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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 05.11.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-11-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071105026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907110502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907110502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-11
- Tag1907-11-05
- Monat1907-11
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Ausl.) * Die Türkei mobilisiert die Landwehr in den armeni schen Provinzen in der Befürchtung eines Aufstandes. sS. Ausl.) Leute beginnt der Prozeß gegen Nasi vor dem italienischen Senat. lS. Ausl.) * Die Verhandlungen über den Abschluß eines Tarifver trages im Buchbindergewerbe in Hamburg sind ge- scheitert, da die Arbeiter an der Forderung desWochenlohncs von 36 F festhalten. Ein Streik ist wahrscheinlich. * In der El i s e n st r a ß e 70, IV., schoß im Streite der 20 Jahx-: alte Arbeiter Gutte auf seinen 42 Jahre alten Vater und ver wundete ihn. lS. Lpzg. Ang.j Tagesschau. Ein Sieg des „Militarismus". Das Schweizer Volk hat mit einer nicht unbeträchtlichen Mehrheit der neuen Wehrordnung zugestimmt. Man weiß, daß sie eine Ver mehrung der Dienstpflicht, der persönlichen Dienstlasten und des Militär budgets bringt. Kein stehendes Heer. Aber die Miliz wird künftig erheblich schärfer angespannt werden. Ob unsere Sozialdemokraten diele Verschärfung als im Geiste ihrer Prinzipien liegend anerkannt hätten? Ihre Schweizer Gesinnungsgenossen gehörten zu den Gegnern des Gesetzes und bildeten einen starken Bruchteil der Petenten, die die par lamentarisch zum Abschluß gebrachte Vorlage, ehe sie Gesetzeskraft er hielt, der Entscheidung der Volksgemeinde unterbreitet haben. Sie wer. den auch am Sonntag ein starkes Kontingent der verneinenden Stimmen gestellt haben." Immerhin wäre es ein Fehler im Schlußvcrfahren, wollte man unsere heimischen Milizschwärmer in der Sozialdemokratie mir den Schweizer Opponenten identifizieren. Herr Bebel würde den «Schluß selbstverständlich ablehnen, daß seine Partei auch für Deutschland die neue straffere Organisation des Schweizer Milizheeres verwerfe und ihr Vaterland gar mit den „Gemütlichkeiten" der „guten alten Zeit" be- glücken wolle. Wenn aber seine Anhänger wirklich imstande sein sollten, Verhältnisse w'* ihrem Vorst-Nongsve^mögen zu de- greisen, dann hätten wir doch Lust, sie einmal die Hand aufs Herz legen zu lassen, ob sie am Sonntage anders gestimmt haben würden als dir „Genosien" aus Schweizerland. Einen Fortschritt der militaristischen Idee bedeutet die neue Orga- nisation zweifellos. Wir glauben freilich nicht, daß in irgendwie ab sehbarer Zeit auf den zweiten Schritt gerechnet werden darf: auf den Uebergang zum stehenden Volksheere nach deutscher Art. Eine Groß- machtspolitik, eine Teilnahme der Schweiz an Angriffskriegen außerhalb ihrer Grenzen ist heute ausgeschlossen, wo das Ländchen völlig zwischen Großstaaten eingekeilt ist. Die Tage von Nancy sind vorüber, in denen die burgundische Macht vor der Hauptstadt von Lothringen vor den Hellebarden des Banernvolkes zusammenbrach. Heute handelt cs sich bloß um die Abwehr auswärtiger Angriffe, und für den Abwehrkrieg wird eine gut ausgebildete M liz auf alle Fälle genügen — soweit ein Schweizer Heer überhaupt it für genügen kann. Em Rückschluß von unseren Bedürfnissen auf die- res in enge Grenzen cmgeschlossenen Gc- birgslandes wäre genau so verkehrt, wie der umgekehrte Schluß von dem, was für die Schweiz ausreicht, auf die Erfordernisse Deutschlands oder Englands. Wir Deutschen dürfen uns aber der Vollendung der Schweizer Wehrreform erfreuen. Sind wir doch nicht die, die uns mit bösen An- schlügen auf die Neutralität und Unverletzlichkeit der Republik im Falle eines europäischen Krieges herumtragcn! Der Mut zur Wahrheit Die „Kreuzztg." kommt in ihrer letzten Wochenschau bei der Er- örterung des Prozesses Moltke-Harden auch auf die Gerüchte zu sprechen, die den Fürsten Eulenburg krankhafter Neigungen beschuldigen. Sie meint — und darin geben wir ihr vollkommen rechr —, daß ein amtlicher Apparat versagt hat, der diese Gerüchte, sobald sie ihm bekannt wurden, nicht weitergab. Sic weist ans die nahen Beziehungen zwischen Sitten polizei und politischer Polizei hin, die es von Rechts wegen ausschließen müßten, daß, was die eine Behörde weiß, der andern verborgen bleibt, und fragt, nachdem sie daran erinnert hat, daß unter dem alten Kaiser der Polizeipräsident den Monarchen regelmäßig persönlich über Ge rüchte ud Tatsachen zn unterichten pflegte: „Ist heute niemand da, der dem Monarchen den Schleier lüftet, wo es Not tu?" Damit rührt unseres Erachtens das konservative Hauptorgan an den springenden Punkt. Jahrelang haben sich auf den Hohen der Gesellschaft und in bevorzugter Stellung Leute mit brüchiger Moral bewegen dürfen: durch Jahrzehnte hat man in der nächsten Nähe des Monarchen Männer gesehen sdas Politische und Sexuelle fließt hier schier untrenn bar ineinander!, denen bei der steten Verpflichtung zur Heimlichkeit, die ihnen Laster und Veranlagung auferlegten, vielfach jedes Verständnis für Würde und Ehrlichkeit abhanden gekommen waren. Viele haben cs gewußt, noch mehr davon gewispert und geraunt. Den Mut zur Wahr heit bat niemand gefunden. Da sollte man dem vielleicht unerfreulichen Zufall, der die Schmach uns enthüllte, nicht allzu sehr schelten. Vielmehr Hand anlegen, daß sie getilgt w^rde. Chinas militärische Rüstungen. (Von unserm römischen O.-Korrespondenten.j Ter italienische Marineoffizier Graf Manfredi Gravina, der lange in Peking gelebt und die Verhältnisse und Personen in China aus nächster Nähe zu beobachten reiche Gelegenheit gehabt hat, hat soeben im Verlage Treves-Mailand ein interessantes Buch „China nach UM)" erscheinen lassen. Indem wir auf dasselbe im allgemeinen einfach hinzu weisen uus begnügen, glauben wir im einzelnen ein paar politisch beachtens werte Angaben über das militärische China hier Herausstellen zu sollen. Der siutoi Iprichi ovi. vEl. junoauie.ti.alcn Wandlung der chinesischen Denkweise über die Notwendigkeit einer guten militärischen Rüstung und versichert, daß „die militärischen Maßnahmen mit patriotischem Eifer und schnell durchgeführt werden, und daß sich für diese als heilig er achteten Ausgaben stets Geld finde". Jede Provinz soll wenigstens zwei Divisionen von je 12 000 Mann in guter Ausrüstung und gut vor gebildet zur Verfügung halten, die Mantschuvei und Mongolei sogar je vier; da es achtzehn Provinzen gibt, so erhielte China solchermaßen ein nationales Heer von ungefähr einer halben Million Mann. Aber in Cili z. B. bat Auan-Shi-rai nicht zwei, sondern sechs Divisionen von nsgesamt 75 000 Mann ausgestellt, die gleichmäßig organisiert sind nach 1 m Modell des früheren Heeres und. von Paotrng-fu aus, wo General- st. b und Generalintendantur residieren, geleitet werden. Die Instruk tiv der Soldaten ist seit 1901 von deutschen Offizieren allmählich auf jap tische übergcgangcn. Man findet heute in China, vornehmlich aber in si li, eine stattliche Zahl von militärischen Schul- und Erziehungs- ansta en, in denen die Söhne aller Stände zu subalternen und leitenden militärischen Posten sachgemäß vorbereitet werden. 4000 junge Chinesen werden zurzeit in etwa zwanzig solcher chinesischer Anstalten zu Offi zieren vorgebildet, 700 Chinesen dienen im japanischen Heere als Offi ziere, um von da aus in die Reihen des vaterländischen Heeres über zutreten. Während früher bonoris causa Ofsiziersposten vergeben wurden, kann heute — wenigstens bei Auan-Shl-kai — niemand mehr Offizier werden, der nicht in einem staatlichen Militärinstitut die Examina bestanden hat. Die Uniform der chinesischen Soldaten, mit denen übrigens ihre Offiziere eng zusammenleben, ist sehr einfach und unter jedem Gesichtspunkte praktisch gehalten. Auch Manöver mit Entfaltung von 30 000 Mann in Gegenwart der ausländischen Militär personen sind bereits abgehalten worden, die wegen des in ihnen sick> kundtuenden Ernstes und fähigen Eifers großen Eindruck machten, wenngleich sie namentlich strategisch nicht auf der Höhe waren. Aus dem Manöverfelde hatte man übrigens auch sechs transportable radio- telegraphische Stationen, System Staby-Arco. Die Manöver sind be- reiis zur ständigen Obliegenheit gemacht worden. Tie Stellung von Freiwilligen zum militärischen Dienst, die heute in China in großem Umfange geschieht, ist ein weiteres und gewiß nicht unbedeutendes Zeichen von dem Ernst der militärischen Bemühungen Chinas. Deutscher Reich. Leipzig, 5. November. * Aus dem Rcichskolonialamt wird der „Kreiszeitung* berichtet, daß UnierstaalSiekretär v. Lindequist noch am Sonnabend nachmittag unmittelbar nach sein.m E ntrcffen in Berlin die Leitung der Geschäfte des Kolonialamts übernommen hat Die lausenden Angelegenheiten der ihm unterstellten allgemeinen Berwaliungsabteilung werben jedoch bis zur Rückkehr veS Staatstekretärs Dernbnra von dem Geheimen Lcaa- tionSrat Dr. Golinelli geführt. Mit der Rückkehr des Unlerstaaissekretärs sind im ReicbSkolonialamt auch die Bestimmungen der neuen Geschäfts ordnung bezüglich des PreßreseratS in Kraft geirrten. Herr v. Linbequist nimmt die Leitung der Prepangelegenheiten selbst in die Hand, während ihm der journalistische Hilisarbciier unmittelbar unterstellt isi. Der seitherige verdiente Preßreserent Wirkliche Leraiionsrat Dr. v. d. Groeben hat mit dem gestrigen Montag daS Preßreferat abgegeben. * Tie Börsengesetznovelle. Boa der Veröffentlichung der Novelle zum Börsengesetz soll, wie der Berliner Korreiponvent der „Franks. Ztg." erfährt, bisher aus verjchierenen Gründen Abstand genommen worben sein. CS bars aber nunmehr angenommen werden, daß man nur noch den Plenarbetchtuß des Bunvesrake- am Donnerstag abwarten will, uw daun die neue Novelle d>.c Ocsfeu.lichkE. sofort, zu uiucrbreucu. * Zurückgezogene Ausweisung. Auf Weisung des Ministers des Aeußeren hat der österreichische Botschafter in Berlin bei der preußischen Regierung gegen die Ausweisung des öüerreichischen Staatsangehörigen Luvomirbze-Rowski aus Posen Einspruch erhoben, worauf daS Aus- weisungsverlahien eingestellt wurde. * Lstmarkcnvorlagc. In der Ostmarkenvorlage, die zur Förderung deulscher Ansiedlungen der deutschen Staatsregierung wiederum einen Fonds zur Verfügung stellen soll, ist, wie die „Voss. Ztg.* hört, auch zum Ankauf von Domänen und Forstgruncstücken ein besonderer Fonds von 40 Millionen Mark vorgeieben. * Ein freisinniges Bekenntnis. Aus Köln wird berichtet: In einer zahlreich besuchten Versammlung erklärte Abgeordneter Dr. W:emer Mit Bezug aus die kommenden Vorlagen: Einer Vorlage, die zur Ver vollkommnung unserer Marine diene, würde die freisinnige Volkepartei ihre Feuilleton. Der persönliche Charakter des Schriftstellers bringt seine Bedeutung beim Publikum hervor, nicht die Künste seines Talents. Goethe zu Eckermann. 30. März 1824. * Der Schriftsteller Harden. Glücklicherweise grbt es unter gebildeten Deutschen, ja sogar unter einigen deutschen Schriftstellern Leute, die ein Heft der Harden, scheu „Zukunft" nicht ohne einen nervösen Aerger in die Hand nehmen, weil sie sicher sein können, darin wieder einen bandwurmartigen Artikel ihres Herausgebers in einem verlogenen vergewaltigten Deutsch zu finden. Wenn die Kunst, aus dem Stil eines Schrift stellers auf sein Temperament, seine Wahrhaftigkeit, seine seelische Energie einen Schluß zu ziehen, bei uns mehr geübt würde, so wäre man sich über den Charakter Hardens nicht erst durch sein Verhalten während des Moltke-Harden-Prozesses klar geworden. Das Traurige am Fall Harden ist, daß der Stil der „Zukunft" den Stil des halben gegenwärtigen deutschen Schriftstellertums infiziert hat. Man findet ihn bei hundert Journalisten wieder: es wird keine neue Zeitschrift gegründet, in der nicht irgend ein Rückblick auf Theater oder Hande! oder Politik in seinem Zeichen stände: ja er wirkt sogar auf die ernst hafteren Literaten ein, enthüllt sich hier freilich als Anfängcrversuch. Eine Tatsache nicht mit einfachen Worten sagen zu wollen, nach Inversionen und Satzverrenkungen zu greifen, ist das erste Hilfs mittel eines nach Stil suchenden Autors: das Ungewöhnliche scheint die Besonderheit zu gewährleisten. Der Schriftsteller Harden ist nur in Deutschland mit seiner Gleichgültigkeit gegen Form möglich. Wir geben nun im folgenden einen Auszug aus einem äußerst lesenswerten Artikel des Herausgebers der Wiener „Fackel", Karl Kraus, der soeben auch als Sonderdruck „Maximilian Harden, eine Erledigung" sVerlag der „Fackel", 50 Pf.s erschienen ist, und worin Herr Harden in der Tat genügend erledigt wird. ... In der literarischen Persönlichkeit lebt der Gedanke von dec Form und die Form vom Gedanken. In Herrn Herden vegetieren sie arm. selig nebeneinander, der Gedanke fristet sein Dasein von der kläglichen Gewißheit, daß ihn die anderen nicht hatten, und die unbestreitbare Eigen art des Ausdrucks besteht von Gnaden der Indolenz, mit der die deutsche Sprache im Zeitungsdienst jegliche Notzucht zu ertragen gelernt hat. W a re.Herr Harden nicht durchaus originell, er wäre überhaupt nicht. Die tiefere Selbständigkeit, die sichs zutraut, manchmal za zu sagen, fehlt ihm ganz und gar, und darum kann er nur nein i"gen. Weil aber die mechanische Promptheit der Negierung die Banalität deS verkappten Jasager- verraten könnte, stellt sich die Ls P r ache aufStelzen, um sich doch über den Durch. Aber sie unterscheidet sich nur von jenen, die auf zwei eigenen Beinen stehen. Schwulst ist Krücke. Humorlosigkeit ist immer affektiert. Witz ist kein sprachlicher Neutöner, er setzt die Sprache voraus und verträgt keine terminologische Hemmung, Temperament hat so viel zu sagen, daß es nicht Zeit hat, kalligraphische Schnörkel anzu bringen. Hier haben wir den letzten „preaiaux i-ickioul", der sich unglück- seligcrweise in den Leitartikel gerettet hat, bei den nüchternsten Anlässen die schwere Nrokatweis' hcrvorlwlt und noch sür die Majestätsbeleidigung — pardon, Maje ft ä t b e leidigung — einen byzantinischen Stil findet. Einen Bahnbrecher in der Auffassung des 8-La«tes in zusammengesetzten Wörtern. Kein Wunder, daß dieses lodernde Temperament Ledcrnheii sprüht, wenn es zum Schreiben kommt: cs hat sich bis dahin im Redi- gieren abgckühlt. Er muß nicht nur fremden Meinungen sein apartes Kleid anszwängcii, also beweisen, oaß seine Form nicht mit seinen Ge danken organisch verwoben, daß sic das Handwerkszeug eines Journa- listen ist. Nein, der „Monomachos" streicht auch in allen Beiträgen, selbst in den jüdischen Anekdoten des Herrn Roda-Roda, die „s" aus den zusammengesetzten Wörtern. Da er der Meinung ist, daß in dem Wort „Reichsgericht" ein Genitiv steht, darf hier das „s" bleiben. Da er aber weiß, daß der Genitiv von Zeitung nicht Zeitungs heißt, so unterscheidet sich der Zulunstherausgeber von den anderen Zcitungherausgebern durch eine beispiellose Gewissenhaftigkeit. Aber die deutsche Zunge bestehl auf ihrer euphonischen Gefälligkeit und weist den logischen Undank eines trockenen Schleichers, der die Melodie des Hörens wie die Fülle der Gesichte stört, zurück. Nichts ist charakteristischer als diese Anbiederung des Herrn Harden, an einen Genitiv, der nicht existiert. Die Findigkeit in der Titelgebung allein ist kein besonderes Merkmal. Wenn Herr Harden über gleichgültige Dinge zu schreiben hat, schreibt er „Molybdänomantic" oder „Snovetaurilia" darüber, Worte, die den Ausrufern in der Friedrichstraße die größten Schwierigkeiten machen und die er darum ver meidet, wenn Sensationen wie der Fall Hau akut sind. Hier muß der schlichte Name Helsen. Hau, nicht einmal Haw. Nie hat die Feder des Herrn Harden sich der stofflichen Gelegenheit würdig gezeigt, die heute jeder Meinung, sogar der besten, das Interesse der Menge zuführt. Als er in Dresden von den Sozialdemokraten hart anaefaßt wurde, ant- wortcte ein wehleidiger Knabe, der glücklicherweise Briest ausgehoben hatte. Seine Polemik gegen den dankbaren Herrn Sudermann, dem das Jnterjektionstempcrament des Herrn Alfred Kerr unvergleichlich wirk samer zuyesctzt hat, wurde gierig verschlungen, und der deutsche Geschmack merkte nicht einmal, daß Salz und Pfeffer fehlten. Ein in dst Politik verschlagener Epiker, der uns seit fünfzehn Jahren als polemische? Naturell ausgeschrien wird. Schon daS Bildungsgepäck, das er mitschleppt, wenn seine Gedanken von Berkin nach Potsdam reisen, ver wehrt ihm die freie Bewegung. Oder ist ein Beweis, daß er ihrer nicht fähig wäre. Aber mvthologische Koffer, theologische Hutschachteln und Zitatenkisten — mehr, als auf preußischen Staatsbahnen erlaubt ist — liegen durcheinander, belästigen die Mitreisenden und zwingen sie zum Mitleid mit dem schwitzenden Passagier. Herr Harden hat eS einmal bestritten, daß außer seinem Kopf ein anderer großer Zettel- kästen bestehe, aus dem er all die Herrlichkeiten holt. Gibt's einen, so yat er gewiß Herrn Harden, nicht Herr Harden ihn. Gibt's keinen, um so schlimmer. Das journalistische Handlangen nach einer unorga- nischen Bildung, das dem Leser Weismacht, dem Schreiber der „Zu kunft" sei alles Vergangene gegenwärtig, wäre verächtlich, aber man kann dabei vegetieren. Das wahre Wissen um all diese Dinge, von Nrm und Thummim bis zur Orthographie, der russischen Eigennamen — ist ein Selbstmordmotiv. Es möchte kein Hund so länger leben. Gott erhalte mir meine Unbildung! Und dieser Mann ist der Kulturhort Deutschlands, §u dem die literarische Jugend wallt wie einst vor Goethes Thron. Keiner wagt das erlösende Wort zu sprechen, die Eigenart, die Herrn Harden weit über den Troß der in deutscher Sprache Schreibenden emporhebt, sei die Langeweile, die besondere, stolze, hieratisch unnahbare Langeweile! Keiner sagt es, weil jeder fürchtet, als Snob nicht voll wertig zu erscheinen. Wie? Dieser Philister ist in Deutschland ein Oppositionsgenie? Dieser unfreieste Stilist, durch dessen ver quollenen Brei informierter Fadheit man sich nicht durch winden kann; wird als Angreifer gefürchtet? Ein Kerl, der, ehe er einen Minister angreift, über die Thronfolgeordnung bei den Langobarden Bescheid sagen muß? Der, ehe er mit Jahwe, der Apokalvp'c und allen Kalendcrheittgen fertig ist, dem Feind hundertmal Zeit läßt, zu entkom men, und ihm höchstens dadurch gefährlich wird, daß er ihn in das Labyrinth seines Periodcnbaus lockt und dort mit Stabreimen zu Tode quält: vom gleißenden Wurm im Auge eines Bankdircltors spricht und uns den Sachsenwald zur wabernden Lobe von Bildungsbrockcn macht. Was könnte ihn gründlicher richten als die Erwartung, mit der der Kenner bei besonderem Anlaß nach seinem Artikel langt? Tas Publi kum begnügr sich mit der stofflichen Sensation und will über ihr den Namen Harden lesen. Was er über den Fall Hau sagt, fragt keiner. Aber ich bin darauf gespannt, wie viel verschiedene Bezeichnungen er für die Stadt Karlsruhe finden wird. Und siche da, ich komme auf meine Spesen: denn Karlsruhe ist vor allem die „Fächcrstraßenstadt", dann ist cs die „Hardtwaldstadt", hierauf „Friedrichs stille Residenz- stadt", alles, alles, nur nicht Karlsruhe. Er würde sich eher die HanV abhacken lassen, ehe er Karlsruhe schriebe. Hau übersiedelte nach Amerika? Nein, er ist „zu den Sternbannerleutcn gegangen". Er kommt aus Amerika? Nein, aus „Atlantis". Er bat einen falschen Bart angelegt? Nein, sich einer „Mumme" bedient. Oui lx>no, frag: sich in solchen Mordaffären die Justiz? Nein, „die Frage des Lucius Cassius Longinus Ravilla klingt auf jeder Mordstätte dem Krimiua- listen ins Ohr". Haus Verurteilung erfolgte an einem Montag um tue Mittagsstunde, nachdem er Sonnabends noch auf einen Freispruch ge hofft hatte? Nein, „Sonnabend durfte Hau, als die Nacht sank, leise auf Freispruch hoffen. Als die Montagssonue den höchsten Punkt er reicht hatte, war er verloren." Aber warum hat er auch „Flunker finten" angewendct, „die Nacht vor der Blutardeit im Arm eines ge mieteten Mädchens verbuhlt" und nach dem „Vcspcrtec" sich in ein „Erotenmysterium" retten wollen? „Der verliebte Narr, den, da er die Traute beschleichen wollte, daSSckucksal mit grausamer Tatze in blut rote Wirbel stieß"! So leben wir alle Tage. Aber auch der Theater kritiker Harden läßt sich nichts abgehen. Was ist Ibsen? Der Stützen dichter. Frühlingserwachen? Ein Lenzmimus. Sein Inhalt? „Das Männern der Knaben, das Böckeln der Mädchen". Der dramatisiert« Sherlock Holmes? Der Rampendovle. Im männermvrdenden Kam»', gegenüber der Verkleinerung seines Ruhms in der Liebenbcrger Affäre, also bei einer Gelegenheit, die Teinpcramcntscittladungen erwarten läßt, vergißt er nicht, daß der Monat Mai auch noch andere Bezeichnungen bat und will unbeirrt erzählen, was sich >m Deutschen Reich „untcrm Weidemvnd begab". Affektiert und geschwollen von Hornung bis Nebelung, wird er einst noch im Tode dafür sorgen, daß die „Erdigung-
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