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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 27.09.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-09-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070927020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907092702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907092702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-09
- Tag1907-09-27
- Monat1907-09
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Abend-Ausgabe 8 Bezugs-Preis Kk Leipzig und Bororl« durch unser« TrLger und Spediteure int Haut gebracht: LuLaabe L (nur morgen«) vierteljährlich 3 M. monatlich 1 vi Autgnbe S (morgen« und abend«) viertel» jährlich 4.50 M. monatlich 1.50 M. Durch bi« Pust be-oaen (2 mal täglich) innerhalb Deulichland« und der drutichen Kolonien »ierteljädrlich 5,25 M., monatlich 1.75 M. ausichl. Poft- bestellgeld 'Lr Oesterreich 8 L 66 d, Ungarn 3 L vierteljährlich. Abonnement-Ann-bmc Augustutplatz 8, bei unseren Trägern, Filialen, Spediteuren uud Annahmestellen, iowie Postämtern und Briefträgern. Die einzeln: Stummer kostet IO sttfg. Redaktion und ExPebUtou: Johannirgasic 8. Televkon Nr. 14692 Nr. 14693. Nr. 14694. WpligtrTagMM Handelszeitung. Berliner Redaktion« Bureau: Berlin lt>V. / Prinz Louis gerdinaud- Etrahe 1. Telephon I, Nr. 9275. Amtevfatt -es Rates und des Rolizeiarntes der Ltadt Leipzig. 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R.j * Der nicderösterreichische Landtag nahm den Wahl- rsform-Entwurf an. * Frankreich und die Vereinigten Staaten verhandeln über eine internationale Gesetzgebung gegen Nahrungs mitt e l f ä l s ch u n g e n. lS. Ausl.) * Im russischen Ministerium des Innern wurden neue Be stechungen entdeckt. (S. Ausl.) Tagesschau. > Bahnbauten in Ostasrika. Die Presse hat sich in letzter Zeit mehrfach mit den ostafrikanischen Bahnbauien befaßt. So glaubte man aus der Tatsache, daß die Eisen- bahnbaufirma Lenz, ohne erst die Genehmigung des Reichstages abzu warten, auf eigene Faust die Fortführung der Usambarabahn begonnen hat, schließen zu dürfen, die Kolonialverwaltung beabsichtige die geplante Nordbahn über Moschi am Kilimandscharo hinaus bis zum Victoria- Njansa fortzusetzen, als ein Konkurrenzunternehmen gegen die britische Bahn vom Mombasa zum Kilimandscharo. Tiefe Linie hätte vor jeder anderen den Vorzug der größeren .Kürze, was bei einem Konkurrenz unternehmen immerhin in Frage kommt. Wie wir erfahren, schwebt je doch diese Kombination zunächst durchaus in der Luft. Tic Firma Lenz hat sich zu dem Weiterbau entfchlossen, da sie die Fortführung der Bahn bis zum Kilimandscharo nach Moschi vielleicht mit Recht als gesichert erachtet. Darüber hinaus ist man ;edoch in den Kreisen der Kolonial- regierung noch zu keinerlei Entschließungen gekommen. Weiter glaubte man aus der veränderten Reiseroute des Kolonialdirektors in Lstasrila schließen zu dürfen, daß die von Daressalam ausgehende Zcntralbahn wieder größere Aussichten habe, eventuell mit Stichbahnen von Tabora zum Victoria-Njansa und zum Tanganjika. Doch ist das ebenso nur eine Vermutung, wie das eben erörterte Projekt. Man wird überhaupt gut tun, seine Neugier auf diesem Gebiete noch zu zügeln bis zur Rückkehr des Kolonialdirektors, der zweifellos die Bahnsrage an Ort und Stelle studiert und auf Grund eigener Anschauung und Auskünften von landes kundiger Seite seine Entschließungen fassen wird. Außer diesen beiden Projekten ist in letzter Zeit noch ein drittes erörtert worden, nämlich die von Daressalam nach Morogoro führende Bahn über Kilossa bis zum Südende des Tanganjika fortzusetzen, unter gleichzeitiger Erbauung einer Stichbahn zum Njansa. Diese Linie hätte den Vorzug, die kürzeste Verbindung zum zentralafrikanischen Seengebict zu bilden und gleich zeitig durch eine kurze Stichbahn auch das Gebiet des Njassa zu er schließen. Allerdings bietet sie größere Schwierigkeiten gerade in dem zwischen den beiden Seen liegenden gebirgigen Streifen, der Höhen dis über 2000 Meter aufwcist. Gewerbegcrichte und Kansmannsgerichte. Am Schlüsse des Jahres 1906 gab cs in Deutschland gemäß 1, 2, 82 des Gewerbegerichtsgesetzes errichtete 399 Gewerbegcrichte. Innnngsschiedsgerichtc gab cs zu dem gleichen Zeitpunkte 429, auf Gruuo der Landesgesetze zur Entscheidung gewerblicher Streitigkeiten berufene Gewerbegerichte 20,' von den letzteren 10 in Preußen, 6 in Elsaß-Loth- ringen. Es waren im Jahre 1906 an Rcchtsstreitigkeiten anhängig zwischen Arbeitern und Arbeitgebern und zwar auf Klage der Arbeiter 103532 und auf Klage der Arbeitgeber 10 655, zwischen Arbeitern des selben Arbeitgebers 343. Tie Tätigkeit der Gewerbegerichte als Einigungsämter ist gering gewesen. Von beiden Teilen als Einigungscrmt anaerufen wurden die Gewerbegcrichte in 253 Fällen, nur seitens der Arbeitgeber in 6 Fällen und nur seitens der Arbeit nehmer in 234 Fällen. Eine Vereinbarung kam in 192 Fällen zustande, ein Schiedsspruch in 38. Die Unterwerfung unter den Schiedsspruch er- folgte seitens beider Teile in 29 Fällen; nur seitens der Arbeitgeber s" nur seitens der Arbeitnehmer in 4 und seitens keines Teiles in 2 Fallen. --,,An Kaufmannsgerichten gab cs im Deutschen Reiche am oochlusse des wahres 1906: 248, wovon 208 bereits bestehenden Gewerbe- gerlchten ungegliedert waren. Rcchtsstreitigkeiten waren bei ihnen im verflostencn ^ahre zwischen Kaufleuten und Handlungsgehilfen oder Zehrungen und zwar auf Klage der Kaufleute A>50, auf Klage der Ge hlsten und Lehrlinge 17117 anhängig. Als Einig ungsäm ter fungierten die Kaufmannsgerichtc gerade in 4 Fällen, wovon auf die An rufung beider Teile 3 kamen. In 3 Fällen wurde eine Vereinbarung zu stande gebracht. Sozialpolitische Reformen in Italien. . Italien hat sich auf diesem Gebiete noch verhältnismäßig wenig an gestrengt, und der italienische Staat hat die Neigung, soziale Reformen, wenn sie etwas kosten und nicht bloß in Gc- und Verboten bestehen, von sich abzuweisen. Nur ganz ausnahmsweise, wenn einflußreiche Faktoren das Lchr der Regierung zu beherrschen wissen, entschließt sie sich zu ^sllungen; das war z. B. der Fall bei der zinsfreien Hergabe von zehn Millionen zum Bau von Häusern für kleine Leute in Nom. Allein die Not ist groß, und die Explosionen der bedrängten Volkskreife sind sehr ernste zu nehmen, zumal sie sich in enormer Weise vervielfältigen und verstärken. Von den Unruhen wegen Teuerung der Lebensmittel in Perugia und vielen anderen Städten Umbriens ist bereits berichtet worden. Neuerdings haben sich aus dem gleichen Anlasse in Grosseto ernsteste Unruhen zugetragcn, die zu sozialistisch-revolutionären Demon strationen und zu einem Handgemenge zwischen den Demonstranten und der durch Militär unterstützten Polizei ausarteteu. Noch schlimmer ist es in Siena zugegangen. Nachdem auf frühere Agitationen hin hier wie in Perugia, Grosseto und anderweit der Stadtrat Maximaltarise ßür Brot, Fleisch, Früchte und Wein festgesetzt und Bestimmungen über die Praktiken auf dem Geflügel- und Gemüscmarkt gegeben hatte, die großhändlerischcn und anderen Spekulationen begegnen sollten, kam es ! in Siena^zu Unruhen, weil die Produzenten und Händler den Versügun- i gen des Stadtrats sich offener oder doloser Weise widersetzten. Die Un- s ruhen führten nicht bloß zu großen kollektiven Demonstrationen, sondern auch zu Vergewaltigungen sdcn nicht gefügigen Verkäufern auf dem Markte wurden die Waren fortgerissen und in den Graben geschleudert oder anderswie vernichtet, die Milchhändler gossen die Milch lieber iu den Rinnstein, als daß sie um fünf Centesimi billiger verkauften, die .Händler mußten ihre Läden geschlossen halten usw.j und zu einem Generalstreik von achtundvierzigstündiger Dauer. Man mag über die Logik dieser Geschehnisse denken, wie man will: es ist erstens an der Promptheit der italienischen Volksmenge, sich aus eigener Krast und ohne Rücksichten aus der Verlegenheit zu helfen, zweitens an der Unbcguemlichkeit solcher Volksmenge für die verantwortliche Negierung und drittens an oer Tastachc einer unveryaluusmäßigen, vielfach eine Kalamität in der Lebenshaltung chervorrufenden Preissteigerung dar elementarsten Lebeuserfordernisse nichts zu ändern, sie sind gegeben. Zugleich ist evident, daß weder mit dem gewaltsamen Vorgehen der Menge noch mit den kleinen und kasuellen Vorkehrungen den liebeln zu begegnen ist. Eben darum wird jetzt in Italien unter moralischer Teil nahme der Regierung und unter Führung des ehemaligen Schatzministcrs Luzzatti, der zugleich in seiner Eigenschaft als oberster Leiter des Ver bandes der Volksbankcn über effektive Macht verfügt, der Versuch einer systematischen und intensiven genossenschaftlichen Organisation von Kon sumenten und Produzenten unternommen. Genossenschaftliche Organi sation hat bisher in Italien nicht gefehlt, und vornehmlich haben die Landwirte sich dieses Mittels zur Besserung ihrer Wirtschastsverhält- nissc in mannigfaltigster Form bedient. Aber cs fehlte bisher die Kennt nis ihrer Nützlichkeit in der breiten Menge, sowie an einer leistungs fähigen finanziellen Grundlage für die Einrichtung und Funktion der Genossenschaften. Was in dieser Hinsicht zu tun ist, wird in diesen Tagen der Kongreß der Volksbanken in Cremona beraten und beschließen und zur Verwirklichung auf sich nehmen. Derselbe Kongreß wird auch zu einer zweiten sozialpolitisch höchst bedeutsamen und in Deutschland von Staats wegen schon erledigten Angelegenheit Stellung nehmen, näm lich zu der Wohnungsnot der mittleren und niederen Bevölkerungs schichten. Die Wohnungsnot hat, verschärft durch maßlose und anderswo unerhörte Prätensioncn der Hauswirte, schon vielfach in großen und kleinen Städten zu sehr ernsten Störungen der öffentlichen Ordnung und im übrigen zu unerträglichen Lsbensumständen der niedersten Kreste geführt. Herr Luzzatti bringt nun in Vorschlag, daß die staatliche Spar- lasse, die freien Sparkassen, die nationale Altersversicherungskasse, die Versicherungsgesellschaften, die Volksbanken, die Wohltätigkeitsgesell- schaften und die Leihhäuser nach und nach Etwa binnen 10 Jahrenj die erste halbe Milliarde aufbringen zum Bau von Wohnhäusern. In diesen Häusern sollen gute und billige Wohnungen dargsboten werden. Da die Nachfrage nach solchen überaus groß ist, so kann an der finanz wirtschaftlichen Rentabilität der halben Milliarde kein Zweifel sein, und Luzzatti schlägt vernünftiger Weise vor, daß sich die genannten, uriprüng- lich zu gemeinnützigem Werke berufenen Institute mit 32/p bis 4 Prozent Nutzen begnügen sollen und daß von vornherein die halbe Milliarde in Hypothekenpfandbriefen zu solchem Zinssätze mobilisiert werde. Die Staatsregierung ist für den Plan im Prinzip bereits gewonnen und hat versprochen, ihn direkt und indirekt nach Kräften zu unterstützen. Deutsches Reich. Leipzig, 27. Septemver. * Vom Großherzog von Baden. An die Stelle der Freude über eine anscheinende Besserung im Zustand des Großherzogs ist seit gestern abend vermehrte Sorge getreten. Es hat sich um die Abendstunden plötzlich Herzschwäche in ganz bedrohlicher Weise gezeigt. Zwar gelang cs allmählich, eine gewisse Beruhigung herbeizuführen, aber um die Mitternachtsstunde war der Zustand derart, daß das Ableben des Groß herzogs stündlich erwartet wurde. Wie schon abends die in Konstanz weilenden Minister telegraphisch auf die Mainau berufen wurden und sich eilends in Automobilen dorthin begaben, so wurde nachts 3^/2 Uhr Staatsministcr Dusch aus Karlsruhe auf die Mainau berufen. Mor gens 7 Uhr meldete ein Bulletin, das Befinden des Großherzogs zeige keine Veränderung. — Das um 8 Uhr vormittags ausgegebene Bulletin lautet: Im Laufe der Nacht erschöpfte ein neuer Anfall von Herzschwäche die Kräfte des Grobherzogs. Seit Sonnenaufgang liegt der Großherzog in ruhigem Schlummer. nie. Aattonalltbcraler Parteitag. Die an dem Vertret er tag in Wiesbaden teilnehmenden nationalliberalen Abgeordneten und gewählten Delegierten werden hiermit dringenv ersucht, soweit rics noch nicht geschehen ist, unverzüglich Wohnuug zu bestellen (bei Henn Parteisekretär Auding, Wiesbaden, Beetbovenstraße 9), wie auch ihre etwaige Teilnahme an dem Festessen und an derRheinfahrl anzumellnn (ebenialls bei Herrn Parteisekretär Auding). — Die Zahl der aus rem Zentralbureau angemeloeten Delegierten zum Bertretertage beläuft sich bereits auf über 700. * Die neuen Männer im preußischen Kultusministerium. Ter neue Ministerialdirektor Wirklicher Geh. Oberregieruugsrat Dr. Otto Naumann, der die Leitung für die Abteilung „Universitäten und Technische Hochschulen" übernimmt, steht in den 50er Jahren. Er war ein Schüler Althosfs in Straßburg und blieb mit ihm auch in Verbin dung, als er Hilfsarbeiter bei der dortigen städtischen Verwaltung ge worden war. Er gelangte sehr schnell auf die höheren Sprossen der Stufenleiter, wurde 1886 Regicrungsrat, 1888 Geheimer Regicrungsrat und vortragender Rat in der Abteilung II und dann, 1891, Geheimer Oberregierungsrat. Zwei Jahre später erhielt er den Charakter eines Wirklichen Geheimen Oberregierungsrates mit dem Range der Rare 1. Klasse. Eine Zeitlang war er, im Nebeuamtc, auch Verwaitungs- direktor der Charitö. In der letzten Zeit waren ihm die Bauten und die Externa der Verwaltung unterstellt. — Oberregierungsrat Dr. Friedrich Schmidt, der Dirigent für die allgemeinen wissenschaft lichen Angelegenheiten und für die Angelegenheiten der Kunst geworden ist, steht seit März 1882 im Staatsdienst. Im Juni 1887 wurde er Assessor im Kammcrgcrichtsbezirk und arbeitete zunächst beim Berliner Amtsgericht II. 1889 wurde er zum Ministerium der geistlichen usw. Angelegenheiten beurlaubt und nachdem er aus dem Justi-dieust aus geschieden war, 1890 als Regierungsassessor Hilfsarbeiter in dem ge nannten Ministerium. 1893 wurde er zum Regicrungsrat und 1895 Feuilleton. Wer schnell ein mächtig Feuer will entzünden, legt an mit schwachem Stroh. Shakespeare. * LH* -er Vorhang -ich hebt! Von Rudolf Retty lLeipzig). „Einer vom Bau", „ein kundiger Thebaner!" wie es wohl im Theaterjargon heißt, verläßt nach einer Vorstellung das Schauspiel gebäude und schüttelt verwundert den Kopf, wenn er die Urteile derer hört, die eben mit gespanntester Aufmerksamkeit einer Aufführung bei wohnten. Verwundert, weil das nun Gehörte sich so selten mit der Wirk- lichkeit deckt, oft die seltsamsten Forderungen aufgestellt werden. Und so klingt es dann auch in den Salons, in den guten Stuben beim Abend- brot, an den Stammtischen, in den Cafes mit kaltem Aufschnitt. Ueberall ist das Theater mit seinen bunten Reizen ein beliebter linier- Haltungsstoff. Und es ist ganz gut so. Fast immer, auch auf anderen Gebieten, ist es der Laie, von dem die Förderung ausgeht: gerade durch seine Forderung. Er fordert einfach, unbekümmert llarum, welche Schwierigkeiten zu überwinden wären, n ollte man seinen Wünschen nachkommen. Dieses Nnbekümmertsein, oies Voraussctzungslose macht ihn kühn, läßt ihn wenigstens so erscheinen, denn er ist sich seiner Kühnheit nicht bewußt, höchstens seiner Unver- antwortlichkcit. Besitze der Laie also gesundes Gefühl, unverdorbenen Geschmack, so mag er nur fordern: selbst das Unmögliche. Es ist ja nur heute un möglich, morgen wird es zu erwägen sein, in einem Jahr ist es schon selbstverständlich und man begreift nicht, warum es zcmals anders sein konnte. Wenn bei den Athenern eine Theatersteuer eingesührt war, deren Ertrag dazu diente, den Unbemittelten freien Besuch zu gewähren, so verfolgte man hiermit nicht zuletzt die Absicht, den Zuhörerränmen immer neue, unbefangene Teilnehmer zuzusühren. So wär es also vom liebel, einen Blick in die Werkstatt zu tun'? Doch nicht! Mein neuer Anzug gefällt mir darum nicht weniger, weil ich über seine Herstellung vom ersten Faden an unterrichte: wurde. Bei Genußmilteln soll man — wie ich höre — von einer solchen Kennt nisnahme ost gerne absehen und in dem Sinn Wie wird eine Schauspielaufführung hergcstellt? Durch Studieren und Probieren; und auch hier geht das letztere meist über olles. Die Proben sind, was beim Militär die Griffe, der „langsame Schritt", Parademarsch, Schieß-, Reit- und Fcchtübungen; das Manöver ist die General-, die Hauptprobe! Dem Ernstfall gleich, bis auf den Erfolg. Und die Studien? Es gibt auch beim Theater Generalstäbler, die andere Vorzüge besitzen als das Verständnis für „Griffe kloppen" und den „exakten Kommandoton". Also die erste, die Leseprobe. Um einen Tisch sitzen alle im Stück Beschäftigten in zwangloser Reihe, ohne daß die Plätze nach der persön lichen Bedeutung oder derjenigen innerhalb des Dramas angewiesen wären. Unter — sagen wir vorläufig nur — Aufsicht des Regisseurs machen sie sich durch Ableseu ihrer Nollen mit dem Stück bekannt. Durch Ablesen auch der in Klammern angebrachten Bemerkungen. Nicht mit voller, nur mit angedeuteter Charakterisierung, um sich nicht ganz fest- zulegcn, ein Ausbiegen nach Gut und Böse, nach Schön und Häßlich immer in der Hand zu haben. Nach jedem Akt wird gewöhnlich eine kurze Pause gemacht, über den Eindruck, den man empfangen, über fesselnde Charakterzüge geplaudert, Ausdruck und Betonung einzelner Sätze korrigiert, strittige Ansichten geäußert und möglichst geklärt. Derartige Proben sind in erster Reihe notwendig kür Dramen, denen eine gewiße Gedankenfülle eigen, in denen mehr di- Kraft und Tiefe der Charakteristik, Schönheit oder Echtheit der Sprache -nm Ausdruck kommen, als das Ueberraschcnde der Gescheh- nisse, und dem so oft mit Unrecht als „denkender Schauspieler" Ge scholtenen sind sie die genußreichsten. Jedenfalls bleiben sic für die Ein heitlichkeit des Tons, richtige Auffassung von größtem Wert. Es gibt auch Autoren, die ihr Werk den darin Spielenden vorlesen. Oft mit vielem Vorteil für diese; denn selbst wenn der Dichter nicht gut liest, durch stark ausgeprägte Mundart, technische Sprechfehler einen vollen künstlerischen Genuß nicht aufkommen läßt — kennt man erst das Verhältnis seines Ausdrucksvermögens zur Absicht, so wird man grotze Förderung aus diestm Vortrag mit heimnehmcn können. Und wie verschieden lesen Dichter! In sprudelndem Ueberschwang. ganz noch einmal durchtobt von dem Feuer nnd Seelenleben der Schöpfung der eine, mit sorgsam, kühl gefeilter Individualisierung der andere: zaghaft, mit stockender Stimme, ohne Beifall heischcndes An blicken der Zuhörer, fast in sich hinein der dritte. Und gerade dieser ist es wobl, ber alle anderen an waghalsigen Neuerungen gedanklicher uno formaler Art überbietet! Eine Debatte findet nach solcher Leseprobe gewöhnlich nicht statt, auch keine andere Unterbrechung, als die, dem Autor Z^st zu lassen, daß er sich von der Stirn den Schweiß trockne, der dem Erfolg voraufgeht. Er fühlt schon, ob er Wirkung erhielte, ost nur an der Stille, mit der man ihm lauscht, und poetische Schönheiten von zartestem Reiz entzücken hier wohl, die später vor einem handlungshungrigen Publikum und bei dem anspruchsvollen Szenischen unbeachtet zerflattern. Nach einigen Tagen — es wird Zeit gelassen, mit möglichst gut ge- lernten Rollen wieder zu erscheinen — wird die erste Bübnenprobe ab gehalten: die Stell- oder Arrangierprobc, so genannt, weil auf ihr das 'Werk gestellt, nun olles auch für daS Ang: ungeordnet wird, wie vorher für das Ohr. Der Schauplatz, das Kommen und Gehen der Spieler, der Wechsel der Stellungen, aber auch zugleich die Dynamik der Haup:- auftrute und der Massenszenen. Das Einüben der zu den letzteren nötigen Komparsen (Herren und Damen vom Chor und erforderlichen falls Soldaten) geschieht durch einen eigens hierfür verpflichteten Hilfs regisseur fauch Szenerie-Inspektor), wohl scherzend Statistengcneral de- nannt, der natürlich den Anordnungen des Höchstkommandicrendcn, ins leitenden Regisseurs untersteht. Ja. dieser Regisseur! Welche Eigenschaften der besitzen soll! Hohes künstlerisches Verständnis für den Dichter und zugleich des schauspielerischen Materials. Reiche Erfahrung und zugleich jugendliche Eindrucks- und Empfangsfädigkeit! Feines Taktgefühl nnd Beherrschung aller technischen Bnhncnyilssmittcl! Die Gabe, bei den Mitgliedern Liebe und zugleich etwas wie Furcht zu erwecken! Eine hochgebildete, wohlwollende Autokrateunatur also. Daß Kunsttugendsammlungen dieser Art nicht schockweise beraum- laufen, liegt auf der Hand, und auf einen solchen Regisseur könnte man wohl das Wort jenes Monarchen anwcndcn, der von einem Ideal wn'or sagte: „Finde ich den Mann, dann mache ich ihn zum Premierminister!" Aber an guten, ja trefflichen Regisseuren fehlt es gewiß nicht und es würde ihrer noch mehr geben, könnte man jeden auf den richtigen Pias) stellen. Wie man von einem Maler nicht verlangen kann — obgleich das geschieht und dem Anschein nach mit Recht verlangt wird —, daß er c.nc Gestalt aus dem Heiligenkreis und die anfgepeitschtc Sinnlichkeit vor obgeblühten HalblveltErin mit gleicher Wärme malt, so auch nicht vom Regisseur, beim heißesten Bemühen, unparteiisch zu sein, daß er einer den Zirkus streifenden Farce dieselbe .Hingabe widmet wie der vornehm stilisierten oder von echt poetischem Herzblut burchströmtcn Dichtung. Auf den nun folgenden Proben wird das Bühnenbild, die geistigen Abstände der einzelnen Gestalten, der Körper der Rede immer klarer, fester und doch auch durchsichtiger. Kleine Streichungen, Verschieben und Einrenken von Austritten, Anstraffen oder Ausklingenlassen der Aktschlüsse werden vorgenommen, mit Billigung des Verfassers, wenn er zugegen, oft erst nach mühselig abgernngener Billigung. Und der „praktische Theaterverstand" ist hierbei nicht immer oer Grausame, schöne Gedanken dem „Rotstift" Opfernde sin Wirklichkeit ist es ein Blaustift), oft sind es gerade die Verfasser, die auf verblüffende Augenblickswirkung ausgehen und ihr zu Gefallen logische Einwände der Regie kurz oder bedauernd abweiseu. Der manchmal dem Regisseur g - machte Vorwurf, er hätte diese Wendung streichen, jenen Aktschluß ändern, eine Hauptrolle anders besetzen müssen, gelangt fast immer vor die falsche Tür, wird von dort aber aus begreiflichen Gründen nicht weitergegcben. Einste Dramen, auch heitere, die künstlerischen Ernst atmen, finden eine entsprechende Behandlung auch dann, wenn mau auf keinen Erfolg hofft. So wird denn zehn, vierzehn, ja — wenn der Spielplan eS gestattet — zwanzig Tage lang gcübt. Jeder Tag bringt ein Mehr an dekorativem
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