Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 11.11.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-11-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071111013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907111101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907111101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-11
- Tag1907-11-11
- Monat1907-11
- Jahr1907
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Morgen-Ausgabe 8. Bezug«-Preis str L«tP»ia und v-rori» durch »»sn« Trlger und Spediteur« tu« Haut gebracht r Lutgab« t (»ar moraent) »terteljllhrlich 3 M. monatlich I M.. «utaabe » («argen« und abend«) viertel, jährlich «.SO mauatNch 1.S0 M. Durch bi« Vit bezogen (2 «al ttglich) innerhalb Trullchiand« und der deutschen Kolonien vierteljährlich 5,25 M., monatlich I.7S M. autschl. Poft- bestellgeld sür Oesterreich s L so h. Ungarn 8 L vierteljährlich. «bonnement-Snnabm«! AuguRutPlatz 8H bet unseren Trägern, Malen, Spediteuren »ad Lnaahore-eUen. sowie Postämtern und Briefträgern. Die einzelne Rümmer kostet 10 chfg. birdakttou und Expedition: Johauuitgasse 8. relevhoa Nr. 14SS2, Nr. IEr Nr. 1«6S4. Brrltuer ««dakttont Burea»: Berlin 7. Priu» Loui« gerdinand- Strahe 1. Telephon I, Nr. 9275- MpMerTMtM Handelszeitung. Nmisviutt des Males und des Volizeiamleo der Ltadt Leipzig. Luzelgeu-Preis iür -inseratc au« Leip^a mW Umgebung dl« 6gr,"steile Peüijelle 25 M., slnanziell» «njeigeu ii0 Pf., Reklamen 1 W.; voa autwLrt« 80 Ps, ReNamen 1.20«. vom Ausland 5VPs., finan,. Anzeigen 75 Reklamen t.SO «. Inserate ». vehtrden im amtlichen Teil 40 Ps. Seilagegebüdr 5 M. p. Tausend exN. Poft, gebühr, «elchästsanzeigen an bevorzugter stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Taris, gcfterteilte «usträge kännen nicht zurück- gezogen werden. Für da« Erscheinen an bestimmten Tagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen-Annahme». Auguftutplatz 8 bet säm»lichen Filialen u. allen Aunonceu. strpedUionen de« In. und «urlaube« Haupt Stltal« Berliu i Carl Dunck: Herzog!. Bahr. Hofbuch- handlung Lützowstrahe 10. «elephoo VI. Nr. 4803). Nr. 313 Montag 11. November 1907. 1V1. Jahrgang. Da» wichtigst« vom Tag«. * Tie Londoner Blätter veröffentlichen Artikel, in dcnei: der Deuts cht 5^aiser bewillkommnet wird. sS. letzte Tep.s * Der Prinzregent von Bayern har anläßlich des Unglücks auf S. M. S. „Blücher" ein Telegramm an den Kaiser ge richtet. sS. Letzte Dep.s * Aus Potsdam wird amtlich gemeldet, daß die Kronprin - zess in sich wohl befindet. sS. Letzte Tep.s * Gestern ist, wie aus Berlin gemeldet wird, ein neues deutsch, italienisches Literarabkommen unterzeichnet worden. sS. Letzte Dep.s * In Paris soll ein Marinepolytechnikum zur Aus ¬ bildung von Seeoffizieren und Schiffsingenienren errichtet werden. sS. Letzte Dep.s ' * Der ehemalige italienische Minister Gianturco ist gestern in Neapel gestorben. * Durch eine große Feuersbrunst in Jquique sind gegen 2000 Personen obdachlos geworden. Oarlaiiieiitavrfche Wochenschau. Dem Wochenchronisten des sächsischen Landtages bietet sich diesmal Stoff in reichem Maße. Das parlamentarische Leben ist rasch zur vollen Entwicklung gekommen und pulsiert mit einer Frische, wie man sie lange vermißt hat. Daß sie endlich wieder gewonnen ist, daß ein flotter, lebhafter Zug durch das politische Denken und Fühlen unseres Volkes geht, davon darf sich der Liberalismus ein ehrlich Teil des Ver dienstes zuschreiben. Ihm ist es zu danken, daß die Zeit des laissor kaive, laisser allvr nun hoffentlich endgültig vorüber ist, und wir er warten zuversichtlich, daß das politische Interesse sich in noch höherem Maße zeigt, wenn erst die große Aufgabe der Session, die Wahlrechts- resorm gelöst ist. Man kann es den Wählern schließlich nicht verdenken, wenn sie lange kein Interesse zeigten für die Verhandlungen einer Körperschaft, auf deren Zusammensetzung ein großer Teil von ihnen ohne jeden Einfluß war. Es ist aber ebenso zu berücksichtigen, daß eine Wahlrechtsverschlechterung, wie die von 1896, nur möglich war, weil die Wählerschaft selbst die Bedeutung ihrer eignen Volksvertretung unter schätzt und in unbegreiflicher Gleichgültigkeit verharrt hatte. Solche Zeiten dürfen nicht wiederkehren, und die Aufgabe des entschiedenen Liberalismus ist es, ihre Wiederkehr zu verhindern. Er kann es, wenn seine Vertreter nur dem Wähler immer wieder sachlich, aber eindring lich klar machen, daß das, was im Dresdner Landtagsgebäude verhan delt wird, die wichtigsten Lebensinteressen des ganzen Volkes, wie auch des einzelnen berührt. Eine der bedeutungsvollsten Fragen in dieser Beziehung ist die durch eine Interpellation des freisinnigen Abgeordneten Günther-Plauen an die Regierung zur Erörterung gebrachte Frage der Versorgung unseres Volkes mit Brot. Die Art, wie diese Frage oon der Regierung beant wortet und von der Rechten in der Debatte behandelt wurde, bildete im voraus den besten Beweis für die am Freitag vom Abg. Langhammer ausgestellte Behauptung, wir würden agrarisch regiert. Unter Aufwand eines großen, bis in die letzten Tage reichenden Zahlenmaterials hatte Abg. Günther nachgewiesen, wie der Augenblick aebieterisch von der Re gierung fordere, daß sie die Versorgung unseres Volkes mit Brot nicht weiterhin erschwere, sondern erleichtere. Er wies nach, wie die Ge treideernte dieses Jahres geringer ausgefallen sei, als erwartet war, daß also die Teuerung noch keineswegs den Höhepunkt erreicht habe, sondern daß man mit einem weiteren Steigen der Getreidepreise rechnen müsse. Das wurde von agrarischer Seite, wie von der Regierung auch ohne weiteres zugegeben. Aber Graf Hohenthal denkt über das teure Brot, wie sein Kollege seligen Angedenkens, Podbielski, über die teuren Schweine: die hohen Preise gehen vorüber. Ja, bis wann denn. Exzellenz? Und wenn es wirklich der Fall sein sollte — einstweilen vermögen wir noch nicht daran zu glauben — was soll denn bis dahin geschehen? Abg. Andrä sagte doch selbst, so rasch, von heute auf morgen, könne die deutsche Landwirtschaft ihre Produktion nicht so weit erhöhen, daß sie den Getreidebedars Deutschlands selbst decken könne. Daß sie überhaupt jemals dazu imstande sein wird, halten wir für unmöglich und wurde auch vom Abg. Günther schlagend nachgewiesen. Trotz inten siverer Bewirtschaftung des Bodens sind die Mehrerträgnisse hinter dem Wachstum der Bevölkerung immer mehr zurückgeblieben. Das vermoch ten weder Andrä, noch sein Fraktionskollege Hähne! zu widerlegen. Hähne! verriet übrigens selbst, wo der Haken bei dcr Sache liegt. Er sähe nicht ein, sagte er, warum man nur der Landwirtschaft das Recht bestreite, ihre Preise zu erhöhen, wo doch alle anderen Artikel teurer geworden seien. Er verschob damit nach berühmten Mustern den Streit punkt, nur daß er es recht ungeschickt tat. Denn der Landwirtschaft wird kein Mensch das Recht bestreiten, ihre Erzeugnisse so günstig wie mög- lich zu verkaufen, aber wir bestreiten ihr ganz entschieden das Recht, sich von der Regierung zum Schaden der Allgemeinheit die Preise durch einen künstlichen Zollschutz hochhalten zu lassen — und diesen Schutz auch noch als etwas Selbstverständliches zu fordern. - Wenn der Minister des Innern darauf erklärte, im Interesse der deutschen Landwirtschaft könne die Regierung nicht für eine Ermäßi- gung der Getreidezölle eintreten, so bewies er damit nur, daß er von der Wirkung der Zölle ebensowenig eine Vorstellung hat, wie von ihrem Wert für die Landwirtschaft. Denn — das führte Abg. Bär-Zwickau in Ergänzung der Darlegungen seines Fraktionskollegen Günther sehr treffend aus — die weitaus größte Mehrzahl der deutschen Landwirte hat an hohen Getreidezöllen gar kein Interesse. Sind sie ohne Wir kung auf den Getreidepreis, wie die Bündler stets behaupten, so kann ihre Beseitigung der Landwirtschaft nichts schaden. Haben sie aber eine Einwirkung aus den Preis — und es ist lächerlich, das zu leugnen —, so kann doch di« Preissteigerung nur den Landwirten zugute kommen, die mehr Getreide produzieren, als sie selbst verbrauchen, unv demgemäß Getreide verkaufen können. DaS sind aber ganze 20—25 Prozent dcr Großagrarier, wie der dritte Reichskanzler Fürst Hohenlohe seinerzeit im Reichstage bewiesen hat. Aber wer spielt bei uns in Sachsen die erste Geige: die Großagrarier! Daß Gras Hohenthal keine andere Antwort auf die Interpellation Günther hatte, ist ebenso bedauerlich, wie das Verhalten Langhammcrs, der sich in dieser Frage vollkommen auf die Seite der Agrarier stellte und dafür von Erzkonservativen, wie Ulrich und Zeidler, gelobt wurde. Vor zwei Jahren kämpfte Lang hammer bei der Fleischteuerungs-Jnterpellation zusammen mit dem jetzt schmerzlich vermißten Abg. Schulze gegen die Agrarier. Da hat er uns weit besser gefallen. Und wenn er behauptete, man müsse, wenn man einmal auf dem Standpunkte des Schutzzolles stehe, auch der Landwirt schaft diesen Schutz gewähren, so gilt demgegenüber dasselbe, was wir oben gegen die Bündler und die Regierung sagten: die Zölle sind kein Schutz für die deutsche Landwirtschaft, sondern dienen nur dazu, den Großagrariern die Rente künstlich zu steigern. Tas Hauptereignis der politischen Woche war die Einbringung des Etats im Landtage durch den Finanzminister Dr. v. Rüger. Die fast dreieinhalbstündige Rede, die der siebzigjährige Leiter unserer Finanzen bei dieser Gelegenheit hielt, war eine Meisterleistung. Sie war sorg fältig vorbereitet, und wenn auch nicht ganz frei von Wiederholungen, so zeigte sie doch eine gründliche Beherrschung des recht spröden Materials. Tas muß auch dcr anerkennen, der sonst keineswegs in die „Gloria"-Sinsonie einzustimmen geneigt ist, die der Abg. Opitz für den Finanzminister komponiert hatte. Tröstlich klangen die Worte des Finanzministers ja gerade nicht. Es war so ungefähr die Melodie: wir haben wohl viel Geld, aber wir haben es auch nötig. Täuschen wir uns nichr, so wird der Etat in den Finanzdeputationen diesmal stärker ver ändert werden als sonst. Die Konservativen wollen den Steuerzuschlag von 25 Prozent wenigstens etwas ermäßigen, aber gleichwohl mög lichst schon jetzt oder, wie Dr. Spieß sagte, in einem außerordentlichen Landtage die völlige Neuordnung der Beamten- und Lehrergehältcr durchführen und, um die Mittel dafür zu beschaffen, die Schuldentilgung herabsetzen. Die beiden Regierungsblätter werden verschmolzen wer den, so daß vom 1. April 1908 voraussichtlich die „Leipziger Zeitung" nicht mehr existieren wird, da die Regierung Wert darauf legen wird, daß ihr Organ auch da erscheint, wo sie ihren Sitz hat. Aus den weiteren Darlegungen des Finanzministers ist als sehr erfreulich hervorzuheben die bereits erwähnte Erklärung, daß er in anderweite Erwägungen betr. der IV. Wagenklasse eintreten will, so daß vom Winter 1908/09 an für Sachsen eine Verkehrserleichterung geschaffen wird, die man nur zu lange hat schmerzlich entbehren müssen. Pikant waren die Erörterungen über das Thema der „Neben regierung", zu denen Dr. v. Rüger ziemlich unvermittelt kam. Tie Art, wie er es behandelte, gab denen recht, die davor warnten, oon einer Ministerkrisis in Sachsen zu sprechen. Er sagte, er sei sieben Jahre im Dienste und glaube immer leidlich die Augen offen gehalten zu haben, aber er habe nichts bemerkt, was als ein Bestreben gelten könne, sich au die Stell? der Rlgwru"-' s'> fetze». i:n übrigen habe er der Ehre des einen, viel genannten Rcgierungsbeamren nicht zu nahe treten wollen. Den Konservativen kam diese Erklärung offenbar sehr gelegen, denn sie wollen nun, wie Abg. Hähnel mitteilte, die An gelegenheit Nostitz nicht weiter verfolgen. Damit darf aber die Paria- mentarische Erörterung darüber nicht abgeschnitten werden, und Abg. Langhammer, der am Freitag sich als sehr schneidiger Kämpe zeigte, hatte vollkommen recht mit seiner Forderung nach einer bündigen Er klärung des Gesamtministeriums. Vielleicht wäre es deshalb zweck- mäßig gewesen, wenn Langhammer auf die Frage der Rübenbahn Gade busch—Wilsdruff etwas näher eingegangen wäre. Daß diese Bahn er- baut wird auf Grund eines legalen Beschlusses des Landtages, ist rich tig, aber wie ist die Regierung zu der Ausarbeitung dieser Vorlage ver anlaßt worden? Darum handelt es sich, und das Land hat ein Recht daraus, die Wahrheit zu erfahren. Inzwischen haben das „Vaterland" und die „Sächsischen Polit. Nachr.", ebenso wie ein den Konservativen nahestehendes Leipziger Morgenblatt darauf hingewiesen, die Erklärung des Ministers v. Rüger über die „Nebenregierung" sei im ausdrücklichen Einverständnis mit dem Grafen Hohenthal erfolgt. Allein diese privaten Meldungen machen die Forderung nicht überflüssig, daß das Gesamtministerium sich offiziell mit Rügers Erklärung identifiziert. Sollte dies wirklich er- folgen, so wäre das freilich eine Klärung der Situation, die für die künftige Haltung der Liberalen dem Grafen Hohenthal gegenüber sehr bedeutungsvoll werden könnte. Fest und klar! Der Besuch des Kaiserpaares am englischen Hose drückt das Siegel auf die Herstellung normal freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Höfen von Berlin und London. Gleichzeitig ist dieser Be such ein neues Glied in der Kette der Begebenheiten, die eine Besserung des Verhältnisses zwischen dem deutschen und dem englischen Volke berbcigeführt haben. Erreicht ist ein solcher Wandel, ohne daß Deutsch land Großbritannien zuliebe das eigene Interesse geopfert hätte; viel mehr ist gerade in der allerjüngsten Vergangenheit zutage getreten, wie fest und klar Deutschland seinen Standpunkt gegenüber Großbritannien gewahrt bat. Die Haager Konferenz schien der Londoner Diplomatie eine Zeitlang als willkommene Gelegenheit zu gelten, um einen ener gischen Versuch zur internationalen Bekräftigung der britischen Ueber- macht auf dem Meere ins Werk zu setzen. Die Einschränkung der Floiienrüstungeu sollte die wichtigste Handhabe dafür bieten, die Re- gelung der Konterbande, der Minenfrage, der Rechte und Pflichten ver Neutralen usw. traten ergänzend hinzu. Aber die deutsche Regierung ließ sich nicht ins Bockshorn jagen: mit voller Festigkeit und Klarheit hat sie von vornherein die Erörterung der Abrüstungsfrage abgelehnt und in bezug aus die übrigen einschneidenden Interessengegensätze >ede Nachgiebigkeit vermieden, die mit dem Wohle des Reiches unvereinbar geweien wäre. Wenn trotzdem die Besserung der deutsch-englischen Beziehungen Fortschritte machen konnte, so lehrt dieser erfreuliche Umstand, daß die feste und klare Vertretung des eigenen Standpunktes ein Hauptgrundsatz der deutschen Politik gegenüber England sein muß. Diese Lehre ist nicht nur aus den Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit abzuleiten, son dern wird auch durch ältere Erfahrungen von der entgegengesetzten Seite her als richtig bestätigt. Ein Blick auf die Entwicklung der Be ziehungen Preußens zu England während des Krimkrieges läßt das be sonders deutlich erkennen. Wohl jedermann ist heute davon überzeugt, daß Preußens damalige Neutralitätspolitik die beste Politik war, die Preußen und die deutschen Kleinstaaten machen konnten. Denn Preußen wurde durch den Krieg dcr Äestmächte gegen Rußland nicht berührt, war stark genug, der Ver wickelung fern zu bleiben, und erreichte, was seit Jahrhunderten nicht erlebt war: die Ausschaltung Mitteleuropas bei einem europäischen Zu sammenstoß. Wie weit aber war Preußen davon entfernt, sein gutes Recht klar und fest geltend zu machen! Und wie wenig nutzte sein Schwanken und Lavieren gegenüber England, das je länger, je heftiger zum Anschluß an den Bund der Weltmächte drängte! Der kürzlich ver öffentlichte Briefwechsel der Königin Viktoria enthält einige Proben der widerspruchsvollen, verschwommenen Art, in der König Friedrich Wilhelm IV. seine unentschlossene Haltnno bemäntelte. „Die Ausgabe der Diplomatie", schreibt der preußische Monarch der Königin, „hört genau an dem Punkte aus. bei dem die dcr Souveräne mit Nachdruck beginnt." — „Ich bin nicht imstande", antwortet Königin Viktoria am 17. März 1854, „einer solchen Erklärung zuzustimmen; denn was mein Botschafter tut, tut er in meinem Namen. — Am 24. Mai 1854 sendet Friedrich Wilhelm der „huldreichen Königin" wiederum einen langen Bries über seine Politik und bittet am Schlüsse, den Brief ,,huldvollst geheim zu halten und ihn nur dem lieben Prinzen lAlberts nntzuteilen." — Aber in unmittelbarem Anschluß hieran fährt der König fort: „Es ist natürlich, daß die Tatsachen, die er ldcr Brief! enthält, und die daraus hervorgehenden Erklärungen, die für Euer Majestät Regierung viel leicht non Wichtigkeit sind, dann ihrer Natur nach nicht langer geheim zu halten sind, sobald Sie cs für richtig halten, sie bekannt zu geben." Der Eindruck der Zweideutigkeit und Zerfahrenheit, den solche Aeußerunges des Königs Hervorrufen mußten, wurde noch wesentlich gesteigert durch die Sendung des Grafen Usedom nach London. Aus dem im vorigen Jahre veröffentlichten Nachlaß des preußischen Diplo maten Grasen Albrecht von Bernstorfs sind wir eingehend über Wesen und Wirkungen der Usedomschen Mission unterrichtet. Die Arbeit des berufenen Vertreters Preußens am Londoner Hofe, des Grafen Bernstorfs, diskreditierend, kreuzend und erschwerend, sollte Usedom mit England einen Vertrag zustande bringen, der analog dem Bündnis verträge Oesterreichs mit den Westmächten wäre. Auch hier aber ließ es Friedrich Wilhelm IV. wieder bei halben Maßregeln. Gab er doch seinem Spezialgesandten keine umfassenden Vollmachten mit, sondern nur einen Brief an die Königin Viktoria, in dem es hieß: „Usedoms Mission ist lediglich ein vertraulicher Schritt gegenüber Euer Majestät: Sie, gnädigste Königin, werden allein bestimmen, ob er Rücksprache mit Ihren Ministern nehmen soll." — Diese Minister schöpften sofort Ver dacht daß über ihre Köpfe hinweg, gegen die englische Verfassung, mit der Königin verhandelt werden sollte: sämtliche englischen Zeitungen spotteten über die Usedomscbe Mission; die Unterhandlung selbst rückte nicht von der Stelle, weil die Ansichten des Königs über das dem eng- lischen Kabinett gegenüber einzuschlagende Verfahren ständig wechselten. Welche Demütigung dieses schwankende, unklare Verhalten Friedrich Wilhelms Preußen beim Abschlüsse des Krimkrieges eintrug, ist be kannt. Königin Viktoria war durch die verschwommenen Briese, die der König ihr persönlich geschrieben hatte, nicht im mindesten beeinflußt, nicht im geringsten günstig für Preußen gestimmt worden. „Die Königin", so schrieb sie nach englischer Sitte am 7. Februar 1856 an den Earl of Clarendon, „bösst, daß es bei dem Beschlüsse. Preußen nicht xnzul"ssen lzu den Pariser Konferenzen!, bleiben wird." Angesichts solcher Wir kungen einer unsicheren, unklaren Politik drängt sich mit doppelter Wucht die Ueberzeugung aus, daß Deutschland seine Geschäfte mindern Londoner Kabinett am erfolgreichsten führt, wenn Festigkeit und Klar heit die Leitsterne seiner Diplomatie sind. Möge auch der Besuch des Kaiserpaares am englischen Hofe unter diesem Zeichen stehen! Deutscher Reich. Leipzig, 1i. November. ivk. Zu der Temiffion des Generals von Kessel. Di- G rüchte von einer Demission des Kommandeurs der Garvedu orps, Generals von Kessel, sind unterrichteten Kreisen schon seit vielen Monaten bekannt. Ob er jetzt seinen Abschied nehmen wird oder nicht, ist ungewiß. Ems siebt aber fest, daß ein Abschied in keiner Beziehung mit den Vorkomm nissen neben würde, die in dem Harven-Prozeß aufuedeckt worden sind. Die Stellung eines Kommandeurs der Gardebukorps ist eine baupt- iächlich repräsentative, zu der sich der alle, vornehme Herr, der überall die allergrößte Beliebibeit genießt, ausgezeichnet eignet. Es gilt als ganz ausgeschlossen, daß man ihn für die Verfehlungen einiger Offiziere ver antwortlich macht, da für die Erziebung des Offizierkorps nickt der kommandierende General, sondern der Oberst eines jeden Regiments die Verantwortung trägt. General von Kessel — dessen Generalstabs chef man scherzhaft den „Kesselflicker" nennt — hat seine Stellung stets zur vollsten Zufriedenheit des obersten Kriegsherrn auSgefüllt. Wenn ein Revierement in Potsdamer höberen Offizierstellen einnitt, das seine Ursache in den Entbüllungen hat, so werden eine ganze Anzahl anderer Offiziere daran glauben müssen. Aber wenn General von Kessel geht, geht er aus anderem Grunde. * Tie Wahrheit über Sen Fall LchroerS. Die „Köln. Ztg." er fährt, daß die Angaben über den bisherigen Verlauf des Falles Schroers, die sich m einigen ultramontanen Blätter», z. B. der „Ger mania" unv der „Deutschen Reichszeitung", finden, die Wahrheit in tendenziöser Weise geradezu auf den Kopf stellen. Der Kultusminister ist nicht „entichlosien, sich auf die Seite des Kardinals und Erz bischofs Fischer zu stellen". DaS bekundet schon die Tat sache, daß das erzbischöfliche Verbot an die Studierenden der katholischen Theologie der Erzdiözese Köln zurückgezogen ist. Die Regierung hat vielmehr, indem sie die Aufhebung ees Ver bots bewirkte, das nur mit Borwissen des Ministeriums erfolge» durfte, anerlannt, daß in dem Erlaß des Verbots ohne vorheriges Einvernehmen mit dem Kultusminister ein Eingriff in die Rechte der Universität und damit des Staates lag. Sie hat sich demnach nicht aus die Seite des Erzbischofs gestellt, sondern vielmehr ihren RechiSstandpunlt gegen über dem Borg hen des Erzbischofs gewahrt. In eben di sem Sinne haben sich Rektor und Senat der Universität Bonn ausgesprochen. Dem einmütigen Protest der Bonner inkorporierten Siukentenich-ift m t Ein schluß der katholilchen Korporationen lag demnach ein richtiges Em pfinden zugrunde. kp. Kolonialpolitik i» dcr nächste» RcichStagSscssion. Wie in der letzten Reickstagssession wird allein Anschein nach auch in der bevor stehenden die Kolonialpolitik im Vordergründe der Verhandlungen sieben. Schon jetzt stehl fest, daß mit der Einbringung mehrerer Vorlagen den Bau von Eisenbahnen in den Kolonien betr>ffcnd nickt ein Tag länger als zu ihrer Bearbeitung unbedingt nölig »st, gezögert werden wird. Auch auf die Gestaltung des Etats werden die Ausgaben für die Kolonien von größtem Einfluß fein. U a. werden zum ersten Male lausende Ausgaben für Südwestafrika nn ordentlichen Etat erickeinen, die bisher aus dem Wege der Anleihe aufgebracht wurden. Außerdem w rcen zur Pazifizierung dieser Kolonien noch einmal größere außerordentliche Forderungen nötig. Be» ren Eisenbahnvorlagen wird es sich, wie wir erfahren, um Konzessionen handeln. * Agrarier und Vörsengesetzuovelle. Kaum ist der wesentliche Inhalt der neuen Böriengefetzvorlage bekannt geworden, so dekretiert bereits die „Deutsche TageSztg." ihr „unannehmbar". Es sei Grund vorhanden, daS Terminieg>ster fallen zu lassen. Man veim sic Straf bestimmungen und Deklarationszwang. SicherheitSl istung dürfe nicht ein Differenzgeichäst gültig machen. DaS Rück'vreerunis- recht der Sicherheiten müsse bestehen blecken. DaS Verbot des Termingeschäftes müsse auf andere Waren, insbesondere auf Zucker ausgedehnt werden. Alles in allem werde, falls diese An deutungen richtig leien, von den Agrariern ein Opfer der Ueber zeugung verlangt, und dies werde niemals gebracht werden. — Be denkt man, daß die Börsenvorlaze eine Konzession an den Liberalismus sein soll, die angeblich im Jnierrsfe der B ockpolitik von Seiten der Regierung gemacht wird, io zeigt diese Widerspenstigkeit deS AgrarieriumS wieder einmal, wie wenig dieses Agrarierlum den nationalen Werl des Blocks zu werten weiß, sobald ihm ein Opfer zugemutet wird.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite