger an'ommen. Liest dieser lonlrete Vorwürfe heraus, so hätte die Beweisaufnahme sich dem anzu passen. Immer nach dem Motto: Will der Herr Graf ein Tänz chen wagen? Die Gegenpartei operiert juristisch. Entweder Hal Harden sich der Beleidigung durch den Vorwurf perverser Sexualbanv- lungen schuldig gemacht, so mag er den Vorwuif beweisen. Over er hat tattächlich nur von anormalen, aber ideellen Empfindungen ge sprochen, so ist daS seine subjektive Ansicht, die gar nicht bewiesen werden kann. Es liege em ReichsgerichlSurteil vor, das so entschieden habe. Dem Beklagten soll also der Beweis der minder grawerenvcn Vorwürfe abgeschnitten werden. Nun wird erst Bernstein, dann Harden heslig. Bernstein findet es unerhört, seinem Klienten mit solchen juristischen Mitteln den BewftS abschneiden zu wollen. Kein deutsches Gericht werde das dulden. Harven wirv nun aggressiv. Es kam nun für die angeklagte Partei alles daraus an, den Beweis zu erzwingen — und das besorgte Harden unv sein Verteiviger überaus geschickt, invem sie die wichtigsten Feststellungen der späteren Zeugen aussagen vorweg nahmen — in Schlagworten gewissermaßen. Diese Aussprüche des Grafen Moltke sinv so ungeheuerlich, daß man sich scheuen würve, sie außerhalb des Prozeßzusammenhang s überhaupt wiederzugeben. Denn cS ist Wohl noch nicht vage- wesen, daß ein verheirateter preußischer General die Ebe als „Schweinerei", daS gemeinschaftliche Schlafgemach als „Notzuchtsanstalt" und die Frau als „Klosett" schlechtweg bezeichnete. Diese Angaben Haidens waren der Wendepunkt des Prozesses, denn hiernach konnte es kaum noch zweifelhaft sein, vaß den Dewcisanträgen stattgegeben werven würbe. Und die juristr'che Konstruktion des klägerischen Anwalts konnte das Geschick nicht mehr aushalten. Aus dem ersten Teile des Prozesses ist vielleicht noch zu erwähnen, daß Harden den vom Vorsitzenden angetragenen Vergleich mit Emphase ablehnte und meinte, er zöue das Zuchthaus einem Vergleich vor, denn er würde ihm doch als Rückzug ausgelegt werden. Gegen den Botschaftsrat Lecomte von der französischen Botschaft wurden von Harven die schwersten Anklagen in sexueller und politischer Be ziehung erhoben. Desgleichen lam der nichterschienene Fürst Eulenburg nicht gut fort. Auch eine Aufklärung des Ausdruckes „Liebchen" in den Zukunfts-Artikeln wurde gegeben. Man weiß nun, wer mit dem „Liebchen" des bekannten Nachrgespräches zwilchen dem Harfner unv dem „Süßen" gemeint war. Es ist verKaiser selb st. Graf Moltke versuchte die Sache als absolut harmlos hinzustellen, eS sei ein von der alten Gräfin PourtalöS gebrauchter Ausdruck für Kaiser Wil helm I. unv sei später auf Wilhelm II. übertragen worden. In aller Ehrerbietung natürlich. DaS erinnert an den Mystizismus in der Umgebung Friedrich Wilhelms IV., der auch schon den Namen „Liebchen" trug. Man denke nur an die Zeil des Hofpr-digers von Gerlach unv seiner Umgebung und man wirv die Analogie ver blüffend finden. Nach 2 Uhr wurde vertagt auf 4 Uhr. In der Zwischenzeit wollte das Gericht sich schlüssig machen, ob den Beweisanträgen stau gegeben werden soll. Die NachmittagSsitzuug. Der Nachmittag brachte dann die erwartete Sensation: die Ver nehmung der Frau v. Elbe und ihres SobneS, des 20jährigen Kürassier- keutnants v. Kruse. Frau v. Elbe, eine pikante, schlanke Dame von 39 Jahren, in sehr einfachem, aber gut sitzendem Kostüm, ist eine sehr intelli-eure Frau und geht nach Ueberwinvung der ersten unendlich peinlichen Szene aus alle Fragen geschickt ein. Ihre Au-iageu sind tatsächlich »o gra vierend, daß Dr. Bernstein sie wiederholt als vernichtend bezeichnet. Zunächst drohte der Ausschluß der Öeffentlichkeit, den der Kläger Gras Moltke beantragt. Die Gegenpartei wehrt sich mit allen
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