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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 23.11.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-11-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071123026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907112302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907112302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-11
- Tag1907-11-23
- Monat1907-11
- Jahr1907
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Abend-Ausgabe v. Bezug-.Preit Mr Lripzig und Borortr durch müerc kräger und Spedttrur« tn» Hau» gebracht: Autgabe 4 (nur moraeu«) vierteljährlich 3 M. monatlich 1 M., Ausgabe » (morgens und abend«) viertel» jährlich 4.50 M„ rn-aallich 1.50 M. Durch di« Po« be,«aeu (S mal täglich) innerhalb Deulichlands und der deutichen Kolonien vierteljährlich 5,25 M., monatlich 1,75 M auSschl. Poft- beftellgew iür Oesterreich 9 L «S k. Ungarn 8 L vierteljährlich. Abonnement-Annahme. AuguftuSvlatz 8, bei unseren Lrügern, Filialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern und Briefträgern. Lie einzelne stummer kostet 10 Mfg. stledaNion und Lrvedttto»! JohmmtSgasse 8. relevhon Nr. 14692, Nr. 14695. Nr. 14694. verltner Nedaktion« Bureau: Berlin 7. Prinz Louis Ferdinand- Stratze l. Telephon I, Nr 9275. mMgerTagMatt Handelszeitung. Amtsblatt des Rates und -es Rotizeiamtes der Ltadt Leipzig. Luzelgeu-Prett Mr Auserate au« Leipzig und Umgebung vt» Saespaltene Petitzeile 25 Pf., ftnauzielle Anzeige» 30 Ps., NeNamen 1 M.; vau auswärts 30 Pst, Reklamen 1.20 M vmuAusland 5OPj., stnanz. Anzeigen 75 Pi. Reklame« 1.S) M. Inserated. vehärden im amtlichen Teil 40 P- Beilagegebübr 5 W. p. Tausend exll. Pos gebühr. BrschüftSanzeigen an bevorzug! Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Tai Festerteilte Austräge können nicht zurin aejwgen werden. Für das Erscheinen n bestimmte» Tagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen. Annahme: Augustutzplatz 8 bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen Expeditionen de« In- and Auslandes. Haupt-Filiale Berlin: Carl Dunckt , Herzog!. Bahr. Hosbuch Handlung, Lützowstrassc 10. «elephon VI. Nr. 4603). Nr. 325. Sonnabend 23. November 1907. 1V1. Iabrqanq. Da» wichtigste von, Tage. * Im österreichischen Abgeordnetenhause wurde ein Mißtrauensvotum gegen den neuen polnischen Landsmann- minister Abraham owicz mit 119 gegen 117 Stimmen ange nommen. * Kronprinz Louis Philipp von Portugal ist nach Schloß Billa Vigosa verbannt worden. (S. Auslj * Die Cholerawacht an der Weichsel ist wegen des Frostwetters eingestellt. (S. Dtschs. R.j Tagesschar». 4 003 500 00« Mark oat am 1. Oktober d. I. die Schuld des Deutschen Reiches betragen. Das Etatsgesetz für 1908 sieht wiederum eine Anleihe von 200 Millionen Mark zur Bestreitung einmaliger außerordentlicher Ausgaben vor. Ausreichend aber wäre nach dem Etatsentwurf diese neue Anleihe nur dann, wenn die rund 100 Millionen Mark, um welche die Matrikular- beiträge die Üeberweifungen übersteigen, entweder von den Einzelstaaten aufgebracht, oder durch die Erschließung neuer Stcuerquellen gedeckt werden. Angesichts solcher Verhältnisse wird kein vernünftiger Mensch bestreiten, daß mit der Finanznot des Reiches endlich reiner Tisch ge macht werden muß. Nach den Erfahrungen, die bei der letzten Reichs- sianzreform gemacht wurden, ist es kein Wunder, wenn im Punkte der Steuervorschläac von den Parteien und von der Presse im ganzen eine größere Zurückhaltung beobachtet wird. Kennzeichnend ist in dieser Be ziehung, daß auch ein Blatt, wie die „Deutsche Tageszeitung", die grund sätzlich mit allem Nachdruck die sofortige Beseitigung der Finanznot fordert, sowohl das Branntweinmonopol, als auch die Zigarren banderolensteuer ablehnt. Da die „Deutsche Tageszeitung" betreffs der Bandcrolensteuer hervorhebt, sie werde vielfach als schwere Belastung empfunden, und da von freisinniger Seite die Bandcrolensteuer leiden schaftlich bekämpft wird, sei an die Auffassung erinnert, die der Hallenser liberale Nationalökonom Professor Dr. I. Eonrad über den Tabak als Steuerobjekt in seiner „Finanzwissenschaft" s3. Aufl., Jena, G. Fischers vertritt. Er schreibt: „Der Tabak ist als ein entbehrliches Genußmittel ein sehr geeignetes Steuerobjckt, welches um so leichter auch eine höhere Auflage tragen kann, weil dadurch Frauen und Kinder im großen und ganzen nicht getroffen werden. . . . Der vielfach ins Feld geführten Pfeife des armen Mannes kann durchaus dabei Rechnung getragen wer den. . . . Solange der Staat genötigt ist, die unteren Klassen mit zu Zahlungen heranzuziehen, wird auch die Tabaksteuer in erster Linie ihre Berechtigung haben." Das Grundproblcm der Sozialresorm. wird von Professor Dr. E. Francke in der „Sozialen Praxis" im Zu sammenhänge mit den sozialpolitischen Aufgaben des Reichstages er- örtert. Wegen der Fülle dieser Aufgaben empfiehlt Franac der Re gierung und dem Reichstage, sich über« einen festen Arbeitsplan zu einigen, auf weitschweifige Programmredcn zu verzichten und statt dessen stille, praktische Arbeit zu leisten. Wer sich der endlosen sozial politischen Reden aus den letzten Sessionen erinnert, wird Franckes Ratschlag als höchst beachtenswert unterstützen und mit Francke nichts dagegen einzuwenden haben, falls Staatssekretär von Bethmann-Holl- wcg mehr als bisher den Rcssvrtchefs und Fachdczernenten das Wort läßt, damit sofort in die Kleinarbeit eingetreten werden kann. Unter den Parteien des Reichstage? ist nach dem letzten Wahlergebnis eine große Mehrheit erst recht bereit, der Regierung auf sozialpolitischen Wegen zu folgen, und wirtschaftliche Schwierigkeiten werden den Gang der Sozialresorm kaum aufhaltcn. Zeigen sich doch die leitenden Män ner in der Regierung ganz besonders bemüht, die Gemeinsamkeit der Interessen von Unternehmern und Arbeitern zu betonen, die Gegen sätze zu versöhnen, die beiderseitigen Beziehungen auf dem Boden der Parität zu regeln. Da gleichzeitig die Eingliederung der Arbciterschafl in den nationalen Volkskörper als gleichberechtigtes Glied zum Ziel gemacht wird, fragt Francke, ob die Regierung über den richtigen Weg zu diesem Ziele sich klar sei. Hierauf könne nicht mit ja geantwortet werden, solange die Regierung über die Erweiterung und die Sicherung des Koalitionsrcchtcs, das Grundproblein der Sozialpolitik, stillschweige. Gewiß schreite der Zusammenschluß trotz der bestehenden Einschrän kungen des Koalitionsrechtes gewaltig fort. Aber das Bewußiscin, bei der Ausübung des Koalitionsrechtes unter einem Ausnahmegesetz zu stehen, erbittere die Arbeiter in Gewerbe und Handel und sei das Hindernis, welches der Eingliederung der Arbeiierbewegung als eines starken Faktors der sittlichen und der wirtschaftlichen Entwickelung im Wege stehe. Autorität und Ordnung würden nicht leiden, wenn dieser Stachel aus der Seele der Arbeiter genommen würde. Kein Fortschritt im Arbciterschutz, keine Verbesserung der Versicherungs gesetze werde sic von dem Streben nach einem freien Koalitionsrecht abdrängen. Ein freiheitliches Vereins- und Vcrsammlungsgesetz, die Errichtung von Arbeitskammern, die Regelung des Tarifvertrags wesens seien Etappen zu jenem Ziel. Lei tcre- 'elbst aber, die Herb stellung der vollen Gleichberechtigung mit den Unternehmern auf dem Boden der Koalitionsfreiheit, bilde die Krönung der Sozialreform. Das Auto. In einer Berliner Zeitung wurde dieser Tage Beschwerde erhoben über die duldsame Nachsicht, die unsere großstädtischen Polizeibehörden den Kraftfahrzeugen entgegenbrächten. Was dort zur Schilderung der gegenwärtigen Zustände angeführt wurde, war buchstäblich richtig. Unser großstädtisches Straßenleben ist, seit das Auto es beherrscht, immer unerfreulicher geworden. Wer über eine Straße zu gehen wünscht, tut gut, zuvor ängstlich nach allen Seiten auszulugen, ob nicht von irgendwelcher Ferne ein Kraftwagen hcranprustet. Auch dann kann es ihm widerfahren, daß aus irgend einer Seitengasse mit scharfem Schwung ein Auto biegt und den Ueberraschten vor seine Räder nimmt. Für Kinder vollends, für Schwerhörige und alte Leute sind unsere Groß stadtstraßen kaum noch zu beschreiten. Selbst unsere Schmuck- und Er holungsplätze nicht. Denn in den Alleen der öffentlichen Anlagen tum meln sich die Luxuskraftwagen mit Vorliebe, so den Begriff der frischen Luft, den man ansonsten mit den Anlagen zu verbinden pflegte, in sein Gegenteil verkehrend. Dennoch möchten wir nicht ganz fo weit gehen wie jenes -Berliner Blatt. Das greift die Kraftfahrzeuge ohne Unter schied an und sähe am liebsten auch Autoomnibufse und Lastwagen mit elektrischem Betrieb von unseren Stratzen oerbannt. Wie uns scheinen will: zu Unrecht. Der Autoomnibus bedeutet eine nicht geringe Er leichterung des großstädtischen Verkehrs, die man gerade im Interesse der werktätigen, wenig bemittelten Schichten nicht wird missen mögen. Zu dem Pflegen die Autoomnibusse ihr Tempo immer noch bis zu einem gewissen Grade zu mäßigen. Die eigentlich lebensgefährlichen Fahrzeuge bleiben die Autodroschke und ihr vornehmer, unnumerierter älterer Bruder. Auf diese wird man gut tun den Kampf cinzuschränken. Nicht etwa in dem Sinne, als ob man die Zeit nun zurückschrauben wollte und sich ängstlich gegen den Fortschritt der Technik sperren, den das Kraftfahrwesen doch nun einmal bedeutet. Aber daß man sich ent schlösse, Besitzer und Führer von Kraftfahrzeugen durch Gesetz zu jener Rücksicht gegenüber den unbeteiligten Dritten, den Fußgängern nämlich in Stadt und Land, zu zwingen, zu der sic ohne solchen sanften Druck anscheinend nicht zu bringen sind. — Wie man sich erinnern wird, hat nach dieser Richtung der nationalliberale Mg. Prinz Schönaich-Caro- lath wiederholt sehr wertvolle Anregungen gegeben. Der damalige Staatssekretär Graf Posadowsky hat denn auch regelmäßig seine Sympathie ausgesprochen. Trotzdem ist aus Gründen, die außerhalb des Reichsamts des Innern lagen sund wohl noch liegens nichts Durch greifendes geschehen. Es wäre ein schöner Erfolg für den neuen Herrn dieses Amtes, wenn es ihm gelänge, die Hindernisse endlich aus dem Wege zu räumen. Das wäre ein Akt volkstümlicher Politik, der seine bleibende Wirkung nicht verfehlte. Deutscher Reich. Leipzig, 23. November. * SriegShafcn Helgoland. Aus Helgoland soll, wie aus dem jetzt bekannt gegebenen Marineetat bervorgeht, ein Hafen für Kriegsschiffe gebaut werden. Die Insel Helgoland bietet für die größeren Schiffe der deutschen Flotte e nen un gemein günstigen Ankerplatz, denn die Tiefenverhältnisse sind in nächster Nähe der Insel so gute, daß hier eine größere Flotte vor Anker geben kann. Der neue Hafen wird auch in einem Seekriege ein Stützpunkt für die deutsche Torpedobootöflottille von großer Bedeutung sein. Der Hafen wird an der Südspitze der Insel angelegt, und etwa 1000 Meter in die See binausgebaut. Die Vorarbeiten zur Anlage des Hafens haben bereits begonnen. * Einstellung der Cholera-Wacht! Infolge Eisireibens auf dc> Weichsel hat der Obcrpräsident von Westpreußen die Einstellung de, Betriebes der Choleraüberwachungsstation Schillno bei Thorn an geordnet. Hiermit ist der gesamte Choleraüberwachungs dienst beendigt. — Die Maßregel erscheint sehr bedenklich, da die Cholera in Rußland fortdauert. * v. Mendelssohn. Die „Neue Polit. Korrespondenz" hält trotz aller Dementis die Nachricht aufrecht, daß der Eintritt deS Geh. Kom merzienrates v. Mendelssohn in ein hohes Reichs- oder preußisches Staatsamt in ernste Erwägung gezogen werde. * Partei-Convente. Die sozialdemokratische Fraktion des Reichstages hielt gestern eine Sitzung ab, in der beschlossen wurde, zwei Interpellationen im Reichstage einzubringen. Die eine betrifft die hohen Lebensmittelpreise, die andere die Steigerung der Kohlenpreise. Die Lebensmittel-Interpellation werden die Genossen Scheidemann und Eichhorn, die Kohlenpreissteigerung Molkcnbuhr und Hue begründen. Als Etatsredner werden Bebel und, nachdem Singer gebeten hat, von seiner Person diesmal Abstand zu nehmen, David fungieren. Einige neue Anträge werden von der sozialdemo kratischen Fraktion eingebrackt werden. Einer betrifft den Schutz der Hüttenarbeiter in bezug auf ihre Pensionskaffenansprüche, einer verlangt ein Eingreifen gegen die direkt zur Gewohnheit ausgeartete unterirdisckie Beschäftigung von Kindern unter 16 Jahren, und ein Antrag verlangt die Aufhebung der Fahrkartensteuer. — Di; .Zentrums fraktion des Reichstages trat abends zu einer Sitzung zusammen Aus der Tagesordnung stand die Beratung des Gesetzentwurfes über Abänderung des Strafrechts hinsichtlich der Majestätöbeleidigungcn und Geschäftliches. * Tie EutcignungSvorlage. Wie das „Berliner Tageblatt" er fährt, wird Reichskanzler Fürst Bülow am kommenden Dienstag in der Eröffnungssitzung des preußischen Abgeordnetenhauses die Oslmartcn- vorlage persönlich in längeren Ausführungen begründen. Die Ent eignung soll nicht bloß auf den Geschäftsbereich der Ansiedelungskom mission begrenzt werden, sondern auch nur solange gelten, als die in Aussicht genommene Summe von 400 Millionen Mark nicht aufgebrauchl sein wird. * Tie Sozialdemokraten siegten in Zeitz bei den Stadtverordneten wahlen in der drittcn Abteilung. Damit zieht zum ersten Male die Sozialdemokratie in das Stadtverordnetenkollegium ein. * Tas Verfahren „egen Harden. Dem „B. L.-A." zufolge beschloß die Straf! ammer des Landgerichts Berlin I die Eröffnung des Haupt verfahrens gegen Maximilian Harden wegen Beleidigung des Grafen Kuno Moltke. Feuilleton. Die Menschen, und nicht die Natur, machen ein Land heimisch. Andersen. O LerlSnttehkeit und Schönheit. Ellen Keys Lehrgebäude ist fertig. In ihrem neuesten Buche*> legt sie den Schlußstein zu ihrem System. Sic hat sich eine hohe und große Ausgabe in dem gewaltigen dreibändigen Werke ,,Lebenslinien" gestellt. Bisher hat es wohl noch keine Frau versucht, ein so umfassendes und selbständiges Weltbild zu entwerfen. An Bekenntnissen feiner, weib licher Seelen fehlt es gewiß in ber Literatur nicht, aber es sind doch meist nur einzelne Themata, die behandelt werden und die dem weiblichen Geschlechte besonders nahe liegen. Ein rein persönlicher Grund, ein inneres Erlebnis ist die Veranlassung zur Niederschrift geworden. Das Ich der Schreiberin guckt überall zwischen den Zeilen durch und tritt mehr oder weniger in den Vordergrund. Ich erinnere nur an Malwida von Mcysenbura, deren Memoiren einer Idealistin bei aller Objektivität, deren sie sich in philosophischer Beziehung befleißigt, doch mehr oder weniger der ganz subjektive Ausfluß ihrer weichen, vornehmen Frauensecle sind. Aber auch unter den Schriftstellerinnen der Gegen wart wird man keine finden, die so systematisch-philosophisch verfahrt, wie Ellen Key. Selbst Rosa Meyreder mit ihrem vorzüglichen Buche: „Zur Kritik der Weiblichkeit" wird in diesem Punkte hinter der großen Schwedin zurückbleiben müssen, obgleich sic ihr in bezug auf präzise Darstellung und praktischen Blick zweifellos überlegen ist. Ellen Key besitzt bei aller Weiblichkeit doch sehr viel -s- M, um mit Meininger zu reden. Sie trägt ein ganz bestimmtes abgerundetes Welt- bild in sich, das sich immer wieder „objektiviert". Was sie sagt, entspringt ihrer „ starken, großen Persönlichkeit. Ihr Schassen trägt das Gepräge des Echten und Eigenartigen. Ihre Gedanken, d,e, wie sic selbst sagt, in der Luft liegen, sind oft nicht neu und originell, aber sie sind auch nicht erborgt oder ent lehnt. Sie versteht es, sie kostbar zu fassen nno in eine besondere Form zu kleiden. Aus ihren Büchern sprechen die weiten, stillen Wälder ihrer Heimat, sie selbst kann sich am wenigsten dem Einflüsse des „Erdgeistes" entziehen. Das weiß sie auch, und in dem jüngst erschienenen Buche spricht sie sich ganz offen hierüber aus. In diesem Unbewußten wurzelt ihr starkes Gefühl. Der instinktiven Vaterlandsliebe, der Blutsver wandtschaft mit der norwegischen Rasse entspringen ihre tiefsten Ge danken. In der Sprache der Heimat kann sie ihr Innerstes am besten zum Ausdruck bringen. Es war mir deshalb immer unbegreiflich, wie Ellen Kev in den verschiedenen Ländern umherziehen konnte, um vom Rednerpult herab über ihre Ideen zu sprechen. Sie hat dadurch nicht gewonnen und mancher, der ein feines Bild dieser Frau in sich trug, ist von der Rednerin Ellen Key stark enttäuscht gewesen. Altes Vollkommene, was in den Büchern steckt, geht beim grellen Lampenlicht *1 Ellen Key, Persönlichkeit und Schönheit. Verlag von S. Fischer, Berlin. des großen Saales und bei dieser stockenden, unbeholfenen Vortrags weise verloren. Die meisten ihrer Gedanken sind eben nicht für die Masse bestimmt. Sie wirken bei der Lektüre in einem traulichen Raum ganz anders. Ellen Key hat die Zahl ihrer Feinde durch ihre Vorträge nur vermehrt. Nicht nur in ihrer geliebten Heimat wird sic heftig befehdet, auch bei uns hat sie viele Gegner, die sie nicht verstehen oder verstehen wollen. Ich bin überzeugt, daß auch ihr letztes Buch viel Widerspruch erfahren wird. Es enthalt genug, was zur Opposition reizt. Gewiß: es ist ein konsequenter Ausbau ihres neuen Lebens glaubens. Sie will ihn jetzt auch auf die Ethik ausdehncn. Ihre Glücks moral soll zu einer Synthese von Christentum und Heidentum führen, wobei dem Individualismus der weiteste Spielraum bleiben soll. Man kann dem gern zustimmen. Es fragt sich nur, wie führt der Weg zu diesem Ziele und ist dieser Weg übcrhanpt gangbar? Eine Pflichten- lehre muß, wenn sie brauchbar sein soll, auch praktisch möglich sein. Darauf nimmt aber Ellen Key wenig Rücksicht. Sie dichtet ihren Lebenstraum unbesorgt um die Wirklichkeit zu Ende. Schönheits formen, Seclensormen, Gesellschaftsformen entspringen ihrer lebhaften, vollkommenheitsdurstipcn Phantasie. Nur schade: sic existieren nicht und sind überhaupt wohl nie möglich. Wie Bertha von Suttner der Idee des ewigen Friedens verfallen ist, so Ellen Key ihrem Schönheits ideal. Utopia ist freilich schon von Thomas Morus erdichtet worden, aber es ist auch heute noch nicht auf Erden zu finden. Eine Lebens steigerung ist gewiß nicht zu verkennen. Die Menschheit ist nicht nur in ihren materiellen Bedürfnissen anspruchsvoller geworden. Der Begriff einer Lebenskultur beginnt erst langsam und matt zu dämmern. Die Sehnsucht nach intensiverem Leben bricht sich allmählich Bahn. Aber es sind vorerst nur einzelne, die etwas davon spüren. Deshalb sind Ellen Keys Freiheitsfordcrungen in vielem verfrüht, oft aber nicht bloß verfrüh', sondern verfehlt. Sic rechnet mit einer Höhe des allgemeinen Niveaus, das nie erreich bar sein kann. Wenn Ellen Key nur einigermaßen im täglichen praktischen Leben stünde, könnte sie sich nie solchen Illusionen hingebcn. Sie erwartet z. B. vom Sozialismus Dinge, die er gar nicht leisten kann, Dinge, die ganz außer seinem Bereiche liegen. Ich frage: hat der Sozialismus wirklich nur im Glückswillen seine innerste Triebkraft? Träumt er überhaupt von der Gesellschaftsschönheit? Wird der Kampf für die großen allgemein menschlichen Ideen tatsächlich nur von der Arbeiterklasse geführt? Niemand wird das behaupten wollen, wenn- gleich eine gewisse Mitarbeit der Besten aus diesen Kreisen zuzugeben ist. So gut gefällt Ellen Key ihr Traum vom Sozialismus, daß sic ihn zu Ende träumt, und sic landet schließlich beim Anarchismus. Warum? Weil die „sich selbst Gesetze gebenbe Freiheit" das Endziel der Gedanken ist. „Der Traum des Anarchismus von der Gesellschaftsschönheit ist für die Reformatoren unentbehrlich." Merkt denn Ellen Key nicht, daß eine Freiheit, die sich selbst Gesetze gibt, keine eigentliche Freiheit mehr ist? Gesetzegebcn bedeutet doch Auserleqen einer gewissen gegenseitigen Beschränkung Die menschliche Gesellschaft ist überhaupt nicht existenz fähig ohne gewisse Gesetze. Die Gesetze dürfen nur nicht in daS persön liche Recht des Individuums eingreisen. Doch ich kann nur etliche Proben geben. Uferlos werden Ellen Keys Ansichten auch, wenn sie auf das Thema Völkergemeinschaft zu sprechen kommt. Es wäre besser ge wesen, sie hätte hier andern das Feld überlasten. Ich will nicht ver kennen, daß sie manches zu sagen weiß, was seine volle Berechtigung hat. Aber für alle Gefühle läßt sich auch nicht derselbe Maßstab ge brauchen. Und so muß sic in eine Sackgasse geraten, wenn sie beispiels weise beim Vatcrlandsgefühl nur die Lcbenssteigcrung als Wertmesser gelten lassen will. Ihre Auffassung wirkt hier besonders einseitig und ihre Ausführungen werden off allzu weiblich. Wesentlich glücklicher ist Ellen Key in der Beurteilung rein ethischer Fragen. Das Gebiet liegt ihr besser, weil es persönlicher ist. Auch in ihren früheren Büchern zeigt sich das. Der Ausbau der Persönlichkeit ist ihr eigentliches Lcbenselement. für das sie sich immer und immer wieder cinsctzt. Hier findet sie für ihr Leitmotiv stets neue überraschende Wendungen, aus denen das Thoma: Per sönlichkeit klar und vernehmlich herausklingt. Ihre Erfindungs gabe ist reich und unerschöpflich. Der Grundgedanke freilich bleibt derselbe, nur die Variationen sind neu. Der Kamps gegen die dualistische, christliche Lebensanschauung wird mutig weitcrgcführt. Absolute Willensfreiheit und absolute Pflichtenlehrc sollen einer reinen Glücksmoral weichen. „Du sollst individuell sein! Du sollst aus deine eigene Weise bandeln." Nur so wird die der Natur innewohnende in dividualisierende Tendenz weiter entwickelt. Ellen Key hält cs, wie man merkt, sehr mit Schleiermacher. Der Einzelne soll sich möglichst vom andern unterscheiden, um Verständnis für dessen Eigentümlichkeit zu bekommen. Daran fehlt cs uns Heutigen. Wir geben uns noch immer nicht Mühe, unfern Nächsten zu verstehen: im Gegenteil, wir fallen über seine Eigenarten her, versuchen ihn abzuschleiscn, er darf bei- leibe nicht der „Gesellschaft" gefährlich werden. Wer ist denn nun eigentlich diese „Gesellschaft"? Man redet wohl immer von ihr, weiß aber nichts über sie. Im Grunde genommen ist sie doch nichts anderes, als ein allgemeiner Begriff, eine allgemeine Meinung, die aus zwei Dritteln Vorurteilen und ans einem Drittel Wahrheit besteht, lind diesem Moloch sind alle mehr oder weniger verfallen. Der Gesellschafts trieb steckt im Menschen und läßt sich nicht ausrottcn. Er bedarf aber noch der Veredelung, denn er ist noch in vielem roh und unschön. Auch er muß beitragen zur Lebcnsstcigerung. Aus dem Gejellschaststrieb resultiert die Geselligkeit. Die Geselligkeit aber hat ihre eigenen Schön- heitsgcsetze, die für den feinen Lebenskünstler selbstverständlich sind, lind doch werden sic von Vielen im Verkehr ganz außer Acht gelassen. Leider kann ich hier nicht auf Einzelheiten einaehcn, aber ich empfehle jedem, die Schönheitsgebote des Gescllschaftslebens, wie sic Ellen Kcv ausstellt, zu studieren. Sie zählen zum Feinsten, was sich über dieses Thema sagen läßt. Den Standpunkt, den die Philosophie der Gesellschaft gegenüber ein nimmt, verläßt sic auch nicht dem Einzelnen gegenüber: Entwicklung der Persönlichkeit und Lebcnssteiacrnng! Der Ptlichtmoralist meint, daß ber Glücksmoralist seine Persönlichkeit aus Kosten der Pflichterfüllung behaupte. Der Glücksmoralist glaubt das Recht zu einer individuellen Wahl der Pflichten zu haben, weil nur das Handeln aus einer solchen Wahl heraus mit „Lust und Leben" geschieht. Die Pflicht als Glück bat höheren Wert. Das Moment der Lust ist also nach Ellen Keys Ansicht primärer, das Moment der Pflicht sekundärer Natur. Diesen Sinn sucht sie auch in Kants kategorischen Imperativ zu legen. Hat man den Königsberger Philosophen anders verstanden, dann hat man ihn mißverstanden, und gegen diesen Miß brauch will sic ausdrücklich Verwahrung einlogcn Ich glaube, diese An sicht wirb nicht unwidersprochen bleiben. Jedenfalls »st gerade diese be-
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